Donnerstag, 24. April 2014

Gesund genug fürs Ehrenamt

Die gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen birgt tödliche Risiken. Die Versuche, ihre Lage in anderen Lebensbereichen wie der Beschäftigung zu verbessern, sind zwiespältig.

Ralf Fischer / Jungle World


Die gesundheitliche Versorgung von Asylbewerbern ist in Deutschland keine Selbstverständlichkeit. Diese Tatsache kostete Anfang April einen vier Wochen alten Jungen das Leben. Gegen die Kinder- und Jugendklinik »Auf der Bult« in Hannover erhebt eine aus Ghana stammende Mutter schwere Vorwürfe. Die Klinik habe die Behandlung ihres Säuglings abgelehnt, weil sie keinen Behandlungsschein habe vorweisen können. Kurz darauf starb das Kind.

Die Klinikleitung bestreitet die Anschuldigungen. Man schicke keine Kinder weg, sagte der Ärztliche Direktor der Klinik, Thomas Beushausen, der Taz, das Versicherungsverhältnis habe man später geklärt. Die drei zuständigen Mitarbeiter hätten in der Situation keinen Notfall erkannt, außerdem sei die Verständigung »sehr schwer« gewesen.

Der Säugling hatte
schon seit seiner Geburt unter Atemproblemen gelitten, weshalb er schon zuvor einmal in die Kinderklinik »Auf der Bult« eingewiesen worden war. Die gesundheitlichen Probleme waren also bereits aktenkundig. Die Mutter erklärte, sie sei, nachmdem man sie abgewiesen habe, mit dem Bus zu einer Kinderärztin gefahren. Dieser bereitete es offenbar keine Probleme, sich mit der Frau zu verständigen. Sie ließ den Sohn umgehend in die Klinik einweisen. Doch er verstarb noch im Krankenwagen. Wiederbelebungsversuche blieben erfolglos.

Dies ist kein Einzelfall. In Bayern wurden Mitte April drei Mitarbeiter des Zirndorfer Aufnahmelagers, die einem schwer kranken Flüchtlingskind die medizinische Hilfe verweigert hatten, vom Amtsgericht Fürth zu Geldstrafen verurteilt. Der Junge litt an einer Meningokokkeninfektion, hatte hohes Fieber und bereits schwarze Flecken im Gesicht, an den Armen und den Beinen. Sein Leben konnte später im Klinikum Fürth nur mit größter Mühe gerettet werden, er verlor einen Finger und einen Zeh und musste sich mehreren Hauttransplantationen unterziehen. Eine Angestellte des Aufnahmelagers muss eine Geldstrafe in Höhe von 2 400 Euro zahlen, ein Pförtner 2 700, ein weiterer 3 000 Euro. Die verurteilten Mitarbeiter sollen nach Angaben der mittelfränkischen Bezirksregierung zukünftig nicht mehr in dem Aufnahmelager eingesetzt werden. Alle anderen Mitarbeiter des Pförtnerdienstes wurden angewiesen, »in Notfällen stets den ärztlichen Bereitschaftsdienst oder Notärzte zu verständigen«. Ein Krankenschein sei dabei in keinem Fall nötig.
Das Problem ist jedoch nicht nur individuelles Fehlverhalten, sondern vor allem die bestehende Regelung, wonach Flüchtlingen eine Behandlung nur bei akuten Erkrankungen zugestanden wird. Sie wird nicht nur regional unterschiedlich ausgelegt, sondern sorgt auch für eine große Verunsicherung des medizinischen Personals in der Frage, was genau als akute Erkrankung anzuerkennen ist. Viele Ärzte wissen zudem nicht, welche Behandlungskosten sie bei Flüchtlingen abrechnen können. Derart im Ungewissen gelassen, ist die Einhaltung des hippokratischen Eids offensichtlich keine Selbstverständlichkeit mehr.

Die strukturell bedingte Gefährdung der Hilfsbedürftigen
beginnt jedoch in der deutschen Bürokratie. In den ersten vier Jahren ihres Aufenthaltes benötigen Flüchtlinge, die einen Arzt aufsuchen wollen, einen Krankenschein, den sie in der Regel nur nach einem persönlichen Vorsprechen bei der Sozialbehörde erhalten. Dieses Prozedere, das im Asylbewerberleistungsgesetz festgelegt ist, setzt Kranke potentiell tödlichen Risiken aus. Die Ausstellung eines Krankenscheins durch die Sozialbehörden oder das Auslösen des Notrufs in medizinischen Notfällen liegt in der Hand von unzureichend geschultem Personal, was einerseits Willkür und persönliche Abhängigkeiten erzeugt, andererseits zur Überforderung der Verantwortlichen führt. Gravierende Fehleinschätzungen und verweigerte Hilfe wie im bayerischen Zirndorf sind nicht ungewöhnlich. Das gesundheitliche Wohlergehen von Flüchtlingen wird durch die bestehende Gesetzeslage systematisch aufs Spiel gesetzt.

Ein schwacher, zwiespältiger, aber derzeit vieldiskutierter Trost
ist da der Versuch, die Lebensverhältnisse von Asylbewerbern in einem anderen Bereich zu verbessern. So gibt es Bemühungen, Flüchtlingen im Rahmen lokaler Initiativen eine ehrenamtliche Arbeit zu beschaffen. Im baden-württembergischen Schwäbisch Gmünd hat der Oberbürgermeister Richard Arnold (CDU) für die Vorbereitung der Landesgartenschau Flüchtlinge als Helfer rekrutiert. Im vergangenen Sommer sorgte Arnold schon einmal für Schlagzeilen, und nicht nur für positive. Er hatte Asylbewerber als Gepäckträger am Bahnhof engagiert – für 1,05 Eu­ro die Stunde. Erst nach überregionalen Protesten wurde das Projekt beendet.

Derzeit folgen die Bewohner des Flüchtlingsheims der Einladung des Oberbürgermeisters, freiwillig und ehrenamtlich beim Anlegen von Blumenbeeten zu helfen. »Ich bin der Oberbürgermeister einer Stadtgemeinschaft. Alle gehören hier dazu, auch die Flüchtlinge gehören dazu, das heißt, die Projekte, die wir hier machen, sind die Projekte von allen, also auch von den Flüchtlingen«, sagte der Politiker im Deutschlandfunk. Was manchen Beobachtern ausbeuterisch und zynisch erscheint, ist für die zur Untätigkeit gezwungenen Flüchtlinge eine willkommene Abwechslung. »Wir haben gesagt: Wenn sie Arbeit für uns haben, machen wir alles. Der Oberbürgermeister sagte: Ja. Alles machen wir. Egal, damit ich was zu tun habe, deswegen. Als Teil dieser Stadt möchte ich mich hier einbringen und werde ­Tickets kontrollieren«, berichtete ein freiwilliger Teilnehmer dem Deutschlandfunk.

Flüchtlingsorganisationen befürchten nicht zu Unrecht, dass die unbezahlte oder nur mit einer geringen Aufwandsentschädigung vergütete Arbeit irgendwann zur Pflicht werden könnte. Für viele Flüchtlinge ist es ein verlockendes Angebot, um der Langeweile in den Unterkünften zu entfliehen. Zugleich bieten solche Vorhaben eine Möglichkeit für ehrgeizige Lokalpolitiker, ihre hochtrabenden Projekte mit billigen Arbeitskräften zu verwirklichen.

Im hessischen Bad Salzschlirf übernahmen Asylbewerber kürzlich die Arbeit der Straßenreinigung. Beim sogenannten Osterputz pflegten sie die öffentlichen Grünanlagen und fegten die Bürgersteige sowie Parkplätze zur Freude der Fuldaer Zeitung »blitzblank«. Als Dankeschön vergütete der Landkreis Fulda die gemeinnützige Tätigkeit mit 1,05 Euro pro Arbeitsstunde und einem kostenlosen Mittagessen. »Die Langeweile und das Warten auf den Ausgang des Asylbewerberverfahrens sind sehr belastend«, sagte der Initiator des Projekts, Herbert Post. »Insofern war eine sofortige Bereitschaft zur Mitarbeit da und die Stimmung bei der Arbeit war ausgesprochen gut«, gab er zufrieden der Fuldaer Zeitung zu Protokoll.

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