Donnerstag, 27. März 2014

Wenn der Hass erwacht

Rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien bestreiten den Wahlkampf für die anstehenden Europa- und Kommunalwahlen mit rassistischen Parolen. Migranten und Asylsuchende werden immer häufiger angegriffen.

Ralf Fischer / Jungle World


Jedes Jahr beobachten Menschenrechtsorganisationen den Trend, dass mit steigenden Temperaturen die gewalttätigen Angriffe auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte zunehmen. In diesem Jahr kommt hinzu, dass die rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien im Rahmen der Europa- und Kommunalwahlen in elf Bundesländern ihren Wahlkampf auf die »Zuwanderung in die Sozialsysteme« und die »Asylflut« konzentrieren. So werden Asylsuchende und Migranten derzeit deutschlandweit zur Zielscheibe rechter Hetze. Die Nichtregierungsorganisationen Pro Asyl und die Amadeu-Antonio-Stiftung rufen deshalb dazu auf, »rassistischer Stimmungsmache im Europa- und Kommunalwahlkampf entgegenzutreten und Flüchtlinge zu schützen«. Dass die Hetze brandgefährlich werden kann, »wenn sie nicht rechtzeitig auf entschiedenen Widerstand stößt«, zeigen die Ereignisse der vergangenen Wochen deutlich.

Mitte März veranstalteten einige Gegner des Flüchtlingsheims in Berlin-Hellersdorf
eine regelrechte Hetzjagd auf zwei jugendliche Flüchtlinge. »Die beiden Männer wurden nach ihrer Darstellung vom U-Bahnhof an von circa 15 Leuten verfolgt, bedroht und mit Flaschen beworfen«, berichtet der Bezirksverordnete Klaus-Jürgen Dahler (Linkspartei). Die beiden hätten sich in das Heim retten können und blieben unverletzt, aber »natürlich sind sie jetzt verängstigt«. Kurz nach Mitternacht flogen Bierflaschen auf das Flüchtlingsheim und eine Gruppe von mindestens sechs Männern versuchte, in das Heim einzudringen. Gerade noch rechtzeitig gelang es dem Wachschützer sowie einem Bewohner, die Tür zu verschließen. Erst 20 Minuten später erschien die Polizei.


Zwei Tage später zündeten Unbekannte das Auto einer Unterstützerin der Initiative »Hellersdorf hilft« an. Die katholische Seelsorgerin hatte die Flüchtlinge immer wieder mit Hilfsgütern versorgt, dabei sei sie auch fotografiert worden. Die Rechten hätten sich ihr Kfz-Kennzeichen notiert. Die Brandermittler der Polizei gehen davon aus, dass das Feuer nicht auf einen technischen Defekt zurückzuführen ist, sondern gelegt wurde, womit ein gezielter, politisch motivierter Anschlag sehr wahrscheinlich ist. Für den Fraktionsvorsitzenden der Piratenpartei im Berliner Abgeordnetenhaus, Oliver Höfinghoff, ist diese Entwicklung »keineswegs überraschend, sondern hat sich vielmehr schon vor Bezug des Flüchtlingsheims abgezeichnet«. Er fordert, dass »der Senat endlich den Ernst der Lage erkennen und entsprechend handeln« müsse.

In der sachsen-anhaltinischen Kleinstadt Merseburg wurden innerhalb von einer Woche drei Migranten bedroht, verprügelt und ausgeraubt. »Neger, was willst Du hier. Raus aus Deutschland«, riefen die Täter, die einen Somalier am 20. Februar im Merseburger Bahnhof verprügelten. Dabei schlugen sie seinen Kopf brutal gegen eine Wand. Vier Tage später, in einer Bahnunterführung, wurde ein Algerier Opfer eines Raubüberfalls. Der mutmaßliche Täter ist gefasst, ein rassistisches Motiv wird bisher nicht ausgeschlossen. Am Abend des 26. Februar bedrohten drei Männer einen Afrikaner mit einem Teppichmesser, zeigten den Hitlergruß und pöbelten: »Neger, geh zurück in Dein beschissenes Land.« Als daraufhin Personen aus dem Büro des Landtagsabgeordneten Sebastian Striegel (Grüne) eingriffen, kam es zum Handgemenge, bei dem das Opfer die Flucht ergreifen konnte. Die herbeigerufene Polizei nahm wenig später eine neunköpfige Gruppe Neonazis zwischen 18 und 22 Jahren aus Merseburg und dem Saalekreis vorläufig fest.

Zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung galt die Region um Merseburg im südlichen Saalekreis bislang nicht als Schwerpunkt von Neonazis. 29 Überfälle Rechtsextremer verzeichnet die mobile Opferberatung des Vereins »Miteinander« seit 2008 für den Saalekreis  – die meisten fanden im Süden, in Merseburg, Mücheln oder Bad Dürrenberg statt. Davon geschahen jedoch allein 17 in den vergangenen beiden Jahren. Grund dafür sei eine Neonaziszene, »die mit wahnsinnigem Selbstbewusstsein« auftrete, berichtet David Beg­rich. Der Mitarbeiter von »Miteinander« geht davon aus, dass die Szene sich äußerlich nicht unterscheide »von dem, was in anderen Kleinstädten Ostdeutschlands los ist, aber deutlich aggressiver« sei.

Im Zusammenhang mit einem versuchten Tötungsdelikt am 10. März in Mainz sucht die Po­lizei noch dringend Zeugen. Während einer Busfahrt gerieten ein 57jähriger Mann aus Idstein und ein 28jähriger Mann angolanischer Abstammung aus Mainz in einen heftigen Streit. Zu Handgreiflichkeiten kam es beim Aussteigen aus dem Bus, dabei attackierte der 57jährige sein Opfer mit einem Messer und verletzte es lebensbedrohlich. Bei einer Mahnwache, die zwei Tage nach dem Angriff stattfand, teilte der Veranstalter unter Berufung auf mehrere anonyme Zeugen mit, der Täter habe den jungen Mann bereits rassistisch beleidigt, bevor er mit dem Messer auf ihn eingestochen habe. Bei seiner Festnahme soll er zudem gerufen haben, er hasse alle Ausländer. Der 28jährige wurde operiert und ist nach Auskunft der Ärzte außer Lebensgefahr.

Wie erfolgreich die lokale Revierverteidigung mit harter Hand sein kann, zeigt das Beispiel Duisburg-Rheinhausen. Hier sorgte ein Mietshaus, in dem Roma-Familien aus Osteuropa ein neues Zuhause gefunden hatten, für viele Schlagzeilen sowie unerträgliche rassistische Hetze. Am Ende der unzähligen Anstrengungen, die als »Problemhaus« stigmatisierte Unterkunft loszuwerden, begleitet von Demonstrationen rechts­populistischer und rechtsextremer Parteien, Versammlungen der örtlichen Bevölkerung und dem ständigen Druck der kommunalen Verwaltung, stand das erwartbare Ergebnis: Die Roma mussten gehen.

»Zum katastrophalen Schluss dieser für die Betroffenen leidvollen Geschichte bilden Stadt und Eigentümer, gewollt oder nicht gewollt, eine politisch wie menschlich stark zu verurteilende Allianz, in der sich die Stadt aus der Verantwortung für die zugewanderten Menschen zieht«, konstatiert das »Duisburger Netzwerk gegen Rechts«. Wie sonst nur bei Immobilien von Neonazis, bot die Stadt Duisburg dem Eigentümer des Hauses einen kommunalen Ankauf an. Als Voraussetzung nannte die Stadt die schnelle Freisetzung der Bewohner, obwohl es dem Anwalt zufolge keinerlei rechtliche Handhabe gab, den Bewohnern vor Anfang 2015 die Mietverhältnisse zu kündigen. Mitte März jedoch waren die ehemaligen Bewohner verschwunden.

Der derzeitige Aufenthaltsort der Roma ist unbekannt. Da es sich nicht um Asylbewerber handelt, fühlt sich die Stadt für die Unterbringung nicht zuständig. Sozialdezernent Reinhold Spaniel (SPD) äußerte gegenüber einer Lokalzeitung, dass man auf die »Mobilität der Betroffenen« setze. Alle Versuche durch die Unterstützer der ehemaligen Mieter, adäquaten Wohnersatz zu finden, stoßen auf Widerstand. Potentielle Vermieter waren nicht bereit, neue Mietverträge abzuschließen. Nach bisherigen Informationen sind die Kinder aus den Schulen abgemeldet worden und ein Großteil der Betroffenen hält sich nicht mehr in Duisburg auf. Viele soll es nach Dortmund und Hamburg verschlagen haben.

Donnerstag, 13. März 2014

Auf dem rechten Auge blöd

Mehr Befugnisse, mehr Geld, mehr Zusammenarbeit – das ist die Antwort der Bundesregierung auf das Vorgehen der Polizei und des Verfassungsschutzes im NSU-Skandal.

Ralf Fischer / Jungle World



An den offenen Fragen kann es nicht liegen. Geschah der Mord an Michèle Kiesewetter doch nicht zufällig? Was wusste der Verfassungsschutz wirklich über den Mord an Halit Yozgat? Trotz der bedeutenden Sachverhalte, die derzeit aufgeklärt werden sollen, sorgt der NSU-Prozess nicht mehr für allzu große Schlagzeilen.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD)
stellten von der Öffentlichkeit kaum beachtet Ende Februar den 31 Seiten langen Kabinettsbericht über den Stand der Verwirklichung jener Empfehlungen vor, die der NSU-Untersuchungsausschuss am Ende seiner Tätigkeit gegeben hatte. Der Abschlussbericht enthält 47 Empfehlungen für die Bereiche Polizei, Justiz, Verfassungsschutz und »Demokratieförderung«. Sie reichen von der Stärkung der Vollmachten des Generalbundesanwaltes bis hin zur besseren Koordination der Sicherheitsbehörden. Eine wesentliche Bedeutung besitzt auch die Stärkung der »Zentralstellenkompetenz« des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV).

Gerade die Verfassungsschützer dürften trotz ihres skandalösen Verhaltens als Gewinner aus der NSU-Affäre hervorgehen. Zwar fordert die Bundesregierung die konsequente Übermittlung von Erkenntnissen der Verfassungsschutzämter an die Strafverfolgungsbehörden, aber darüber hinaus wird in dem von de Maizière und Maas vorgestellten Kabinettsbericht keine Verfahrensweise aufgeführt, die nicht längst hätte Standard sein müssen. So sollen in Zukunft das »Controlling beim Umgang mit Informationen verbessert«, die Rolle des behördeninternen Datenschutzbeauftragten gestärkt und die Regelungen für den Einsatz von sogenannten V-Männern präzisiert werden. Reformbedarf wird auch bei den Anhörungsrechten der jeweiligen Kontrollgremien eingeräumt. Ebenso sollen der Quellenschutz sowie die Belange der Strafverfolgung und Gefahrenabwehr in ein angemesseneres Verhältnis gebracht werden. Doch es handelt sich schlicht um Maßnahmen, von denen zu erwarten gewesen wäre, dass sie ohnehin als Standard für den Verfassungsschutz gelten.

Der Kabinettsbericht erschöpft sich so in einer Aufzählung von Binsenweisheiten. Verblüffend sind manche Aussagen dennoch: »Bei Ermittlungen im Bereich der Gewaltkriminalität soll sorgfältiger geprüft und dokumentiert werden, ob ein möglicher rassistischer oder anderweitiger po­litisch motivierter Hintergrund vorliegt und die Einbindung des polizeilichen Staatsschutzes erforderlich ist. Hierbei sollen Aussagen von Opfern/Opferzeugen stärker berücksichtigt werden.« Drängt sich hier doch erneut die Frage auf: In welchem Maß wurden wohl die Aussagen von Opfern rassistischer Gewalt bisher berücksichtigt?

Vielleicht in der Hoffnung, dass die scharfe Kritik und der gerechtfertigte Unmut
über die staatliche Verwicklung in den NSU-Skandal früher oder später verpuffen werden, setzt das Kabinett in seinem Bericht wohlfeile Worte in die Welt. Die Außendarstellung bestimmt die öffentliche Wahrnehmung. Deshalb versprechen de Maizière und Maas, die deutschen Beamtenstuben etwas zu entstauben: »Bei den Verfassungsschutzbehörden soll eine neue Arbeitskultur/ein neues Selbstverständnis mit mehr Transparenz und verbesserter interkultureller Kompetenz (›Offenheit statt Schlapphutkultur‹) geschaffen werden. Sie sollen sich mit Blick auf Ausbildung und Personalgewinnung und für eine Intensivierung des Austauschs mit Wissenschaft und Zivilgesellschaft öffnen.« Man gelobt, die »parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste u. a. zum Einsatz von V-Personen« zu stärken, den Umgang mit Opfern und Hinterbliebenen zu verbessern. Aber eine einschneidende Zäsur oder gar die vollständige Auflösung des Verfassungsschutzes steht selbstverständlich nicht zur Debatte. Es bleibt allein der Opposition vorbehalten, diese Forderung zu stellen, obwohl die SPD noch zu Oppositionszeiten wegen des »krassen Versagens« des Verfassungsschutzes zumindest eine tiefgreifende Reform anmahnte.

Dass nicht nur bei den Verfassungsschutzämtern großer Handlungsbedarf besteht, zeigen die neuesten Erkenntnisse zur Ermittlungsarbeit nach dem Untertauchen des NSU-Trios. Nach Recherchen des ARD-Politikmagazins »Fakt« wies die Staatsanwaltschaft Gera an, Gesprächsprotokolle des Mobiltelefons von Uwe Böhnhardt ohne Auswertung zu löschen. Dabei handelte es sich um mehrere Stunden an Telefonaten, die Böhnhardt in den ersten vier Wochen nach dem Untertauchen geführt hatte. Zu seinen Gesprächspartnern zählten unter anderem André Kappke und Ralf Wohlleben. Ferner gab es zahlreiche Telefonate mit Unterstützern und den Eltern von Böhnhardt und Beate Zschäpe. Nicht gelöscht wurden die Verbindungsdaten samt der Identifikation der Funkzellen. Die anhand der Daten bestehende Chance auf eine Ermittlung des Aufenthaltsortes von Uwe Böhnhardt wurde von den Fahndern nicht genutzt.

In den NSU-Untersuchungsausschüssen spielte die Abhöraktion bisher kaum eine Rolle. Erst durch die Recherchen von »Fakt« erfuhren die Abgeordneten von der Existenz der Verbindungsdaten. Das Landeskriminalamt (LKA) Thüringen hatte bisher behauptet, dass keine Erkenntnisse aus den Maßnahmen zur Telekommunikationsüberwachung bei den Eltern Böhnhardt und Mundlos und »der Überwachung des Handys von Uwe Böhnhardt erlangt werden konnten«. Weshalb bundesdeutsche Behörden ständig die Vorratsdatenspeicherung als unerlässliches Mittel für die Ermittlungsarbeit fordern, wenn sie nicht einmal Erkenntnisse aus einer Telefonüberwachung gewinnen können, wird wahrscheinlich unbeantwortet bleiben.

Warum die Fülle von Daten nicht genutzt wurde, bleibt auch für den ehemaligen Obmann der CDU im Untersuchungsausschuss des Bundestags, Clemens Binninger, ein »Rätsel«, wie dieser »Fakt« sagte. Ein wenig Aufschluss gibt die Aussage des früheren thüringischen Innenstaatssekretärs und Innenministers Manfred Scherer (CDU) vor dem Thüringer Untersuchungsausschuss. Er führte die unzähligen Fehler und Unterlassungen bei der Fahndung nach dem NSU-Trio auf die chaotischen Zustände in den Sicherheitsbehörden zurück. Scherer zufolge wurde die Fahndung nach den drei Neonazis aus Jena von der sogenannten Rotlichtaffäre der Polizei, der Diskussion um die Beschäftigung der Eisschnellläuferin Gunda Niemann-Stirnemann im Innenministerium und später vom Amoklauf im Erfurter Gutenberg-Gymnasium in den Hintergrund gedrängt. Das thüringische Landesamt für Verfassungsschutz sei in zwei verfeindete Lager gespalten gewesen, eines für, das andere gegen den damaligen Präsidenten Helmut Roewer.

Alles nur Behördenchaos? Die Befragung einer Zeugin vor dem thüringischen NSU-Ausschuss zum Fall der Polizistin Michèle Kiesewetter ergab Anfang der Woche bisher unbekannte Details, die in eine andere Richtung weisen. Die Zeugin, selbst Polizistin, berichtete, sie sei im Zuge der Ermittlungen im Jahr 2012 bedroht worden. Zwei Männer hätten sie zu Hause aufgesucht, irgendeinen Dienstausweis gezeigt und ihr geraten, sich »an bestimmte Dinge« im Zusammenhang mit dem Mord an der Polizistin nicht zu erinnern. Zudem seien die Reifen ihres Autos aufgeschlitzt worden. Die Zeugin erwähnte außerdem, dass es im weiteren Verwandtenkreis Kiesewetters Kontakte in die rechtsextreme Szene gegeben habe. Dies hatte Kiesewetters Onkel, ebenfalls ein Po­lizist, bisher vehement bestritten. Allerdings werden der Zeugin nach Angaben der Freien Presse ebenfalls Verbindungen ins rechtsextreme Milieu nachgesagt.

Dass die Verfassungsschutzbehörden ihre guten Verbindungen zu militanten Neonazis aufgeben
oder V-Leute nach strengeren Kriterien führen werden, ist angesichts des Kabinettsberichts nicht zu erwarten. Einen weiteren Beleg für die geringen Berührungsängste der Verfassungsschützer liefert der Fall von Michael See, der sich als V-Mann in den neunziger Jahren im thüringischen Leinsfelde selbst dem Verfassungsschutz als Quelle andiente. See, der in Wehrsportgruppen aktiv war, gute Kontakte zum »Thüringer Heimatschutz« und zum Netzwerk »Blood & Honour« besaß, sollte sich für den Verfassungsschutz »wegen seiner guten Kontakte in den norddeutschen Raum (…) nach dem untergetauchten Trio« umhören. Einzelheiten über seine Nachforschungen sind nicht bekannt. Die Akte wurde im November 2011 vernichtet, sieben Tage nachdem der NSU sich selbst enttarnt hatte und am selben Tag, als der Generalbundesanwalt Ermittlungen wegen der »Gründung einer rechtsgerichteten terroristischen Vereinigung« einleitete.