Donnerstag, 13. Februar 2014

Abteilung Attacke

Die Gewaltbereitschaft von Neonazis hat nach der Enttarnung des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) zugenommen. Der Einsatz von Waffen wird dabei häufiger.

Ralf Fischer / Jungle World


»Irgendwann müssen wir kampfbereit sein und zwar, wenn der Ausländeranteil in D. über 50 Prozent steigt, beziehungsweise in den Parlamenten die Ausländerlobby unsere ureigenen deutschen Anliegen völlig ignoriert. Viel Zeit bleibt nicht, denn alleine auf die Schwatzbuden können wir uns nicht verlassen«, dekretiert ein User namens Unabomber im Forum des rechtsextremen Internetportals Altermedia. Auslöser des virtuellen Meinungsaustauschs mit der kniffligen Eingangsfrage »Sind wir bereit für den Bürgerkrieg?« war ein Pamphlet mit dem Titel »Irgendwann werden wir schießen müssen«, das beim linken Internetportal Indymedia veröffentlicht worden war. In ihrem Text ziehen die Autoren eine Bilanz des brutalen Polizeieinsatzes bei einer angemeldeten Demonstration am 21. Dezember vorigen Jahres in Hamburg. Das Fazit der Autoren des Pamphlets, in bestimmten Situationen sei ein Waffeneinsatz berechtigt, hat sich die extreme Rechte allerdings schon längst zueigen gemacht. »Vor Haus- und Hoftür habe ich griffbereit Knüppel und Äxte positioniert, um unliebsame Kulturbereicherer und anderes Pack zu vertreiben. Jedes Haus müsste jetzt schon als Festung ausgebaut werden«, beendet Unabomber auf Altermedia sein Plädoyer für den Einsatz von Waffen. Solche martialischen Drohungen müssen ernst genommen werden.

Im Jahr 2012 erreichte die Zahl der rechtsex­trem motivierten Straftaten,
bei denen es zum Einsatz von Waffen beziehungsweise zu einer Bedrohung mit Waffen kam, einen neuen Höchststand. 350 Fälle registrierte das Bundeskriminalamt, wie im Januar aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion der Linkspartei hervorging. Im Jahr zuvor wurden 224 Fälle registriert. Als Waffen gelten unter anderem Feuerwaffen, Spreng- und Brandvorrichtungen, Hieb- und Stichwaffen sowie Baseballschläger. Die bisherigen Erkenntnisse lassen der Bundesregierung zufolge auf ein »herausragendes Gefährdungspotential« schließen. Über Schießübungen von Neonazis liegen laut Bundesregierung ebenfalls nur wenige Details vor. Sie geht von 27 in legalen, kommerziell betriebenen Schießanlagen durchgeführten Schießübungen von Neonazis seit 1995 aus. Keine Angaben gebe es zu illegalen Wehrsportübungen im Ausland. Solche Informationen seien »allenfalls als Randerkenntnis« von Nachrichtendiensten übermittelt worden. Dabei ist es kein großes Geheimnis, dass deutsche Neonazis, beispielsweise als Legionäre, am jugoslawischen Bürgerkrieg teilnahmen.

Die starke Affinität von Rechtsextremen zu Waffen beweisen zahlreiche entsprechende Funde bei Razzien. So berichtete die Leipziger Volkszeitung vorige Woche von einer Razzia in Chemnitz, bei der die Polizei ein ganzes Waffenlager ausgehoben hatte. Eine der durchsuchten Wohnungen gehört der Zeitung zufolge einem langjährigem NPD-Mitglied, bei dem eine nicht registrierte Schusswaffe sowie eine größere Menge scharfer Munition gefunden wurden.

Martina Renner, Sprecherin der Fraktion der Linkspartei zum Thema Rechtsextremismus,
bemängelt jedoch, dass weder die Zahl bei Durchsuchungen beschlagnahmter illegaler Waffen noch die Anzahl von Neonazis, die mit Waffen oder Militaria handeln, der Großen Koalition bekannt sind. Es sei »wirklich besorgniserregend, dass die Bundesregierung zwar unzählige Dateien, Register und das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) eingeführt hat, aber nicht in der Lage ist, die wirkliche Bedrohung – die Zahl legal Waffen führender Neonazis – exakt zu beziffern«, beklagte die Abgeordnete im Gespräch mit Tagesschau.de. Nach Schätzungen der Verfassungsschutzbehörden besitzen ungefähr 400 Neonazis legal Waffen. Genauere Angaben liegen offiziell nicht vor. »Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Bundesregierung das Problem bewaffneter Neonazis immer noch nicht ernst genug nimmt«, sagte Renner.

In Berlin nahm im Jahre 2013 die Gewaltbereitschaft bei Neonazis ebenfalls zu,
vor allem die Zahl der Körperverletzungen ist gestiegen. Nach 53 Gewaltdelikten im Jahr 2012 wurden im vorigen Jahr über 70 Fälle offiziell gezählt, wie Innensenator Frank Henkel (CDU) bei einer Veranstaltung des Verfassungsschutzes über Rechtsextremismus berichtete. »Besorgniserregend ist vor allem der Anstieg bei den Körperverletzungen um 20 Fälle auf 57«, sagte Henkel. Motiv für die meisten Angriffe der Neonazis war nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes Fremdenfeindlichkeit. Vor allem Flüchtlingsunterkünfte sind in den vergangenen Monaten ins Visier der organisierten Neonaziszene geraten. Insgesamt 1 400 Menschen gehören nach derzeitigen Erkenntnissen zur rechtsextremen Szene in Berlin, knapp die Hälfte davon soll gewaltbereit sein.

Nach dem Auffliegen des NSU hätten sich »die gewalttätigen neonazistischen Überzeugungstäter taktisch noch weiter in geheime Strukturen zurückgezogen«, sagte der Politikwissenschaftler und Experte für Rechtsextremismus der Freien Universität Berlin, Hajo Funke, im Gespräch mit Tagesschau.de. Das zeigt sich auch am Beispiel des Vereinsverbots, das gegen die rechtsextreme Gruppe »Besseres Hannover« verhängt wurde. Vor 16 Monaten hatte der damalige niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) mittels Großrazzien das Vereinsverbot durchgesetzt hatte, wurde nun bekannt, dass die Polizei ein ehemaliges Mitglied der Gruppe verdächtigt, für sieben Angriffe auf Parteibüros von SPD und CDU sowie auf einen Döner-Imbiss und eine Gedenktafel für die Synagoge verantwortlich zu sein. Die Behörden gehen Hinweisen nach, dass der Beschuldigte, Patrick K. aus Pattensen, noch acht weitere Anschläge in Hannover – sie galten Parteibüros von FDP, Grünen und DKP, Jugendorganisationen und im Sommer 2012 dem Döhrener Wahlkreisbüro der Integrationsbeauftragten Doris Schröder-Köpf (SPD) – verübt haben soll. Dabei kamen Steine zum Einsatz, ein anderes Mal wurden Parolen geschmiert, gegen die FDP-Zentrale flog ein Brandsatz. Die Polizei beschlagnahmte bei der Durchsuchung zweier Wohnungen des Beschuldigten eine Stahlschleuder, eine Softair-Waffe mit Munition und diverse Glaskugeln.

In Schwerin griffen Unbekannte vor knapp zwei Wochen eine Gedenkveranstaltung anlässlich des 69. Jahrestags der Befreiung des KZ Auschwitz im multikulturellen Begegnungszentrum »Buntes Q« an. Mit Steinen bewarfen sie die Fassade und zerstörten dabei zwei Fensterscheiben. Unerkannt konnten die Täter über den Hinterhof des Gebäudes flüchten. Die Betreiber gehen davon aus, dass die Angreifer aus der rechtsextremen Szene kommen. Nicht wenige organisierte Neonazis agieren im Untergrund weitaus gefährlicher und vor allem gewalttätiger. Das Ideal des Einzelkämpfers aus vergangenen Tagen hat viele Anhänger in rechtsextremen Kreisen. »Wenn man ernsthaft etwas starten will, so sollte man dies alleine tun und niemandem, wirklich niemandem (!!!) davon erzählen. Ein einzelner Mensch kann aus der Tiefe des Raumes mit einem Scharfschützengewehr im Anschlag (am besten mit Standbein) mehr Angst unter den Roten verbreiten als jede Scheißdemo, wo ein paar Flaschen geworfen werden«, beschreibt ein User seine gut durchdachten Gewaltphantasien auf Altermedia.

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