Freitag, 3. Januar 2014

Sie sollen draußen bleiben

Seit einem halben Jahr betätigen sich ­etliche Initiativen unter dem Slogan »Nein zum Heim« in der Flüchtlingsabwehr. Dieser widmet sich auch die neue Bundesregierung.

Ralf Fischer / Jungle World


Schon kurz nach der Eröffnung der Flüchtlingsunterkunft Anfang Dezember lagen sie vor der Tür: Dutzende Handzettel, auf denen die Parole »Nein zum Heim« stand, hatten Gegner der Einrichtung im Berliner Bezirk Pankow hinterlassen. Der Schriftzug sah genauso aus wie der, den die Gegner eines Flüchtlingsheims in Berlin-Hellersdorf verwendet hatten. Das ist nicht verwunderlich. An beiden Orten wurde diese Parole von organisierten Nazis in Umlauf gebracht.

Die Versuche der Nazis, die vorhandene Stimmung gegen Flüchtlinge wie Anfang der neunziger Jahre in Pogromen kulminieren zu lassen, gingen zwar bisher weder in Berlin noch anderswo auf. Aber das Thema taugt dazu, die Bevölkerung auf die Straße zu locken. Gerade im Osten Deutschlands sind unter dem Slogan »Nein zum Heim« etliche örtliche Initiativen entstanden, die zumindest im Internet in enger Verbindung stehen. Die kleine braune Graswurzelbewegung ist hauptsächlich im ländlichen Raum und in der Peripherie von Ballungsräumen zu finden. Die rechtsextremen Agitatoren treffen aber selbst dort auf eine tief gespaltene Bevölkerung. Einer aktuellen Umfrage in Brandenburg zufolge bereitet die Unterbringung von Asylsuchenden in ihrer unmittelbaren Wohnumgebung 64 Prozent der Befragten geringe oder gar keine Sorgen. Jeder dritte Brandenburger sieht dies dagegen anders. In Berlin lehnt nur jeder vierte Befragte ein Asylbewerberheim in seiner Wohnumgebung ab.

In Orten, in denen Nazis zahlreich und organisiert sind, gelingt es ihnen dennoch, die rechte Bürgerbewegung in ihrem Sinn zu beeinflussen. Besitzstandsängste und rassistische Ressentiments führen dazu, dass sich die Bürger leichter auf die Straße bringen lassen. Die bürgerliche Tarnung der Nazis lädt diejenigen zur Teilnahme an Aufmärschen ein, die ansonsten von der Militanz der »Autonomen Nationalisten« und Kameradschafter abgeschreckt werden. Die Rechtsextremen übernehmen dabei Aktionsformen, die sich andernorts bewährt haben: So wurde kurz vor Weihnachten im brandenburgischen Pätz, der Idee der »Lichtelläufe« im sächsischen Schneeberg folgend, ein »Lampion- und Kerzenumzug« veranstaltet. Diese Mischung aus drolligem Lampion- und martialischem Fackelumzug zog Wohlstandsrassisten jeden Alters an. Neben Jungnazis standen besorgte Mütter und Rentner Seit’ an Seit’ zur gemeinsamen Flüchtlingsabwehr.

Die offizielle Politik betreibt auf ihre Weise Flüchtlingsabwehr. So verabredeten CDU/CSU und SPD im Koalitionsvertrag, dass Serbien, Mazedo­nien und Bosnien-Herzegowina künftig als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden. Flüchtlingen aus diesen Ländern – hauptsächlich Angehörige der Roma und anderer Minderheiten – soll es unmöglich gemacht werden, in Deutschland Asyl zu erhalten. Nach Angaben von Pro Asyl werden Asylsuchende aus diesen Staaten auf Anweisung des Bundesinnenministeriums bereits seit Herbst 2011 mit Vorrang bearbeitet, um schnellere Abschiebungen zu ermöglichen. Eine ernstzunehmende Prüfung ihrer Fluchtgründe erfolge nicht, die Ablehnung scheine im Voraus festzustehen, so die Organisation.
Die von der SPD regierten Bundesländer Schleswig-Holstein, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz stimmten dagegen noch im Dezember einem »Wintermoratorium« bis zum 31. März zu und setzten somit Abschiebungen nach Serbien, Mazedonien, Bosnien, Montenegro und in den Kosovo vorübergehend aus. Im grün-rot regierten Baden-Württemberg gilt das Moratorium nur bis zum 1. März, ausgeschlossen von der Regelung sind allerdings neu eingereiste Asylsuchende und Folgeantragsteller. Die thüringische Landesregierung lehnt dagegen wie andere von der CDU regierte Bundesländer einen Abschiebestopp ab. Die Aufnahmekapazitäten im Freistaat seien beinahe erschöpft, begründete dies Innenminister Jörg Geibert (CDU) und betonte, die »Rückführung« erfolge »mit Augenmaß«, damit es nicht zu besonderen Härtefällen komme. 2012 hatte die Landesregierung noch darauf verzichtet, in den Wintermonaten Flüchtlinge abzuschieben, die aus den betreffenden Ländern in den Freistaat geflüchtet waren, selbst wenn kein offizieller Asylgrund vorlag. Dafür wurden damals humanitäre Gründe angeführt.

Vom Koalitionsvertrag profitieren wird hingegen eine gewisse Anzahl der etwa 36 000 Personen, die seit mehr als sechs Jahren mit einer Duldung in Deutschland leben, dem prekärsten Aufenthaltsstatus. Nicht wenige von ihnen müssen ihr Leben seit Jahren in Flüchtlingsunterkünften verbringen. Sie erhalten nun ein Bleiberecht, wenn sie eine »überwiegende Lebensunterhaltssicherung« vorweisen können. Die Behörden dürfen hingegen das Bleiberecht verweigern, wenn ein Flüchtling in der Vergangenheit nur »mangelhaft« an der Vorbereitung seiner eigenen Abschiebung mitgewirkt hat. Der Willkür der Abschiebebürokratie bleiben die Geflüchteten auf diese Weise weiterhin ausgesetzt.

Eine weitere Personengruppe kann vom Koalitionsvertrag profitieren. Die neue Bundesregierung will die Behandlung unbegleiteter 16- und 17jähriger als voll verfahrensmündig beenden. Im Gegensatz zur bisherigen Praxis (Jungle World 50/13) sollen in Zukunft alle unbegleiteten Minderjährigen Schutz genießen. Zudem will die neue Bundesregierung das Arbeitsverbot auf drei Monate verkürzen. Als Haken bleibt der sogenannte Nachrangigkeitsvorbehalt. Das bedeutet: Nur wenn kein Deutscher den Job will, darf ein Asylbewerber ihn annehmen, was in den Gebieten, wo der Arbeitsmarkt äußerst angespannt ist, immer noch einem Arbeitsverbot gleichkommt.

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