Dienstag, 26. März 2013

Sorgen Deluxe

Ein Hamburger Rapper hat sich verschworen

Ralf Fischer / Junge Welt

Die Amerikaner waren niemals auf dem Mond. Adolf Hitler hätte das auf jeden Fall mitbekommen. Bekanntlich wohnt er seit Jahrzehnten auf der Rückseite des Mondes und beobachtet von dort aus interessiert das Zeitgeschehen. Die geheime Weltregierung unter Führung der wahlweise Juden, Freimaurer, Illuminaten oder des Pentagons verhindert, daß diese Enthüllungen publik werden. Solcherlei Irrsinn ist das Schmiermittel in einer Gesellschaft, die frei von Meinungen ist, diese aber ständig in ein elektronisches Gerät einhämmert, als gebe es kein Morgen mehr. Es sind die Geschichten, die das Einfache schwer machen, in dem sie komplexe Zusammenhänge so darstellen wie einen Comicstrip.

Samy Deluxe, einst Hoffnungsträger des deutschsprachigen Raps, ist dieser beschissene Alltag in der »Scheiß-Welt« nicht verborgen geblieben. Ganz im Gegenteil. Seine Idee, eine ironische Brechung des Wahnsinns auf einen Beat zu legen, um damit das geneigte Publikum aufzurütteln, konnte nur nach hinten los gehen. »Ich führe eine Rebellion an. In der ich selbst der Gegner bin« postuliert Samy Deluxe, der am Tag der Deutschen Einheit gern den Klassenkasper zur Freude der sich aus diesem Anlaß zahlreich versammelten »Idioten« spielt. Nach Jahren des gelebten Partynationalismus möchte der Hamburger einen Imagewechsel vollziehen. Sein neues Album »Fröhliche Weltuntergangsmusik« verspricht auf den ersten Blick ätzende Kritik, ergeht sich jedoch im endlosen Aufzählen von unterschiedlichen Menschheitsverbrechen in Reimform. Titel wie »Amnesia International« klingen weit spektakulärer, als sie es letztlich sind.

Musikalisch ziemlich eintönig geraten, können auch die Reime nichts mehr retten. Jammern auf hohem Niveau, mehr hat Samy Deluxe alias »Herr Sorge« seinen Fans nicht zu bieten. Eine kritische Annäherung an die Realität endet im melancholischen Downbeat. »Einer Gesellschaft, wo die Menschen dumm sind, dafür alle Telefone so smart. Und die Moral und Werte sind nach unten versunken, und wir schicken Satelliten zum Mars.« Die Einsicht in das geistige wie auch ästhetische Elend endet nicht in einem Refrain, der zum Klassenkampf aufruft. Im Gegenteil. Der kommende Weltuntergang ist Samys einzige Alternative zum derzeitigen Desaster.

Bis es soweit ist, wird Samy De­luxe im Nebenjob noch einige weitere Sneaker in Zusammenarbeit mit Reebok gestalten. Auf vier Modelle hat er es schon gebracht. Den unterbezahlten Kindern, die in Asien diese Schuhe produzieren, verschafft der Hamburger so wenigstens etwas Ablenkung von der Hoffnung, eines Tages ein besseres Leben zu führen.

Herr Sorge: »Verschwörungstheorien mit schönen Melodien« (Vertigo Berlin /Universal)

Freitag, 8. März 2013

Fortgeschleudert

Aus gegebenem Anlaß: Ein Bildband über die ersten 70 Jahre Fußball in Dresden

Ralf Fischer / Junge Welt


Dynamo Dresdens Berufungsverhandlung gegen den Ausschluß vom DFB-Pokal 2013/14 wegen »unsportlichen Verhaltens seiner Anhänger« verlief am Donnerstag unerwartet zäh. Am Nachmittag wurden die Dynamo-Fans vor dem DFB-Bundesgericht durch Bernd Kirschning belastet, der beim fraglichen Pokalspiel im Herbst in Hannover den Polizeieinsatz geleitet hatte. »Es ist permanent zu Anfeindungen gekommen«, erklärte er. Das trug nur nichts zur Klärung der zentralen Frage bei, ob ein Verein für Fans in Haftung genommen werden kann, gegen die er machtlos ist. »Daß dem Verein Dynamo Dresden kein Verschulden nachzuweisen war«, steht im erstinstanzlichen Urteil vom Dezember. Gleichwohl sei das »Fehlverhalten der sogenannten Anhänger (...) dem Verein zuzurechnen«.

Dieser »sogenannten verschuldensunabhängigen Haftung der Vereine“ fehle »die gesetzliche Legitimation«, hatte Sportrechtler Christof Wieschemann vorab erklärt. Hierzulande hafte, wer sich fahrlässig oder bewußt fehlverhalten habe. »Einzige Ausnahme: Bei nicht beherrschbaren Gefahren wie bei Tieren haftet der Halter.« Bei Redaktionsschluß begann in dieser Gemengelage gerade ein »Rechtsgespräch« zwischen den Parteien unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Wie auch immer das Urteil nun ausgefallen ist – es relativiert sich mit Blick auf die Dresdner Fußballgeschichte, die länger ist, als man meinen könnte. Jens Genschmar hat im neuen Bildband »Dresden – Wiege des Fußballs“ die ersten 70 Jahre aufbereitet.

Alles begann damit, daß einige Engländer und Amerikaner im Frühjahr 1874 vor dem Eingang des Großen Gartens ein Spiel uraufführten, »bei dem Bälle mit dem Fuße fortgeschleudert werden«, wie ein zeitgenössischer Journalist erstaunt berichtete. Diese Pioniere des Rasenspiels gründeten dann den ersten Fußballklub in Deutschland und einen der ersten auf dem europäischen Festland. Ihr Dresden English Football Club (DFC) sollte 15 Jahre lang die ungeschlagene Nummer eins in der Stadt bleiben. Aus ihm ging 1898 der bald legendäre Dresdner Sport-Club (DSC) hervor. Deutschlandweit wurden um die Jahrhundertwende Vereine gegründet. Hauptsächlich Schüler und Studenten betrieben den Sport aus England. In Dresden entstanden Vereine wie Dresdensia (1898), Brandenburg (1901), Guts Muts (1902) und Dresdner Fußballring (1902). Das Flaggschiff aber blieb vorerst der DSC. Im ersten Endspiel um die Mitteldeutsche Meisterschaft unterlag er 1902 dem SC Wacker 1895 Leipzig mit 3:6. Drei Jahre später schaffte er es ins ins Halbfinale um die deutsche Meisterschaft, wo der Berliner TuFC Union mit 5:2 die Oberhand behielt. Die Mitteldeutsche Meisterschaft gewann der DSC bis 1933 insgesamt sechsmal.

Parallel zu den bürgerlichen Vereinen spielte der Arbeiter-Turn- und Sportbund (ATSB) eine eigene Meisterschaft aus, diese gewann viermal hintereinander der Dresdner SV (DSV). Als kommunistische Vereine und Einzelpersonen aus dem sozialdemokratisch dominierten ATSB ausgeschlossen wurden, gewann der DSV 1931 die Meisterschaft der Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit. Neben solchen Eckdaten bietet Genschmars Band interessante Statistiken, aber vor allem tolle Bilder und Illustrationen. Einziger Wermutstropfen: Als Direktor des Dresdner Fußballmuseums hätte er leicht mehr Hintergründe der angerissenen Themen erschließen können. Allzu selten taucht er tiefer in die Materie ein, beläßt es bei Schlaglichtern auf Vereine und Erfolge. Eine Ausnahme ist das kurze Kapitel über den Frauenfußball der 20er Jahre. Hier hat Genschmar ganze Arbeit geleistet. Die Fotos aus der Sammlung seines Museums sind sensationell. Sie beweisen, daß Frauen in Zipfelmützen schon 1921 dem runden Leder hinterherjagten. Während ab 1933 die Nazis und dann wieder ab 1955 der DFB den Damen das Fußballspielen gänzlich verboten, war es in der Weimarer Republik noch üblich, daß Frauen und Männer im selben Verein spielten.

Jens Genschmar: Dresden – die Wiege des Fußballs: Fußball in Bildern 1874-1945. Edition Sächsische Zeitung 2012, 160 Seiten, 19,90 Euro

Freitag, 1. März 2013

»Heut is Fußball!«


Auf der Antisemitismusliste des Simon-Wiesenthal-Centers belegen die (west)europäischen Fußballfans einen Spitzenplatz. Weit vor einem gewissen Herrn Augstein. Deutsche Medien nehmen davon kaum Notiz.  

Ralf Fischer / Konkret 


Es ereignete sich mitten in der Wiener Innenstadt. »Hau ab, du Scheißjude! Juden raus! Heil Hitler!« Mit diesen Worten wurde ein Rabbiner am Schwedenplatz lauthals angepöbelt. Ein Polizist, der den Vorfall beobachtete, schritt nicht ein. Die Entschuldigung für seine spontane und bei anderer Gelegenheit durchaus angebrachte Arbeitsverweigerung: »Na hörn’s, heut’ is Fußball!« Tatsächlich hatten sich an diesem herbstlichen Nachmittag im vergangenen Jahr die Anhänger des Wiener Fußballklubs Rapid zahlreich versammelt. Der Rabbiner versuchte damals, weitere Gesetzeshüter über das Vorkommnis zu informieren. Ohne Erfolg. »Daß diese Polizisten tatenlos zusehen und auch noch grinsen, ein regelrechtes Schockerlebnis«, gab er später zu Protokoll.

Fußballspiele versprechen ihren Anhängern beinahe komplette Narrenfreiheit. Rund um das Spiel werden dem Gegner Verbalinjurien ins Gesicht gerotzt, für die man sich andernorts vor Gericht verantworten müßte. Die Betonung liegt dabei auf ›müßte‹. Als vor fünf Jahren beim Oberheimligaspiel des Halleschen FC gegen die zweite Mannschaft des FC Carl Zeiss Jena immer wieder »Juden Jena«-Rufe ertönten, ermittelte die Staatsanwaltschaft von Amts wegen. Doch zu einer Anklage kam es nicht. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft Halle begründete dies gegenüber der Presse kurz und knapp: »Allein ›Jude‹ ist nicht strafrechtlich bewehrt.« In der Kombination mit »Jena« sei das auch nicht anders.

Ungestraft über den Juden herziehen. Beim Volkssport Fußball kann der versammelte Mob seiner Lieblingsbeschäftigung unbehelligt nachgehen. Und er macht ausgiebig davon Gebrauch. Der israelische Bundesligaspieler Itay Shechter wurde einen Tag nach der Niederlage im Derby zwischen dem 1. FC Kaiserslautern und Mainz 05 beim Auslaufen von einer Gruppe eigener Fans bedroht und antisemitisch beleidigt. Das Freundschaftsspiel im Mai letzten Jahres zwischen den Nationalmannschaften von Deutschland und Israel in Leipzig wurde überschattet durch antisemitische Ausfälle des heimischen Publikums. Anhänger der israelischen Nationalmannschaft, die als solche zu erkennen waren, wurden mit Sprüchen wie »Juden, Juden, Juden, raus, raus, raus!« belegt und gefragt, ob sie ihren deutschen Paß dabeihätten. Hitlergrüße sowie der Hinweis auf den »Völkermörder Israel« blieben ebenfalls nicht aus.

Beim DFB-Pokal-Heimspiel des Halleschen FC gegen den MSV Duisburg riefen Auswärtsfans mehrfach rassistische und antisemitische Parolen. Ein Anhänger der Duisburger zeigte außerdem weithin sichtbar den Hitlergruß. Der »Spiegel«-Reporter Rafael Buschmann berichtete von unzähligen rassistischen und antisemitischen Beleidigungen gegen die Schalker Auswärtsfans durch den BVB-Ordnungsdienst im vergangenen Oktober. Ordner hatten die Schalker Fans mit Worten wie »Jude« oder »Kanake« beschimpft, während sich die in Hörweite stehenden Polizeibeamten eins feixten. Bei der Drittligabegegnung zwischen dem SV Babelsberg 03 und dem Chemnitzer FC einen Monat später riefen die sächsischen Fans wiederholt: »Arbeit macht frei – Babelsberg 03«.

Bei unseren (west)europäischen Nachbarn sieht es kaum anders aus. Ob nun propalästinensische Gruppen in Spanien öffentlich vor Wut schnaubten, weil der FC Barelona den ehemaligen Gefangenen der Hamas, den IDF-Soldaten Gilad Shalit, zum clásico eingeladen hatte, in Frankreichs Stadien immer häufiger der Ausspruch »sale juif« dreckiger Jude«) zu hören ist oder die Anhänger von Lazio Rom in ihren Sprechchören über das »Giallorosso ebreo« (»jüdische Rot und Gelb«) herziehen, weil sie als gestandene Faschisten den Fans des Lokalrivalen AS Roma das richtige nationale Bewußtsein absprechen.

Antisemitismus ist Alltag im europäischen Fußball, ganz besonders für die Fans des Londoner Fußballklubs Tottenham Hotspurs. Überall, wo der als jüdisch deklarierte Verein unterwegs ist, besteht für die Fans akute Gefahr, von Antisemiten beschimpft oder angegriffen zu werden. Erst im vergangenen November überfielen italienische Faschisten mit Messern und Schlagstöcken bewaffnet einige Anhänger von Tottenham in der Nacht vor ihrem Auswärtsspiel in Rom. Einen Tag später skandierten die römischen Fans im Stadion immer wieder den Sprechchor »Juden Tottenham« auf deutsch. Kaum zurück auf der Insel, wurden die Tottenham- Fans von den Anhängern des Klubs West Ham United ebenso herzlich empfangen. Deren Fans sangen in Anspielung auf den brutalen Überfall »Können wir euch jede Woche abstechen?« und imitierten Zischlaute in Anspielung auf die Gaskammern in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern.

Eine genaue Bestandsaufnahme des alltäglichen Antisemitismus rund um den Lieblingssport der Europäer ist kaum zu realisieren. Weder beim DFB noch bei der UEFA gibt es eine zentrale Informationsstelle, noch kommen alle Vorkommnisse ans Licht der Öffentlichkeit. Wie bei einem Eisberg verschwinden die meisten Ereignisse unbeachtet unter der Oberfläche. Die Spitze allein aber war für das Simon-Wiesenthal-Center alarmierend genug, die europäischen Fußballfans auf Platz vier ihrer Liste der gefährlichsten antisemitischen Beschimpfungen des Jahres 2012 zu setzen. Jakob Augstein dagegen schaffte es nur auf Platz neun.

Dr. Shimon Samuels, der Direktor für internationale Beziehungen des Simon-Wiesenthal- Centers begründete diese Entscheidung mit der »Zunahme antisemitischer Zwischenfälle, und das nicht nur in osteuropäischen Ländern«. Gerade in Westeuropa sei ein massiver Anstieg antisemitisch motivierter Haßpropaganda zu beobachten. »Und der Sprung von antisemitischen oder rassistischen Fangesängen zu konkreten Bedrohungen und Taten kann sehr klein sein«, betonte Samuels im »11 Freunde«-Interview.

Die Chance, im Zuge der Plazierung der europäischen Fußballfans in der Antisemitismus- Liste des Simon-Wiesenthal-Centers die Zunahme antisemitischer Propaganda innerhalb der westeuropäischen Fußballfanszene zum Thema zu machen, wurde nur zu gerne verspielt. In der sogenannten Augstein-Debatte ging es um die plumpe Abwehr treffender Kritik, konkret ging es wieder einmal um die eigenen, dem Geschäft innewohnenden Komplexe. Die Antwort des Betriebs war dementsprechend der Abwehrreflex einer ganzen Zunft. »Wir? Antisemiten? Niemals!« Im Nebel dieses eingeübten Rituals ging eine Nachricht verloren, die es wirklich verdient hätte, auf die Titelblätter zu kommen.

Ich danke meinen Freunden für die Hilfe bei der Recherche.

Ralf Fischer schrieb in KONKRET 11/07 über Bushidos antisemitische Gewaltphantasien