Donnerstag, 21. November 2013

Asyl in der Stadt der Opfer

In Hoyerswerda sollen demnächst etwa 100 Flüchtlinge untergebracht werden. Das sorgt bei den Anwohnern für Aufregung.

Ralf Fischer / Jungle World

»Heute geht es um uns als Bürgerinnen und Bürger der Stadt Hoyerswerda. Das ist das Wichtigste.« Mit diesen Worten eröffnete Oberbürgermeister Stefan Skora (CDU) vergangene Woche vor etwa 250 Gästen eine Bürgerversammlung im »Jugendclubhaus Ossi«. Das Thema der Veranstaltung war ein geplantes Asylbewerberheim in der Dillinger Straße. Die Hauptsache für Skora, so ließ er erkennen: Alles soll ruhig bleiben, sowohl während der Veranstaltung als auch später, wenn die Flüchtlinge ihre neue Unterkunft beziehen. Weitere negative Schlagzeilen aus der sächsischen Kleinstadt mit der traurigen Berühmtheit möchte der Bürgermeister offensichtlich unter allen Umständen verhindern.

Stellvertretend für die Beamten, die dafür zuständig sind, Immobilien zu finden, in denen die Flüchtlinge untergebracht werden können, referierte dann René Burk, Leiter des Ordnungsamts im Landratsamt Bautzen, über das Asylrecht in Deutschland sowie über die Aufgaben und Pflichten des Landkreises. Dies war ihm sichtlich unangenehm. Immer wieder verwies er auf Bundesbehörden, das bundesdeutsche Recht auf Asyl und seine eigene passive Rolle als Erfüllungsgehilfe. Der Sachzwang war sein bestes Argument. Für den geplanten Einzug von ungefähr 100 Flüchtlingen im Dezember sind noch einige Baumaßnahmen in der ehemaligen Förderschule nötig, die dann als Sammelunterkunft dienen soll. »Wir sind kurz vor dem Baubeginn«, berichtete Burk. Die ausführenden Firmen seien bereits verständigt. Die Unterbringung in Wohnungen hielt er hingegen derzeit für unmöglich, unter anderem aus verwaltungstechnischen und finanziellen Gründen. Die Suche nach einem Betreiber des Heims geht nach Burks Angaben weiter.

Sein etwas hilflos wirkender Versuch, bei der Bevölkerung vermutete Ängste durch Informa­tionen zu zerstreuen, scheiterte vor allem bei jenen Teilnehmern der Bürgerversammlung, deren Ängste ganz offensichtlich vorgeschoben waren. Diesen ging es um andere Dinge: Wiederholt wurde aus dem Publikum die Frage nach der »Transparenz« aufgeworfen. Man sei in die Entscheidung nicht einbezogen worden, ein Asylbewerberheim in die unmittelbare Nachbarschaft zu verlegen, war das wiederkehrende Argument. Schnell wurde deutlich, dass sich ein Großteil der Teilnehmer gern in der Rolle des hintergangenen Opfers sieht. Diese Denk- und Argumentationsweise ist bekannt. Auch nach dem Pogrom im Jahr 1991 wähnten sich die Einwohner Hoyerswerdas einer ungerechten Medienkampagne ausgesetzt. Der Überbringer der schlechten Nachricht war damals für viele Bürger der Stadt und in ganz Sachsen das eigentliche Übel, nicht der rassistische Mob, der sich in dem Ort austobte.

Wie auch andernorts schweißt die Ablehnung von Flüchtlingen im eigenen Wohnort eine Allianz aus Anwohnern und Lokalpolitikern eng zusammen. Letzteren fällt es zumeist schwer, der sozialchauvinistischen und rassistischen Propaganda der Neonazis und Rechtspopulisten etwas anderes als den immer gleichen Sermon vom politischen Sachzwang entgegenzusetzen. Auf die Fragen der Veranstaltungsbesucher in Hoyerswerda musste überwiegend der Leiter des Ordnungsamts oder der Polizeipräsident Conny Stiehl antworten. Bisweilen ergriffen auch die anwesenden Kirchenvertreter das Wort, wenn die jeweiligen Verantwortlichen zweifelhaften Äußerungen nicht widersprachen. Oberbürgermeister Skora hielt sich dagegen vornehm zurück. Er betätigte sich fast ausschließlich als Moderator der Veranstaltung.

Den zahlreich anwesenden Rechtsextremen kam dies entgegen. Wegen des Fehlens einer relevanten politischen Gegenwehr gehörte ihnen die Bühne. Wiederholt kamen Personen aus zwei Gruppen von insgesamt mindestens 40 Rechtsextremen ungestört zu Wort. Frank Lüdke, der NPD-Fraktionsvorsitzende im Bautzener Kreistag, orchestrierte das Auftreten. Von Deutschland als »Zahlmeister der Welt« war die Rede, Rechtsextreme brachten die »Frage der Kriminalität« von Zeit zu Zeit in die Diskussion ein und forderten lautstark die »Abschiebung illegaler Migranten«. Wortmeldungen dieser Art ernteten Applaus. Ergänzt wurden sie aus der Mitte des Publikums. Neben der üblichen Klage, dass die »Stadt doch kein Geld« habe, störten sich Anwohner der geplanten Asylunterkunft am möglichen »Preisverfall ihrer Grundstücke«. Auch die Angst vor einer »schleichenden Islamisierung« wurde aus dem Publikum geäußert.

Grit Maroske, Gründerin der Initiative »Pro Asyl Hoyerswerda«, und der evangelische Pfarrer Jörg Michel von der Initiative für Zivilcourage wollen dem rechten Treiben etwas entgegensetzen. Sie gehören zu einem Kreis von Personen, der sich bereits vor der Veranstaltung zusammengefunden hatte, um ein Netzwerk zur Unterstützung der Flüchtlinge aufzubauen. Vor zwei Wochen luden sie Gleichgesinnte aus den Gemeinden Pätz und Schneeberg ein, wo schon länger rassistische Aufmärsche und Kundgebungen stattfinden, und ließen sich von ihnen ausführlich beraten. Auch aus dem benachbarten Kamenz kamen Vertreter zu dem Treffen. Dort sind derzeit etwa 400 Flüchtlinge untergebracht. Michel geht davon aus, dass »Hoyerswerda bald in das Blickfeld der NPD« geraten wird. Deshalb beabsichtigt er, ein regionales Bündnis aufzubauen. Oberbürgermeister Skora hält ebenfalls ein »breites Bündnis« für notwendig und hat ­finanzielle Unterstützung durch die Stadt zu­gesagt.

»Frohgemut« ist Pfarrer Michel, was die Zusammenarbeit in Hoyerswerda angeht. Die Tatsache, dass man sich frühzeitig zusammengefunden hat, ist für ihn ein entscheidender Vorteil. Auch die Initiative »Pogrom 91«, die die Erinnerung an das rassistische Pogrom von 1991 in Hoyerswerda und dessen politische Aufarbeitung fördern möchte, begrüßt die Gründung des neuen Bündnisses. »Die meisten linken Gruppen gibt es in den größeren Städten. Ihre Aufgabe muss es sein, die Entwicklungen in der Provinz zu beobachten und diejenigen zu unterstützen, die sich für eine Verbesserung der Situation von Flüchtlingen einsetzen«, sagt eine Sprecherin von »Pogrom 91«. Darüber hinaus kritisiert sie, dass »in der Sächsischen Zeitung gefordert wird, die ›objektiven und diffusen Ängste vor Ort‹ ernst zu nehmen, ›beispielsweise vor Krankheiten und Straftaten‹«.

Eine dieser diffusen Gemütsregungen war auch zum Abschluss der Bürgerversammlung im Jugendclubhaus zu verfolgen. »Warum kommen die alle? Die können doch gar kein deutsch«, fragte jemand aus der Ecke der Rechtsextremen. Oberbürgermeister Skora reagierte und beendete die Debatte. Nach der Veranstaltung resümierte eine Teilnehmerin im Gespräch mit der Jungle World, »das dauernde Sich-Beklagen über die Situation als Bürger der Stadt Hoyerswerda« sei das Hauptanliegen der Gäste, viele Wortmeldungen seien hauptsächlich von Selbstmitleid motiviert gewesen. Die Veranstaltung habe die Befindlichkeiten der Teilnehmer behandelt, nicht die Frage, wie den bald einziehenden Flüchtlingen ein menschenwürdiges Leben in Hoyerswerda zu ermöglichen sei.

Donnerstag, 7. November 2013

Greiz: Pogrome verhindern, bevor sie entstehen

Die Neonazis, die gegen eine Unterkunft für Flüchtlinge in Ostthüringen mobilisieren, halten nichts vom Konzept der »seriösen Radikalität«. Das macht die Situation für Ausländer dort noch gefährlicher als anderswo.

Ralf Fischer / Jungle World

»Die Bereitstellung dieser Einrichtung folgt einer dringlichen Bitte des Freistaates Thüringen zur schnellstmöglichen Übernahme von Asylsuchenden aus der Thüringer Landeserstaufnahmestelle Eisenberg.« Das hat die Greizer Landrätin Martina Schweinsburg (CDU) Mitte September die Lokalpresse wissen lassen. Freiwillig habe man die Flüchtlinge nicht aufgenommen, wollte sie damit wohl den knapp 22 000 Einwohnern der »Perle des Vogtlandes« sagen. Auf Nachfrage betonte das zuständige Landratsamt, dass die Einquartierung im Gebäude des ehemaligen Internats des Berufsbildenden Zentrums Greiz-Zeulenroda nur temporär sei. Es solle bloß kein Missverständnis entstehen. Die Menschen kämen hauptsächlich aus Kriegs- und Krisengebieten wie Syrien, Afghanistan und Tschetschenien und bisher seien in der Gemeinschaftsunterkunft nur knapp über 50 Personen untergebracht.

Das Konzept der Lokalpolitik, um die Toleranz der Einwohner zu werben, indem man die Aufnahme von flüchtenden Menschen als »alternativlos« darstellt, ging in Greiz nicht gänzlich auf. Seit Wochen demonstrieren »aufgebrachte Bürger« Seite an Seite mit lokalen Neonazikadern gegen die Unterbringung in der Plattenbaustadtsiedlung Pohlitz. Die sich kaum bürgerlich gebende »Greizer Bürgerinitiative gegen ein Asylheim am Zaschberg« findet: »Armut ist kein Grund für Asyl«, und möchte die »Asylflut stoppen«. Hinter dieser Initiative stehen regional bekannte Neonazis von der sogenannten Revolutionären Nationalen Jugend (RNJ). Anmelder der anfangs wöchentlichen Kundgebungen und Demonstrationen sind David Köckert und Kevin Pahnke. Während Köckert sich seit Jahren in der Greizer Naziskinszene bewegt und aus dem Umfeld des mittlerweile geschlossenen Naziladens »Ragnarök« (Reichenbach/Mylau) stammt, ist der Auerbacher Pahnke eine Führungsperson der RNJ und Anmelder der »Trauermärsche« in Plauen sowie weiterer Kundgebungen im Vogtland.

Ihre vielen Versuche, über die sozialen Netzwerke ähnliche Mobilisierungserfolge wie in Schneeberg zu erreichen, sind bisher gescheitert. Waren auf den ersten Demonstrationen und Kundgebungen noch einige Pohlitzer Bürger anwesend, verringerte sich die Teilnehmerzahl bei den darauffolgenden Veranstaltungen kontinuierlich. Das martialische Auftreten der Redner wirkte auf Mitdemonstranten abschreckend. Das Konzept der »seriösen Radikalität«, wie es in Schneeberg durch das bürgerliche Auftreten der NPD-Kader erfolgreich angewandt wird, ist den vogtländischen Neonazis, die sich im Umfeld der Autonomen Nationalisten bewegen, fremd, was die Gefahr für die Flüchtlinge erhöht. Mit Norman Wilkens demonstriert einer jener Brandstifter mit, die vor zehn Jahren bereits einmal in Greiz-Irchwitz versucht hatten, eine Unterkunft für Asylbewerber anzuzünden. Nur durch einen glücklichen Zufall misslang damals der Brandanschlag.

Im benachbarten Plauen kam es in den vergangenen beiden Jahren immer wieder zu Anschlägen auf eine Flüchtlingsunterkunft und ein islamisches Zentrum. Erst im vergangenen August waren die Wände der neu eröffneten Unterkunft mit Hakenkreuzen und dem Spruch »Asylbetrüger stoppen« beschmiert worden, während in der Innenstadt der Spruch »Multikulti ist tot« auftauchte. In der gleichen Nacht wurde das islamische Zentrum mit Farbbeuteln beworfen und mit dem Spruch »Islam stoppen« beschmiert.

Nach den ersten Demonstrationen gründete sich in Greiz die Initiative »Solidarität mit den Flüchtlingen in Greiz«, die aus dem »Bunten Bündnis Greiz«, der Bürgerinitiative »Weil wir Greiz lieben«, »Aufandhalt e. V.«, den lokalen Parteigliederungen der SPD, Grünen, »Linkspartei« und DGB sowie ihrer Jugendorganisationen besteht. Das Bündnis versucht laut Selbstbeschreibung zu verhindern, dass »verschiedene soziale Gruppen gegeneinander ausgespielt werden«. Seit Anfang Oktober ruft es dazu auf, sich dem braunen Treiben öffentlich entgegenzustellen. Es or­ganisierte die ersten Gegenproteste und forderte von der Lokalpolitik, die Flüchtlinge dezentral unterzubringen und das Gutscheinsystem durch Geldleistungen zu ersetzen. Grund genug für die Landrätin, sich über die »Touristen aus politisch extremen Lagern von außerhalb« zu echauffieren, die nur in Greiz demonstrierten, »um hier ihre Feindbilder zu pflegen und Werbung für sich und ihre teilweise doch sehr kruden Weltanschauungen zu machen«. Gemeint waren Rassisten und Antirassisten gleichermaßen. »Sie binden enorme Kräfte und verschaffen sich in den Medien eine Aufmerksamkeit, die unserer Kreisstadt Greiz in der Öffentlichkeit und bei willkommenen Gästen nicht gut tut«, so Schweinsburg in ihrem offenen Brief.

Weiter behauptet die Landrätin, dass der Flüchtlingsrat Thüringen e. V. für die Eskalation in Greiz verantwortlich sei. In einer Pressemitteilung soll der Rat »bereits Stimmung gemacht« haben, bevor »überhaupt ein Flüchtling hier war«. Der Verein erklärt dagegen, sich erst am 18. September an Verantwortliche im Landkreis Greiz mit einem offenen Brief gewandt zu haben. Darin forderte er, »offensiv und demonstrativ jeglichen Aktionen entgegenzutreten, die sich gegen Flüchtlinge richten«. Ein interessantes Detail: Erst im vergangenen Jahr wurde Schweinsburg vom Flüchtlingsrat der Preis für die größtmögliche Gemeinheit wegen dem »besonders restriktiven und diskriminierenden Umgang mit Flüchtlingen« verliehen.

Neben dem Landkreis Weimarer Land ist Greiz der letzte Kreis in Tühringen, der das Gutscheinsystem nicht abgeschafft hat. Beim Einkaufen müssen sich die Betroffenen möglichst genau an den Wert des Gutscheines halten, da maximal zwei Euro Restgeld in bar ausgezahlt werden. Die Vorsitzende der Jungsozialisten vermutet, dass die Flüchtlinge deshalb auch Sachen kaufen, die sie gar nicht brauchen. Des Weiteren können die Gutscheine nur in wenigen Geschäften eingelöst werden, was die Wahl von günstigeren Angeboten in anderen Märkten verhindert. Der Stadt- und Kreisrat der Linkspartei, Holger Steiniger, moniert die nicht unerheblichen Verwaltungskosten, die dem Landkreis durch das Gutscheinsystem entstehen.

Die prekäre Situation der Flüchtlinge und die Hetze der Neonazis sind Anlass für eine Demonstration am kommenden Samstag. Antifaschistische Gruppen aus dem Vogtland rufen unter dem Motto »Pogrome verhindern, bevor sie entstehen!« zu ihr auf. Mit der Aktion am Jahrestag der Pogromnacht wollen sie das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus mit dem Engagement für die Rechte der Flüchtlinge verknüpfen. Nicht erst seit September ist für die Antifaschisten die Situation der Flüchtlinge im Landkreis Greiz unerträglich. Wenn auf knapp 22 000 Bewohner maximal 150 Asylsuchende kommen und deshalb eine »Bürgerinitiative« von einer angeblichen »Überfremdung« halluziniert, ist es Zeit für Anti­faschisten, in die Offensive zu gehen.