Donnerstag, 10. Oktober 2013

Trio mit acht Fäusten

Trotz der Untersuchungsausschüsse und des Prozesses wirft die Aufklärung des NSU-Terrors mehr Fragen auf, als sie Antworten liefert.

Ralf Fischer / Jungle World



Erhielten die Rechtsterroristen bei ihren Morden und Anschlägen logistische Hilfe von örtlichen Kameraden? Welche neonazistischen Kreise unterstützten die drei Untergetauchten? War Beate Zschäpe ein gleichberechtigtes Mitglied der Terrorgruppe oder nur eine Gehilfin von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos? Solche und weitere Fragen drängten sich interessierten Beobachtern in den vergangen Monaten immer wieder auf. Wie gelangte etwa die Nachricht von Böhnhardts und Mundlos’ Tod in Eisenach zu Zschäpe nach Zwickau? Hat sie persönlich Bekennerschreiben bundesweit verteilt? Und gibt es womöglich ähnliche Gruppen wie den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) in Deutschland? Statt Antworten zu liefern, warfen die bisherigen Ermittlungen zumeist nur weitere Fragen auf.

So verbrannte Mitte September der 21jährige Florian H. in der Nähe von Stuttgart in seinem Auto, kurz bevor ihn der baden-württembergische Staatsschutz verhören konnte. Er sollte zu möglichen Komplizen des NSU befragt werden. Bereits im Januar 2012 wurde H. als mutmaßlicher Zeuge für eine Aussage zum Polizistenmord in Heilbronn vorgeladen, die Polizei war während ihrer Ermittlungen durch einen anonymen Hinweis auf ihn gestoßen. In der Vernehmung bestritt Florian H. jedoch, etwas über den Mord an der Beamtin Michèle Kiesewetter zu wissen.

Stattdessen berichtete er den ermittelnden Polizisten von einer regionalen Organisation mit dem Namen »Neoschutzstaffel«. Diese bezeichnete er als »zweite radikalste Gruppe« neben dem NSU. Zudem berichtete er von einem Treffen der beiden Gruppierungen im benachbarten Öhringen. Doch weder konnte er sagen, wann das Treffen stattgefunden, noch wer an diesem Treffen teilgenommen hatte. Den ermittelnden Beamten zufolge waren die Aussagen des Zeugen nicht zu verifizieren. Aber im Rahmen der Untersuchungen der Ermittlungsgruppe »Umfeld«, deren Aufgabe es ist, die Verbindungen des NSU zur rechtsextremen Szene in Baden-Württemberg aufzuklären, sollte Florian H. im September noch einmal befragt werden. Doch da war er schon tot. Obwohl kein Abschiedsbrief gefunden wurde, geht die Polizei von einem Selbstmord aus.
Aus den bisherigen Ermittlungen gegen den NSU lässt sich schließen, dass Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe über Jahre hinweg persönliche Verbindungen in die Region um Heilbronn und Ludwigsburg unterhielten. Auf einer Adressenliste, die 1998 in der Garage von Mundlos gefunden wurde, befanden sich Namen von Menschen aus dem Raum Ludwigsburg, noch nach dem ersten Mord im September 2000 soll das Trio an Neonazi-Partys in Ludwigsburg teil­genommen haben.
Die Bundesanwaltschaft beharrt jedoch weiterhin in ihrer Anklage darauf, dass Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt keine weiteren Komplizen bei ihren Mordtaten hatten. Dabei mehren sich die Hinweise auf weitere Unterstützer. So fanden sich im Brandschutt der Zwickauer Wohnung ein auf Zschäpe ausgestellter Ausweis eines Tennisklubs in Nürnberg sowie Artikel aus bayerischen Re­gionalzeitungen über die NSU-Morde. Da diese Zeitungen in Zwickau nicht vertrieben werden, könnten sie dem Trio von örtlichen Mitwissern zugeschickt worden sein. Ebenso ungeklärt ist, wer den unfrankierten Umschlag mit der Bekenner-DVD im November 2011 bei den Nürnberger Nachrichten einwarf. Die Kontaktliste des NSU-Trios nach Bayern ist ebenfalls lang.

In Bayern meldete sich auch die erste Zeugin, die Zschäpe in der Nähe eines Tatorts gesehen haben will. Die Frau wartete nach eigener Aussage in der Schlange an der Kasse eines Supermarkts in Nürnberg und beobachtete, wie gegenüber dem Gebäude zwei männliche Personen auf einem Spielplatz standen. Nur wenig später wurde direkt nebenan der Imbissbesitzer Ismail Yaşar getötet. Zugleich stand in der Kassenschlange eine Frau, die die Zeugin als Zschäpe identifizierte. Auch eine zweite Zeugin hat mittlerweile interessante Details geliefert. Die Dortmunderin gibt an, 2006 das NSU-Trio gemeinsam mit einem bulligen Skinhead auf dem Nachbargrundstück beobachtet zu haben. Vor dem Grundstück soll ein Wohnmobil mit einem Kennzeichen aus Zwickau oder Chemnitz gestanden haben. Nachts habe der bullige Mann in Camouflage-Hosen im Garten Grabungen vorgenommen. Die bisherigen Ermittlungen ergaben jedoch, dass der Besitzer des Grundstückes ein Skinhead ist, seine Frau über eine gewisse Ähnlichkeit mit Zschäpe verfügt, die Söhne auf Namen wie Ole Odin und Jone Aryan Thor hören und im Garten damals ein Teich ausgehoben werden sollte.

Ob Zschäpe direkt an den Mordvorbereitungen beteiligt war, ist ein wichtiges Teil des Puzzles, nicht nur für die Bundesanwaltschaft. Dabei gerät jedoch die Frage nach einer möglichen vierten beteiligten Person außer Acht. Noch immer ist nicht bekannt, wie Zschäpe vom Tod ihrer beiden Kameraden erfuhr. Zur Tatzeit surfte sie im In­ternet. Die erste Meldung über den Fund zweier Leichen in einem Vorort von Eisenach lief am 4. November 2011 eine Minute vor 14 Uhr über ein südthüringisches Nachrichtenportal. Ihrem PC-Protokoll zufolge rief Zschäpe diese Seite nicht auf. Um 14.30 Uhr schaltete sie ihren PC aus, kurz zuvor hatte sie noch nach »fleisch von freilaufenden tieren zwickau« gegoogelt.

Mittlerweile hat die Auswertung der Funkzellenabfrage einen Hinweis ergeben. Um 9.30 Uhr, also etwa zwei Stunden vor dem Tod von Mundlos und Böhnhardt, wählte sich eine schwedische Telefonnummer in die Funkzelle ein, in deren Bereich sich das Wohnmobil der beiden befand. Eine Stunde lang blieb das Mobiltelefon im Internet. Um 12.26 Uhr tauchte die Nummer dann in Zwickau auf, und zwar im Bereich der Funkzelle, die auch die Frühlingsstraße abdeckt, wo sich Zschäpe in der gemeinsamen Wohnung des Trios aufhielt. Bis 13.54 Uhr war das Handy im Internet eingeloggt. Bisher konnten die schwedischen Behörden nicht ermitteln, wer der Inhaber der Nummer ist. Es soll sich um ein Prepaid-Telefon eines norwegischen Betreibers handeln. Auch Zeugenaussagen legen die Anwesenheit einer vierten Person nahe: Während die damals eingesetzten Polizisten sagen, sie hätten in der Nähe des Wohnmobils niemanden gesehen, haben zwei Anwohner ausgesagt, ein Mann sei vor dem Brand aus dem Fahrzeug gesprungen.

Zschäpe, da legt sich die Bundesanwaltschaft fest, soll nach dem 4. November 2011 mindestens 15 adressierte und frankierte Umschläge mit dem Bekennervideo an verschiedenen Orten bei der Post aufgegeben haben, nur den an die Nürnberger Nachrichten nicht. Auch wurde ihr Weg, nachdem sie die Wohnung verlassen hatte, halbwegs rekonstruiert: Von der Zwickauer Innenstadt aus rief sie über ihr Mobiltelefon ihren mutmaßlichen Vertrauten André Eminger an, der im NSU-Prozess unter anderem wegen Beihilfe zum Mord, Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagt ist. Nach einer halben Stunde holte er sie ab. Wohin die Reise ging, ist den Ermittlern jedoch nicht bekannt. Glauchau bei Zwickau gilt als mögliches Ziel. Zwar wurde von einer Telefonzelle in Glauchau aus Emingers Handy mehrmals angewählt, aber ein Versteck wurde bisher nicht gefunden. Das Rätselraten geht also weiter, trotz der Ermittlungen, der Untersuchungsausschüsse und des Prozesses.

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