Freitag, 8. März 2013

Fortgeschleudert

Aus gegebenem Anlaß: Ein Bildband über die ersten 70 Jahre Fußball in Dresden

Ralf Fischer / Junge Welt


Dynamo Dresdens Berufungsverhandlung gegen den Ausschluß vom DFB-Pokal 2013/14 wegen »unsportlichen Verhaltens seiner Anhänger« verlief am Donnerstag unerwartet zäh. Am Nachmittag wurden die Dynamo-Fans vor dem DFB-Bundesgericht durch Bernd Kirschning belastet, der beim fraglichen Pokalspiel im Herbst in Hannover den Polizeieinsatz geleitet hatte. »Es ist permanent zu Anfeindungen gekommen«, erklärte er. Das trug nur nichts zur Klärung der zentralen Frage bei, ob ein Verein für Fans in Haftung genommen werden kann, gegen die er machtlos ist. »Daß dem Verein Dynamo Dresden kein Verschulden nachzuweisen war«, steht im erstinstanzlichen Urteil vom Dezember. Gleichwohl sei das »Fehlverhalten der sogenannten Anhänger (...) dem Verein zuzurechnen«.

Dieser »sogenannten verschuldensunabhängigen Haftung der Vereine“ fehle »die gesetzliche Legitimation«, hatte Sportrechtler Christof Wieschemann vorab erklärt. Hierzulande hafte, wer sich fahrlässig oder bewußt fehlverhalten habe. »Einzige Ausnahme: Bei nicht beherrschbaren Gefahren wie bei Tieren haftet der Halter.« Bei Redaktionsschluß begann in dieser Gemengelage gerade ein »Rechtsgespräch« zwischen den Parteien unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Wie auch immer das Urteil nun ausgefallen ist – es relativiert sich mit Blick auf die Dresdner Fußballgeschichte, die länger ist, als man meinen könnte. Jens Genschmar hat im neuen Bildband »Dresden – Wiege des Fußballs“ die ersten 70 Jahre aufbereitet.

Alles begann damit, daß einige Engländer und Amerikaner im Frühjahr 1874 vor dem Eingang des Großen Gartens ein Spiel uraufführten, »bei dem Bälle mit dem Fuße fortgeschleudert werden«, wie ein zeitgenössischer Journalist erstaunt berichtete. Diese Pioniere des Rasenspiels gründeten dann den ersten Fußballklub in Deutschland und einen der ersten auf dem europäischen Festland. Ihr Dresden English Football Club (DFC) sollte 15 Jahre lang die ungeschlagene Nummer eins in der Stadt bleiben. Aus ihm ging 1898 der bald legendäre Dresdner Sport-Club (DSC) hervor. Deutschlandweit wurden um die Jahrhundertwende Vereine gegründet. Hauptsächlich Schüler und Studenten betrieben den Sport aus England. In Dresden entstanden Vereine wie Dresdensia (1898), Brandenburg (1901), Guts Muts (1902) und Dresdner Fußballring (1902). Das Flaggschiff aber blieb vorerst der DSC. Im ersten Endspiel um die Mitteldeutsche Meisterschaft unterlag er 1902 dem SC Wacker 1895 Leipzig mit 3:6. Drei Jahre später schaffte er es ins ins Halbfinale um die deutsche Meisterschaft, wo der Berliner TuFC Union mit 5:2 die Oberhand behielt. Die Mitteldeutsche Meisterschaft gewann der DSC bis 1933 insgesamt sechsmal.

Parallel zu den bürgerlichen Vereinen spielte der Arbeiter-Turn- und Sportbund (ATSB) eine eigene Meisterschaft aus, diese gewann viermal hintereinander der Dresdner SV (DSV). Als kommunistische Vereine und Einzelpersonen aus dem sozialdemokratisch dominierten ATSB ausgeschlossen wurden, gewann der DSV 1931 die Meisterschaft der Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit. Neben solchen Eckdaten bietet Genschmars Band interessante Statistiken, aber vor allem tolle Bilder und Illustrationen. Einziger Wermutstropfen: Als Direktor des Dresdner Fußballmuseums hätte er leicht mehr Hintergründe der angerissenen Themen erschließen können. Allzu selten taucht er tiefer in die Materie ein, beläßt es bei Schlaglichtern auf Vereine und Erfolge. Eine Ausnahme ist das kurze Kapitel über den Frauenfußball der 20er Jahre. Hier hat Genschmar ganze Arbeit geleistet. Die Fotos aus der Sammlung seines Museums sind sensationell. Sie beweisen, daß Frauen in Zipfelmützen schon 1921 dem runden Leder hinterherjagten. Während ab 1933 die Nazis und dann wieder ab 1955 der DFB den Damen das Fußballspielen gänzlich verboten, war es in der Weimarer Republik noch üblich, daß Frauen und Männer im selben Verein spielten.

Jens Genschmar: Dresden – die Wiege des Fußballs: Fußball in Bildern 1874-1945. Edition Sächsische Zeitung 2012, 160 Seiten, 19,90 Euro

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