Freitag, 28. Dezember 2012

Ultras im Visier

Das Buch zum Feuer im Stadion: Politologen und Pädagogen erobern sich eine neue Subkultur

Ralf Fischer / Junge Welt


Die Ultras sind in aller Munde. Es vergeht kaum ein Tag, an dem das Jugendphänomen mit Gewaltproblem nicht prominent in den Medien auftaucht. Schon der Bilder wegen: Brennende Pyrotechnik im Stadion ist immer ein attraktives Motiv für die Titelseite. Daß dann in schöner Regelmäßigkeit von Gewalt gesprochen wird statt nur über das verbotene Abbrennen von Feuerwerkskörpern ist eine jener verkaufsfördernden, aber der Wahrheit abträglichen Maschen der deutschen Journalistenzunft.

Auf diesen propagandistischen Zug wollen nun auch Politologen und Pädagogen aufspringen. Denn mit renitenten Jugendsubkulturen läßt sich in einer immer älter werdenden Gesellschaft immer noch gutes Geld verdienen. Was auch für Kriminologen gilt.

Martin Thein und Jannis Linkelmann, der eine Politologe, der andere Kriminologe, legen mit ihrem Buch »Ultras im Abseits. Porträt einer verwegenen Fankultur« einen Sammelband vor, den man getrost als eine Anleitung für Sozialpädagogen und andere Sachverwalter des Elends sofort wieder ins Bücherregal zurückstellen kann. Organisierte Ultras kommen in dem Buch zumeist nur in domestizierter Form vor. Hauptsächlich sind es Politologen, Soziologen und Polizisten, die über die nonkonforme Jugendsubkultur herfallen, deren Anspruch, sich dem erwachsenen Gestus des Nicht-mehr-verändern-wollens zu entziehen sie ja gerade erst so sympathisch macht. Durch die ablehnende Haltung gegenüber Autoritäten und mit dem Versuch, sich gegen die Eventkultur beim Fußball zu stemmen, geraten die Ultras selbstverständlich ins Schußfeld aller Konformisten.

Dementsprechend schlägt das Imperium nun an allen Fronten zurück. Mit allem, was es hat. In diesem konkreten Fall einem alternativen Fußballfanschutzbericht: Auf den ersten Seiten des Buches zerpflücken mehrere Soziologen die Subkultur der Ultras in ihre einzelnen Bestandteile, einige Seiten später beschäftigen sich die Politologen mit den Auswirkungen auf die Gesellschaft, und am Ende werden die alternativen Kettenhunde des Kapitals, also die Sozialpädagogen, auf die ahnungslose Meute losgelassen. Es gilt wie immer folgende Faustregel: Umso komplexer dem geneigten Zuschauer das »soziale Gebilde« erscheint, umso länger können die Politologen und Soziologen den Gegenstand ihres Interesses erforschen, während gleichzeitig die Pädagogen die daraus gewonnenen Erkenntnisse am lebendigen Objekt durchexerzieren dürfen. Und am Ende räumt die Polizei dann die besonders renitenten Teile der Subkultur ab.

Die Autoren geben vor, die Subkultur der Ultras in Deutschland näher zu beleuchten, statt dessen bieten aber Soziologen, Journalisten und Politologen auf über 200 Seiten nur ihre Meinung feil. Bis auf die dreißig Seiten, auf denen leider ziemlich langweilige Interviews mit einzelnen Ultras dokumentiert sind, handelt es sich um eine paternalistische Veranstaltung, wie sie jeder junge Fan längst zu hassen gelernt hat. Eine der Hauptforderungen der Autoren ist folglich nicht die Legalisierung von Pyrotechnik und der Rückzug der Bereitschaftspolizei aus dem Umfeld der Fußballpartien, sondern die Einrichtungen von Fanprojekten, die – siehe da – von kompetenten Pädagogen mit Kompetenz im Bereich Fußball betreut werden sollen.

Ganz allein zu diesem Zweck wurde das Buch veröffentlicht: Es ist eine Stellenbeschreibung. Und eine Aufforderung nach Stellenausschreibung durch DFB, DFL oder die Vereine. Die einzelnen Beiträge sind Bewerbungen. Nur wer dabei ganz genau die derzeitigen Richtlinien beim Ausverkauf der Fußballkultur einhält, hat eine Chance, in Zukunft einen Job als Fanbeauftragter oder beim neuen Institut für Fankultur zu ergattern. Mit dem Ultragedanken hat das alles nichts zu tun.

Martin Thein/Jannis Linkelmann (Hg.): Ultras im Abseits - Porträt einer verwegenen Fankultur. Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2012, 272 Seiten, 14,90 Euro

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