Donnerstag, 20. September 2012

Genosse Zufall lebe hoch

Weg mit den kleinen Engländern: Das Fußballbuch von Kuper/Szymanski versucht, König Fußball mathematisch zu ­entzaubern

Ralf Fischer / Junge Welt

Genosse Zufall ist ein ekliges Biest. So richtig fies wird es immer dann, wenn es um Millionen geht und der langfristig im Hinterstübchen angefertigte Masterplan grandios scheitert. Ein frühzeitiges Ausscheiden aus den internationalen Pokalwettbewerben kann einen ganzen Verein ruinieren, zumindest der Lächerlichkeit preisgeben. Red Bull Salzburg kann davon ein Lied singen. Eine luxemburgische Amateurauswahl aus Düdelingen verhinderte in der diesjährigen Champions-League-Qualifikation das Weiterkommen des österreichischen Brausegiganten. Wäre es aber nach dem Sportjournalisten Simon Kuper sowie dem Wirtschaftswissenschaftler Stefan Szymanski, Autoren des Buches »Warum England immer verliert«, gegangen, dann wäre dieses Malheur niemals passiert.

Die beiden Autoren versuchen in ihrem Buch, den Einfluß der Mathematik auf den Fußball zu ergründen. Ihre drei Hauptthesen sind, daß der Erfolg eines Landes im Fußball stark von den drei Variablen Bevölkerungsgröße, Einkommen pro Kopf und Spielerfahrung abhängt. Ihrer Meinung nach wurde im europäischen Profisport viel zu lange auf das Bauchgefühl ehemaliger Spieler vertraut anstatt auf handfeste Statistiken.

Ihre Idee, dem Fußball eine neue Ordnung aufzuzwingen, entsteht aus dem Bedürfnis heraus, alles Unabwegbare, Chaotische fein säuberlich in Zahlenreihen einzuordnen, um dadurch in Zukunft zuverlässigere Vorhersagen über den Spielverlauf zu berechnen. Möglicherweise könnte eine solche Zahlenarithmetik der Wettmafia helfen. Aber einem Fußballfan ein paar Zahlen an die Hand zu geben, nur damit er sich vor dem Spiel ausrechnen kann, wie das voraussichtliche Spielergebnis aussehen wird, ist so, als würde man einem Angler, bevor er an den See geht, schon die zu fangenden Fische aushändigen.

Zwar wimmelt es in ihrem Buch von höchst interessanten Anekdoten, die dann aber oft den vorher getroffenen Analysen diametral gegenüberstehen. Ob es sich nun um das Lob an den Trainer Arsene Wenger von Arsenal London für sein Transferverhalten, Spieler die auf die 30 zugehen schnellstmöglich zu verkaufen, handelt, während Wenger aber im Laufe der Saison dann doch einige ältere Spieler dazu kaufte. Oder die Beurteilung der Arbeit des ehemaligen Managers vom FC Liverpool, Damien Comolli, der es ebenso verpaßt hat, in seiner Amtszeit mit Titeln oder Transfererfolgen zu glänzen. Beinahe jede ihrer Analysen hat mindestens einen Haken: Genosse Zufall und die Realität.

Zum Beispiel die Behauptung der Autoren, daß es kein Zufall ist, daß andere Regionen der Welt mit dem Zuwachs wirtschaftlicher Macht im Fußball ebenfalls zur Weltspitze aufschließen, steht gerade die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung in der EU entgegen. Während die griechischen Fußballer in diesem Jahr wieder einmal die Runde der letzten acht erreichten, Spanien sogar Europameister wurde, sind die wirtschaftlichen Aussichten für beide EU-Länder eher trübe.

Die Realität führt diese Hauptthesen regelmäßig ad absurdum. So hätte bei den letzten acht Turnieren wenigstens einmal die deutsche Nationalmannschaft gewinnen müssen. Der letzte Trainer, dem dies gelang, war allerdings ein ehemaliger Spieler namens Berti Vogts. Ebenso müßten Länder wie Rußland und die USA weitaus besser abschneiden. Glücklicherweise läßt sich König Fußball nicht durch eine obskure Zahlenarithmetik enträtseln. Im Fußball bestehen noch derart viele Widrigkeiten, angefangen von plötzlichen Krankheiten der Spieler, unerwarteten Wetterumschwüngen bis hin zu falschen Schiedsrichterentscheidungen, daß der verzweifelte Versuch, in diesem Chaos auch nur ansatzweise eine Ordnung zu erkennen, zum Scheitern verurteilt bleibt. Genosse Zufall ist im Sport eine unberechenbare Variable, und das ist auch gut so! Ansonsten wäre zum Beispiel statt dem Halleschen FC nun ein Klub aus der sächsischen Nachbarstadt mit seinen Brausemillionen in der Dritten Liga. Aber wie schon Salzburg in der Champions-League-Qualifikation bewiesen hat: Geld schießt keine Tore. Statistiken ebenso nicht.

Simon Kuper/Stefan Szymanski: Warum England immer verliert - Und andere kuriose Fußballphänomene. Edition Tiamat, Berlin 2012, 320 Seiten, 18 Euro