Dienstag, 26. Juni 2012

Blood, sweat and tears!

Ralf Fischer / Junge Welt


Es ist zum Haareraufen. Wenn der Engländer im Elfmeterschießen antreten muß, kann er die Kapitulationserklärung unterschreiben. Vielleicht hat das als Running Gag begonnen, spätestens seit dieser EM ist es bitterer Ernst. England kann nicht Elfmeterschießen. Selbst, wenn die Mannschaft, wie in der letzten Woche, fast nichts anderes trainiert. Es geht einfach nicht. Rein anatomisch gesehen, ist es wohl eine Kopfsache. Aber da kann der Fuß noch so derbe wollen, wissen die Hobbypsychologen: Es geht einfach nicht.

Hintergrund ist wahrscheinlich die Mutter aller Krisen: ein Kriegstrauma. Der Engländer ist es gewohnt, im wildesten Sturm seine Insel zu halten. Im Fußballerjargon heißt das: Die Null hinten steht, der Wikinger kann kommen. Mit der Feuerkraft im Angriff sieht es dagegen mau aus. Ein Rooney macht noch keinen Titelaspiranten. Und die »young bombers« Danny Welbeck und Andy Carroll sind noch lange nicht auf internationalem Topniveau.

Womöglich rettet das frühe Ausscheiden der Engländer eine Menge Beziehungen und die eine oder andere Ehe. Das wäre äußerst begrüßenswert und ein kaum zu unterschätzender Beitrag im ständigen Ringen um den Weltfrieden. Folgt man den Aussagen des größten britischen Internetanbieters für Seitensprünge jeglicher Art, Illicit Encounters, so fühlte sich die englische Damenwelt in den vergangenen Wochen ziemlich vernachlässigt. Seit Beginn der EM soll die Zahl der weiblichen Mitglieder, die ein Liebesabenteuer suchen, um 77 Prozent gestiegen sein. Während des letzten Gruppenspiels gegen die Ukraine sogar um ganze 82 Prozent. Die sogenannten Fußballwitwen können froh sein. Ihre Männer sind zurück aus dem Krieg! Und falls einer Lust auf Abwechslung neben den ehelichen Verpflichtungen verspürt, hätte ich noch etwas im Angebot: Anyone for Tennis?

Montag, 25. Juni 2012

Nein! Doch! Ohh!

Ralf Fischer / Junge Welt


Wäre das Viertelfinale Frankreich–Spanien ein Vorabendkrimi gewesen, dann ein ganz fieser. Gift im Frühstückstee, ein Messer im Rücken, ein hinterhältiger Anschlag, ausgeführt von Verwandten, zumindest guten Bekannten. Eine fein verwobene Familienfehde mit viel bösem Blut im Spiel. Wer das Opfer war? Franck Ribery! Die Täter? Alle seine Mitspieler mit Ausnahme des Torhüters Hugo Lloris. Der hielt Ribery den Rücken frei, aber das genügte nicht bei neun mordlüsternden Mitspielern und elf mitleidlos das Debakel begleitenden Spaniern.

Ribery kam, sah und siegte nicht, erlebt wieder nur ein grandioses Desaster. Zum vierten mal in dieser Saison. Er ackerte, dribbelte, lief sich fest. Seine Mitspieler wollten nur bedingt gewinnen, während er es um jeden Preis wollte. Für sein Land, seinen Gemütszustand, die französischen Fans zu Hause. Im Stadion waren kaum welche. Dafür war die Ordnungsmacht anwesend. In Form eines modernen Luis de Funes. »Nein! Doch! Ohh!« Michel Platini, UEFA-Chef und letzter Anführer des Widerstand gegen die Einführung von Torkameras, stand dem Auftritt seiner französischen Landsleute besonders neutral gegenüber. Das spielte Spanien wohl ebenfalls in die Karten.

Ausgestattet mit Trikots, auf denen im Zentrum des Escudo (Wappenschild) nicht das Wappen des spanischen Königshauses abgebildet ist, sondern das der französischen Bourbonen, gaukelten die Spanier den Franzosen vor, sie seien ungefährlich. Was bis zu einem gewissen Grad auch stimmte. Das spanische Kleinkunstfestival war uninspiriert. Es ließ nicht halb so staunen wie in den Jahren zuvor. Spanien hat bisher keine überragende Leistung gebracht. Das überzeugt einleuchtenderweise fast alle davon, daß es wieder Europameister wird. Scheißegal! Dafür hat Frankreich den Blues und mit Franck Ribery einen neuen, traurigen Helden.

Donnerstag, 21. Juni 2012

In Rooney we trust!

Wembley again: Das Skandalspiel am Ende der Gruppe D

Ralf Fischer / Junge Welt


Nach zuvor 23 Spielen in Folge ohne Niederlage unter Trainer Laurent Blanc ist die französische Nationalmannschaft sehr hart auf dem Boden der Realität gelandet. Während die Schweden befreit von allem unnötigen Druck in ihrem letzten Gruppenspiel bewiesen, daß es spielerisch und kämpferisch zu weit mehr als dem frühzeitigen Vorrunden-Aus gereicht hätte, wurden die Franzosen zum Außenseiter im kommenden Viertelfinale degradiert. Letztlich rettete ausgerechnet ein Engländer den Franzosen den Einzug ins Viertelfinale. Wayne Rooneys Führungstor gegen die Ukraine war schließlich der Türöffner zum Weiterkommen in die erste Runde der K.o.-Phase. Doch auch im Sport gilt: Die Rache folgte auf dem Fuße. Im Viertelfinale müssen die Franzosen gegen den amtierenden Europameister aus Spanien ran. Das haben sich die Franzosen mit ihrem uninspirierenden Auftritt redlich verdient.

Die Schweden dagegen konnten sich mit erhobenem Haupt aus dem Turnier verabschieden. Zum Weiterkommen reichte es in der starken Gruppe D einfach nicht. Dazu fehlte das notwendige Quentchen Glück. Die ukrainische Mannschaft kann ebenfalls ein Lied davon singen. Ein gar trauriges. In den letzten 20 Jahren hat die Nationalmannschaft in Donezk noch nie ein Spiel gewonnen. Es liegt ein Fluch auf der Stadt. Die Zuschauer in der Ost­ukraine sind immer noch große Fans der russischen Nationalmannschaft. Trotzdem mußte die Ukraine zweimal in der Vorrunde in der Donbass-Arena antreten. Den Oligarchen sei gedankt!

Aber auch die Schiedsrichter haben ihr Scherflein dazu beigetragen, daß Andrej Schewtschenko nach der Vorrunde die internationale Bühne für immer verläßt. Als in der 62. Minute der englische Verteidiger John Terry einen Schuß von Marko Devic weggrätschte, war der Ball längst hinter der Torlinie, der Torrichter jedoch tat so, als ob er nichts gesehen hätte. »Sie haben uns ein Tor gestohlen. Der Ball war einen Meter hinter der Linie«, schimpfte der ukrainische Trainer Oleg Blochin nach dem Spiel in Richtung der Unparteiischen. Einem Journalisten bot er in der Pressekonferenz eine handfestere Art der Auseinandersetzung an. Dank der Vermittlung eines UEFA-Offiziellen fand dieses Match dann doch nicht mehr statt. Was für ein Glück für Blochin. Die Fortsetzung des Spieles mit unfairen Mitteln wird durch die UEFA derzeit hart geahndet.

Bei den Engländern herrscht verhaltene Freude. Taktisch auf Konter lauernd, haben sie ihre letzte Aufgabe routiniert abgespult und müssen nun gegen die Italiener im Viertelfinale antreten. Doch die »Three Lions« sind vorgewarnt: Falls sie ins Halbfinale vorstoßen, treffen sie womöglich auf die deutsche Nationalmannschaft. Von einem Angstgegner wollte man im englischen Lager nicht sprechen, aber der Respekt ist sehr groß. Der englische Coach, Roy Hodgson, setzt deshalb für die kommenden Aufgaben alles auf seine britische Bulldogge: »Wenn man zurückschaut und zum Beispiel Pele nimmt – er war in der Lage, seinen allerbesten Fußball zu zeigen, wenn es wirklich darauf ankam, Brasilien beim Gewinn der Weltmeistertitel zu helfen. Laßt uns hoffen, daß Wayne Roo­ney dies auch für uns tun kann.« Kurz zusammengefaßt: In Rooney we trust!

Montag, 18. Juni 2012

Mit Euros gegen die Krise

Regen und Gebiet: Der Spieltag in Gruppe D

Ralf Fischer / Junge Welt

Es ist, wie es ist. Wenn ein sympathischer Außenseiter zum Höhenflug ansetzt, hagelt es Hindernisse aus allen Ecken und von allen Seiten. Manchmal reicht auch schon ein kleines Gewitter. So erlebten die Zuschauer am Freitag statt einem ukrainischen Sturm im Donezbecken, wie eine routinierte französische Mannschaft sich drei Punkte sicherte und damit die aufkeimenden Hoffnungen des Gastgebers gnadenlos pulverisierte. Die Franzosen, die nun mit vier Punkten und der besten Tordifferenz in der Gruppe den Einzug ins Viertelfinale beinahe sicher in der Tasche haben, brauchen in ihrem letzten Spiel gegen die demoralisierten Schweden nur noch einen Punkt zu holen um sicher in das Viertelfinale einzuziehen.

Die Schweden sorgten bisher nur für Schlagzeilen jenseits des Spielfeldes, auf dem Spielfeld vermieden sie es – wie es sich für einen höflichen Gast gebietet –, den anderen Teams den Spaß am Turnier frühzeitig zu verderben. Brav spielten sie immer mit, schossen sogar das eine oder andere Mal das Führungstor, um die Spannung hochzuhalten, um dann am Ende aber jedes Mal mit einem Tor Unterschied zu verlieren. Und das sogar gegen den erklärten Lieblingsgegner aus England. Eine Niederlage mit beinahe historischen Dimensionen: In den letzten 43 Jahren gelang es den »Three Lions« nur ein einziges Mal, die Skandinavier zu besiegen.

Aber selbst in dieser Situation muß man sich um die Stimmung bei den Schweden keinerlei Sorgen machen. Deren neckische Trainingsspielchen, wonach derjenige Spieler, der beim Ballhochhalten als Erster patzt, bei heruntergelassener Hose von den Mitspielern die Bälle auf den Allerwertesten geschossen bekommt, hat sogar schon Menschenrechtsorganisationen auf den Plan gerufen. Der schwedische Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt ließ sich ebenfalls dazu hinreißen, öffentlich einen moralischen Rüffel über diese Art der »Erniedrigung« auszusprechen.

Dabei wäre es doch eher einmal angebracht zu überprüfen, ob da in der Gruppe D alles mit rechten Dingen zugeht. Im Spiel gegen England lagen die Schweden zwischenzeitlich mit 2:1 vorne, um sich dann beinahe artistisch von den Babyboomern im englischen Sturm noch die Butter vom Brot nehmen zu lassen. Gegen die Ukraine lag man mit 1:0 vorne, bis der Veteran Schewtschenko zweimal innerhalb von zehn Minuten von seinem Rentnerdasein auf dem Platz abließ. Es bleibt ein schaler Beigeschmack: Möglicherweise wetten ja die schwedischen Spielerfrauen im Auftrag ihrer männlichen Goldfüßchen auf den Sieg der gegnerischen Mannschaft mit einem Tor Unterschied. Das bringt viel Schotter, aber wohl nicht annähernd soviel Geld wie für die Spieler der Ukraine, deren Verband allein für den ersten Sieg eine halbe Million Euro Prämien an die Mannschaft auszahlte. Im Falle des Turniersiegs bekommen sie sogar über zehn Millionen Euro.

Im letzten Gruppenspiel treffen nun die ukrainischen Gastgeber auf die mit der fiesesten Visage Englands, Wayne Rooney, verstärkten Three Lions. Vielleicht hätten die Engländer sich das Geld für die Zeremonie zum 60jährigen Jubiläum der Queen sparen sollen, um statt dessen die Prämien etwas aufzustocken. Denn mal ehrlich, was erlebt man eher: daß England Europameister wird oder daß die Queen noch zehn Jahre durchhält?

Mittwoch, 13. Juni 2012

Das Orakel von Kiew

Rund um den 16er und Überfälle des Veteranen: Auftakt in der EM-Gruppe D

Ralf Fischer / Junge Welt

Fußballexperten sind moderne Wahrsager. Ein Blick in die Zukunft gelingt ihnen selten, dafür schüren sie kräftig Vorurteile. Bis es in Gruppe D am Montag losging, galt Frankreich als Geheimfavorit, England allenfalls als Außenseiter und die Gastgeber aus der Ukraine wurden von beinahe jedem Experten zu Punktelieferanten degradiert: zu alt die Mannschaft, zu schlecht der Ersatz vom Ersatz vom Ersatz im Tor und der alte Fuchs im Sturm viel zu lahm für das hohe Niveau. Pustekuchen!

Mit überfallartigen Kontern überrannten die Ukrainer die traumdösigen Schweden, die sich nicht in der Lage sahen, zu fünft einen Stürmer in den Griff zu bekommen. Zugegeben, es handelte sich nicht um irgendeinen Stürmer, sondern um den Veteranen Andrij Schewtschenko. Als Spieler des Tages sorgte er mit zwei Toren dafür, daß für die Gastgeber weiterhin alles möglich ist. Mit etwas Glück und der fulminanten Unterstützung des Publikums sollte das Team von Oleg Blochin ins Viertelfinale einziehen.

Für die Schweden ist dieser Zug abgefahren. Aber auch die Engländer müssen sich so ihre Sorgen machen. Im nächsten Spiel gegen die Skandinavier muß eine überzeugendere Leistung her. Mit der Taktik ihres Auftaktspiels gegen Frankreich, immer-rund-um-den-16er, läßt sich das sichere Paßspiel üben, aber kein Tor erzielen – es sei denn, man hat wie der Gegner einen Samir Nasri im Team. Sein Tor rettete den Bleues von Le Blanc einen Punkt und die Ehre. Zum Gruppenfavoriten waren sie ja auch nur aus der Not heraus gestempelt worden. Die Engländer galten den Wahrsagern mit ihren Verletzten und Gesperrten dagegen als Fallobst. Sie haben zwar den Fußball erfunden, aber das ist sehr lange her. Das Spielgerät wog noch mehr als zwei Kilo, und veritable Kneipenschläger wie Steven Gerrard befanden sich bei diesen Sauf- und Raufwettbewerben völlig auf der Höhe der Zeit.

Aber natürlich gibt es auch Vorurteile mit was dran. Etwa so, wie die Queen die letzten 60 Jahren auf einer Arschbacke abgesessen hat, als wären es zwei Ferienwochen in Ascot, wird England ins Viertelfinale stolpern. Mit künstlichen Haaren auf dem Kopf von Wayne Rooney und dem einen oder anderen gegnerischen Eigentor. In diesem Sinne: God save the Queen!