Montag, 16. April 2012

Musik zur Unzeit

Anmerkungen zu Kraftklub

Ralf Fischer / Junge Welt

Wenn das bundesdeutsche Feuilleton im allgemeinen Gleichklang eine musikalische Neuheit aus dem Osten der Republik als das nächste große Ding in der Popwelt andient, dann ist Vorsicht geboten. Man erinnere sich nur an die düsteren Ex-DDR-Punker die sich mit ihrem rollendem R weltweit als »Neue Deutsche Härte« hervor taten, oder an jene verlorenen Jugendlichen aus den übrig gebliebenen Ruinen von Magdeburg oder Bautzen, denen es gelang, mit dem eigenen emotionalen Ausverkauf im Fernsehen und der Teenie-Presse es halbwegs zu Ruhm zu bringen. Rammstein, Tokio Hotel und Silbermond – und schon hat man den kulturellen Selbstmord der letzten Jahre östlich der Elbe klar vor Augen.

Die Hervorhebung, jemand stamme aus dem Osten, war im bundesdeutschen Feuilleton immer schon verbunden mit einer unheimlichen Art der Mitleidsbekundung. Erst recht nach dem Mauerfall. So wie man ab und zu entzückt über die sogenannte Weltmusik endlose Artikel verfaßte, so waren die Emos aus Bautzen oder Magdeburg und die Böhsen Onkelz aus Ostberlin eine willkommene exotische Abwechslung. Doch wehe, es tauchten Musiker aus dem Osten auf, denen man nicht gleich ansah, daß sie der Zone entsprungen waren!

Die Band Kraftklub aus Karl-Marx-Stadt, ehemals Chemnitz, hat genau das geschafft. Ihr Debütalbum »Mit K« (Vertigo/Universal) provozierte vielerlei Vorwürfe, die bei Lichte betrachtet kaum nachvollziehbar sind. Musikalisch gesehen trifft hier gut produzierter Britpop mit dem Besten von Mando Diao auf intelligenten Deutschrap. Ob nun der Abgesang auf das neue Berlin (»Meine Brille ist nicht Vintage, verdammt, die ist Retro!«) oder die Kritik am Tablettentick, um renitente Jugendliche ruhig zu stellen – die fünfköpfige Band macht die von ihnen beschriebenen alltäglichen Probleme der Gegenwart wenigstens tanzbar, ohne gleich die Faust in der Tasche ballen zu müssen.

Für Kai Müller ist es gerade diese larmoyante Haltung der Band, die ihm das Vergnügen an ihr gänzlich vergällt. Im Tagesspiegel beklagte er sich über einen bizarren Minderwertigkeitskomplex, der so gar nicht zum sonstigem Auftreten von Kraftklub passen würde. Müller strickt Kraftklubs ironische Brechung der eigenen Ohnmacht und die daraus resultierende Überhöhung des eigenen unbedeutenden Lebens ganz simpel zu einem Minderwertigkeitskomplex. Dabei ist Kraftklub im besten Sinne vielfältig interpretierbar – und damit jenseits der Eindeutigkeit und Einfältigkeit von Tokio Hotel und Rammstein. Man kann jeden ihrer Texte als lustiges Ironieding begreifen, aber auch jedes Wort auf die Goldwaage legen, beides ist möglich. Die Songs lassen sich ebenso in der westdeutschen Indie-Disko wie auch Banane essend im Trabant in einem abgelegenen Ostkaff hören.

Und es ist eben nicht das Dilemma der Band, »sich vorlaut und unabhängig geben zu wollen, aber nicht genug Mumm zu haben, das Leben in der Provinz als gloriose Alternative zu feiern«, wie Müller schreibt. Nein, es ist das endlose Dilemma der Provinz, niemals glorios zu sein, während die wenigen urbanen Festungen in Deutschland von den Provinzlern gestürmt werden. Kraftklub will nicht in die Provinz Berlin umziehen, feiert Karl-Marx-Stadt, obwohl es voll mit Nazis, Rentnern und Hools ist, und macht Atzenmusik mit Gitarren. Das ist nichts für die Feuilletons. Das ist viel zu verwirrend.

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