Mittwoch, 18. April 2012

Die Klasse gehalten

Abstieg verhindert, Zukunft ungewiß: Dynamo Dresden Chaosklub

Ralf Fischer / Junge Welt


Am Anfang der Zweitligasaison sollte der Trainer von Dynamo Dresden, Ralf Loose, einen Wunsch frei haben und entschied sich für: »Dynamo kann schon am 33. Spieltag für die zweite Liga planen.« Sein Wunsch ist am Montag abend vorzeitig in Erfüllung gegangen. 2:1 gewann Dynamo vor 26367 Zuschauern gegen die favorisierte Düsseldorfer Fortuna, die im Saisonverlauf lange wie ein sicherer Aufsteiger aussah. Damit spielen die »Unaufsteigbaren« von Greuther Fürth in der nächsten Saison so gut wie sicher in der ersten Liga (»Laßt mir ein Bier übrig«, kommentierte Fürth-Trainer Mike Büskens das Ergebnis).

Dynamo trennen drei Spieltage vor Saisonende 13 Punkte vom Relegations­platz. Das Team hat mit dem Abstieg nichts mehr zu tun. Am Montag trat es von Beginn an robuster auf und feierte nach sieben Minuten das zwölfte Saisontor des slowenischen Nationalstürmers Zlatko Dedic, dessen Sturmkollege Mickael Pote in der 70. Minute zum Endstand traf (für den zwischenzeitlichen Ausgleich hatte kurz vor der Pause Thomas Bröker gesorgt). Sportlich lief es in dieser Saison für die Schwarz-Gelben also unerwartet gut. Das Tagesgeschäft abseits des grünen Rasens aber macht wie gewohnt Probleme.

Nur 18 Akteure haben einen Vertrag für die nächste Saison unterzeichnet. Drei Stammspieler sind ausgeliehen und werden wohl nicht an der Elbe bleiben, darunter Sturmstar Dedic (VfL Bochum). Das ewige Talent Maik Kegel, einer der wenigen Dresdner im Team, wechselt ablösefrei zum Chemnitzer FC. Gekrönt wird das Chaos von der Tatsache, das ein Nachfolger des am 1. Februar zurückgetretenen Geschäftsführers Volker Oppitz bis heute noch nicht gefunden wurde.

Statt erste Neuzugänge für die kommende Saison vorzustellen, mußten Ralf Loose und Sportdirektor Steffen Menze in den vergangenen Wochen harte Überzeugungsarbeit leisten, um Stammkräfte längerfristig an den Verein zu binden. Bei den Linksverteidigern Filip Trojan und Sebastian Schuppan hatten sie Erfolg. Nachwuchstalent Toni Leistner bleibt auch. Die ausgeliehenen Abwehrkräfte Muhamed Subasic (Olimpik Sarajevo) und Vujadin Savic (Girondins Bordeaux) werden wohl zu ihren Vereinen zurückkehren, auch wenn Sportdirektor Menze das noch zu verhindern sucht.

Loose umriß den Stand der Planung gegenüber der Dresdner Morgenpost: »Wir müssen uns in fast allen Mannschaftsteilen verstärken. Außerdem werden uns definitiv einige Spieler verlassen, und mit anderen wollen wir nicht weiter zusammen arbeiten.« Dazu gehören neben den ausgeliehenen Marvin Knoll (Hertha BSC) und Clemens Walch (1. FC Kaiserslautern) aller Voraussicht nach die Innenverteidiger Martin Stoll und Jens Möckel, Pokalheld Alexander Schnetzler, Mittelfeldspieler Sascha Pfeffer sowie die vom Verletztungspech verfolgten Marcel Heller und Dennis Eilhof.

Um das Amt des Geschäftsführers bemühten sich zuletzt Exfußballer Thomas Eichin und Anfang April der ehemalige Finanzchef der Deutschen Fußball-Liga (DFL) Christian Müller. Seitdem herrscht Funkstille. Der Aufsichtsrat sagt nur, daß er nichts sagt. Wie zur Ablenkung wurde der frühere Dresdner Bundesligaspieler Ralf Hauptmann als Leiter einer mobilen »Dynamo Dresden Fußballschule« vorgestellt. Die will das Image des Vereins an der Basis pflegen. Ein solches Vorhaben stünde den Verantwortlichen allgemein gut zu Gesicht.

Montag, 16. April 2012

Musik zur Unzeit

Anmerkungen zu Kraftklub

Ralf Fischer / Junge Welt

Wenn das bundesdeutsche Feuilleton im allgemeinen Gleichklang eine musikalische Neuheit aus dem Osten der Republik als das nächste große Ding in der Popwelt andient, dann ist Vorsicht geboten. Man erinnere sich nur an die düsteren Ex-DDR-Punker die sich mit ihrem rollendem R weltweit als »Neue Deutsche Härte« hervor taten, oder an jene verlorenen Jugendlichen aus den übrig gebliebenen Ruinen von Magdeburg oder Bautzen, denen es gelang, mit dem eigenen emotionalen Ausverkauf im Fernsehen und der Teenie-Presse es halbwegs zu Ruhm zu bringen. Rammstein, Tokio Hotel und Silbermond – und schon hat man den kulturellen Selbstmord der letzten Jahre östlich der Elbe klar vor Augen.

Die Hervorhebung, jemand stamme aus dem Osten, war im bundesdeutschen Feuilleton immer schon verbunden mit einer unheimlichen Art der Mitleidsbekundung. Erst recht nach dem Mauerfall. So wie man ab und zu entzückt über die sogenannte Weltmusik endlose Artikel verfaßte, so waren die Emos aus Bautzen oder Magdeburg und die Böhsen Onkelz aus Ostberlin eine willkommene exotische Abwechslung. Doch wehe, es tauchten Musiker aus dem Osten auf, denen man nicht gleich ansah, daß sie der Zone entsprungen waren!

Die Band Kraftklub aus Karl-Marx-Stadt, ehemals Chemnitz, hat genau das geschafft. Ihr Debütalbum »Mit K« (Vertigo/Universal) provozierte vielerlei Vorwürfe, die bei Lichte betrachtet kaum nachvollziehbar sind. Musikalisch gesehen trifft hier gut produzierter Britpop mit dem Besten von Mando Diao auf intelligenten Deutschrap. Ob nun der Abgesang auf das neue Berlin (»Meine Brille ist nicht Vintage, verdammt, die ist Retro!«) oder die Kritik am Tablettentick, um renitente Jugendliche ruhig zu stellen – die fünfköpfige Band macht die von ihnen beschriebenen alltäglichen Probleme der Gegenwart wenigstens tanzbar, ohne gleich die Faust in der Tasche ballen zu müssen.

Für Kai Müller ist es gerade diese larmoyante Haltung der Band, die ihm das Vergnügen an ihr gänzlich vergällt. Im Tagesspiegel beklagte er sich über einen bizarren Minderwertigkeitskomplex, der so gar nicht zum sonstigem Auftreten von Kraftklub passen würde. Müller strickt Kraftklubs ironische Brechung der eigenen Ohnmacht und die daraus resultierende Überhöhung des eigenen unbedeutenden Lebens ganz simpel zu einem Minderwertigkeitskomplex. Dabei ist Kraftklub im besten Sinne vielfältig interpretierbar – und damit jenseits der Eindeutigkeit und Einfältigkeit von Tokio Hotel und Rammstein. Man kann jeden ihrer Texte als lustiges Ironieding begreifen, aber auch jedes Wort auf die Goldwaage legen, beides ist möglich. Die Songs lassen sich ebenso in der westdeutschen Indie-Disko wie auch Banane essend im Trabant in einem abgelegenen Ostkaff hören.

Und es ist eben nicht das Dilemma der Band, »sich vorlaut und unabhängig geben zu wollen, aber nicht genug Mumm zu haben, das Leben in der Provinz als gloriose Alternative zu feiern«, wie Müller schreibt. Nein, es ist das endlose Dilemma der Provinz, niemals glorios zu sein, während die wenigen urbanen Festungen in Deutschland von den Provinzlern gestürmt werden. Kraftklub will nicht in die Provinz Berlin umziehen, feiert Karl-Marx-Stadt, obwohl es voll mit Nazis, Rentnern und Hools ist, und macht Atzenmusik mit Gitarren. Das ist nichts für die Feuilletons. Das ist viel zu verwirrend.