Freitag, 28. Dezember 2012

Ultras im Visier

Das Buch zum Feuer im Stadion: Politologen und Pädagogen erobern sich eine neue Subkultur

Ralf Fischer / Junge Welt


Die Ultras sind in aller Munde. Es vergeht kaum ein Tag, an dem das Jugendphänomen mit Gewaltproblem nicht prominent in den Medien auftaucht. Schon der Bilder wegen: Brennende Pyrotechnik im Stadion ist immer ein attraktives Motiv für die Titelseite. Daß dann in schöner Regelmäßigkeit von Gewalt gesprochen wird statt nur über das verbotene Abbrennen von Feuerwerkskörpern ist eine jener verkaufsfördernden, aber der Wahrheit abträglichen Maschen der deutschen Journalistenzunft.

Auf diesen propagandistischen Zug wollen nun auch Politologen und Pädagogen aufspringen. Denn mit renitenten Jugendsubkulturen läßt sich in einer immer älter werdenden Gesellschaft immer noch gutes Geld verdienen. Was auch für Kriminologen gilt.

Martin Thein und Jannis Linkelmann, der eine Politologe, der andere Kriminologe, legen mit ihrem Buch »Ultras im Abseits. Porträt einer verwegenen Fankultur« einen Sammelband vor, den man getrost als eine Anleitung für Sozialpädagogen und andere Sachverwalter des Elends sofort wieder ins Bücherregal zurückstellen kann. Organisierte Ultras kommen in dem Buch zumeist nur in domestizierter Form vor. Hauptsächlich sind es Politologen, Soziologen und Polizisten, die über die nonkonforme Jugendsubkultur herfallen, deren Anspruch, sich dem erwachsenen Gestus des Nicht-mehr-verändern-wollens zu entziehen sie ja gerade erst so sympathisch macht. Durch die ablehnende Haltung gegenüber Autoritäten und mit dem Versuch, sich gegen die Eventkultur beim Fußball zu stemmen, geraten die Ultras selbstverständlich ins Schußfeld aller Konformisten.

Dementsprechend schlägt das Imperium nun an allen Fronten zurück. Mit allem, was es hat. In diesem konkreten Fall einem alternativen Fußballfanschutzbericht: Auf den ersten Seiten des Buches zerpflücken mehrere Soziologen die Subkultur der Ultras in ihre einzelnen Bestandteile, einige Seiten später beschäftigen sich die Politologen mit den Auswirkungen auf die Gesellschaft, und am Ende werden die alternativen Kettenhunde des Kapitals, also die Sozialpädagogen, auf die ahnungslose Meute losgelassen. Es gilt wie immer folgende Faustregel: Umso komplexer dem geneigten Zuschauer das »soziale Gebilde« erscheint, umso länger können die Politologen und Soziologen den Gegenstand ihres Interesses erforschen, während gleichzeitig die Pädagogen die daraus gewonnenen Erkenntnisse am lebendigen Objekt durchexerzieren dürfen. Und am Ende räumt die Polizei dann die besonders renitenten Teile der Subkultur ab.

Die Autoren geben vor, die Subkultur der Ultras in Deutschland näher zu beleuchten, statt dessen bieten aber Soziologen, Journalisten und Politologen auf über 200 Seiten nur ihre Meinung feil. Bis auf die dreißig Seiten, auf denen leider ziemlich langweilige Interviews mit einzelnen Ultras dokumentiert sind, handelt es sich um eine paternalistische Veranstaltung, wie sie jeder junge Fan längst zu hassen gelernt hat. Eine der Hauptforderungen der Autoren ist folglich nicht die Legalisierung von Pyrotechnik und der Rückzug der Bereitschaftspolizei aus dem Umfeld der Fußballpartien, sondern die Einrichtungen von Fanprojekten, die – siehe da – von kompetenten Pädagogen mit Kompetenz im Bereich Fußball betreut werden sollen.

Ganz allein zu diesem Zweck wurde das Buch veröffentlicht: Es ist eine Stellenbeschreibung. Und eine Aufforderung nach Stellenausschreibung durch DFB, DFL oder die Vereine. Die einzelnen Beiträge sind Bewerbungen. Nur wer dabei ganz genau die derzeitigen Richtlinien beim Ausverkauf der Fußballkultur einhält, hat eine Chance, in Zukunft einen Job als Fanbeauftragter oder beim neuen Institut für Fankultur zu ergattern. Mit dem Ultragedanken hat das alles nichts zu tun.

Martin Thein/Jannis Linkelmann (Hg.): Ultras im Abseits - Porträt einer verwegenen Fankultur. Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2012, 272 Seiten, 14,90 Euro

Freitag, 14. Dezember 2012

Ein Lümmel wird König

Nein, früher war im Fußball nichts friedlich: Christian Wolter legt das Standardwerk über die Berliner Anfänge dieses Sports vor

Ralf Fischer / Junge Welt


Jeden Tag Fußball. Das Paradies auf Erden scheint ausgebrochen, wenn man über den magischen Zugang zum Bezahlfernsehen verfügt. Bei dieser Reizüberflutung scheint es unvorstellbar, daß König Fußball im Deutschland vor rund 120 Jahren ein kaum beachteter Bauernlümmel war, der sich irgendwo weit hinten auf der Beliebheitsskala, zwischen Kegelschubsen und Ameisenzählen einreihen mußte. Fußball galt als Sport aus dem fernen England, verachtet als unkultivierte Veranstaltung der unteren Schichten.

Doch irgendwann fing man in Berlin und Umgebung damit an und krempelte nach und nach die gesamte deutsche Sportwelt um, wie man in Christian Wolters Buch »Rasen der Leidenschaften« nachlesen kann.

Die Hauptstadt verfügt über den ältesten noch bestehenden Fußballklub Deutschlands: Der Berliner FC Germania von 1888 aus dem Bezirk Tempelhof, spielt zur Zeit in der neunten Liga. Da sind auch die BSC Kickers 1900 aus Schöneberg zu finden, die im Besitz des ältesten erhaltenen deutschen Fußball-Pokals sind. Und das erste Heimspiel der DFB-Nationalmannschaft fand in Berlin statt, 1908 vor 6000 Zuschauern in Mariendorf, gegen eine englische Amateurauswahl (Profis spielten auf der Insel seit 1888).

In Berlin orientierte auch der organisierte Arbeitersport in Richtung Fußball. 1923 kam es zum ersten Kräftemessen zwischen einer deutschen und einer sowjetischen Fußballmannschaft im Stadion Lichtenberg. Zwei Jahre später gastierte eine ukrainische Mannschaft in Berlin und spielte zugunsten der chinesischen Kommunisten auf einem Sportplatz unweit des Ostkreuzes. Auch die letzte kommunistische Fußballmeisterschaft wurde in Berlin ausgespielt, das Finale fand 1931 vor 10000 Zuschauern im Wedding statt.

Dem Sporthistoriker Christian Wolter ist mit seinem Buch die erste umfassende Enzyklopädie über den Berliner Fußball und seine wichtigsten Sportstätten gelungen. Auf 278 Seiten sichtet Wolter die letzten 130 Jahre Fußballtradition anhand von mehr als 60 Sportplätzen und Stadien, garniert mit vielen schönen historischen Fotos, endlosen Statistiken und spannenden Anekdoten. Beispielsweise erfährt man vom skurrilen Versuch, den Profifußball in Deutschland ausgerechnet im proletarisch dominierten Bezirk Lichtenberg auf den Weg zu bringen. Auch die vielfach verbreitete Mär, früher sei es beim Fußball friedlich gewesen, wird von Wolter en passant zurückgewiesen. 1900 etwa wurde nach dem Abpfiff des Spiels zwischen Hamburg-Altona und einer Berliner Stadtauswahl der aus Wien stammende Schiedsrichter »nach kurzer Verfolgung zu Fall gebracht und mit einem Stock über den Kopf geschlagen«. Und das war nur der Anfang einer gepflegten Randale. »Natürlich liefen unsere Berliner Fußballer sogleich zu Hilfe, aber an dem Geschehenen läßt sich nichts ändern – unsere Gäste sind malträtiert worden.« Sogar die Ausreden waren zu dieser Zeit exakt dieselben wie heute: »Unsere einzige Entschuldigung ist eben, daß die Angreifer sich scheinbar nur aus diesem Janhagel zusammensetzen, diesem unerwünschten Anhängsel des Berliner Fußballspiels«. Janhagel ist ein altes Synonym für Pöbel.

Wolter merkt man die von ihm im Titel angerufenen Leidenschaften auch an. Er vermittelt dem Leser das Gefühl, mitten drin und nicht nur dabei zu sein. Zwei Jahre lang hat er staatliche und städtische Archive durchstöbert, in Vereinsheimen geforscht und unzählige Privatpersonen aufgesucht, um in diversen Fotoalben an die besten Motive für sein Buch heranzukommen. Alles für die Sache, die runde! Selbstverständlich sieht das Buch toll aus.

Christian Wolter: Rasen der Leidenschaften: Die Fußballplätze von Berlin – Geschichte und Geschichten. vierC print+mediafabrik, Berlin 2012, 280 Seiten, 19,80 Euro

Donnerstag, 13. Dezember 2012

Im Wiederholungsfall

Dynamo Dresden braucht ein Wunder

Ralf Fischer / Junge Welt

Nach der erfolgreichen Zweitligasaison 2011/12 brennt bei Dynamo Dresden kurz vor Weihnachten der Baum, und zwar lichterloh. Auf eine deftige Heimniederlage gegen den VfL Bochum, Mitkonkurrent im Abstiegskampf, folgte am Wochenende die obligatorische Entlassung von Cheftrainer Ralf Loose. Am Montag wurde der Traditionsklub dann von seinem Ausschluß aus dem kommenden DFB-Pokalwettbewerb unterrichtet.

Durch die 0:3-Niederlage gegen Bochum ist Dresden auf den Relegationsplatz abgerutscht. Die Reaktion des Vorstandes war abzusehen. Am Sonntag übernahm Dynamos Sportlicher Leiter Steffen Menze als Interimscoach das Training. Unterstützt wird er von Kotrainer Nico Däbritz und Torwarttrainer Gunnar Grundmann. Am Sonntag beim TSV 1860 München soll Menze auf der Bank sitzen. Erst in der Winterpause will der Vorstand einen neuen Cheftrainer vorstellen. Leicht wird der sich nicht finden lassen, auch weil Französischkenntnisse zum Stellenprofil gehören. Mit sieben Spielern des Kaders ist eine Verständigung sonst schwer möglich, weshalb die Mannschaft in der Presse gerne »Klein Frankreich« genannt wird.

Der Pokal-Ausschluß schließlich war abzusehen, auch wenn viele Anhänger der Schwarz-Gelben noch auf Gnade gehofft hatten. Grundlage der Entscheidung ist das Fehlverhalten einiger sogenannter Fans beim Pokalspiel in Hannover. Das DFB-Sportgericht unter Vorsitz von Hans E. Lorenz konstatierte »fortgesetztes unsportliches Verhalten« des Dresdner Anhangs.

Geschäftsführer Christian Müller sprach nach dem Urteil von einer »wirtschaftlich einschneidenden Bestrafung«. Wahrscheinlich wird der Klub in Berufung gehen. Laut Müller gibt es »gute Argumente«, erneut vor das DFB-Bundesgericht zu ziehen. Dort konnte Dynamo im vergangenen Jahr einen Pokalausschluß noch abwenden. Das Urteil wurde in ein Geisterspiel plus Geldstrafe abgemildert. »Im letzten Jahr hat das DFB-Bundesgericht nach den Vorfällen in Dortmund ausdrücklich davor gewarnt, daß im Wiederholungsfall der Pokal-Ausschluß droht«, erklärte Hans E. Lorenz nun bei der Urteilsbegründung. Möglicherweise geschieht ja in der Winterpause wieder eines dieser schwarz-gelben Wunder. Dynamos Talfahrt wäre damit keineswegs gestoppt, aber der wahrscheinliche Aufprall in der dritten Liga zumindest nicht ganz so hart.

Donnerstag, 20. September 2012

Genosse Zufall lebe hoch

Weg mit den kleinen Engländern: Das Fußballbuch von Kuper/Szymanski versucht, König Fußball mathematisch zu ­entzaubern

Ralf Fischer / Junge Welt

Genosse Zufall ist ein ekliges Biest. So richtig fies wird es immer dann, wenn es um Millionen geht und der langfristig im Hinterstübchen angefertigte Masterplan grandios scheitert. Ein frühzeitiges Ausscheiden aus den internationalen Pokalwettbewerben kann einen ganzen Verein ruinieren, zumindest der Lächerlichkeit preisgeben. Red Bull Salzburg kann davon ein Lied singen. Eine luxemburgische Amateurauswahl aus Düdelingen verhinderte in der diesjährigen Champions-League-Qualifikation das Weiterkommen des österreichischen Brausegiganten. Wäre es aber nach dem Sportjournalisten Simon Kuper sowie dem Wirtschaftswissenschaftler Stefan Szymanski, Autoren des Buches »Warum England immer verliert«, gegangen, dann wäre dieses Malheur niemals passiert.

Die beiden Autoren versuchen in ihrem Buch, den Einfluß der Mathematik auf den Fußball zu ergründen. Ihre drei Hauptthesen sind, daß der Erfolg eines Landes im Fußball stark von den drei Variablen Bevölkerungsgröße, Einkommen pro Kopf und Spielerfahrung abhängt. Ihrer Meinung nach wurde im europäischen Profisport viel zu lange auf das Bauchgefühl ehemaliger Spieler vertraut anstatt auf handfeste Statistiken.

Ihre Idee, dem Fußball eine neue Ordnung aufzuzwingen, entsteht aus dem Bedürfnis heraus, alles Unabwegbare, Chaotische fein säuberlich in Zahlenreihen einzuordnen, um dadurch in Zukunft zuverlässigere Vorhersagen über den Spielverlauf zu berechnen. Möglicherweise könnte eine solche Zahlenarithmetik der Wettmafia helfen. Aber einem Fußballfan ein paar Zahlen an die Hand zu geben, nur damit er sich vor dem Spiel ausrechnen kann, wie das voraussichtliche Spielergebnis aussehen wird, ist so, als würde man einem Angler, bevor er an den See geht, schon die zu fangenden Fische aushändigen.

Zwar wimmelt es in ihrem Buch von höchst interessanten Anekdoten, die dann aber oft den vorher getroffenen Analysen diametral gegenüberstehen. Ob es sich nun um das Lob an den Trainer Arsene Wenger von Arsenal London für sein Transferverhalten, Spieler die auf die 30 zugehen schnellstmöglich zu verkaufen, handelt, während Wenger aber im Laufe der Saison dann doch einige ältere Spieler dazu kaufte. Oder die Beurteilung der Arbeit des ehemaligen Managers vom FC Liverpool, Damien Comolli, der es ebenso verpaßt hat, in seiner Amtszeit mit Titeln oder Transfererfolgen zu glänzen. Beinahe jede ihrer Analysen hat mindestens einen Haken: Genosse Zufall und die Realität.

Zum Beispiel die Behauptung der Autoren, daß es kein Zufall ist, daß andere Regionen der Welt mit dem Zuwachs wirtschaftlicher Macht im Fußball ebenfalls zur Weltspitze aufschließen, steht gerade die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung in der EU entgegen. Während die griechischen Fußballer in diesem Jahr wieder einmal die Runde der letzten acht erreichten, Spanien sogar Europameister wurde, sind die wirtschaftlichen Aussichten für beide EU-Länder eher trübe.

Die Realität führt diese Hauptthesen regelmäßig ad absurdum. So hätte bei den letzten acht Turnieren wenigstens einmal die deutsche Nationalmannschaft gewinnen müssen. Der letzte Trainer, dem dies gelang, war allerdings ein ehemaliger Spieler namens Berti Vogts. Ebenso müßten Länder wie Rußland und die USA weitaus besser abschneiden. Glücklicherweise läßt sich König Fußball nicht durch eine obskure Zahlenarithmetik enträtseln. Im Fußball bestehen noch derart viele Widrigkeiten, angefangen von plötzlichen Krankheiten der Spieler, unerwarteten Wetterumschwüngen bis hin zu falschen Schiedsrichterentscheidungen, daß der verzweifelte Versuch, in diesem Chaos auch nur ansatzweise eine Ordnung zu erkennen, zum Scheitern verurteilt bleibt. Genosse Zufall ist im Sport eine unberechenbare Variable, und das ist auch gut so! Ansonsten wäre zum Beispiel statt dem Halleschen FC nun ein Klub aus der sächsischen Nachbarstadt mit seinen Brausemillionen in der Dritten Liga. Aber wie schon Salzburg in der Champions-League-Qualifikation bewiesen hat: Geld schießt keine Tore. Statistiken ebenso nicht.

Simon Kuper/Stefan Szymanski: Warum England immer verliert - Und andere kuriose Fußballphänomene. Edition Tiamat, Berlin 2012, 320 Seiten, 18 Euro

Mittwoch, 22. August 2012

Nichts ist sicher (5)

BL-Prognose Freiburg

Ralf Fischer / Junge Welt


Freiburg. Der SC Freiburg wird von Bundesligaexperten verläßlich als Abstiegskandidat gehandelt. Das stärkt den Zusammenhalt, treibt aber auch religiöse Blüten. Diesmal stehen die Vorzeichen für die Breisgauer besser als sonst. In der letzten Saison setzte der neue Trainer Christian Streich aus Not auf die eigene Jugend, schaffte mit ihr den Klassenerhalt und kurbelte so auch den Dauerkartenverkauf in der Sommerpause an.

Der einzige namhafte Abgang ist Stürmer Stefan Reisiniger. Dessen Wechsel zum Ligakonkurrenten Fortuna Düsseldorf ist zu verschmerzen. Auf dem Transfermarkt haben Streich und SC-Manager Dirk Dufner drei Nachwuchstalente aufgetan: Max Kruse (St. Pauli), Marco Terrazino (Karlsruher SC) und Vegar Eggen Hedenstad (Staebek JF). Dazu kommt als Leihgabe von Betis Sevilla der Linksverteidiger Ezequiel Calvente. Laut Streich ist das Team exzellent vorbereitet. „Mit einem Loch“ rechnet er nicht, gerade die jungen Spieler seien »mental unheimlich stark«.

Mit der Jugendarbeit will der SC sich in der ersten Liga etablieren. Das Geld aus dem Verkauf des Stürmerstars Papiss Demba Cissé nach Newcastle in der letzten Winterpause wurde vor allem in den Nachwuchs gesteckt, erklärt Manager Dufner gerne. Die Rechnung sollte aufgehen. SC-Abwehrspieler Matthias Ginter (18 Jahre/13 Bundesligaspiele) wurde vom DFB als »Nachwuchsspieler des Jahres 2012« in der Kategorie U18 gekürt. Weitere schon recht erfahrene Jungprofis im Kader sind Immanuel Höhn (20 Jahre /8 Spiele), Oliver Sorg (22/17), Oliver Baumann (22/64) und Jonathan Schmid (22/23). Aus der A-Jugend, die im Sommer den DFB-Pokal holte, rückt Christian Günter (19) zu den Profis auf. Wenn es nicht mit dem Teufel zugeht, werden diese Freiburger mit dem Abstieg nichts zu tun haben.

Montag, 23. Juli 2012

Musik zur Unzeit II

Bill Gates’ neuester Streich

Ralf Fischer / Junge Welt

Die Marketingabteilung von Microsoft stand vor einem großen Problem. Während das Betriebssystem Windows seine Stellung als Weltmarktführer sicher gegen jeden Angriff behauptet, stürzte der Internet Explorer in eine tiefe Krise nach der anderen. Zuerst bediente sich Firefox jahrelang kräftig am Marktanteil von Microsoft, und dann griff zu allem Überfluß auch noch der große Konkurrent Google mit dem Webbrowser Chrome in den Kampf um Marktanteile ein. Ein Ende mit Schrecken stand dem einst so erfolgreichen Monopolkonzern bevor.

Mit seiner einstigen Killerapplikation Internet Explorer war der Riese Microsoft längst nicht mehr up to date, er hatte jeglichen Sexappeal an seine Konkurrenten, hauptsächlich an Apple, verloren. Die Marketingfüchse aus dem eigenen Hause mußten nun mit einem ganz großen Wurf schleunigst die Kehrtwende einleiten. Es galt, dem schon beinahe Verstorbenen eine neue Seele einzuhauchen. Tief empfundene Emotionen mußten her. Die Menschen sollen sich wieder mit dem Produkt identifizieren. Was würde da besser passen, als die nächste Werbekampagne mit einem Soulsong mit extrem viel Sexappeal zu unterfüttern.

Flugs durchforsteten die Marketing­experten von Microsoft daraufhin den Markt und wurden schnell fündig. Auf dem im Juli 2011 veröffentlichten Debüt­album »The Lateness of the Hour« des bis dato völlig unbekannten Briten Alex Clare schlummerte ein Hit, der wie geschaffen war für die Auffrischung des eigenen Images. Der Song »To Close« verbindet emotionale Texte mit knackigen Dubstepelementen zu einer äußerst griffigen Soulkomposi­tion, die etwas auf Speed daherkommt. Das Thema des Songs: vielfältige Gefühlsregungen in Zeiten prekärer Beziehungsformen. Emotional ohne Ende.

Und entspräche es nicht der Wahrheit, so müßte man seine Liaison mit Amy Winehouse einfach dazu dichten. Beinahe wie in einem modernen Märchen! Amy Winehouse lernte Clare in einer Bar im Norden Londons kennen, in der er unter anderem als Koch, aber auch als Musiker arbeitete. Ein kapitalistischer Traum: Vom Koch in Nordlondon zum weltweiten Chartstürmer. Doch bis sich die Marketingabteilung von Microsoft bei seiner Plattenfirma meldete, verschimmelte sein Album in den britischen Plattenläden. Außerdem konnte er aus persönlichen Gründen nicht das Angebot wahrnehmen, im Vorprogramm von Adele auf Tour zu gehen. Clare war zeitweise gezwungen, bei einem befreundeten Immobilienmakler auszuhelfen.

Die Karriere von Alex Clare war also eigentlich schon längst vorbei, bevor sie richtig begann. Doch dann brauchte Microsoft einen Song mit emotionalen Tiefgang und extrem viel Sexappeal. Was zuerst als Geschichte zur weiteren Kapitalmaximierung begann, entwickelte sich zu einem popkulturellen Märchen. Am Ende haben alle außer Microsoft gewonnen. Alex Clare darf endlich die Früchte seines Talentes ernten, die Musikliebhaber auf der Welt dürfen gnädigerweise ihm dabei zuhören und hinter der stimmgewaltigen Breakbeatmusik verblaßt der heftig umworbene Internet Explorer beinahe komplett. Danke dafür, Bill Gates!

Dienstag, 26. Juni 2012

Blood, sweat and tears!

Ralf Fischer / Junge Welt


Es ist zum Haareraufen. Wenn der Engländer im Elfmeterschießen antreten muß, kann er die Kapitulationserklärung unterschreiben. Vielleicht hat das als Running Gag begonnen, spätestens seit dieser EM ist es bitterer Ernst. England kann nicht Elfmeterschießen. Selbst, wenn die Mannschaft, wie in der letzten Woche, fast nichts anderes trainiert. Es geht einfach nicht. Rein anatomisch gesehen, ist es wohl eine Kopfsache. Aber da kann der Fuß noch so derbe wollen, wissen die Hobbypsychologen: Es geht einfach nicht.

Hintergrund ist wahrscheinlich die Mutter aller Krisen: ein Kriegstrauma. Der Engländer ist es gewohnt, im wildesten Sturm seine Insel zu halten. Im Fußballerjargon heißt das: Die Null hinten steht, der Wikinger kann kommen. Mit der Feuerkraft im Angriff sieht es dagegen mau aus. Ein Rooney macht noch keinen Titelaspiranten. Und die »young bombers« Danny Welbeck und Andy Carroll sind noch lange nicht auf internationalem Topniveau.

Womöglich rettet das frühe Ausscheiden der Engländer eine Menge Beziehungen und die eine oder andere Ehe. Das wäre äußerst begrüßenswert und ein kaum zu unterschätzender Beitrag im ständigen Ringen um den Weltfrieden. Folgt man den Aussagen des größten britischen Internetanbieters für Seitensprünge jeglicher Art, Illicit Encounters, so fühlte sich die englische Damenwelt in den vergangenen Wochen ziemlich vernachlässigt. Seit Beginn der EM soll die Zahl der weiblichen Mitglieder, die ein Liebesabenteuer suchen, um 77 Prozent gestiegen sein. Während des letzten Gruppenspiels gegen die Ukraine sogar um ganze 82 Prozent. Die sogenannten Fußballwitwen können froh sein. Ihre Männer sind zurück aus dem Krieg! Und falls einer Lust auf Abwechslung neben den ehelichen Verpflichtungen verspürt, hätte ich noch etwas im Angebot: Anyone for Tennis?

Montag, 25. Juni 2012

Nein! Doch! Ohh!

Ralf Fischer / Junge Welt


Wäre das Viertelfinale Frankreich–Spanien ein Vorabendkrimi gewesen, dann ein ganz fieser. Gift im Frühstückstee, ein Messer im Rücken, ein hinterhältiger Anschlag, ausgeführt von Verwandten, zumindest guten Bekannten. Eine fein verwobene Familienfehde mit viel bösem Blut im Spiel. Wer das Opfer war? Franck Ribery! Die Täter? Alle seine Mitspieler mit Ausnahme des Torhüters Hugo Lloris. Der hielt Ribery den Rücken frei, aber das genügte nicht bei neun mordlüsternden Mitspielern und elf mitleidlos das Debakel begleitenden Spaniern.

Ribery kam, sah und siegte nicht, erlebt wieder nur ein grandioses Desaster. Zum vierten mal in dieser Saison. Er ackerte, dribbelte, lief sich fest. Seine Mitspieler wollten nur bedingt gewinnen, während er es um jeden Preis wollte. Für sein Land, seinen Gemütszustand, die französischen Fans zu Hause. Im Stadion waren kaum welche. Dafür war die Ordnungsmacht anwesend. In Form eines modernen Luis de Funes. »Nein! Doch! Ohh!« Michel Platini, UEFA-Chef und letzter Anführer des Widerstand gegen die Einführung von Torkameras, stand dem Auftritt seiner französischen Landsleute besonders neutral gegenüber. Das spielte Spanien wohl ebenfalls in die Karten.

Ausgestattet mit Trikots, auf denen im Zentrum des Escudo (Wappenschild) nicht das Wappen des spanischen Königshauses abgebildet ist, sondern das der französischen Bourbonen, gaukelten die Spanier den Franzosen vor, sie seien ungefährlich. Was bis zu einem gewissen Grad auch stimmte. Das spanische Kleinkunstfestival war uninspiriert. Es ließ nicht halb so staunen wie in den Jahren zuvor. Spanien hat bisher keine überragende Leistung gebracht. Das überzeugt einleuchtenderweise fast alle davon, daß es wieder Europameister wird. Scheißegal! Dafür hat Frankreich den Blues und mit Franck Ribery einen neuen, traurigen Helden.

Donnerstag, 21. Juni 2012

In Rooney we trust!

Wembley again: Das Skandalspiel am Ende der Gruppe D

Ralf Fischer / Junge Welt


Nach zuvor 23 Spielen in Folge ohne Niederlage unter Trainer Laurent Blanc ist die französische Nationalmannschaft sehr hart auf dem Boden der Realität gelandet. Während die Schweden befreit von allem unnötigen Druck in ihrem letzten Gruppenspiel bewiesen, daß es spielerisch und kämpferisch zu weit mehr als dem frühzeitigen Vorrunden-Aus gereicht hätte, wurden die Franzosen zum Außenseiter im kommenden Viertelfinale degradiert. Letztlich rettete ausgerechnet ein Engländer den Franzosen den Einzug ins Viertelfinale. Wayne Rooneys Führungstor gegen die Ukraine war schließlich der Türöffner zum Weiterkommen in die erste Runde der K.o.-Phase. Doch auch im Sport gilt: Die Rache folgte auf dem Fuße. Im Viertelfinale müssen die Franzosen gegen den amtierenden Europameister aus Spanien ran. Das haben sich die Franzosen mit ihrem uninspirierenden Auftritt redlich verdient.

Die Schweden dagegen konnten sich mit erhobenem Haupt aus dem Turnier verabschieden. Zum Weiterkommen reichte es in der starken Gruppe D einfach nicht. Dazu fehlte das notwendige Quentchen Glück. Die ukrainische Mannschaft kann ebenfalls ein Lied davon singen. Ein gar trauriges. In den letzten 20 Jahren hat die Nationalmannschaft in Donezk noch nie ein Spiel gewonnen. Es liegt ein Fluch auf der Stadt. Die Zuschauer in der Ost­ukraine sind immer noch große Fans der russischen Nationalmannschaft. Trotzdem mußte die Ukraine zweimal in der Vorrunde in der Donbass-Arena antreten. Den Oligarchen sei gedankt!

Aber auch die Schiedsrichter haben ihr Scherflein dazu beigetragen, daß Andrej Schewtschenko nach der Vorrunde die internationale Bühne für immer verläßt. Als in der 62. Minute der englische Verteidiger John Terry einen Schuß von Marko Devic weggrätschte, war der Ball längst hinter der Torlinie, der Torrichter jedoch tat so, als ob er nichts gesehen hätte. »Sie haben uns ein Tor gestohlen. Der Ball war einen Meter hinter der Linie«, schimpfte der ukrainische Trainer Oleg Blochin nach dem Spiel in Richtung der Unparteiischen. Einem Journalisten bot er in der Pressekonferenz eine handfestere Art der Auseinandersetzung an. Dank der Vermittlung eines UEFA-Offiziellen fand dieses Match dann doch nicht mehr statt. Was für ein Glück für Blochin. Die Fortsetzung des Spieles mit unfairen Mitteln wird durch die UEFA derzeit hart geahndet.

Bei den Engländern herrscht verhaltene Freude. Taktisch auf Konter lauernd, haben sie ihre letzte Aufgabe routiniert abgespult und müssen nun gegen die Italiener im Viertelfinale antreten. Doch die »Three Lions« sind vorgewarnt: Falls sie ins Halbfinale vorstoßen, treffen sie womöglich auf die deutsche Nationalmannschaft. Von einem Angstgegner wollte man im englischen Lager nicht sprechen, aber der Respekt ist sehr groß. Der englische Coach, Roy Hodgson, setzt deshalb für die kommenden Aufgaben alles auf seine britische Bulldogge: »Wenn man zurückschaut und zum Beispiel Pele nimmt – er war in der Lage, seinen allerbesten Fußball zu zeigen, wenn es wirklich darauf ankam, Brasilien beim Gewinn der Weltmeistertitel zu helfen. Laßt uns hoffen, daß Wayne Roo­ney dies auch für uns tun kann.« Kurz zusammengefaßt: In Rooney we trust!

Montag, 18. Juni 2012

Mit Euros gegen die Krise

Regen und Gebiet: Der Spieltag in Gruppe D

Ralf Fischer / Junge Welt

Es ist, wie es ist. Wenn ein sympathischer Außenseiter zum Höhenflug ansetzt, hagelt es Hindernisse aus allen Ecken und von allen Seiten. Manchmal reicht auch schon ein kleines Gewitter. So erlebten die Zuschauer am Freitag statt einem ukrainischen Sturm im Donezbecken, wie eine routinierte französische Mannschaft sich drei Punkte sicherte und damit die aufkeimenden Hoffnungen des Gastgebers gnadenlos pulverisierte. Die Franzosen, die nun mit vier Punkten und der besten Tordifferenz in der Gruppe den Einzug ins Viertelfinale beinahe sicher in der Tasche haben, brauchen in ihrem letzten Spiel gegen die demoralisierten Schweden nur noch einen Punkt zu holen um sicher in das Viertelfinale einzuziehen.

Die Schweden sorgten bisher nur für Schlagzeilen jenseits des Spielfeldes, auf dem Spielfeld vermieden sie es – wie es sich für einen höflichen Gast gebietet –, den anderen Teams den Spaß am Turnier frühzeitig zu verderben. Brav spielten sie immer mit, schossen sogar das eine oder andere Mal das Führungstor, um die Spannung hochzuhalten, um dann am Ende aber jedes Mal mit einem Tor Unterschied zu verlieren. Und das sogar gegen den erklärten Lieblingsgegner aus England. Eine Niederlage mit beinahe historischen Dimensionen: In den letzten 43 Jahren gelang es den »Three Lions« nur ein einziges Mal, die Skandinavier zu besiegen.

Aber selbst in dieser Situation muß man sich um die Stimmung bei den Schweden keinerlei Sorgen machen. Deren neckische Trainingsspielchen, wonach derjenige Spieler, der beim Ballhochhalten als Erster patzt, bei heruntergelassener Hose von den Mitspielern die Bälle auf den Allerwertesten geschossen bekommt, hat sogar schon Menschenrechtsorganisationen auf den Plan gerufen. Der schwedische Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt ließ sich ebenfalls dazu hinreißen, öffentlich einen moralischen Rüffel über diese Art der »Erniedrigung« auszusprechen.

Dabei wäre es doch eher einmal angebracht zu überprüfen, ob da in der Gruppe D alles mit rechten Dingen zugeht. Im Spiel gegen England lagen die Schweden zwischenzeitlich mit 2:1 vorne, um sich dann beinahe artistisch von den Babyboomern im englischen Sturm noch die Butter vom Brot nehmen zu lassen. Gegen die Ukraine lag man mit 1:0 vorne, bis der Veteran Schewtschenko zweimal innerhalb von zehn Minuten von seinem Rentnerdasein auf dem Platz abließ. Es bleibt ein schaler Beigeschmack: Möglicherweise wetten ja die schwedischen Spielerfrauen im Auftrag ihrer männlichen Goldfüßchen auf den Sieg der gegnerischen Mannschaft mit einem Tor Unterschied. Das bringt viel Schotter, aber wohl nicht annähernd soviel Geld wie für die Spieler der Ukraine, deren Verband allein für den ersten Sieg eine halbe Million Euro Prämien an die Mannschaft auszahlte. Im Falle des Turniersiegs bekommen sie sogar über zehn Millionen Euro.

Im letzten Gruppenspiel treffen nun die ukrainischen Gastgeber auf die mit der fiesesten Visage Englands, Wayne Rooney, verstärkten Three Lions. Vielleicht hätten die Engländer sich das Geld für die Zeremonie zum 60jährigen Jubiläum der Queen sparen sollen, um statt dessen die Prämien etwas aufzustocken. Denn mal ehrlich, was erlebt man eher: daß England Europameister wird oder daß die Queen noch zehn Jahre durchhält?

Mittwoch, 13. Juni 2012

Das Orakel von Kiew

Rund um den 16er und Überfälle des Veteranen: Auftakt in der EM-Gruppe D

Ralf Fischer / Junge Welt

Fußballexperten sind moderne Wahrsager. Ein Blick in die Zukunft gelingt ihnen selten, dafür schüren sie kräftig Vorurteile. Bis es in Gruppe D am Montag losging, galt Frankreich als Geheimfavorit, England allenfalls als Außenseiter und die Gastgeber aus der Ukraine wurden von beinahe jedem Experten zu Punktelieferanten degradiert: zu alt die Mannschaft, zu schlecht der Ersatz vom Ersatz vom Ersatz im Tor und der alte Fuchs im Sturm viel zu lahm für das hohe Niveau. Pustekuchen!

Mit überfallartigen Kontern überrannten die Ukrainer die traumdösigen Schweden, die sich nicht in der Lage sahen, zu fünft einen Stürmer in den Griff zu bekommen. Zugegeben, es handelte sich nicht um irgendeinen Stürmer, sondern um den Veteranen Andrij Schewtschenko. Als Spieler des Tages sorgte er mit zwei Toren dafür, daß für die Gastgeber weiterhin alles möglich ist. Mit etwas Glück und der fulminanten Unterstützung des Publikums sollte das Team von Oleg Blochin ins Viertelfinale einziehen.

Für die Schweden ist dieser Zug abgefahren. Aber auch die Engländer müssen sich so ihre Sorgen machen. Im nächsten Spiel gegen die Skandinavier muß eine überzeugendere Leistung her. Mit der Taktik ihres Auftaktspiels gegen Frankreich, immer-rund-um-den-16er, läßt sich das sichere Paßspiel üben, aber kein Tor erzielen – es sei denn, man hat wie der Gegner einen Samir Nasri im Team. Sein Tor rettete den Bleues von Le Blanc einen Punkt und die Ehre. Zum Gruppenfavoriten waren sie ja auch nur aus der Not heraus gestempelt worden. Die Engländer galten den Wahrsagern mit ihren Verletzten und Gesperrten dagegen als Fallobst. Sie haben zwar den Fußball erfunden, aber das ist sehr lange her. Das Spielgerät wog noch mehr als zwei Kilo, und veritable Kneipenschläger wie Steven Gerrard befanden sich bei diesen Sauf- und Raufwettbewerben völlig auf der Höhe der Zeit.

Aber natürlich gibt es auch Vorurteile mit was dran. Etwa so, wie die Queen die letzten 60 Jahren auf einer Arschbacke abgesessen hat, als wären es zwei Ferienwochen in Ascot, wird England ins Viertelfinale stolpern. Mit künstlichen Haaren auf dem Kopf von Wayne Rooney und dem einen oder anderen gegnerischen Eigentor. In diesem Sinne: God save the Queen!

Mittwoch, 18. April 2012

Die Klasse gehalten

Abstieg verhindert, Zukunft ungewiß: Dynamo Dresden Chaosklub

Ralf Fischer / Junge Welt


Am Anfang der Zweitligasaison sollte der Trainer von Dynamo Dresden, Ralf Loose, einen Wunsch frei haben und entschied sich für: »Dynamo kann schon am 33. Spieltag für die zweite Liga planen.« Sein Wunsch ist am Montag abend vorzeitig in Erfüllung gegangen. 2:1 gewann Dynamo vor 26367 Zuschauern gegen die favorisierte Düsseldorfer Fortuna, die im Saisonverlauf lange wie ein sicherer Aufsteiger aussah. Damit spielen die »Unaufsteigbaren« von Greuther Fürth in der nächsten Saison so gut wie sicher in der ersten Liga (»Laßt mir ein Bier übrig«, kommentierte Fürth-Trainer Mike Büskens das Ergebnis).

Dynamo trennen drei Spieltage vor Saisonende 13 Punkte vom Relegations­platz. Das Team hat mit dem Abstieg nichts mehr zu tun. Am Montag trat es von Beginn an robuster auf und feierte nach sieben Minuten das zwölfte Saisontor des slowenischen Nationalstürmers Zlatko Dedic, dessen Sturmkollege Mickael Pote in der 70. Minute zum Endstand traf (für den zwischenzeitlichen Ausgleich hatte kurz vor der Pause Thomas Bröker gesorgt). Sportlich lief es in dieser Saison für die Schwarz-Gelben also unerwartet gut. Das Tagesgeschäft abseits des grünen Rasens aber macht wie gewohnt Probleme.

Nur 18 Akteure haben einen Vertrag für die nächste Saison unterzeichnet. Drei Stammspieler sind ausgeliehen und werden wohl nicht an der Elbe bleiben, darunter Sturmstar Dedic (VfL Bochum). Das ewige Talent Maik Kegel, einer der wenigen Dresdner im Team, wechselt ablösefrei zum Chemnitzer FC. Gekrönt wird das Chaos von der Tatsache, das ein Nachfolger des am 1. Februar zurückgetretenen Geschäftsführers Volker Oppitz bis heute noch nicht gefunden wurde.

Statt erste Neuzugänge für die kommende Saison vorzustellen, mußten Ralf Loose und Sportdirektor Steffen Menze in den vergangenen Wochen harte Überzeugungsarbeit leisten, um Stammkräfte längerfristig an den Verein zu binden. Bei den Linksverteidigern Filip Trojan und Sebastian Schuppan hatten sie Erfolg. Nachwuchstalent Toni Leistner bleibt auch. Die ausgeliehenen Abwehrkräfte Muhamed Subasic (Olimpik Sarajevo) und Vujadin Savic (Girondins Bordeaux) werden wohl zu ihren Vereinen zurückkehren, auch wenn Sportdirektor Menze das noch zu verhindern sucht.

Loose umriß den Stand der Planung gegenüber der Dresdner Morgenpost: »Wir müssen uns in fast allen Mannschaftsteilen verstärken. Außerdem werden uns definitiv einige Spieler verlassen, und mit anderen wollen wir nicht weiter zusammen arbeiten.« Dazu gehören neben den ausgeliehenen Marvin Knoll (Hertha BSC) und Clemens Walch (1. FC Kaiserslautern) aller Voraussicht nach die Innenverteidiger Martin Stoll und Jens Möckel, Pokalheld Alexander Schnetzler, Mittelfeldspieler Sascha Pfeffer sowie die vom Verletztungspech verfolgten Marcel Heller und Dennis Eilhof.

Um das Amt des Geschäftsführers bemühten sich zuletzt Exfußballer Thomas Eichin und Anfang April der ehemalige Finanzchef der Deutschen Fußball-Liga (DFL) Christian Müller. Seitdem herrscht Funkstille. Der Aufsichtsrat sagt nur, daß er nichts sagt. Wie zur Ablenkung wurde der frühere Dresdner Bundesligaspieler Ralf Hauptmann als Leiter einer mobilen »Dynamo Dresden Fußballschule« vorgestellt. Die will das Image des Vereins an der Basis pflegen. Ein solches Vorhaben stünde den Verantwortlichen allgemein gut zu Gesicht.

Montag, 16. April 2012

Musik zur Unzeit

Anmerkungen zu Kraftklub

Ralf Fischer / Junge Welt

Wenn das bundesdeutsche Feuilleton im allgemeinen Gleichklang eine musikalische Neuheit aus dem Osten der Republik als das nächste große Ding in der Popwelt andient, dann ist Vorsicht geboten. Man erinnere sich nur an die düsteren Ex-DDR-Punker die sich mit ihrem rollendem R weltweit als »Neue Deutsche Härte« hervor taten, oder an jene verlorenen Jugendlichen aus den übrig gebliebenen Ruinen von Magdeburg oder Bautzen, denen es gelang, mit dem eigenen emotionalen Ausverkauf im Fernsehen und der Teenie-Presse es halbwegs zu Ruhm zu bringen. Rammstein, Tokio Hotel und Silbermond – und schon hat man den kulturellen Selbstmord der letzten Jahre östlich der Elbe klar vor Augen.

Die Hervorhebung, jemand stamme aus dem Osten, war im bundesdeutschen Feuilleton immer schon verbunden mit einer unheimlichen Art der Mitleidsbekundung. Erst recht nach dem Mauerfall. So wie man ab und zu entzückt über die sogenannte Weltmusik endlose Artikel verfaßte, so waren die Emos aus Bautzen oder Magdeburg und die Böhsen Onkelz aus Ostberlin eine willkommene exotische Abwechslung. Doch wehe, es tauchten Musiker aus dem Osten auf, denen man nicht gleich ansah, daß sie der Zone entsprungen waren!

Die Band Kraftklub aus Karl-Marx-Stadt, ehemals Chemnitz, hat genau das geschafft. Ihr Debütalbum »Mit K« (Vertigo/Universal) provozierte vielerlei Vorwürfe, die bei Lichte betrachtet kaum nachvollziehbar sind. Musikalisch gesehen trifft hier gut produzierter Britpop mit dem Besten von Mando Diao auf intelligenten Deutschrap. Ob nun der Abgesang auf das neue Berlin (»Meine Brille ist nicht Vintage, verdammt, die ist Retro!«) oder die Kritik am Tablettentick, um renitente Jugendliche ruhig zu stellen – die fünfköpfige Band macht die von ihnen beschriebenen alltäglichen Probleme der Gegenwart wenigstens tanzbar, ohne gleich die Faust in der Tasche ballen zu müssen.

Für Kai Müller ist es gerade diese larmoyante Haltung der Band, die ihm das Vergnügen an ihr gänzlich vergällt. Im Tagesspiegel beklagte er sich über einen bizarren Minderwertigkeitskomplex, der so gar nicht zum sonstigem Auftreten von Kraftklub passen würde. Müller strickt Kraftklubs ironische Brechung der eigenen Ohnmacht und die daraus resultierende Überhöhung des eigenen unbedeutenden Lebens ganz simpel zu einem Minderwertigkeitskomplex. Dabei ist Kraftklub im besten Sinne vielfältig interpretierbar – und damit jenseits der Eindeutigkeit und Einfältigkeit von Tokio Hotel und Rammstein. Man kann jeden ihrer Texte als lustiges Ironieding begreifen, aber auch jedes Wort auf die Goldwaage legen, beides ist möglich. Die Songs lassen sich ebenso in der westdeutschen Indie-Disko wie auch Banane essend im Trabant in einem abgelegenen Ostkaff hören.

Und es ist eben nicht das Dilemma der Band, »sich vorlaut und unabhängig geben zu wollen, aber nicht genug Mumm zu haben, das Leben in der Provinz als gloriose Alternative zu feiern«, wie Müller schreibt. Nein, es ist das endlose Dilemma der Provinz, niemals glorios zu sein, während die wenigen urbanen Festungen in Deutschland von den Provinzlern gestürmt werden. Kraftklub will nicht in die Provinz Berlin umziehen, feiert Karl-Marx-Stadt, obwohl es voll mit Nazis, Rentnern und Hools ist, und macht Atzenmusik mit Gitarren. Das ist nichts für die Feuilletons. Das ist viel zu verwirrend.

Montag, 12. März 2012

From Dusk till Dawn in Kreuzberg

Der Kollege Bittermann hat schon wieder ein Buch geschrieben

Ralf Fischer / Junge Welt

Wann hat in Kreuzberg das letzte Mal ein Supermarkt gebrannt? Wieso haben die Menschen hier Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol? Und weshalb zerschlagen sich alle Versuche, eine erfolgreiche Karriere als Staatsfeind zu zelebrieren, schon nach wenigen Jahren? Viele Fragen auf die es – wenn überhaupt – nur eine Antwort gibt. Die ehemalige Perle Westberlins ist zum Inbegriff des neuen Berlins geworden. Kreuzberg ist längst weit mehr als nur eine Bezeichnung für einen Ort, es ist eine Philosophie und leider zu oft auch eine Ideologie. Ob-arm-aber-sexy-Kleinbürger, moslemische Migranten, linksalternative Wagenburgler oder der 08/15 Zugezogenen-Schick, in Kreuzberg findet Berlin zu sich. In Kreuzberg wird aus einer uninspirierten Ansammlung beschaulicher Kleinstädte überhaupt erst die Großstadt Berlin.

Zunehmender Verfall begünstigte vor 30 Jahren einst den Zuzug kreativer Menschen mit recht gewöhnungsbedürftigen Dialekten. Mit dieser neuen Berliner Welle kam auch ein Verleger namens Klaus Bittermann in die Stadt. Was sich später auszahlen sollte, jedenfalls für Berlin. Denn dieser Bittermann bringt seine Beobachtungen des ganz normalen Wahnsinns rund um seine neue Behausung regelmäßig auf Papier und läßt es vervielfältigen. Dabei treffen dann skurrile Erlebnisse in thailändischen Restaurants auf banale Erzählungen über den Raubbau an menschlichen Ressourcen in deutschen Großstädten. Oder der gute Mann erzählt, wie ihm ein türkischer Goldring von einem Kapuzenträger aus dem Schlafzimmer im Parterre geklaut wird.

Das hat man alles vielleicht schon einmal gelesen. Mal hier in der jungen Welt, mal bei den Freunden und Feinden von der taz. Doch erst die gesammelten Beobachtungen geben in ihrer Fülle einen Überblick über den Stand der Gentrifizierung im Kreuzberger Graefekiez und drumherum. Denn während im Prenzlauer Berg das Ringen um die Vormacht längst zugunsten der Latte-Macchiato-Mütter entschieden ist, läuft es in SO 36 auf ein vorläufiges Unentschieden hinaus. Die verrücktesten Sonderlinge, Landstreicher, renitente Alkoholiker sowie die unterschiedlichsten Straßenmusikervereinigungen treiben hier weiterhin ihr Unwesen. Gentrifizierung bedeutet für sie mehr Publikum, neue Chancen und noch mehr Möglichkeiten, mit den eigenen Wahnvorstellungen dem bürgerlichen Wahnsinn etwas entgegenzusetzen.

Und der steckt im Detail, weiß Bittermann zu berichten. »A Canadian pizzeria is very typical«, heißt es hier; Freunde frittierter Froschschenkel echauffieren sich über Pelzimitate, 16jährige Punks tragen auf dem 1.-Mai-Ritual ein »Mile High Club«-T-Shirt, und der dröge öde Ströbele hält die Grabrede für den lebenslustigen Kunzelmann, das ist die berühmte Kreuzberger Mischung.

Ulrike Meinhof trifft auf Uschi Obermaier auf dem Weg zum Festsaal. Es strömen die Touristen, Schwaben und Altberliner aneinander vorbei, als wäre es eine einstudierte Choreographie. Bittermann beschreibt in seinem Buch »Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol« dieses für Deutschland einmalige Aufeinandertreffen von wahrlich gegensätzlichen Kulturen. Im Gegensatz zum Rest von Berlin ist Kreuzberg wohl immer eine Reise wert.
Klaus Bittermann: Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol - Kreuzberger Szenen. Edition Tiamat, Berlin 2011, 192 Seiten, 14 Euro

Mittwoch, 8. Februar 2012

Einer geht, zwei bleiben

Bei Dynamo Dresden werden die Vereinslegenden nicht alt

Ralf Fischer / Junge Welt

Letzte Woche gab Dynamo Dresden bekannt, daß Volker Oppitz als Geschäftsführer »auf eigenen Wunsch« zurückgetreten war. Oppitz hatte den Job seit Juni 2010, nachdem er für Dynamo über 200 Spiele bestritten hatte. Dann bekam der Liebling der Fans statt eines neuen Spielervertrags, die Position des Geschäftsführers angeboten. Dieser Sprung ins kalte Wasser machte ihm gesundheitlich zu schaffen. Wegen körperlicher Erschöpfung mußte Oppitz im vergangenen Jahr eine mehrwöchige Ruhepause einlegen. Laut Dynamo-Präsident Andreas Ritter ist der Rücktritt Oppitz’ persönliche Angelegenheit. Dieser hätte ihm gesagt, »daß er sich für seine Familie und seine drei Kinder schützen will, um nicht wieder in so eine Situation zu kommen, in der er Anfang 2011 war.« erzählte Ritter der Dresdner Morgenpost. Anders als Oppitiz haben Sportdirektor Steffen Menze und Trainer Ralf Loose ihre zum Saisonende auslaufenden Verträge jeweils um zwei Jahre verlängert.

Allgemein betrachtet tut sich Dynamo mit seinen Vereinslegenden eher schwer. Anfang der 90er Jahre betraf es Klaus Sammer und Ralf Minge. Als Trainer waren sie in Dresden wenig gelitten und wanderten recht schnell dorthin ab, wo man professioneller arbeitete: zum DFB, bzw. zu Bayer Leverkusen. Als Trainer hatte Eduard Geyer seine erfolgreichste Zeit bei Energie Cottbus, und Hans-Jürgen Kreische arbeitet derzeit für den reichen Emporkömmling aus Leipzig. Über den Rauswurf von Matthias Mauksch hüllt sich nur deshalb der Mantel des Schweigens, weil sein Nachfolger Ralf Loose überraschenderweise Dynamo zum Aufstieg führte.

Harmonisch ging es auch unter Oppitz nicht zu. Der Geschäftsführer und Aufsichtsratschef Thomas Bohn waren selten einer Meinung. Als es im letzten Jahr um den Nachfolger von Trainer Mauksch ging, setzte sich Oppitz vehement für den derzeitigen Trainer Ralf Loose ein, während Bohn ganz andere Kandidaten präferierte. Die Frage des externen Sponsorenpools entzweite die beiden ebenfalls. Während Bohn als Sponsor im Pool vorneweg mitschwamm, bastelte Oppitz gemeinsam mit dem Sportchef Steffen Menze und Trainer Ralf Loose eine Mannschaft zusammen, die ohne zusätzliche Sponsorengelder für den Verein bezahlbar war. Geteilter Meinung war man auch über die nächsten Ziele. Während der Sanierer Oppitz den Verein langfristig in der 2. Liga halten wollte, strebt der Unternehmer Bohn so schnell wie möglich in den Aufstieg in die Bundesliga an.

Dabei war unter der Führung von Oppitz im wirtschaftlichen Bereich endlich eine Trendwende bei Dynamo eingeleitet worden. Das vergangene Geschäftsjahr konnte der Verein seit langer Zeit erstmals wieder mit einem Gewinn abschließen. Der Abschied von Oppitz könnte gleichzeitig auch der Abschied von dieser neuen Bescheidenheit bedeuten.

Dienstag, 7. Februar 2012

Wo liegt Chorassan?

Islamrapper wegen Volksverhetzung angeklagt

Ralf Fischer / Junge Welt

Die Staatsanwaltschaft Berlin hat ein Ermittlungsverfahren gegen Denis C., der heute unter dem Namen Abu Maleeq sowie Abu Talha Al-Almani bekannt ist, wegen Volksverhetzung eingeleitet, wie das TV-Magazin »Report aus Mainz« am 24. Januar berichtete. Der ehemalige Berliner Gangstarapper wird für Videos verantwortlich gemacht, in denen zu sehen ist, wie er mit islamischen Liedern, so genannten Nasheeds, im Internet unter anderem Osama bin Laden verherrlicht und zum Dschihad gegen die Ungläubigen aufruft.

Eine interessante Wandlung: Früher war Denis C. als Rapper unter dem Namen Deso Dogg bekannt. Nachdem er sich offen zur Salafistenszene bekannte, zog er sich aus dem Musikgeschäft zurück und nannte sich Abu Maleeq. Seit neuestem tritt er in der Öffentlichkeit unter dem Namen Abu Talha Al-Almani auf. Diesen Namen trug zuvor der Bonner Islamist Bekkay Harrach, der vor drei Jahren in das Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan in den »Heiligen Krieg« gezogen war und dort ums Leben kam.

Abu Maleeq aka Abu Talha Al-Almani singt dann solche Sachen wie: »Wandert aus, wandert aus! Usbekistan, Afghanistan, wir kämpfen in Chorassan!« Als Chorassan wird eine historische Region in Zentralasien im Gebiet der heutigen Staaten Iran, Afghanistan, Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan bezeichnet. In einem der auf Youtube hochgeladenen Videos huldigt Denis C. Osama bin Laden als den »schönsten Märtyrer dieser Welt«. Indirekt soll der ehemalige Kreuzberger auch eine Rolle im Prozeß gegen Arid U., dem Attentäter vom Frankfurter Flughafen, spielen. Vor seinem Angriff auf US-amerikanische Soldaten im März 2011 hatte Arid U. im Internet seine Sympathie für den Neu-Salafisten bekundet.

Desweiteren hat die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften nun wegen mehrerer älterer Videos ein Indizierungsverfahren eingeleitet.

Montag, 23. Januar 2012

Dotcom offline

Filesharing-Seite »Megaupload« gesperrt, Kim Schmitz verhaftet

Von Ralf Fischer / Junge Welt

Vor einem Monat trällerten ihr noch Prominente wie Kanye West, Alicia Keys, Chris Brown oder Snoop Dogg ein Liedchen, nun ist sie offline. Die Internetseite Megaupload wurde auf Veranlassung der US-amerikanischen Bundeskriminalpolizei FBI vom Netz genommen. Sieben Verdächtige wurden angeklagt, darunter auch mindestens drei deutsche Staatsbürger. Die US-Behörden werfen den Betreibern von Megaupload massive Urheberrechtsverletzungen vor.

In den Augen der Musik- und der Filmindustrie war die Internetplattform der ultimative Hort des Bösen. Der Vorwurf, die Filesharing-Seite sei selbst in die illegale Verbreitung von Raubkopien involviert, stand schon länger im Raum. Nun hat das FBI die Festnahme von drei Deutschen und eines Niederländers in Neuseeland veranlaßt. Bei der Durchsuchung des Anwesens der Betreiber von Mega­upload fanden die Beamten Wertgegenstände und Geld im Wert von über drei Millionen Euro. Außerdem fanden sie einen Rolls Royce Phantom sowie mehrere Gemälde. Kim Dotcom, früher bekannt unter dem Namen Kim Schmitz, versuchte sich, der Verhaftung zu entziehen.

Der Gründer von Megaupload ist in Deutschland kein Unbekannter. Der 37jährige mit deutscher und finnischer Staatsbürgerschaft galt in den 90er Jahren als Internetikone. In Jugendjahren fing er als Raubkopierer an, arbeitete sich hoch bis zum landesweit bekannten Hacker, um dann spektakulär die Seiten zu wechseln und als Sicherheitsberater für bekannte Firmen zu arbeiten. Sein eigenes Sicherheitsunternehmen DataProtect verkaufte er zu 80 Prozent an den TÜV Rheinland, kurz bevor es pleite ging. Auch seine Auftritte in der Boulevardpresse waren immer etwas Besonderes. Der schwergewichtige Mann ließ sich vor großen Limousinen mit schönen Frauen ablichten, und natürlich dürfen die Prominenten nicht fehlen.

Mal behauptete er, während des Golfkriegs in die Militärcomputer des US-Verteidigungsministeriums eingebrochen zu sein. Dann wurde berichtet, er habe das Kreditlimit von Helmut Bundeskanzler Kohl mit einem Hackerangriff auf null gesetzt. Es war immer eine gewisse Portion Wahnsinn im Spiel. So bot er ebenfalls eine Zehn-Millionen-Dollar-Belohnung nach den Anschlägen vom 11. September 2001 für Hinweise an, die zur Ergreifung von Osama bin Laden führen. Kurz darauf ließ er das Gerücht in Umlauf bringen, daß er der maroden Firma letsbuyit.com mit 50 Millionen Euro unter die Arme greifen will. Als sich diese Nachricht verbreitete, sorgte das für die erhofften Kursanstiege an der Frankfurter Börse. Schmitz verkaufte seine Anteile für eine Rekordsumme. Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen wegen Insidergeschäften auf.

Nun wurde er auf dem Anwesen in Neuseeland verhaftet. Laut Polizei hatte Schmitz, als er die Beamten erblickte, versucht sich in einen speziell gesicherten Raum im Inneren seines Hauses zu verstecken. Erst habe er »eine Reihe elektronischer Schließsysteme betätigt« und dann versucht, sich in dem Raum zu verbarrikadieren. Mit Schneidwerkzeugen bahnten sich die Polizeibeamten den Weg. »Im Raum fanden sie Mr. Dotcom in der Nähe einer Waffe, die aussah wie eine abgesägte Flinte.« Ihm und seinen Partnern drohen in den USA wegen Austauschs von Raubkopien bis zu 20 Jahre Haft.

Mittwoch, 18. Januar 2012

Sommerloch in Winterpause

Dynamo Dresden fordert 270000 Euro von seinen Exgeschäftsführern Maas, Minge und Hendel

Von Ralf Fischer / Junge Welt

Es waren nur drei kleine Briefe, die pünktlich zum Silvesterfest zugestellt wurden und eine große Lawine in Gang setzten. Der Aufsichtsrat von Dynamo Dresden ließ den früheren Geschäftsführern des Vereins Ralf Minge, Bernd Maas und Markus Hendel einen Mahnbescheid in der Höhe von 270000 Euro zukommen. Daraufhin wandten diese sich an die Presse. »Ohne Rücksicht auf Idole! Minge: Existenz-Angst wegen Dynamo« titelte die Dresdner Morgenpost. »Ich habe nächtelang nicht geschlafen. So eine Summe ist existenziell, könnte für mich sogar den Ruin bedeuten. Meine Kinder haben mich schon besorgt gefragt, ob wir jetzt aus dem Haus rausmüssen«, wurde der 51jährige zitiert.

In der Saison 2007/08 bildeten Minge, Hendel und Maas das Geschäftsführertrio bei Dynamo Dresden. Der Verein schaffte damals die Qualifikation für die neugegründete 3. Liga und zahlte deshalb die ausgelobte Aufstiegsprämie in Höhe von 270000 Euro an die Spieler aus. Nun hat aber eine von der Mitgliederversammlung beauftragte Kommission festgestellt, daß die Qualifikation für die neue Spielklasse kein Aufstieg im eigentlichen Sinn war. Ob die Auszahlung deshalb rechtens war, prüfen deshalb nun die Juristen. Falls sie zu dem Schluß kommen, daß die Qualifikation für die 3. Liga keinen Aufstieg darstellte, dann könnten die damaligen Verantwortlichen wie Minge zur Kasse gebeten werden. Nach Ansicht von Minge ist dies »einfach nur Wortklauberei«, denn für ihn steht fest, daß ohne die Qualifikation für die neue 3. Liga eine Insolvenz unausweichlich gewesen wäre.

Während sich Aufsichtsratschef Thomas Bohn für die Art und Weise des Vorgehens des Vereins entschuldigt, sägte der aktuelle Geschäftsführer Volker Oppitz ein weiteres Idol bei Dynamo ab. Der Teammanager und Aufstiegsheld von 2004, René Beuchel, wurde Anfang Januar von seinen Aufgaben entbunden. Ob der Vertrag des 38jährigen aufgelöst wird, oder er an anderer Stelle für den Verein arbeiten soll, ist noch unklar. Geschäftsführer Oppitz möchte sich derzeit »zu Personalfragen öffentlich nicht äußern«.

Der Aufsichtsrat dagegen hat eine Personalie geklärt. Wie die Dresdener Neuesten Nachrichten berichten, soll der zum Saisonende auslaufende Vertrag mit Oppitz verlängert werden. Mit ihm werden wohl auch Trainer Ralf Loose und Sportchef Steffen Menze ihre Verträge verlängern.

Freitag, 13. Januar 2012

Kleine, kleine Großstadt

Macchiato-Mütter und anderes Gefahrengut: Berlin-Prenzlauer Berg ist überall – Anja Maier hat ein Buch darüber geschrieben

Ralf Fischer / Junge Welt

Jedes Jahr zwischen Weihnachten und Silvester ist der Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg ein Naherholungsgebiet. Überall findet man Parkplätze, die Fußwege sind so leer wie die Geschäfte. Aus den sonst rappelvollen Cafés und Kneipen kommt kein Lärm. Es ist ein schönes Gefühl für die Eingeborenen.

Zwar schlendern einige Touristen durch den Kiez, aber man erkennt deutlich, daß sie nicht zu den Massen gehören, die hier sonst so traumwandlerisch durch die Straßen schlürfen, dabei eingehüllt in wetterfeste, atmungsaktive 4-Schicht-GoreTex-Massaker. Diese Leute befinden sich zu dieser Zeit entweder im Skiurlaub oder im Schoß der Kleinstadtfamilien, aus dem sie einst nach Berlin aufbrachen – manchmal fällt auch beides zusammen. Und wenn sie wieder da sind, dann erscheint einem Berlin als eine Ansammlung vieler Kleinstädte, im Prenzlauer Berg beherrscht von »Edeleltern« aus gutem Hause, ersichtlich an den Latte-Macchiato-Müttern mit ihren »Bestimmerkindern«. So zumindest beschreibt Anja Maier die aktuelle Situation in ihrem Buch »Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter«.

Nachdem die 1965 in Ostberlin geborene taz-Redakteurin vor Jahren aus dem Prenzlauer Berg ins Umland nach Brandenburg gezogen ist, wo sie am Ende eine verkehrsberuhigten Straße wohnt, kann sie sich der trügerischen Idylle von damals wie eine Forschungsreisende nähern. Was sie vorfindet, ist eine zivilisatorische Katastrophe: eine Ansammlung langweiliger Menschen, die aber genug Geld haben, um eine Eigentumswohnung zu kaufen. Überall wuseln Eltern herum, die ihren Nachwuchs zum sinnstiftenden Projekt erklärt haben. Ein Kind gilt als Statussymbol, etwa wenn Mütter mit ihren Tausend-Euro-Kinderwagen die Fußwege entlangpflügen und die Cafés schon am frühen Nachmittag zum Bersten bringen.

Von Mama wie Papa wird den Kindern die Poleposition im Alltag eingeräumt, weil sonst im Leben nichts Spitze ist. Das Kind soll nicht nur irgendwelche Wünschträume erfüllen, nein, es soll auch die Wunden der als zumindest ausbaufähig empfundenen eigenen Kindheit heilen helfen. Gefüttert mit Biojoghurt auf einer Original-Lammwolldecke und indischem Gesang im Hintergrund.

Anja Maier beschreibt diesen Zustand locker-leicht, aber auch mit der nötigen analytischen Schärfe. Ihre Einblicke erschrecken sogar jene, die immer noch im Prenzlauer Berg wohnen, obwohl sie längst nicht mehr in diesen Kiez passen. Seit über zehn Jahren verändert sich die Gegend von der Amüsiermeile hin zu einer beschaulichen konservativen Kleinstadt mit Kinderüberhang. Erst kürzlich schloß ein weiterer Club im Kiez, da es die neuen Nachbarn mitten in der Stadt lieber etwas ruhiger mögen. Die Schizophrenie, in einen Stadtteil, der dafür berühmt ist, daß man in ihm lange ausgehen kann, ziehen zu wollen, um dann dort seine Ruhe zu verlangen, ist schon hinlänglich beschrieben worden. Aber all die anderen Verrücktheiten, die das mit sich bringt, hat Maier in ihren 44 Kapiteln beeindruckend zusammengefaßt. Doch bei näherer Überlegung fällt auf, daß diese Sitten und Gebräuche nicht nur im Prenzlauer Berg üblich sind. Eigentlich ist es beinahe überall dasselbe, ob nun im Hamburger Schanzenviertel, im Münchner Glockenviertel, in Dresden-Neustadt oder eben im Prenzlauer Berg. Es wächst eine neue Generation heran, die ihre Eltern fest im Griff hat und für die stets gilt: Me first. »Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter« ist ein Sittengemälde unserer Zeit. Darin hat Maier auch oppositionelle Stimmen eingearbeitet, um völlig dem Kulturpessimismus zu verfallen. Wie zum Beispiel die großartige Kaffeehauschefin, die sich im Buch ausführlich über die beschissene Gesamtsituation aufregt: »In vier Jahren läuft hier mein Pachtvertrag aus. Kann sein, ich muß gehen, weil dieser Hamburger Heini von Vermieter ’ne Hebammenpraxis reinsetzen will. Kann aber auch sein, ich bleibe. Und wissen Sie, was ich dann mache? Dann mach ich hier ’n Pornoladen auf, mit allem Drum und Dran.«
Anja Maier: Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter. Von Edeleltern und ihren Bestimmerkindern. Bastei-Lübbe, Köln 2011, 256 Seiten, 8,99 Euro

Der nächste Schritt

Dagegen, daß im Fußball fast alles nur noch Geschäft ist: In Berlin beginnt morgen der »Fan-Kongreß 2012«

Von Ralf Fischer / Junge Welt

Für deutsche Fußballfans war das Jahr 2011 eine besondere Herausforderung. Beinahe wöchentlich flimmerten Berichte von Ausschreitungen über die Mattscheiben, meist gepaart mit populistischen Forderungen nach härteren Gesetzen und mehr Repression. Solche Berichte prägen das Bild der Fans in der öffentlichen Wahrnehmung. Positiv wird höchstens einmal das brave Klatschpublikum erwähnt; in Abgrenzung zu den bösen Ultras. Besonders deutlich wird das, wenn es um Pyrotechnik geht. Mit einer lapidaren Pressemitteilung erklärte der DFB im Herbst die Diskussion um Pyrotechnik für beendet. Dem war ein längerer Dialog mit Befürwortern vorausgegangen, die die Kampagne »Pyrotechnik legalisieren – Emotionen respektieren« aufgelegt hatten und größtenteils aus der Ultraszene stammen. Der einseitige Abbruch des Dialogs ließ diese Fans resignieren. In den Stadien wurde wieder mehr Pyrotechnik eingesetzt. DFB und DFL demonstrieren in der Öffentlichkeit weiterhin selbstbewußt ihren Unwillen, das Thema überhaupt nur zu diskutieren. Wieder einmal wurde deutlich, daß die Fans nicht als Gesprächspartner auf Augenhöhe akzeptiert werden.

Am Wochenende veranstalten verschiedene Faninitiativen den »Fan-Kongreß 2012« im Berliner Kosmos, einem ehemaligen Kino.

Fußballfans haben auch andere Sorgen als die Pyrotechnik. Anstoßzeiten werden den Interessen der Vermarkter von Fernsehrechten unterworfen, Vereine zu Marken beziehungsweise Konzernen umdefiniert, der Datenschutz wird tagtäglich mit Füßen getreten. Beachtet man allein die Idee personalisierter Tickets, scheint sicher: In der Zukunft wird es kaum besser.

Aufgeben wollen die organisierten Fußballfans trotzdem nicht. Mit einer Mischung aus Verzweiflung und dem Trotz eines kleines Kindes, das sich sein Spielzeug nicht wegnehmen lassen will, pochen sie auf ihr Recht, wenigstens etwas Einfluß auf ihren Sport zu nehmen, der längst fast nur noch Geschäft ist. Vereinsfunktionäre, Wissenschaftler und Vertreter von Fanorganisationen wollen auf dem Kongreß alle strittigen Themen diskutieren. »Es ist an der Zeit, den nächsten Schritt zu gehen«, erklären die Organisatoren. »Wir sind bereit zu diskutieren, zu analysieren, zu reflektieren und Konzepte zu entwickeln.« Fraglich bleibt, ob sich die zu entwickelnden Konzepte nicht genau darin erschöpfen, daß man für etwas mehr Mitsprache jeden nonkonformistischen Anspruch sausen läßt.

Ab Samstag 9 Uhr im »Kosmos«, Karl-Marx-Allee 131a in Berlin; www.fankongress-2012.de