Samstag, 17. Dezember 2011

Kartoffelsorte Eminem

Biographien überschwemmen den Buchmarkt, zum Beispiel die eines Rappers aus Südberlin

Ralf Fischer / Junge Welt

In den Chefetagen der Unterhaltungsindustrie gewinnt der Buchmarkt seit einigen Jahren wieder an Bedeutung. Nicht, weil die Kunden gerne mehr Wissen generieren würden, sondern weil man Bücher nur schlecht kopieren kann. Auch neuere Tablet-Computer verleiten den Endverbraucher nocht nicht gerade zum Raubkopieren sogenannter eBooks. Und so nimmt es kaum Wunder, daß jeder dahergelaufene C-Promi spätestens mit Ende 20 einen Lebensrückblick zwischen Buchdeckeln vorlegen muß. Am besten vor Weihnachten. An diesen Termin hielt sich in diesem Jahr etwa das Management des Berliner Rappers Fler aka Patrick Losensky. Zwei, die seine Geschichte aufzuschreiben imstande schienen, wurden rechtzeitig beauftragt. Es waren die Bravo-Redakteure Julia Kautz und Sascha Wernicke.

Spätestens seit Eminems Biopic »8 mile« träumt jeder Rapper von einer gefühlvollen Verfilmung seines Aufstiegs. Die Welt soll endlich den armen Jungen ins Herz schließen, der sie mit musikalischen Haßtiraden beglückt. Auch das Buch über Fler, »Im Bus ganz hinten«, ist als Drama für die ganze Familie konzipiert. Wie Eminem in »8 ­mile« sitzt Fler im Bus ganz hinten, allein, rappt seine ersten Parts vor sich hin und schaut mit Dackelblick aus dem Fenster. So will er Sozialarbeiter und Pädagogen für sich einnehmen, vor allem aber den durchschnittlichen Bravo-Leser, der gelangweilt im Jugendzimmer einen Sinn für »Unterschichtenphänomene« hat, die sich durch die bitterböse Welt da draußen boxen müssen.

Nach seinem US-amerikanischen Vorbild wird Fler als sozial deklassiertes Ghetto-Kind präsentiert, das den Sprung zum Rapstar geschafft hat. Als urbanem Outlaw gebricht es dem Berliner an Überzeugungskraft, weil dummerweise alle schon die wahrlich kranken Storys aus Amerika kennen, in denen es um mehr geht als ein schlechtes Elternhaus und Kurzaufenthalte in der Psychiatrie. Zugegeben, im Leben ist einem vieles versaut, wenn der Vater ein aggressiver Alkoholiker ist und die Mutter sich keinen Pfifferling um einen schert. Die für Fler daraus folgenden Aufenthalte in der Psychiatrie und später einsetzenden Depressionen sind keinem Menschen zu wünschen. Aber interessante Lektüre garantiert das nicht.

Böser Bube, guter Sex, so wird Fler vermarktet. Das gefällt Jungs, die sich als harte Männer in der bürgerlichen Geschlechterhölle halluzinieren, und Mädchen, die auf Dauer von Soap-Boys à la Justin Bieber gelangweilt sind und Abwechslung suchen.

Dummerweise ist Fler aber im Gegensatz zum deutschen Medienschwarm Bushido eine langweilige Kartoffel. Wie will man mit dieser Vita über 250 Seiten füllen? Der fehlende Exotenbonus wird durch einen sympathischen Chaotenbonus ersetzt, was hier und da im Buch wirklich gut funktioniert. Doch im Deutschrap ist dieser Platz längst besetzt, da steht der gute Fler schnell mit dem völlig bekloppten Sido in Konkurrenz. Und auch hier hat der Gute keine Chance. Dazu zelebriert er sich viel zu ernst, zu deutsch.

So bescheuert Flers Versuch sein mag, sich mit einer Erzählung aus seiner verkorksten Jugend zum deutschen Eminem aufzuschwingen – je näher Weihnachten rückt, desto höher steigen die Verkaufszahlen. Völlig überforderte Eltern halten jedes Buch für was Gutes und wollen mit coolen Geschenken Abbitte leisten. Fler kassiert. Mit dem Buch chartete ein gleichnamiges Album – sein letztes, wie der Südberliner mehrfach erklärt hat. Dieses Versprechen scheint etwas gewagt. Vielleicht versucht er erst einmal, die Bravo-Redaktion zu meiden und kein weiteres Buch zu schreiben.
Fler: Im Bus ganz hinten - Eine deutsche Geschichte. Riva Verlag, Berlin 2011, 272 Seiten, 19,99 Euro

Samstag, 10. Dezember 2011

Kalkulierter Tabubruch

Kein Raum für Kollegah

Ralf Fischer / Junge Welt

Kollegah ist mit dem »Zuhälterrap« seines Albums »Bossaura« unterwegs, das vor einigen Wochen kurz in den deutschen Charts war. Am Mittwoch will der selbsternannte »Boß der Bosse« in Bremen auftreten, zwei Tage später in Bielefeld. Weil seine Sprechgesänge homophob und sexistisch sind, gibt es Proteste. In Bremen fordern DGB-Jugend, Landesgleichstellungsstelle und ein Mädchenkulturhaus die Betreiber des Klubs Modernes zur Absage der »zutiefst menschenverachtenden« Veranstaltung auf. In Bielefeld wird das JZ Kamp zur Absage gedrängt, und zwar von der Autonomen Antifa und den Asten (Allgemeine Studierendenausschüsse) der Uni und FH.

Vorgeworfen werden Kollegah, der bürgerlich Felix An­toine Blume heißt, Zeilen wie: »Ey, du Schwuchtel, wachst nachts auf mit steifem Schwanz, nach einem Traum von einem Mann. Es ist der homophobe King im Biz, der Modedrogen an Gesindel tickt.«

Beide Veranstalter lehnen Absagen kategorisch ab. Cayan Cankatli vom JZ Kamp sagte der Neuen Westfälischen Zeitung: »Kollegah polarisiert, überschreitet Grenzen, bricht Tabus durch Provokation. Aber das ist die Lebenswirklichkeit der Jugendlichen, die hierher kommen.« Außerdem texteten viele, gerade auch alternative Bands, ebenso gewaltverherrlichend und sexistisch. »Aber die sagen es nicht so direkt oder auf englisch.«

Die Bielefelder Antifaschisten antworteten mit einem Hinweis auf eine kürzlich veröffentlichte Selbstverpflichtung des JZ Kamp, keinerlei Ausgrenzung zu praktizieren, »außer homophoben, sexistischen, rassistischen und gewaltverherrlichenden Tendenzen gegenüber« – daran solle sich die Einrichtung messen lassen.

Im Zuge der Debatte wurde das Kulturprogramm in Bielefelder Jugendeinrichtungen streng geprüft. Die Beamten stießen auf einen Auftritt der Rapformation Trailerpark am 9. Dezember im Jugendclub Falendom – und untersagten ihn. Den Jugendwächtern sei aufgefallen, daß in den »Videos Dildos und Drogen gezeigt werden«, so Basti von Trailerpark. Kollege Timi Hendrix sieht keinerlei rechtliche Grundlage für das Konzertverbot der Gruppe, da deren »Werke ganz eindeutig satirisch einzuordnen sind und einen humoristischen Kontext aufweisen«. Bisher läge auch noch keine Indizierung oder anderweitige Einschränkung durch die FSK vor. Dies scheint die zuständigen Behörden nicht weiter zu interessieren.

Der Soziologe Martin Seeliger hat derweil in der taz zu einem gelasseneren Umgang mit Deutschrap aufgerufen. Vieles sei kalkulierter Tabubruch. »Jugendliche sind medienkompetenter, als man denkt. Die glauben nicht, daß Kollegah auch vergewaltigt, nur weil er davon rappt.«