Mittwoch, 17. August 2011

Tiger trifft Ochse

Irgendwie um die Ecke: Ein Bielefelder Exmaoist erzählt vom Alltag aus China

Ralf Fischer / Junge Welt

Christian Y. Schmidt hat in seinem Leben Glück gehabt. Der ehemalige Maoist aus Bielefeld ist im Gegensatz zu vielen seiner früheren Genossen weder für die Nazis im Gefängnis wie Horst Mahler noch wie Bernd Ziesemer in der Chef­etage des Handelsblatts gelandet. Ganz im Gegenteil, der Exredakteur der Satirezeitschrift Titanic lebt seit 2005 in China, dem Heimatland des Maoismus. Von dort berichtet er zweiwöchentlich für die taz über den Alltag in einem Land, das sich gerade aufmacht, die Welt neu zu ordnen.

Auch in China kann man von einem taz-Honorar nicht wirklich überleben, also müssen für Schmidt weitere Veröffentlichungen her, unter anderem Bücher über seine alltäglichen Beobachtungen in China. Dabei fällt er völlig aus dem von hiesigen Medien vorgegebenen Rahmen. Denen ist es egal, ob es sich um Uiguren, Tibeter oder Wanderarbeiter handelt, wichtig ist nur, daß sie gegen die chinesische Regierung rebellieren. Darüber wird dann genüßlich berichtet. Oder es wird über die Wirtschaftsmacht China gestaunt, es geht dann um Lohnstückzahlen, die chinesische Exportquote und nur ganz am Rande etwas über Menschenrechte in Rotchina, wie man früher sagte. Eine solche Form der Berichterstattung macht aus China für deutsche Leser ein surreales Projekt – man hat keine Ahnung, wie man sich diesen Staat vorstellen soll.

Hier helfen die Reportagen, die Schmidt in seinem neuen Buch »Im Jahr des Tigerochsen« versammelt hat. Bei der Lektüre entwickelt man das Gefühl, das einem Chinas Probleme sehr bekannt vorkommen, auch wenn sie für einen Europäer etwas überdimensioniert wirken. »Wir müssen den Fragen des Alltagslebens der Volksmassen eindringlich unsere Aufmerksamkeit widmen, angefangen von den Fragen des Grund und Bodens und Fragen der Arbeit bis zu solchen Fragen wie Brennmaterial, Reis, Speiseöl und Salz«, hatte schon Mao einst in seinem kleinen Büchlein gefordert. Letztlich dreht es sich immer um Politik, im großen wie im kleinen. In einer Anekdote beschreibt Schmidt, wie sich zum Beispiel der werte Herr Seehofer zum Horst machte, als er sich als »China-Asylant« präsentierte. Zugegeben, es ist nur ein Übersetzungsfehler im Internet. Aber was würde man dafür geben, den blöden Bayern bei Maos Erben endzulagern.

Was auf den ersten Blick eher nichtig erscheint, wie zum Beispiel die Geschichten über den wegen Gruppensexpartys verurteilten Professor aus Nanjing oder über das Verhalten der Chinesen am Strand, fügt sich am Ende zu einem Bild von einem Land zusammen, daß eigentlich auch gleich um die Ecke liegen könnte. Auch was all die bekannten Probleme, zum Beispiel die Frage nach Demokratie und Menschenrechten, angeht. »Druckt die Fotos der erschlagenen Han-Chinesen« fordert Schmidt im Zusammenhang mit den uigurischen Unruhen von der deutschen Presse. Während diese von chinesischen Aggressionen in Urumqi fabuliert, erklärt der Autor anhand vieler Beweise den tatsächlichen Ablauf dieses Pogroms an Han-Chinesen. So etwas kann man sonst nur den internationalen Medien entnehmen.

Und überhaupt! Wie war das eigentlich noch damals beim Risorgimento (Vollendung der Einheit Italiens) vor 150 Jahren? Der Vatikan verlor all seine weltliche Macht an den neuen italienischen Staat, aber das Christentum ging damit nicht unter. Die Tibeter sollten sich daran endlich ein Beispiel nehmen und ihre Scharade um Unabhängigkeit beenden.

Christian Y Schmidt: Im Jahr des Tigerochsen – Zwei chinesische Jahre. Verbrecher Verlag, Berlin 2011, 192 Seiten, 13,00 Euro