Montag, 27. Juni 2011

Kommandos im Zirkuszelt

Den »Urlaub fürs Gehirn« können sich KIZ nicht leisten

Ralf Fischer / Junge Welt

Der Patient war eigentlich schon längst klinisch tot, als vor sechs Jahren völlig unverhofft die Kannibalen in Zivil (KIZ) aus dem Royalbunker auftauchten. Deutschrap taumelte damals autistisch zwischen den Extremen hin und her: Entweder wurden alle Mütter, außer die eigene, gefickt oder man mobilisierte die Gymnasiasten, sich endlich hip zu fühlen und sich gleichzeitig für die deutsche Fußballnationalmannschaft zu begeistern. Dann veränderte die KIZ-Offensive die bundesdeutsche Rapkultur grundlegend – zum Positiven. Es durfte wieder gelacht werden. War es bis dato den Ghetto- und Gymnasiastenrappern vorbehalten, die eigene Klientel in ihrem ureigenen Wahn zu bestätigen, kamen nun erstaunlich selbstkritische und ironische Texte und Töne aus Westberlin.

Seit einigen Tagen liegt nun die neue Platte »Urlaubs fürs Gehirn« von Nico, Tarek, Maxim und DJ Craft vor. Die Marketingabteilung von KIZ preist das Werk als einen klugen Kommentar in einer völlig verrückten Welt. Das mit der Welt stimmt schon, aber…

Auf ihrem ersten Album »Das Rapdeutschland Kettensägenmassaker« sowie dem nachfolgenden Mixtape »Böhse Enkelz« schafften KIZ das Kunststück, mit verbalen Tiefschlägen den Durchschnitts-HipHop als sexistisch-entfremdete Angelegenheit zu verarzten und gleichzeitig künstlerisch-poetisch voll auf der Höhe der Zeit zu sein – zwischen Trash und genialem Witz. Doch der Vorrat an diesen musikalischen und inhaltlichen Schmuckstücken ist nun wohl aufgebraucht. Auf dem aktuellen Album verstecken sich die wenigen Perlen zwischen einem Wust aus Schwanzlängenvergleichen, Abschlachtfantasien und Verbalinjurien. Der Unterschied zu Bushido schwindet jedenfalls zunehmend.

Es ist zu offensichtlich, daß es bei all den Punchlines unter der Gürtellinie um Provokation geht. Was natürlich schwer geworden ist, in Zeiten, in denen jeder analfixierte Rapper Anschläge ankündigt wie die Taliban in Afghanistan. Derartige Vorlagen von den Rapkollegen ironisch zu brechen, das wäre eine Aufgabe für einen dringend zu kreierenden HipHop-Homunculus.

Auf diese Strafarbeit haben KIZ verzichtet. Statt dessen wurde in Marketing gemacht. Die Kandidatur von Maxim und Nico zur nächsten Wahl in Kreuzberg-Friedrichshain für »Die Partei« ist dabei ein ebenso gelungener Gag wie der Promostunt, eine stark veränderte Version des Albums einige Tage vor der eigentlichen Veröffentlichung kostenlos zum Filesharing feilzubieten. Beats die nach MusicMaker2000 klingen, Verse von den Fantastischen Vier rezitieren und Skits, die an die frühen Mixtapes erinnern, daß sind unbestritten alles gute Ideen, retten aber die eigentliche Platte nicht.

Die besten Einfälle wurden eben nicht in die Reime oder Beats, sondern in die Marketingaktionen gesteckt. Auch wenn aktuell Thilo Sarrazin verarscht wird (»Doitschland schafft sich ab«), geht es insgesamt um die schwer erkiffte, große künstlerische Langsamkeit, wie in dem Lied »Koksen ist scheiße« postuliert. KIZ haben sich die Latte dermaßen hoch gelegt, daß sie es jetzt nur noch selten schaffen, drüber zu springen. Gleichzeitig ersetzt eine krasse Selbstdarstellung die Selbstironie, und so landet man in einem Zirkus, in dem ständig Kommandos gebrüllt werden. Die Refrains sind zum Mitgrölen wie auf Ballermannpartys konzipiert, das kennt man sonst auch von den Atzen.

Doch ab einem gewissen Pegel verschwimmt die Erinnerung an die alten Lieder und der Beat treibt einen zum wilden Herumhampeln. Ein Konzertbesuch wird sich also bestimmt lohnen. Aber was soll man machen, KIZ hatte das eigenen Scheitern schon von Anfang eingeplant. »Hier kann man nicht kiffen wie in Amerika!«


KIZ: »Urlaub fürs Gehirn« (Vertigo)

Donnerstag, 23. Juni 2011

Abstieg in Berlin-Liga

Bye, bye Tennis Borussia

Ralf Fischer / Junge Welt

Am Ende war es ein Eigentor, das den Abstieg von Tennis Borussia Berlin aus der Oberliga besiegelte. Wie so oft in der Geschichte von TeBe waren die Probleme hausgemacht, erstmals in der 109jährigen Geschichte muß der Verein nun in der Berlin-Liga den Rasen beackern. Der Absturz aus der vierten in die sechste Liga innerhalb von zwei Spielzeiten ist der Tiefpunkt einer über zehnjährigen Pannenserie. Ein Dramatiker hätte diesen Punkt kaum besser setzen können.

Von der Hoffnung beseelt, es doch noch irgendwie zu schaffen, strömten am Pfingstsonntag knapp über 1000 zahlende Zuschauer ins Stadion im Jahn-Sportpark. Das Erreichen der Relegation war ein Wunder, das sich in der Stadt herumgesprochen hatte. Als Abstiegskandidat Nummer eins in die Saison gestartet, war es den Charlottenburgern im Verlauf gelungen, die Füchse aus Reinickendorf und den Ludwigsfelder FC hinter sich zu lassen. Doch dann kam es zur verflixten 99. Minute in der Verlängerung und dem Eigentor von Mateusz Trachimowicz. Die TeBe-Führung von Beyazit Taflan aus der 69. Minute war futsch/egalisiert. Der Traum, den Abstieg zu verhindern, war ausgeträumt, da der Gegner Borea Dresden im Relegationshinspiel mit 1:0 als Sieger vom Platz gegangen war. Am Ende gewannen die Sachsen auch noch das Rückspiel mit 2:1.

Helden treten normalerweise mit einem lauten Knall ab, TeBe hat sich beinahe geräuschlos über Jahre hinweg selbst demontiert. Meistens blieben nur die Skandale in Erinnerung. Ende der 90er Jahre stieg man noch in die zweite Liga auf und schlug den verhaßten Lokalrivalen Hertha BSC im DFB-Pokal, von da an ging es nur noch bergab. 2000 erhielten die Charlottenburger wegen Hauptsponsor Göttinger Gruppe keine Lizenz für den Profifußball, 2001 stiegen sie als Tabellenletzter aus der Regionalliga ab, dümpelten in der Oberliga Nordost herum, lebten nun gänzlich vom alten Mythos.

Ein letzter Versuch, semiprofessionellen Fußball anzubieten, scheiterte vor zwei Jahren phänomenal.

Freitag, 10. Juni 2011

Und David war ein Dresdner

Besonderer Schwung: Ein Rückblick auf die Saison der Dynamofans

Ralf Fischer / Junge Welt

Die Fans der SG Dynamo Dresden sind ein verdammt komisches Völkchen. Jede noch so kurze Niederlagenserie läßt sie völlig verzweifeln und die Vereinsführung verteufeln, zwei Siege hintereinander, und die Verrückten aus dem Elbflorenz träumen vom Europapokal. Das war auch in der vergangenen Saison nicht anders.

Daß man für seinen Verein lebt, ist bei Dynamo keine Floskel. Man starb mit dem Verein, als er aus der ersten in die dritte, dann sogar in die vierte Liga abstieg. Von Leben konnte Ende der 90er Jahre kaum noch die Rede sein.

Die Saison 2010/11 fing wie alle in den letzten Jahren an. Nach vier Punkten aus vier Spielen stand Dynamo in der dritten Liga auf Tabellenplatz elf. Auch die Stimmung war im Keller. Doch dann verstärkte Trainer Matthias Mauksch die »Gurkentruppe« mit zwei Himmelsstürmern, Christian Fiél und Alexander Esswein. Beide hatten Erstligaerfahrung. Beim Anhang keimten Aufstiegshoffnungen. Hätte, wäre, könnte – das sind seit beinahe zwei Jahrzehnten seine Lieblingswörter. Denn ein achtmaliger DDR-Meister gehört freilich in die höchste Spielklasse.

Diese Anspruchshaltung ließ den Verein oft genug auf die falschen Pferde setzen. Nach exzessiver Mißwirtschaft steht er notorisch vor der Insolvenz. Das ändert nichts an den Ansprüchen, im Gegenteil: Je schlechter es dem Verein geht, um so höher fliegen die Träume. Und, oh Wunder, in der Hinrunde wurden sie sportlich nicht enttäuscht. Dynamo spielte, wenn auch etwas abgeschlagen, noch um den Aufstieg mit. Die Stimmung war entsprechend gut, nur bei Maik Wagefeld und seinen zahlreichen Anhängern nicht. Nachdem der Mittefeldmotor und ehemalige Kapitän sich unverhofft in der zweiten Mannschaft wiederfand, kam das Gerücht auf, er hätte mit der Frau des Trainers ein Verhältnis.

Als Mauksch dann noch den dritten Himmelsstürmer, Dani Schahin, präsentierte, waren die meisten Fans im Geiste schon aufgestiegen. Es kam zunächst ganz anders. Schahin mußte mit einem Muskelbündelriß sechs Wochen pausieren und Mauksch nach einer Niederlagenserie seinen Hut nehmen, aus dem er Schahin gerade erst gezaubert hatte. Die Fans verstanden die Welt nicht mehr. Mauksch war zwar nicht besonders beliebt, aber er galt als harter Hund und hatte erstklassige Spieler an die Elbe geholt. Sein Nachfolger war keineswegs zu beneiden.

Die Geschäftsführung um Volker Oppitz stellte der verblüfften Öffentlichkeit den bis dahin kaum bekannten Ralf Loose als 25. Dynamo-Trainer seit der Wende vor und war fortan mit der Besänftigung von Fanprotesten beschäftigt. »Niete oder Volltreffer als neuer Trainer«, titelte Bild. Loose schaffte das Wunder von der Elbe. Er stellte den jungen Heißsporn Benjamin Kirsten zwischen die Pfosten, stärkte der Mannschaft psychologisch den Rücken, und am Ende landete man überraschend noch auf dem Relegationsplatz.

Was dann geschah, ist Geschichte. Großväter werden ihren Enkeln wohl noch in Jahrzehnten davon berichten, wie der blöde, arrogante Goliath endlich mal wieder vom grundsympathischen David besiegt wurde. Und diesmal war David sogar ein Dresdner. Der Freude hielt auch das Stadion des VfL Osnabrück nicht stand.

Himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt – zwischen diesen Extremen wird der Dynamofan weiter pendeln. Mußte er Anfang des Jahres noch fürchten, schon bald von sächsischen Lokalrivalen überrundet zu werden, ist er nun in der ersten ostdeutschen Liga. Wen interessiert es da schon, daß in dieser Liga auch ein paar schnöde Westvereine mitspielen dürfen und sie offiziell als zweite Liga daherkommt …