Donnerstag, 18. Dezember 2008

Mit Stau rechnen

Deutschrap, der keiner mehr sein will: die neuen Platten von Deichkind und Prinz Pi

Ralf Fischer / Junge Welt

Es gibt heutzutage – wo Musik virtuell der Mehrwert entzogen wird – nur noch drei Möglichkeiten, als Deutschrapper seinen Unterhalt zu verdienen. Entweder man verdingt sich als Ghostwriter und Backup-Rapper für die beiden Rolemodels der deutschen Rapszene, Bushido und Sido. Oder man mutiert vom offiziellen Antifarapper mittels medialer Unterstützung von Stefan Raab zum populären Schlagerstar, wie es derzeit Clueso vormacht. Dritte Variante: Man produziert in urbanen Hinterhöfen chinesische Fabrikmusik, dekoriert sie mit Scooter-inspirierten Parolen und kann so wenigstens noch live das nötige Kleingeld zum Überleben einspielen – genau dafür haben sich die Deichkinder aus Hamburg und der Berliner Prinz Pi mit seinem Produzenten Biztram mehr oder weniger erfolgreich entschieden.

Ob kollektive Bierdusche oder neongrüne Kamikaze-Affen-Tanz-­Attacken als wild-randalierende Live-Acts, beide haben auf ihre Art bisher in jedem Club unschlagbare Partyqualitäten bewiesen. Derzeit sind beide eifrig damit beschäftigt, ihre neuen Platten dem geneigten Publikum anzudienen. Doch nicht wenige alte Fans sind über die neuesten Produkte ihrer Lieblinge nicht begeistert. Beide huldigem dem viel beschworenen Electro-Hype. Was unter anderem der Tatsache geschuldet ist, daß es in der Rapszene bisher kaum jemandem gelang, einen deutschsprachigen Refrain zu rappen, ohne sich dabei komplett lächerlich zu machen. Für Soulanleihen fehlen zu oft Stimmen, die einen Ton treffen, für alles andere eine Ahnung von Musik jenseits der Alpengrenzen oder des Atlantiks. Umso einfacher gestaltet sich der Ersatzsport, alte Kraftwerk-Platten in irgendwelchen Second-Hand-Läden aufzufinden und als musikalische Wichsvorlage zu mißbrauchen.

Anders bei Deichkind, denen es nicht erst bei ihrem neuen Album »Arbeit nervt« gelungen ist, Scooter solange durch die Mangel zu drehen, bis dies auch für geistig zurechnungsfähige Erwachsene hör- und tanzbar wurde. »Arbeit nervt« hat nichts mehr mit dem Gymnasiastenrap zu tun, mit dem die Hamburger vor einem Jahrzehnt angefangen haben. Ein wenig Jeans Team hier, etwas Daftpunk da, Rocko Schamoni dort, garniert mit Andreas-Dorau-kompatiblen Hymnen über eine himmlische Luftbahn im Mondschein. So hört sich keine Musik an, die allzu vielen, ja selbst alternativen, Deutschrapkonsumenten gefallen könnte. Den Distinktions-Leuten mit Geschmack hingegen schon.

»Neopunk«, Prinz Pis neues Album, fängt dagegen mit einem HipHop-Samplefeuerwerk an, daß, wie es sich im Intro gehört, perfekt arrangiert dem amerikanischen Rap huldigt. Während die Beats wie reife Nüsse im Ohr knacken, rappt der kleinbürgerliche Königssohn aus, äh, vielleicht Berlin-Spandau dazu genüßlich Reime ohne Sinn, aber mit Verstand, die noch lange im Gedächtnis ihre Runde drehen – und auffällig viele assoziative Auffahrunfälle verursachen. Für die eigene seelische Verfassung ist es eindeutig besser, den Texten von Pi allerhöchstens eine Halbwertzeit von zehn Minuten in den eigenen vier Wänden zu geben. Mit etwas Stau auf der körpereigenen Datenautobahn ist in jedem Fall zu rechnen. Aber keine Sorge: Straßenfeger wie »Affen an die Macht« oder »Wir bleiben immer anti« räumen leger das eine oder andere auf dem Album versteckte Brecheisen aus den Weg. Außerdem gibt es etwas Altmetall, (so etwas wie den Orden wider den tierischen Ernst), weil Prinz Pi den äußerst unhygienischen Frauenarzt aus seinem Schöneberger Schmuddelkeller ans Licht der verblüfften Nicht-Atzen-Öffentlichkeit gezerrt und sogar zum Rappen gebracht hat. Platin wird es dafür wohl nicht geben. Edelmetall abzusahnen bleibt vorerst Scooter vorbehalten. Prinz Pi und Deichkind haben dafür einige Songs für den Soundtrack zum prekären Lotterleben beigesteuert. Der prägnanteste Unterschied zwischen beiden besteht in der Genrebezeichnung. Sie konnten sich noch nicht auf einen gemeinsamen Namen für die neue Musikrichtung, die sie da verkaufen wollen, einigen. Während Deichkind ihren Stil, eine Mischung aus Techno und Deutschrap, konsequent als »Techrap« bezeichnen, lehnen sich Prinz Pi und Biztram mit ihrer Definition ziemlich weit aus dem verdreckten Berliner Kellerfenster. Während Punk für den altbekannten Gegen-das-System-Inhalt stehen soll, ist die Vorsilbe Neo als Hinweis auf eine neue Art Sound gedacht. Doch dieser Schuh ist eindeutig zu groß.

Die von ihrem Vertriebspartner Urban zu Cyber-Anarchisten Ausgerufenen wollen gleich mal die Avantgarde weniger links, denn radikal überholen. Dabei gibt es gar keine Avantgarde in diesem Business. Die fuhr früher in einem Wohnmobil durch die Lande, ist aber dann glücklicherweise an einem bisher unbekannten Ort abgebogen und gilt seitdem als unbekannt verreist.
Deichkind: »Arbeit nervt« (Vertigo B/Universal) * Prinz Pi: »Neopunk« (Urban/Universal)
Tour Deichkind: heute Berlin, Columbiahalle; 19.12. Leipzig, Haus Auensee; 20.12. Hamburg, Docks; 18.1. Köln, Palladium; 21.1. Passau, X-Point; 23.1. Rottweil, Kraftwerk; 26.1. München, Muffathalle; 27.1. Frankfurt, Mousonturm

Montag, 1. Dezember 2008

Länger als fünf Minuten

Cindy aus Marzahn muß keine Baumärkte und Autohäuser eröffnen

Ralf Fischer / Junge Welt

Früher, als westdeutsche Markenkonzerne wie Puma und Salamander ihre Produkte noch im Zonenrandgebiet und nicht in Indone­sien produzieren ließen, da war Comedy, das Kabarett für geistig Umnachtete, ein kaum verständlicher Anglizismus. Damals hieß Brandenburg auch noch nicht Brandenburg, war aber trotzdem sehr beschaulich. Dort träumte die Köchin Ilka Bessin davon, irgend etwas anderes zu machen, als Kartoffelbrei für die Arbeiter des VEB Wälzlagerwerks Luckenwalde.

Durch eine Verkettung unglaublicher Ereignisse wurde aus Bessin schließlich Cindy aus Marzahn, auferstanden aus der »Talentschmiede« des Quatsch Comedy Club. Gewissermaßen das ebenso weibliche wie ostdeutsche Pendant zu Mario Barth im Fernsehen.

Ganz in pink, mit extra-schlabbriger Jogginghose bewaffnet und einer zeitlos häßlichen Frisur durchlief sie mehr oder weniger alle bundesdeutschen Comedyformate. Ihr Ruhm dauert nun schon länger als die berühmten fünf Minuten. Leider ist sie in »Deutschland sucht den Superstar« nicht aufgetaucht, so daß Dieter Bohlen für sie kein neues Wort erfinden mußte. Vielleicht hätte er sie stoppen können, diese jüngere Schwester im Geiste von Fips Asmussen. Wenn die neuen Baumärkte und Autohäuser eröffnen, muß sie nicht ran – ihre Produktionsfirma Brainpool hat ihren Wirkungskreis etwas großzügiger bemessen und ist dabei womöglich auf eine Goldmine gestoßen.

Denn es mutet schon mehr als nur ironisch an, daß gerade knallbunte Neonfarben zum ästhetischen Zeichen für die eigene Nutzlosigkeit mutiert sind. Noch abstruser wird es, wenn eine Ikone der Häßlichkeit auf die Bühne geschickt wird, um Witze über ihre Körperfülle mit den allgemeinen Vorurteilen über die ostdeutsche Unterschicht zu kombinieren. Damit ist Cindy nicht nur im Westen erfolgreich. Zu Tausenden strömen die teilweise ebenfalls übergewichtigen, aber selten so schrill ausstaffierten Menschen der ostdeutschen Mittelklasse in die Shows von Cindy aus Marzahn, um sich erzählen zu lassen, was Kevin-Jason mit Jenny Lee treibt, bzw. es nicht treibt. Dabei bräuchten sie nur einmal konzentriert aus ihren Wohnzimmerfenstern zu schauen.

Ebenso wie bei dem Marzahner Rapper Joe Rilla sind in der Gestalt der Cindy sämtliche Vorurteile über den Osten zum Produkt für den Osten geronnen. Und zwar spiegelverkehrt: Hämmert Rilla seinen Zuhörern ein, daß »der Osten rollt«, verkündet Cindy unter Bergen von Polyesterkleidern die Bedeutungslosigkeit der eigenen Existenz.

Denn Cindy aus Marzahn ist eine Kunstfigur, die für die Menschen der westdeutschen Mittelklasse als Comedy durchgehen mag. Im Osten, wo die vielbejubelte Freiheit oftmals auf die Geschmacksfrage zugespitzt wird, ob man zum Jobcenter im eigenen Auto fährt oder nicht, besitzt sie viel weniger zoologischen Witz, als sie annimmt und herausposaunt. Sie verdoppelt bloß die Oberfläche, fügt nichts Neues hinzu, sondern fällt sozusagen hinter die Realität zurück, in der man die Cindys in den Fußgängerzonen und Supermarktschlangen in Echtzeit gewahr werden kann. Da bleibt einem das Lachen im Gehirn stecken. Man bekommt eine leise Ahnung davon, was einem selbst drohen könnte, wenn man es nicht mehr rechtzeitig schafft, nach Bielefeld, oder Schwäbisch-Gmünd. Denn dort wird nicht mit der Super Illu herumgefuchtelt.

* Cindy aus Marzahn: »Schizophren: Ich wollte ’ne Prinzessin sein« (Sony/ BMG)