Montag, 17. November 2008

»Ich komme aus Marzahn«

HipHop aus der Platte. Ein Gespräch mit Joe Rilla

Ralf Fischer / Junge Welt

Der Rapper und Produzent Joe Rilla wurde im Januar 1975 als Hagen Stoll geboren und wohnt heute außerhalb Berlins

RF: War Rap ein Thema, damals in der DDR?

JR: In erster Linie lief das über das Jugendradio DT64, über André Langenfeld, der amerikanischen Rap im Radio gespielt hat. Und dann kam im Osten 1987/88 die Electric-Beat-Crew-Welle. Die haben angefangen, Rap in der DDR zu produzieren und waren mit der Breakdance-Szene eng verknüpft. Wenn die im Palast der Republik irgendwelche Jams gemacht haben, dann waren auch so Berliner Jungs wie Downtown Lyrics dabei. Und da habe ich das erste Mal etwas von der ostdeutschen HipHop-Szene mitbekommen. Daraus sind dann Freundschaften entstanden. Ich hab nachher auch angefangen, Wände zu besprühen und ein wenig zu rappen. Wir haben uns gegenseitig die Skills beigebracht.

Hast du auch gebreakt?

Nee, ich war eher der Sprüher. Sportlich war ich nicht so fit. In der Graffitiszene war ich bis 1995 aktiv und hab dann erst erkannt, daß ich aus der Illegalität raus will. Irgendwann haben mich dieses ständige Wegrennen und die Hausdurchsuchungen derart genervt, daß ich aufgehört habe. 

Drag-Q meint in einem seiner Songs, eine Jugend im Osten ist mehr als eine Jugend ohne Südfrüchte. 

Ich versteh schon, was Drag-Q damit meint, aber ist ja nicht so, daß wir keine Südfrüchte hatten – in Berlin hatten wir welche. Wir müssen bei der Wahrheit bleiben und zugeben, daß wir in Ostberlin auch Bananen und Mandarinen hatten, sämtlichen Schnickschnack...

Im Rap sah ich nie einen politischen Hintergrund, für mich war der kreative Flash ausschlaggebend. Als ich nach der Wende nach Westberlin rüber kam und die ganzen Graffitis sah, war das für mich ein übergeiler Input. Kapitalismus hat mich gar nicht interessiert, ich wollte geile Pieces sehen. Und wenn du dann welche von AMOK gesehen hast, dann war das so: Alter, was ist denn jetzt los! Ich bin da extra rübergefahren, um mir die Mauer von der anderen Seite anzugucken, und bin da hoch und runter gelatscht und habe Bilder gemacht.

Meine Eltern sind damit recht cool umgegangen, die haben mich machen lassen. Ich bin nie abgehauen von zu Hause wegen der Sprüherei, meine Mutter wußte bescheid. Sie hat gesagt, paß auf dich auf – das war mir immer im Ohr. 

Das erste Aufeinandertreffen von ostdeutschen Rappern und der Westberliner Szene Anfang der 90er Jahre in Kreuzberg war ziemlich ernüchternd. Die Party mußte von der Polizei beendet werden. Warst du damals dabei?

Nee, aber ich habe so etwas auch erlebt. Die Kreuzberger haben immer ihren Bezirk verteidigt – vor was auch immer. Aber im Endeffekt ging es immer um Berlin. Diese Zugehörigkeit war für uns Ostberliner auch cool. Ich glaube, es hat sich dann sehr schnell wieder eingerenkt. Klar haben die Westberliner erst einmal gezeigt, ey, das ist unser hier, das ist Westberlin. 

Und jetzt bist du beim Label Aggro Berlin gelandet und hast gleich Furore gemacht. Auf Youtube wurdest du als »Rapnazi« bezeichnet. Wie gehst du damit um?

Früher habe ich mich darüber noch geärgert, als mein Album zwei Monate raus war und ich mir so eine Scheiße anhören mußte. Obwohl ich auf dem Album sage, daß mich Neonazis wegen meiner »Negermusik« in den Bordstein beißen ließen. Ich habe mitbekommen, daß die Leute es gern hätten, daß ich der Nazi bin. 

Weil ich alle Klischees erfülle: weil ich aus dem Osten komme, weil ich ne Glatze habe und weil ich eine Bomberjacke anziehe. Am wichtigsten ist aber, daß ich es besser weiß, daß es natürlich nicht so ist. Wenn sich 500000 Menschen mein Video »Der Osten rollt« auf Youtube anschauen und davon 200 irgendeinen Quatsch über Rechtsradikalismus schreiben müssen, dann hat es keine Relevanz für mich. Auf meinem neuen Album »Deutsch-Rap-Hooligan« sage ich, daß ich der Rapper bin, von dem sie gerne hätten, daß er der Nazi wär. 

Aber warum ist das so?

Ich glaube nur wegen dem Äußeren. Wenn ich eine andere Visage hätte, dann wäre es vielleicht etwas anderes. Vielleicht sehe ich auch aus wie ein stumpfer Idiot, kann ja sein, ich weiß es nicht. Auf »Deutsch-Rap-Hooligan« habe ich das Männchen auf dem Cover, das das Hakenkreuz in einen Mülleimer entsorgt. Ich höre und mache Musik, die in den Ghettos von Amerika erfunden wurde. Ich kooperiere mit einem Label, das multikulturell aufgestellt ist und bin alles in allem ein toleranter Mensch, was soll also dieser Schwachsinn? Nur weil ich aus Marzahn komme? 

Gut möglich.

Aber dann haben die anderen Vorurteile und machen sie zu meinem Problem. Ich identifiziere mich mit Marzahn, so wie sich andere mit Kreuzberg identifizieren. Nur komme ich nun einmal nicht aus Kreuzberg. So einfach ist das. 

Könnte es auch daran liegen, daß viele die Subkultur der Hooligans in einen Topf mit Neonazis stecken?

Kann sein. Wenn du darüber urteilst, was ein Mensch sein könnte oder nicht, dann mußt du im Umkehrschluß auch dazu bereit sein, dich darüber zu informieren, ob das auch stimmt. Ein Hooligan hat mal zu mir gesagt: »Ey, die Leute verstehen nicht, warum wir uns die Schädel einhauen, warum wir unsere Grenzen austesten, warum wir auf der Suche nach dem ultimativen Adrenalinkick sind und warum wir unsere Männlichkeit zelebrieren. Genauso kann ich nicht verstehen, wie jemand sich zehn Stunden an den See setzt und angelt.« Ich kann es auch nicht verstehen, aber ich verurteile niemand deswegen und sage »ich hasse alle Angler«.

Von der Sache her ist der Hooliganismus eine sehr faire Angelegenheit. Jemand, der sich in diesen Kreisen bewegt, weiß, worauf er sich einläßt. Ich glaube, wenn nur ein Bruchteil der Leute, die mit Aggressionen und Frustrationen durch die Gegend laufen, mal zur dritten Halbzeit gehen würde, dann wäre denen schon geholfen.
 

Ist Hoolsein auch Sport?

Genau, es ist ein Mannschaftssport. Du könntest auch einen Riesenboxring aufstellen, sobald jemand in die Knie geht, läßt du ihn in Ruhe, das ist doch fair. 

Und danach hilft man ihm auf, und geht gemeinsam einen trinken?

So sieht’s aus! Ich rede von meiner Gegend und den Problemen die wir dort haben, das muß verstanden werden. Ich habe immer das Gefühl, daß die Rapper, die Medien und die Politiker die Intelligenz der Kids unterschätzen. Die Kids sind nicht bescheuert, die Eltern sind bescheuert, jedenfalls zum Großteil. HipHop war für mich immer ein Spielplatz. Weil ich mich da austoben kann.

Joe Rilla: »Deutsch-Rap-Hooligan« (Aggro Berlin)