Donnerstag, 18. Dezember 2008

Mit Stau rechnen

Deutschrap, der keiner mehr sein will: die neuen Platten von Deichkind und Prinz Pi

Ralf Fischer / Junge Welt

Es gibt heutzutage – wo Musik virtuell der Mehrwert entzogen wird – nur noch drei Möglichkeiten, als Deutschrapper seinen Unterhalt zu verdienen. Entweder man verdingt sich als Ghostwriter und Backup-Rapper für die beiden Rolemodels der deutschen Rapszene, Bushido und Sido. Oder man mutiert vom offiziellen Antifarapper mittels medialer Unterstützung von Stefan Raab zum populären Schlagerstar, wie es derzeit Clueso vormacht. Dritte Variante: Man produziert in urbanen Hinterhöfen chinesische Fabrikmusik, dekoriert sie mit Scooter-inspirierten Parolen und kann so wenigstens noch live das nötige Kleingeld zum Überleben einspielen – genau dafür haben sich die Deichkinder aus Hamburg und der Berliner Prinz Pi mit seinem Produzenten Biztram mehr oder weniger erfolgreich entschieden.

Ob kollektive Bierdusche oder neongrüne Kamikaze-Affen-Tanz-­Attacken als wild-randalierende Live-Acts, beide haben auf ihre Art bisher in jedem Club unschlagbare Partyqualitäten bewiesen. Derzeit sind beide eifrig damit beschäftigt, ihre neuen Platten dem geneigten Publikum anzudienen. Doch nicht wenige alte Fans sind über die neuesten Produkte ihrer Lieblinge nicht begeistert. Beide huldigem dem viel beschworenen Electro-Hype. Was unter anderem der Tatsache geschuldet ist, daß es in der Rapszene bisher kaum jemandem gelang, einen deutschsprachigen Refrain zu rappen, ohne sich dabei komplett lächerlich zu machen. Für Soulanleihen fehlen zu oft Stimmen, die einen Ton treffen, für alles andere eine Ahnung von Musik jenseits der Alpengrenzen oder des Atlantiks. Umso einfacher gestaltet sich der Ersatzsport, alte Kraftwerk-Platten in irgendwelchen Second-Hand-Läden aufzufinden und als musikalische Wichsvorlage zu mißbrauchen.

Anders bei Deichkind, denen es nicht erst bei ihrem neuen Album »Arbeit nervt« gelungen ist, Scooter solange durch die Mangel zu drehen, bis dies auch für geistig zurechnungsfähige Erwachsene hör- und tanzbar wurde. »Arbeit nervt« hat nichts mehr mit dem Gymnasiastenrap zu tun, mit dem die Hamburger vor einem Jahrzehnt angefangen haben. Ein wenig Jeans Team hier, etwas Daftpunk da, Rocko Schamoni dort, garniert mit Andreas-Dorau-kompatiblen Hymnen über eine himmlische Luftbahn im Mondschein. So hört sich keine Musik an, die allzu vielen, ja selbst alternativen, Deutschrapkonsumenten gefallen könnte. Den Distinktions-Leuten mit Geschmack hingegen schon.

»Neopunk«, Prinz Pis neues Album, fängt dagegen mit einem HipHop-Samplefeuerwerk an, daß, wie es sich im Intro gehört, perfekt arrangiert dem amerikanischen Rap huldigt. Während die Beats wie reife Nüsse im Ohr knacken, rappt der kleinbürgerliche Königssohn aus, äh, vielleicht Berlin-Spandau dazu genüßlich Reime ohne Sinn, aber mit Verstand, die noch lange im Gedächtnis ihre Runde drehen – und auffällig viele assoziative Auffahrunfälle verursachen. Für die eigene seelische Verfassung ist es eindeutig besser, den Texten von Pi allerhöchstens eine Halbwertzeit von zehn Minuten in den eigenen vier Wänden zu geben. Mit etwas Stau auf der körpereigenen Datenautobahn ist in jedem Fall zu rechnen. Aber keine Sorge: Straßenfeger wie »Affen an die Macht« oder »Wir bleiben immer anti« räumen leger das eine oder andere auf dem Album versteckte Brecheisen aus den Weg. Außerdem gibt es etwas Altmetall, (so etwas wie den Orden wider den tierischen Ernst), weil Prinz Pi den äußerst unhygienischen Frauenarzt aus seinem Schöneberger Schmuddelkeller ans Licht der verblüfften Nicht-Atzen-Öffentlichkeit gezerrt und sogar zum Rappen gebracht hat. Platin wird es dafür wohl nicht geben. Edelmetall abzusahnen bleibt vorerst Scooter vorbehalten. Prinz Pi und Deichkind haben dafür einige Songs für den Soundtrack zum prekären Lotterleben beigesteuert. Der prägnanteste Unterschied zwischen beiden besteht in der Genrebezeichnung. Sie konnten sich noch nicht auf einen gemeinsamen Namen für die neue Musikrichtung, die sie da verkaufen wollen, einigen. Während Deichkind ihren Stil, eine Mischung aus Techno und Deutschrap, konsequent als »Techrap« bezeichnen, lehnen sich Prinz Pi und Biztram mit ihrer Definition ziemlich weit aus dem verdreckten Berliner Kellerfenster. Während Punk für den altbekannten Gegen-das-System-Inhalt stehen soll, ist die Vorsilbe Neo als Hinweis auf eine neue Art Sound gedacht. Doch dieser Schuh ist eindeutig zu groß.

Die von ihrem Vertriebspartner Urban zu Cyber-Anarchisten Ausgerufenen wollen gleich mal die Avantgarde weniger links, denn radikal überholen. Dabei gibt es gar keine Avantgarde in diesem Business. Die fuhr früher in einem Wohnmobil durch die Lande, ist aber dann glücklicherweise an einem bisher unbekannten Ort abgebogen und gilt seitdem als unbekannt verreist.
Deichkind: »Arbeit nervt« (Vertigo B/Universal) * Prinz Pi: »Neopunk« (Urban/Universal)
Tour Deichkind: heute Berlin, Columbiahalle; 19.12. Leipzig, Haus Auensee; 20.12. Hamburg, Docks; 18.1. Köln, Palladium; 21.1. Passau, X-Point; 23.1. Rottweil, Kraftwerk; 26.1. München, Muffathalle; 27.1. Frankfurt, Mousonturm

Montag, 1. Dezember 2008

Länger als fünf Minuten

Cindy aus Marzahn muß keine Baumärkte und Autohäuser eröffnen

Ralf Fischer / Junge Welt

Früher, als westdeutsche Markenkonzerne wie Puma und Salamander ihre Produkte noch im Zonenrandgebiet und nicht in Indone­sien produzieren ließen, da war Comedy, das Kabarett für geistig Umnachtete, ein kaum verständlicher Anglizismus. Damals hieß Brandenburg auch noch nicht Brandenburg, war aber trotzdem sehr beschaulich. Dort träumte die Köchin Ilka Bessin davon, irgend etwas anderes zu machen, als Kartoffelbrei für die Arbeiter des VEB Wälzlagerwerks Luckenwalde.

Durch eine Verkettung unglaublicher Ereignisse wurde aus Bessin schließlich Cindy aus Marzahn, auferstanden aus der »Talentschmiede« des Quatsch Comedy Club. Gewissermaßen das ebenso weibliche wie ostdeutsche Pendant zu Mario Barth im Fernsehen.

Ganz in pink, mit extra-schlabbriger Jogginghose bewaffnet und einer zeitlos häßlichen Frisur durchlief sie mehr oder weniger alle bundesdeutschen Comedyformate. Ihr Ruhm dauert nun schon länger als die berühmten fünf Minuten. Leider ist sie in »Deutschland sucht den Superstar« nicht aufgetaucht, so daß Dieter Bohlen für sie kein neues Wort erfinden mußte. Vielleicht hätte er sie stoppen können, diese jüngere Schwester im Geiste von Fips Asmussen. Wenn die neuen Baumärkte und Autohäuser eröffnen, muß sie nicht ran – ihre Produktionsfirma Brainpool hat ihren Wirkungskreis etwas großzügiger bemessen und ist dabei womöglich auf eine Goldmine gestoßen.

Denn es mutet schon mehr als nur ironisch an, daß gerade knallbunte Neonfarben zum ästhetischen Zeichen für die eigene Nutzlosigkeit mutiert sind. Noch abstruser wird es, wenn eine Ikone der Häßlichkeit auf die Bühne geschickt wird, um Witze über ihre Körperfülle mit den allgemeinen Vorurteilen über die ostdeutsche Unterschicht zu kombinieren. Damit ist Cindy nicht nur im Westen erfolgreich. Zu Tausenden strömen die teilweise ebenfalls übergewichtigen, aber selten so schrill ausstaffierten Menschen der ostdeutschen Mittelklasse in die Shows von Cindy aus Marzahn, um sich erzählen zu lassen, was Kevin-Jason mit Jenny Lee treibt, bzw. es nicht treibt. Dabei bräuchten sie nur einmal konzentriert aus ihren Wohnzimmerfenstern zu schauen.

Ebenso wie bei dem Marzahner Rapper Joe Rilla sind in der Gestalt der Cindy sämtliche Vorurteile über den Osten zum Produkt für den Osten geronnen. Und zwar spiegelverkehrt: Hämmert Rilla seinen Zuhörern ein, daß »der Osten rollt«, verkündet Cindy unter Bergen von Polyesterkleidern die Bedeutungslosigkeit der eigenen Existenz.

Denn Cindy aus Marzahn ist eine Kunstfigur, die für die Menschen der westdeutschen Mittelklasse als Comedy durchgehen mag. Im Osten, wo die vielbejubelte Freiheit oftmals auf die Geschmacksfrage zugespitzt wird, ob man zum Jobcenter im eigenen Auto fährt oder nicht, besitzt sie viel weniger zoologischen Witz, als sie annimmt und herausposaunt. Sie verdoppelt bloß die Oberfläche, fügt nichts Neues hinzu, sondern fällt sozusagen hinter die Realität zurück, in der man die Cindys in den Fußgängerzonen und Supermarktschlangen in Echtzeit gewahr werden kann. Da bleibt einem das Lachen im Gehirn stecken. Man bekommt eine leise Ahnung davon, was einem selbst drohen könnte, wenn man es nicht mehr rechtzeitig schafft, nach Bielefeld, oder Schwäbisch-Gmünd. Denn dort wird nicht mit der Super Illu herumgefuchtelt.

* Cindy aus Marzahn: »Schizophren: Ich wollte ’ne Prinzessin sein« (Sony/ BMG)

Montag, 17. November 2008

»Ich komme aus Marzahn«

HipHop aus der Platte. Ein Gespräch mit Joe Rilla

Ralf Fischer / Junge Welt

Der Rapper und Produzent Joe Rilla wurde im Januar 1975 als Hagen Stoll geboren und wohnt heute außerhalb Berlins

RF: War Rap ein Thema, damals in der DDR?

JR: In erster Linie lief das über das Jugendradio DT64, über André Langenfeld, der amerikanischen Rap im Radio gespielt hat. Und dann kam im Osten 1987/88 die Electric-Beat-Crew-Welle. Die haben angefangen, Rap in der DDR zu produzieren und waren mit der Breakdance-Szene eng verknüpft. Wenn die im Palast der Republik irgendwelche Jams gemacht haben, dann waren auch so Berliner Jungs wie Downtown Lyrics dabei. Und da habe ich das erste Mal etwas von der ostdeutschen HipHop-Szene mitbekommen. Daraus sind dann Freundschaften entstanden. Ich hab nachher auch angefangen, Wände zu besprühen und ein wenig zu rappen. Wir haben uns gegenseitig die Skills beigebracht.

Hast du auch gebreakt?

Nee, ich war eher der Sprüher. Sportlich war ich nicht so fit. In der Graffitiszene war ich bis 1995 aktiv und hab dann erst erkannt, daß ich aus der Illegalität raus will. Irgendwann haben mich dieses ständige Wegrennen und die Hausdurchsuchungen derart genervt, daß ich aufgehört habe. 

Drag-Q meint in einem seiner Songs, eine Jugend im Osten ist mehr als eine Jugend ohne Südfrüchte. 

Ich versteh schon, was Drag-Q damit meint, aber ist ja nicht so, daß wir keine Südfrüchte hatten – in Berlin hatten wir welche. Wir müssen bei der Wahrheit bleiben und zugeben, daß wir in Ostberlin auch Bananen und Mandarinen hatten, sämtlichen Schnickschnack...

Im Rap sah ich nie einen politischen Hintergrund, für mich war der kreative Flash ausschlaggebend. Als ich nach der Wende nach Westberlin rüber kam und die ganzen Graffitis sah, war das für mich ein übergeiler Input. Kapitalismus hat mich gar nicht interessiert, ich wollte geile Pieces sehen. Und wenn du dann welche von AMOK gesehen hast, dann war das so: Alter, was ist denn jetzt los! Ich bin da extra rübergefahren, um mir die Mauer von der anderen Seite anzugucken, und bin da hoch und runter gelatscht und habe Bilder gemacht.

Meine Eltern sind damit recht cool umgegangen, die haben mich machen lassen. Ich bin nie abgehauen von zu Hause wegen der Sprüherei, meine Mutter wußte bescheid. Sie hat gesagt, paß auf dich auf – das war mir immer im Ohr. 

Das erste Aufeinandertreffen von ostdeutschen Rappern und der Westberliner Szene Anfang der 90er Jahre in Kreuzberg war ziemlich ernüchternd. Die Party mußte von der Polizei beendet werden. Warst du damals dabei?

Nee, aber ich habe so etwas auch erlebt. Die Kreuzberger haben immer ihren Bezirk verteidigt – vor was auch immer. Aber im Endeffekt ging es immer um Berlin. Diese Zugehörigkeit war für uns Ostberliner auch cool. Ich glaube, es hat sich dann sehr schnell wieder eingerenkt. Klar haben die Westberliner erst einmal gezeigt, ey, das ist unser hier, das ist Westberlin. 

Und jetzt bist du beim Label Aggro Berlin gelandet und hast gleich Furore gemacht. Auf Youtube wurdest du als »Rapnazi« bezeichnet. Wie gehst du damit um?

Früher habe ich mich darüber noch geärgert, als mein Album zwei Monate raus war und ich mir so eine Scheiße anhören mußte. Obwohl ich auf dem Album sage, daß mich Neonazis wegen meiner »Negermusik« in den Bordstein beißen ließen. Ich habe mitbekommen, daß die Leute es gern hätten, daß ich der Nazi bin. 

Weil ich alle Klischees erfülle: weil ich aus dem Osten komme, weil ich ne Glatze habe und weil ich eine Bomberjacke anziehe. Am wichtigsten ist aber, daß ich es besser weiß, daß es natürlich nicht so ist. Wenn sich 500000 Menschen mein Video »Der Osten rollt« auf Youtube anschauen und davon 200 irgendeinen Quatsch über Rechtsradikalismus schreiben müssen, dann hat es keine Relevanz für mich. Auf meinem neuen Album »Deutsch-Rap-Hooligan« sage ich, daß ich der Rapper bin, von dem sie gerne hätten, daß er der Nazi wär. 

Aber warum ist das so?

Ich glaube nur wegen dem Äußeren. Wenn ich eine andere Visage hätte, dann wäre es vielleicht etwas anderes. Vielleicht sehe ich auch aus wie ein stumpfer Idiot, kann ja sein, ich weiß es nicht. Auf »Deutsch-Rap-Hooligan« habe ich das Männchen auf dem Cover, das das Hakenkreuz in einen Mülleimer entsorgt. Ich höre und mache Musik, die in den Ghettos von Amerika erfunden wurde. Ich kooperiere mit einem Label, das multikulturell aufgestellt ist und bin alles in allem ein toleranter Mensch, was soll also dieser Schwachsinn? Nur weil ich aus Marzahn komme? 

Gut möglich.

Aber dann haben die anderen Vorurteile und machen sie zu meinem Problem. Ich identifiziere mich mit Marzahn, so wie sich andere mit Kreuzberg identifizieren. Nur komme ich nun einmal nicht aus Kreuzberg. So einfach ist das. 

Könnte es auch daran liegen, daß viele die Subkultur der Hooligans in einen Topf mit Neonazis stecken?

Kann sein. Wenn du darüber urteilst, was ein Mensch sein könnte oder nicht, dann mußt du im Umkehrschluß auch dazu bereit sein, dich darüber zu informieren, ob das auch stimmt. Ein Hooligan hat mal zu mir gesagt: »Ey, die Leute verstehen nicht, warum wir uns die Schädel einhauen, warum wir unsere Grenzen austesten, warum wir auf der Suche nach dem ultimativen Adrenalinkick sind und warum wir unsere Männlichkeit zelebrieren. Genauso kann ich nicht verstehen, wie jemand sich zehn Stunden an den See setzt und angelt.« Ich kann es auch nicht verstehen, aber ich verurteile niemand deswegen und sage »ich hasse alle Angler«.

Von der Sache her ist der Hooliganismus eine sehr faire Angelegenheit. Jemand, der sich in diesen Kreisen bewegt, weiß, worauf er sich einläßt. Ich glaube, wenn nur ein Bruchteil der Leute, die mit Aggressionen und Frustrationen durch die Gegend laufen, mal zur dritten Halbzeit gehen würde, dann wäre denen schon geholfen.
 

Ist Hoolsein auch Sport?

Genau, es ist ein Mannschaftssport. Du könntest auch einen Riesenboxring aufstellen, sobald jemand in die Knie geht, läßt du ihn in Ruhe, das ist doch fair. 

Und danach hilft man ihm auf, und geht gemeinsam einen trinken?

So sieht’s aus! Ich rede von meiner Gegend und den Problemen die wir dort haben, das muß verstanden werden. Ich habe immer das Gefühl, daß die Rapper, die Medien und die Politiker die Intelligenz der Kids unterschätzen. Die Kids sind nicht bescheuert, die Eltern sind bescheuert, jedenfalls zum Großteil. HipHop war für mich immer ein Spielplatz. Weil ich mich da austoben kann.

Joe Rilla: »Deutsch-Rap-Hooligan« (Aggro Berlin)

Mittwoch, 20. August 2008

Gut gebrüllt, Dog

Von bissigen Pitbulls und niedlichen Schoßhündchen: Berliner Rapper, bunt und in Farbe

Ralf Fischer / Junge Welt

In Berlin ist territorial alles ganz sauber geregelt. Während die Schwerenöter und Straßenköter in Bezirken wie Wedding, Neukölln oder Kreuzberg ihrem ureigenen Trieb nachgehen, sitzen in Charlottenburg oder Zehlendorf die Königsrasse und der Zwergpudel brav bei Kaffee und Hundekuchen. Doch all diese Kläffer, egal wie groß ihre Schnauze, oder wie dreckig ihr Fell ist, sind scharf wie ein Pitbull, scharf darauf, endlich aus dem urbanen Moloch herauszuragen, wenigstens einmal in dieser lauten Stadt etwas zu sagen haben, was mehr als nur das eigene Rudel zur Kenntnis nimmt. Als äußerst erfolgversprechend hat sich in Berliner Szenekreisen das lautstarke Bellen auf Stakkato-Beat in holpriger Reimform etabliert, in Fachkreisen auch Deutschrap genannt.

Vor drei Jahren versammelten Henrik Regel und Stephan von Gumpert die bekanntesten Berliner Rappromenadenmischungen für Einzelporträts vor der Kamera, und heraus kam eine Dokumentar-DVD, die nicht nur in Berliner Hundezüchterkreisen Kultstatus genießt. Angespornt durch das enorm positive Feedback der ersten DVD wurde den beiden Machern von Mantikor Entertainment recht schnell klar, daß eine Fortsetzung wohl kaum ein finanzieller Reinfall wird. Eigentlich sollte die Rap City Berlin DVD 2 genau ein Jahr nach der ersten Compilation veröffentlicht werden, doch die produktionsbedingten Verzögerungen addierten sich, so daß die DVD erst jetzt im Handel erhältlich ist. Gut Ding will Weile haben. Herausgekommen ist eine detailgetreue Momentaufnahme des Berliner Raps, über sieben Stunden lang erzählen 180 Berliner Rapacts auf zwei DVDs was sie und ihre Freunde dazu animiert hat, ein Mikrofon in die Hand zu nehmen oder Beats auf dem Computer zu programmieren.

Auf der ersten DVD werden die relevanten Labels und ihre Künstler von bissigen Pitbulls bis hin zu zahmen Schoßhündchen porträtiert. Es wird ein gelungener Überblick in die unterschiedlichen Anstrengungen, endlich berühmt zu werden, und den vermeintlichen Gründen, warum es bisher noch nicht geklappt hat, gewährt. Dem Betrachter bleibt dabei selbst überlassen, entweder alphabetisch die verschiedenen Labels abzuklappern, über den Stadtplan von Bezirk zu Bezirk zu springen oder sich jene herauszupicken, die er persönlich einfach gut findet. Es wurde versucht, die Berliner Rapszene in ihrer Breite komplett vorzustellen, aber natürlich konnte nicht jede x-beliebige Nachwuchstöle ihre drei Minuten Ruhm bekommen. Außerdem fehlen auch zwei der bekanntesten Berliner Rapper komplett im Programm; neben Bass Sultan Hengzt und seinem Label Murderbass werden die Fans vor allem BRAVO-Rapper Bushido vermissen. Um ihn auf dem heimischen Bildschirm zu erleben, muß man entweder The Dome regelmäßig schauen oder eine seiner Label-DVDs im Laden klauen.

Auf der zweiten DVD sind die äußerst gelungenen Bonusfilme versammelt, neben den Hausbesuchen bei Atzenkeeper MC Bogy, dem Tourbus der Optik Crew und den neuen Lieblingen des Games K.I.Z. kann man sich auf einen extravaganten Auftritt von DJ Tomekk freuen. Getreu dem Motto von MC Bogy »Die Leute wollen ’ne Freakshow sehen« – torkelt Tomekk am Vormittag schon durch sein Haus und lädt die verdutzten Filmemacher zum gemeinsamen Komasaufen ein. In den weiteren Kurzfilmen geht es u.a. um die szenetypischen Themen Drogen, Knast oder Tattoos. Beim Thema Indizierungen gibt sich sogar die in der Rapszene viel gescholtene Politikerin Monika Griefahn (SPD) die Ehre, ihren Senf zur äußerst zähen Indizierungsdebatte zu geben. Daß der weder für Pitbulls geeignet ist noch ganz allgemein als wohlschmeckend zu bezeichnen wäre, dürfte als bekannt vorausgesetzt werden. Trotzdem ist es eine Bereicherung, der selbsternannten Hundeflüsterin zwischen all den um Aufmerksamkeit bettelnden Windhunden zu lauschen, wenn sie mal wieder darauf hinweist, daß es an der Zeit wäre, den Berliner Hundestall ein wenig auszumisten. Man kennt das ja schon länger solange die Hundescheiße auf der Straße bleibt, ist meistens alles okay, nur zu Hause, am eigenen Schuh und damit unweigerlich in den eigenen vier Wänden, da will sie partout keiner haben…

* Rap City Berlin II, Deutschland 2008, Regie: Stephan von Gumpert, Henrik Regel, Jan M. Scholz, Lars Tendelmann. 400 Min. (Mantikor Entertainment)

Donnerstag, 19. Juni 2008

Spiel mir das Lied vom Verbot

Berliner Justiz verurteilt hirntote Musik

Ralf Fischer / Junge Welt

Seit letzter Woche sind die drei Berliner Rapper Björn D., Tomasz M. und Raphael B. vorbestrafte Kriminelle, die sich in den nächsten Monaten nicht dabei erwischen lassen sollten, bei Rot über die Straße zu gehen. Sie würden direkt im Gefängnis landen. Weil sie Musik gemacht haben, die zwar zugegebenermaßen äußerst gewöhnungsbedürftig, aber nichtsdestotrotz kaum schlimmer als ein x-beliebiger Horrorfilm ist.

Die musikalische Ausrichtung der über das Independentlabel »Hirntot Records« vertriebenen Rapsongs wird allgemein als Horrorcore bzw. Psychokore bezeichnet. Diese düstere Variante des Deutschrap ist für Splatter- und Horrorphantasien weitläufig bekannt. In der in den letzten Jahren immer wieder aufgewärmten Debatte über Gewalt im deutschen Rap wurden Videos und Lieder der Berliner Splatterrapper häufig als Beweis für die Verrohung der deutschen Jugend durch die böse Rapmusik herangezogen. Nach diversen Verbalinjurien seitens einiger Ordnungspolitiker, allen voran die ehemalige Bildungsreferentin beim Verein christlicher junger Menschen und derzeitige SPD-Bundestagsabgeordnete Monika Griefahn, antwortete das Label »Hirntot Records« auf mehreren CDs mit Songs, die davon handelten, wie diese Politiker einschließlich der Polizei massakriert wurden.Ein wahrhaft ungleicher Kampf.

Es kam, wie es kommen mußte. Im Juli 2007 durchsuchte die Polizei bundesweit drei Wohnungen, um die Betreiber des Labels ausfindig zu machen. Dabei wurden mehrere Waffen und diverse Tonträger beschlagnahmt. Unter den Waffen befand sich eine Luger M-11 und eine AK-47 mit verschlossenem Lauf. Auch etwa 200 Gewehrpatronen konnten von den Beamten sichergestellt werden. Für die Staatsanwaltschaft ein gefundenes Fressen. Neben der Störung des öffentlichen Friedens durch das Androhen von Straftaten, Beleidigung, Gewaltdarstellung, Bedrohung, dem öffentlichen Auffordern zu Straftaten durfte sie auch noch den Punkt Volksverhetzung in die Anklageschrift aufnehmen. Womit die drei »Hirntot«-Rapper die ersten Nicht-Nazirocker waren, die mit einer Anklage wegen Volksverhetzung konfrontiert wurden.

Bizarrerweise versucht der Stuttgarter Rapper Bözeman ähnliches. Seit einem Jahr müht er sich, durch das Zurschaustellen von kriegstauglichen Waffen, der antisemitischen Beleidigung gegenüber einem bekannten Berliner Rapper und der Androhung von Straftaten via Gerichtsverhandlung ins Rampenlicht zu gelangen. Doch dieses Begehren wurde dem Kosovoalbaner bisher großzügig verwehrt, jedenfalls von seiten der Stuttgarter Staatsanwaltschaft bzw. der lokalen Polizei. Statt dessen findet sich der bekennende Fan der 21. Gebirgsdivision der Waffen-SS »Skanderbeg« in Spiegel-TV wieder, wo er als legitime Antwort auf Kommerzrap abgefeiert wird. Wird den »Hirntot«-Rappern von den Feuilletons vorgeworfen, mit ihren gewalttätigen Texten »interessant für die rechte Szene« zu sein, werden jene Rapper komplett unter den Teppich gekehrt, die dies tatsächlich sind.

Es kommt nur auf den Blickwinkel an. Objektiv ist der aktuelle Rambofilm blutrünstiger als jede Veröffentlichung von »Hirntot«. Aber Politiker sind schnell beleidigt.