Donnerstag, 29. März 2007

"Ich möchte einfach mehr Zeit haben"

Interview mit Michael Degen auf der Leipziger Buchmesse...

Ralf Fischer & Jan Poppke / hagalil.com

RF & JP: Herr Degen, Sie haben nach ihrem ersten autobiographischen Roman „Nicht alle waren Mörder“ nun die Fortsetzung, „Mein heiliges Land“, veröffentlicht. Sie erzählen darin ihre Suche nach ihrem verlorengegangenen Bruder. Weshalb setzten sie ihre Autobiographie fort?


Michael Degen: Die Leserbriefe wurden immer mehr. Die Leute wollten wissen: „Wie geht’s weiter? Wie geht’s in Israel weiter? Wie ist das mit dem Bruder? Hat er ihn gefunden, hat er ihn nicht gefunden?

Das Buch endet ja im Grunde damit, dass ich ihn gefunden habe. Aber so waren eben die Fragen, merkwürdigerweise. Der Verlag wendete sich dann auch an mich und sagte: „Bitte tun sie uns den Gefallen und schreiben Sie noch einen zweiten Teil. Das kann nur ein Schlager werden.“ Und ich sagte, ich will das eigentlich nicht. Ich müsste dann auch meine berufliche Biographie schreiben und ich möchte mich nicht in die schlechten Schauspielerbiographien einreihen.

Ich habe es aber dann doch getan, weil Rowohlt mich darum gebeten hat. Man drängelte mich auch wahnsinnig. Der Verlag wollte das neue Buch auch für Leipzig haben und wir hatten aber einen Vertrag für Frankfurt im Oktober. Ich habe es aber geschafft, bin sehr zufrieden damit und habe mehr Zeit für ein neues Projekt.


Was bedeutet für sie ganz persönlich das Schreiben?

Schreiben? Alles! Immer mehr. Nach dreißig Jahren Berufserfahrung als Schauspieler, hatte ich immer mehr das Bedürfnis meine eigenen Texte zu schreiben und zu sprechen. Das wurde immer stärker. Aber ich habe das dann auch wieder vergessen., denn so ernsthaft hatte ich mich mit Schreiben nicht beschäftigt, weil ich auch nicht wusste, kann ich’s oder kann ich’ s nicht.

Eine Talkshow im WDR war dann der Auslöser. Da lernte ich eine Frau kennen, eine Autorin deren Eltern ähnliches erlebt hatten, wie ich als Kind. Wir tauschten dann unsere Erfahrungen aus. Das war natürlich sehr spannend, weil ich bemerkte, an wie viel ich mich noch erinnern konnte. Wahrscheinlich, weil ich es stets verdrängte. Da hatte sich so eine Art Blase im Gehirn gebildet und mit diesem Buch stach ich mitten hinein. Erstaunlicherweise kam wirklich alles heraus.


Steht das Schreiben bei Ihnen in Konkurrenz zur Schauspielerei? Oder besitzt es den gleichen Stellenwert?

Ich möchte einfach mehr Zeit haben. Das Fatale ist, dass ich eigentlich lieber Theater spiele, als Fernsehfilme zu drehen. Aber das Fernsehen, lässt mir einfach mehr Zeit zu schreiben.

Ich drehe jetzt z.B. einen „Tatort“ mit dem zwei fabelhafte Kollegen Axel Prahl und Jan-Josef Liefers. Jetzt mache ich noch drei Tage Lesereise, dann geht’s wieder zurück nach Köln. So etwas kann man eben dann beim Fernsehen machen. Beim Theater geht das nicht.


In ihrem Buch beschreiben Sie, dass einer ihren ersten Eindrücke im heiligen Land der Duft von frischen Jaffa-Orangen und Zypressen war. Haben sie den Geruch immer noch in der Nase, wenn sie heute Israel besuchen?

Ich bin auf der Suche nach diesem Duft, er ist auch noch da, aber ich finde ihn nicht mehr. Es ist wie ein Parfum, welches sie Tag für Tag benutzen. Sie können es nach einer Weile nicht mehr riechen, aber die anderen riechen es.

Ich hatte mich zu sehr daran gewöhnt. Einmal, und das ist ganz merkwürdig, hatte ich den Duft wieder in der Nase. Das war vor drei Jahren, in der Nähe von Jerusalem. Wir drehten „Leo und Claire“ mit dem Vilsmaier. Und da hatten wir ein unangenehmes Erlebnis mit Arabern, wurden aber dann beschützt. Wir kamen dann wieder runter in so ein Tal und plötzlich hatte ich diesen Duft in der Nase.


Gibt es jetzt neue Düfte, welche sie in Israel heute finden?

Eindrücke mit dieser Intensität nicht. Das hatte ich seitdem nicht mehr.

Sie sind als Staatenloser in Israel angekommen. In ihrem Buch sagen Sie sehr deutlich, dass Sie kein Deutscher sind. Wie gehen sie heute mit dem Thema Staatsbürgerschaft um?

Ich bin deutscher Staatsbürger. Ich bin damals deutscher Staatbürger geworden, weil ich mich entschlossen hatte, hier zu leben und meinen Beruf auszuüben. Aber die Deutschen forderten von mir, dass ich die israelische Staatsbürgerschaft ablegen sollte, wenn ich die deutsche beantragen würde. Da habe ich gesagt: „Nein, das mache ich nicht.“

Dann bin ich lange Zeit israelische Staatsbürger geblieben. Und dann irgendwann, sagten die Behörden: „Okay, Sie sind deutscher Staatsbürger und Sie können ihren israelischen Pass behalten.“


Die Staatenlosigkeit war eines der vielen Probleme, weshalb Juden lange Zeit nirgendwo aufgenommen wurden. Ist dieses Gefühl bei Ihnen heute noch präsent?

Für meinen Vater war das vor allen Dingen tödlich. Er ist 1938, zusammen mit meiner Mutter, ‘ausgebürgert’ worden. In Polen gab es damals ja vielleicht genauso viele Antisemiten, die waren nur nicht so konsequent. Und da er so lange in Deutschland lebte, setzten sie Ihn einfach vor die Tür. Aber die deutsche Staatsbürgerschaft bekam er natürlich nicht mehr, also bekam er den so genannten Nansen-Pass für Staatenlose.

Der schütze ihn zwar, aber er musste jedes Jahr erneuert werden. Die westlichen Staaten waren dazu verpflichtet, die Staatenlosen, die in echter Not waren und verfolgt wurden, aufzunehmen. Also, natürlich keine Kriminellen, aber eben Menschen welche politisch verfolgt wurden. Doch den Nansen-Pass konnte man nur sehr schwer erstehen und er kostete auch noch Geld, und das Geld hatte mein eben Vater nicht. Und deshalb konnte er nicht fliehen, landete im KZ und da war es dann aus.


Sie haben in ihrem Buch eine sehr prophetische Aussage getroffen. Als ihnen Shimon klar machte, dass sie überall auf der Welt nicht willkommen seien, weil wild gewordene Antisemiten auf sie warten würden, da antworteten sie, dass in Israel wild gewordene Araber auf sie warten würden. Wenn man sich die Lage in Israel in den letzten 50 Jahren betrachtet, sehen sie sich in ihrer Aussage bestätigt?

Ja sicher. Es wird ja immer schlimmer. Israel ist in einer ganz fürchterlichen Lage. Wenn sie mit dem Arafat zu Rande gekommen sind, war immer ein anderer da, der sagte: „Nicht mit uns!“ Also mit wem verhandelt man dann? Wenn man mit einem klar kam, da sagte ein anderer „Mit uns nicht, wir bomben weiter“ und umgekehrt. Also, das ist eine ganz verrückte Situation. Ich weiß nicht, wie das enden wird.

Die Fatah und die Hamas haben ja jetzt eine Einheitsregierung beschlossen und auf der anderen Seite gibt es ja auch noch das Bedrohungspotential durch die Hisbollah im Libanon. Engagieren Sie sich für Israel? Und wie sieht dieses Engagement aus?

Unterstützung? Ja, in vielerlei Hinsicht. Auch das, was ich jetzt mit dem Buch mache. Natürlich ist das Unterstützung, aber letztlich wird nur dann etwas geschehen, wenn der palästinensische Ministerpräsident sowie der Staatspräsident sich einig sind, und zumindest das Existenzrecht Israels anerkennt. Aber der derzeitige Ministerpräsident verweigert sich ja diesem Anliegen.

Wie fühlen Sie sich, wenn Sie dieses Gezerre verfolgen.

Ich denke, damit ist die Saat schon für einen neuen Krieg gelegt. Möglicherweiser auch einem internen. Vielleicht kämpfen Hamas und Fatah bald wieder gegeneinander. Man weiß es ja nicht.

Auf alle Fälle ist es ein ewiger Unruheherd. Jetzt kommt natürlich noch der Iran hinzu, der nun in die Vollen geht mit der Verhaftung der 15 Briten, die sich einwandfrei auf irakischem Gebiet befanden. Dies ist eindeutig eine Provokation.


Sie sagen in ihrem Buch: „Ich werde niemals einem Menschen eine Flinte auf den Bauch halten“. Das ist natürlich eine sehr antimilitaristische Sicht. Sind sie heutzutage immer noch so vehement gegen den Krieg?

Da hat sich überhaupt nichts verändert. Mein Vater war ein sehr fantasievoller Mann. Und als ich ihn fragte, warum darf man niemanden töten, da antwortete er: „Wenn du einmal einen Menschen getötet hast, dann springst du über eine Barriere, über die du nie mehr zurück springen kannst, dann wirst du dich in einem Teil der Welt befinden, der dir gar nicht behagt“.

Damit hat er erst einmal Recht. Aber da er sehr fantasievoll war, hat er mir dann auch beschrieben, wie es einem Menschen geht, der erstochen wird. Und dies hat er auf eine sehr brutale Art und Weise geschildert, obwohl er nie einen Ermordeten gesehen hat. Aber er tat das so fantasievoll, dass ich mich übergeben musste. Und das hat bis heute gereicht. Ich umarme ihn nachträglich noch dafür.


Vielen Dank, Herr Degen, für dieses Gespräch.