Datenkrieg im Internet und neueste Erfolge der «Datenantifa»
Ralf Fischer / Jüdische Zeitung
Getreu dem Motto «Wissen ist Macht» bekämpfen sich Antifaschisten und Neonazis nicht nur auf der Straße. Auch im virtuellen Cyberspace wird mit harten Bandagen um jede noch so kleine Information gekämpft. Zumeist in den frühen Morgenstunden schlagen die anonymen Angreifer zu. Akribisch vorbereitet, reichen ihnen nur einige wenige Befehle und Tastenkombinationen, um die Schutzmassnahmen des jeweiligen Computers zu knacken.
Für die Internetseitenbetreiber kaum
zu registrieren, verschaffen sie sich in Sekundenschnelle Zutritt zu
allen Daten, die auf dem Server liegen - und klauen sie regelrecht:
In den letzten anderthalb Jahren verschafften sich auf diesem Wege
organisierte Antifaschisten die Daten von über 30 rechtsextremen
Internetportalen in Deutschland und verbreiteten sie, für alle
einsehbar, im Internet. Zum Abschied hinterließen die politisch
motivierten Datendiebe immer ein kurzes Statement, damit der oder die
Betroffene auch den Grund des Besuches durch die virtuelle Antifa
genau nachlesen konnten. Doch auch die Gegenseite reagiert auf dieses
neue Phänomen. So wurden im letzten Jahr die Internetausgabe des
Antifa-Versandes sowie das Internetforum des Berliner
Anti-Defamation-Forum ADF gehackt. Während die vorgefundenen
Kundendaten des Antifa-Versandes einige Tage später im Internet
veröffentlicht wurden, hatten die Betreiber des ADF-Forums etwas
mehr Glück. Im Forum wurden nur alle Benutzerprofile gelöscht,
ansonsten keine Daten entwendet.
Öde Neonazis
Nach allgemeinem Verständnis ist ein
«Hacker» ein «talentierter Computerspezialist», der die
Sicherheitsbarrieren von Computersystemen überwinden und in diese
fremden Systeme eindringen kann. Ein Hacker, der seine Fähigkeiten
zu politischen Zwecken einsetzt, wird allgemein «Hacktivist»
genannt. Die neue Generation von antifaschistisch motivierten
Hacktivisten, die in den letzten Jahren verstärkt im Internet aktiv
geworden sind, bezeichnen sich selbst «Datenantifa».
Aktuell haben die «Datenantifas»
gleich zwei wichtige Knotenpunkte der neonazistischen Szene geknackt.
Am 22. Februar diesen Jahres mussten die Betreiber des
neonazistischen «Aufruhr»-Versands aus Thüringen verblüfft
feststellen, dass alle ihre Daten, statt, wie sonst üblich, auf
ihrem Computer, nun auf dem linken Internetportal Indymedia zum
downloaden bereitlagen. 7.500 Datensätze gaben darüber Auskunft,
wer, wann und was bei dem Neonaziversand - etwa Klamotten, CDs oder
anderen Propagandamüll - bestellt hat und mit welchen
verfassungsfeindlichen Grüßen die Kunden ihre Bestellungen
aufgaben.
Für die Antifaschisten war dieser Coup
nur einer von vielen. Doch die steigende Flut an rechtsextremen
Internetangeboten macht es den Hacktivisten nicht gerade leichter. So
hinterließ die Datenantifa auf den Seiten des «Aufruhr»-Versandes
eine Botschaft, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt:
«Ihr Nazis, langsam haben wir es satt! Es ist immer dasselbe, es ist
langweilig und ödet uns an! Wir tun es trotzdem! Und wir werden es
weiter tun! Denn lieber ein bisschen Öde als euch auf der Straße
oder im Netz! Aber wir sind ja nicht so! Wir machen euch ein Angebot!
Jede Naziseite, die ab sofort freiwillig offline geht, werden wir
nicht hacken! Versprochen! Das ist eure Chance! Wirklich! Wir halten
unsere Versprechen! Ganz ehrlich! (...) Eure (entnervte)
Datenantifa.»
Nationale Sozialisten gegen schwarze
Schafe
Knapp eine Woche später, keine
rechtsextreme Internetseite ging natürlich auf das Angebot der
«Datenantifa» ein, wurde das Forum des neonazistischen
«West-Versand» gehackt. Der nach eigenen Angaben als «Versand für
Kameraden» firmierende T-Shirt-Handel musste sein Forum vorerst
schließen. Auch das Radioprogramm der Neonazis war vor der
«Datenantifa» nicht sicher. Mit nur einigen Tagen Verspätung wurde
auch dieses Angebot des West-Versandes aus den Weiten des World Wide
Web entfernt.
Die betroffenen Betreiber reagieren
unterschiedlich. Während der «West-Versand» ankündigte, sein
Angebot bald wieder im Internet online zu stellen, haben einige der
angegriffenen Internetprojekte ihr Angebot komplett eingestellt oder
zumindest grundlegend überarbeitet. Doch der Druck auf die Betreiber
wächst auch aus der eigenen Szene. Auf der Internetseite des
szeneintern sehr bekannten «Freien Widerstand» wurden schon
mehrfach Beiträge veröffentlicht, in denen vor unsicheren
Internetseiten, speziell Versandunternehmen, gewarnt wurde.
Die Sicherheit der eigenen Kunden, also
der zukünftigen oder schon aktiven Kameraden, liegt den
neonazistischen Führern sehr am Herz. Weshalb auch die so genannten
schwarzen Schafe verbal geoutet werden, und zum Teil wird sogar,
gegen besonders leichtsinnige Betreiber, zum Boykott aufgerufen.
Gefundenes Fressen für Antifa und
Polizei
Die Ausbeute der «Datenantifa» ist
recht unterschiedlich und zumeist nur für Insider zu nutzen. Mit den
Adresslisten der Kunden können nur eingeweihte Antifa-Rechercheure
oder die Strafverfolgungsbehörden etwas anfangen. Aber das reicht
zumeist schon aus. Die sich in Sicherheit wiegenden Nutzer der
neonazistischen Internetangebote geben viele interne Informationen
preis, die nur auf diesem Wege gewonnen werden können. Für die
Strafverfolgungsbehörden genauso ein gefundenes Fressen wie für die
lokale Antifa.
So lies ein Sprecher des Thüringischen
Verfassungsschutzes nach dem Hack auf den «Aufruhr»-Versand
gegenüber dem MDR durchblicken, dass man mit «den Informationen
arbeiten» werde. Schon mehrfach wurde das Versandhaus von der
Polizei durchsucht, unter anderem wegen des Verdachts der
Volksverhetzung und Verbreitung verfassungsfeindlicher Symbole.
Fazit
Die Bedeutung, die das Internet für
die Organisierung der rechten Szene gewonnen hat, wächst von Tag zu
Tag. Im World Wide Web könnnen mit wenig Aufwand und einem breitem
Publikum als Adressaten Propaganda, egal ob schriftlich, in Form von
Musik oder Film, betrieben und natürlich neue Mitglieder geworben
werden. Die regionalen Strukturen tauschen sich über dieses Medium
aus und erhöhen ihren Organisationsgrad. Hier werden überregionale
Netzwerke geknüpft und strategische Diskussionen geführt, häufig
unbeobachtet von Staatsschutz und Antifa.
Jeden Tag kommen weltweit neue
rechtsextreme Internetangebote zu den schon bestehenden hinzu.
Seiten, auf denen verfassungsfeindliche Inhalte dargeboten werden,
befinden sich nur im seltensten Fall auf deutschen Domains, auf die
die deutsche Polizei Zugriff hätte. Solche Seiten werden auf
ausländischen Servern gelagert und sind über viele - aber vor allem
nichtdeutsche - Domains erreichbar.
Der Kampf der Strafverfolgungsbehörden
gegen diese illegalen Inhalte im Internet artet immer mehr zur
Sysiphosarbeit aus. Gerade die im Ausland gehosteten Internetseiten
stellen ein sehr großes Problem dar. Es kommt nur selten vor, dass
die Beweislage gegen die Betreiber überhaupt ausreicht, um ein
Gerichtsverfahren gegen sie anzustrengen. Wenn es dennoch ausreicht,
dann ist der Betreiber nicht zu erreichen, da er sich im Ausland
nicht strafbar gemacht hat. Ein Weg aus diesem Dilemma ist die
verdeckte Arbeit der «Datenantifa».
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