Samstag, 10. Juni 2006

Pankower Bürgermob

Seite an Seite mit Rechtsextremen zeigen Pankower Bürger, dass religiöse Toleranz nicht ihre Tugend ist.

  

Ralf Fischer und Juri Eber / Mut gegen rechte Gewalt


Eine in sich Gründung befindende "Interessengemeinschaft Pankow - Heinersdorfer Bürger" (IPAHB) mobilisierte am Mittwochabend rund 1000 Moschee-Gegner auf die Straße. Unter den Demonstranten befanden sich bekannte Neonazis und rechte Jugendcliquen.

Obwohl der Bau der ersten Moschee in Ostberlin so gut wie genehmigt ist, demonstrieren die Anwohner im Monatstakt gegen den geplanten Bau. Die Gegner des Moscheebaus sehen darin eine Chance letztendlich den Bau doch noch zu verhindern. Am linken Gegenprotest gegen die populistische Manifestation der Heinersdorfer beteiligten sind nur knapp 100 Personen.

Mittwochabend in der Pankower Tiniusstraße, langsam aber sicher macht sich Volksfeststimmung breit. „Molli rein, und fertig“ antwortet ein fünfzigjähriger Familienvater trocken auf die Frage seines Kumpels, mit dem er gemeinsam auf den Start der Demonstration wartet, „Was denn eigentlich jenseits der Demonstration zu tun wäre“. Die Stimmung brodelt. In trauter Eintracht stehen Heinersdorfer Familien neben Gruppen Ostberliner Hooligans, rechten Jugendcliquen und vereinzelten Neonazikadern. Lautstark werden alte Bekannte oder auch die Nachbarn begrüßt und über allen Köpfen wehen die Deutschlandfahnen im Wind.

Der ganze Aufwand gilt der muslimischen Ahmadiyya Gemeinde aus Berlin-Reinickendorf, die plant auf einer rund 4000 Quadratmeter großen Industriebrache an der Tiniusstraße ein Gemeindezentrum und eine Moschee mit einem 12 Meter hohen Minarett zu errichten. Dies zum Anlass nehmend demonstrierte schon am 1. April diesen Jahres die lokale NPD mit rund 200 Anhängern durch Pankow und ebenso eine ominöse „Bürgeraktion gegen Überfremdung“ im Mai mit rund 450 Anhängern.

Für den 07. Juni rief nun die Interessengemeinschaft Pankow – Heinersdorfer Bürger (IPAHB) zur Demonstration unter dem Motto „Gegen das Kalifat, gegen die Scharia, gegen den Missbrauch der Religionsfreiheit - Für die Gleichberechtigung der Frauen, für die Bürgerrechte, für Demokratie und Bürgerbegehren, für den Rechtsstaat!“ auf. Am Ende der Parolenlitanei fordert die IPAHB alle extremistischen Gruppen dazu auf, die Demonstration weder zu verunglimpfen noch sie für eigenen Zwecke zu missbrauchen.

Alle waren sie da

Doch beides geschah nicht. Die Berliner Gruppe Kritik und Praxis (KP) mobilisierte kurzfristig gegen den Aufmarsch und rief gemeinsam mit dem Pankower Netzwerk gegen Rassismus, Antisemitismus und rechte Gewalt dazu auf sich an zwei Gegenkundgebungen zu beteiligen Das Motto "Den rassistischen Konsens kippen - Schluss mit der Hetze gegen den Moscheebau in Pankow".

Die lokalen Neonazis brauchten erst gar kein Motto um sich an der Demonstration der Heinersdorfer Bürger zu beteiligen. So tauchte der ehemalige Pankower Republikaner Detlef Britt Seit an Seit mit Jörg Hähnel, dem Pankower NPD-Kreisvorsitzenden, ebenso auf dem Antrittsplatz der Demonstration auf, wie das DVU-Landesvorstandsmitglied Sascha Kari aus Berlin-Neukölln. Neben den beiden altbekannten Kadern nahmen auch weitere Mitglieder des lokalen NPD-Kreisverbandes, Mitglieder einer Kameradschaft aus dem Prenzlauer Berg sowie Autonome Nationalisten ungestört an der Demonstration teil.

Kein Kommentar

Für die Aktivisten der Interessensgemeinschaft Pankow - Heinersdorfer Bürger war dies kein besonderer Grund sich aufzuregen. Die gute Stimmung der Organisatoren trübten nur die nach fünfzig Metern erstmals auftauchenden Gegendemonstranten. Als diese nur in Sichtweite kamen schlug die bis dato ausgelassene Stimmung der Moscheegegner schlagartig um in Hassgesängen und aggressiven Gesten. Die zum Mob mutierten Teilnehmer reagierten mit "Haut ab" Rufen und wilden gestikulierenden Armbewegungen in Richtung Gegenkundgebung. Die Polizei hatte alle Mühe beide Seiten auseinander zuhalten.

Die erst Mitte März, mit dem Ziel „den Bau dieser Moschee in Pankow zu verhindern“ gegründete Interessensgemeinschaft Pankow - Heinersdorfer Bürger ließ einen Tag nach der Demonstration auf ihrer Internetseite verlauten, dass sie ihre Aktion „ein großer Erfolg“ war und eine „gelungene Veranstaltung“. Wegen der Teilnahme prominenter Neonazis bleibt die IPAHB eher maulfaul. Zu Recht, es wäre für sie auch schwerlich möglich, in einem Atemzug zu behaupten, dass die Demonstration ein Erfolg war und zu zugeben, dass mehr als zwei Dutzend organisierte Neonazis daran teilnahmen.

Donnerstag, 1. Juni 2006

Neues aus der Rechten Szene

Datenkrieg im Internet und neueste Erfolge der «Datenantifa»

 

Ralf Fischer / Jüdische Zeitung


Getreu dem Motto «Wissen ist Macht» bekämpfen sich Antifaschisten und Neonazis nicht nur auf der Straße. Auch im virtuellen Cyberspace wird mit harten Bandagen um jede noch so kleine Information gekämpft. Zumeist in den frühen Morgenstunden schlagen die anonymen Angreifer zu. Akribisch vorbereitet, reichen ihnen nur einige wenige Befehle und Tastenkombinationen, um die Schutzmassnahmen des jeweiligen Computers zu knacken.

Für die Internetseitenbetreiber kaum zu registrieren, verschaffen sie sich in Sekundenschnelle Zutritt zu allen Daten, die auf dem Server liegen - und klauen sie regelrecht: In den letzten anderthalb Jahren verschafften sich auf diesem Wege organisierte Antifaschisten die Daten von über 30 rechtsextremen Internetportalen in Deutschland und verbreiteten sie, für alle einsehbar, im Internet. Zum Abschied hinterließen die politisch motivierten Datendiebe immer ein kurzes Statement, damit der oder die Betroffene auch den Grund des Besuches durch die virtuelle Antifa genau nachlesen konnten. Doch auch die Gegenseite reagiert auf dieses neue Phänomen. So wurden im letzten Jahr die Internetausgabe des Antifa-Versandes sowie das Internetforum des Berliner Anti-Defamation-Forum ADF gehackt. Während die vorgefundenen Kundendaten des Antifa-Versandes einige Tage später im Internet veröffentlicht wurden, hatten die Betreiber des ADF-Forums etwas mehr Glück. Im Forum wurden nur alle Benutzerprofile gelöscht, ansonsten keine Daten entwendet.

Öde Neonazis

Nach allgemeinem Verständnis ist ein «Hacker» ein «talentierter Computerspezialist», der die Sicherheitsbarrieren von Computersystemen überwinden und in diese fremden Systeme eindringen kann. Ein Hacker, der seine Fähigkeiten zu politischen Zwecken einsetzt, wird allgemein «Hacktivist» genannt. Die neue Generation von antifaschistisch motivierten Hacktivisten, die in den letzten Jahren verstärkt im Internet aktiv geworden sind, bezeichnen sich selbst «Datenantifa».

Aktuell haben die «Datenantifas» gleich zwei wichtige Knotenpunkte der neonazistischen Szene geknackt. Am 22. Februar diesen Jahres mussten die Betreiber des neonazistischen «Aufruhr»-Versands aus Thüringen verblüfft feststellen, dass alle ihre Daten, statt, wie sonst üblich, auf ihrem Computer, nun auf dem linken Internetportal Indymedia zum downloaden bereitlagen. 7.500 Datensätze gaben darüber Auskunft, wer, wann und was bei dem Neonaziversand - etwa Klamotten, CDs oder anderen Propagandamüll - bestellt hat und mit welchen verfassungsfeindlichen Grüßen die Kunden ihre Bestellungen aufgaben.

Für die Antifaschisten war dieser Coup nur einer von vielen. Doch die steigende Flut an rechtsextremen Internetangeboten macht es den Hacktivisten nicht gerade leichter. So hinterließ die Datenantifa auf den Seiten des «Aufruhr»-Versandes eine Botschaft, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt: «Ihr Nazis, langsam haben wir es satt! Es ist immer dasselbe, es ist langweilig und ödet uns an! Wir tun es trotzdem! Und wir werden es weiter tun! Denn lieber ein bisschen Öde als euch auf der Straße oder im Netz! Aber wir sind ja nicht so! Wir machen euch ein Angebot! Jede Naziseite, die ab sofort freiwillig offline geht, werden wir nicht hacken! Versprochen! Das ist eure Chance! Wirklich! Wir halten unsere Versprechen! Ganz ehrlich! (...) Eure (entnervte) Datenantifa.»

Nationale Sozialisten gegen schwarze Schafe

Knapp eine Woche später, keine rechtsextreme Internetseite ging natürlich auf das Angebot der «Datenantifa» ein, wurde das Forum des neonazistischen «West-Versand» gehackt. Der nach eigenen Angaben als «Versand für Kameraden» firmierende T-Shirt-Handel musste sein Forum vorerst schließen. Auch das Radioprogramm der Neonazis war vor der «Datenantifa» nicht sicher. Mit nur einigen Tagen Verspätung wurde auch dieses Angebot des West-Versandes aus den Weiten des World Wide Web entfernt.

Die betroffenen Betreiber reagieren unterschiedlich. Während der «West-Versand» ankündigte, sein Angebot bald wieder im Internet online zu stellen, haben einige der angegriffenen Internetprojekte ihr Angebot komplett eingestellt oder zumindest grundlegend überarbeitet. Doch der Druck auf die Betreiber wächst auch aus der eigenen Szene. Auf der Internetseite des szeneintern sehr bekannten «Freien Widerstand» wurden schon mehrfach Beiträge veröffentlicht, in denen vor unsicheren Internetseiten, speziell Versandunternehmen, gewarnt wurde.

Die Sicherheit der eigenen Kunden, also der zukünftigen oder schon aktiven Kameraden, liegt den neonazistischen Führern sehr am Herz. Weshalb auch die so genannten schwarzen Schafe verbal geoutet werden, und zum Teil wird sogar, gegen besonders leichtsinnige Betreiber, zum Boykott aufgerufen.

Gefundenes Fressen für Antifa und Polizei

Die Ausbeute der «Datenantifa» ist recht unterschiedlich und zumeist nur für Insider zu nutzen. Mit den Adresslisten der Kunden können nur eingeweihte Antifa-Rechercheure oder die Strafverfolgungsbehörden etwas anfangen. Aber das reicht zumeist schon aus. Die sich in Sicherheit wiegenden Nutzer der neonazistischen Internetangebote geben viele interne Informationen preis, die nur auf diesem Wege gewonnen werden können. Für die Strafverfolgungsbehörden genauso ein gefundenes Fressen wie für die lokale Antifa.

So lies ein Sprecher des Thüringischen Verfassungsschutzes nach dem Hack auf den «Aufruhr»-Versand gegenüber dem MDR durchblicken, dass man mit «den Informationen arbeiten» werde. Schon mehrfach wurde das Versandhaus von der Polizei durchsucht, unter anderem wegen des Verdachts der Volksverhetzung und Verbreitung verfassungsfeindlicher Symbole.

Fazit

Die Bedeutung, die das Internet für die Organisierung der rechten Szene gewonnen hat, wächst von Tag zu Tag. Im World Wide Web könnnen mit wenig Aufwand und einem breitem Publikum als Adressaten Propaganda, egal ob schriftlich, in Form von Musik oder Film, betrieben und natürlich neue Mitglieder geworben werden. Die regionalen Strukturen tauschen sich über dieses Medium aus und erhöhen ihren Organisationsgrad. Hier werden überregionale Netzwerke geknüpft und strategische Diskussionen geführt, häufig unbeobachtet von Staatsschutz und Antifa.

Jeden Tag kommen weltweit neue rechtsextreme Internetangebote zu den schon bestehenden hinzu. Seiten, auf denen verfassungsfeindliche Inhalte dargeboten werden, befinden sich nur im seltensten Fall auf deutschen Domains, auf die die deutsche Polizei Zugriff hätte. Solche Seiten werden auf ausländischen Servern gelagert und sind über viele - aber vor allem nichtdeutsche - Domains erreichbar.

Der Kampf der Strafverfolgungsbehörden gegen diese illegalen Inhalte im Internet artet immer mehr zur Sysiphosarbeit aus. Gerade die im Ausland gehosteten Internetseiten stellen ein sehr großes Problem dar. Es kommt nur selten vor, dass die Beweislage gegen die Betreiber überhaupt ausreicht, um ein Gerichtsverfahren gegen sie anzustrengen. Wenn es dennoch ausreicht, dann ist der Betreiber nicht zu erreichen, da er sich im Ausland nicht strafbar gemacht hat. Ein Weg aus diesem Dilemma ist die verdeckte Arbeit der «Datenantifa».