Mittwoch, 24. Mai 2006

Mit der NPD gegen geplante Moschee

500 Pankower demonstrierten gemeinsam mit Neonazis gegen den geplanten Bau einer Moschee

 

Ralf Fischer & Juri Eber / hagalil.com


Für den frühen Samstagvormittag rief eine 'Bürgeraktion gegen Überfremdung' zum Protest gegen den geplanten Bau einer Moschee in Berlin – Heinersdorf auf. Statt der 100 Teilnehmer wie von den Veranstaltern erwartet, folgten dem Aufruf weit über 450 Menschen. Unter ihnen waren auch 40 Neonazis.

Während die Jungen Liberalen noch am Straßenrand ihre Materialien für ihre Gegenkundgebung inklusive symbolischer Grundsteinlegung aufbauen, strömen immer mehr Anwohner zum Startpunkt der Demonstration. Die Flugblätter, die ihnen von den jungen Moscheebaubefürwortern gereicht werden, und auf denen mit Friedrich dem Großen, der den Satz prägte "In meinem Staate kann jeder nach seiner Facon selig werden", argumentiert wird, belächeln sie nur. 

Derweil hundert Meter weiter in der Tiniusstraße - direkt vor dem Grundstück, auf dem die Moschee von der Ahmadiyya Gemeinde gebaut werden soll - sammeln sich die Gegner des Moscheebaus. Einfache Heinersdorfer Bürger stehen Seit an Seit mit Mitgliedern des Pankower NPD-Kreisverband, des Märkischen Heimatschutzes und Anhängern der Berliner Kameradschaftsszene. Unter ihnen der rechtsextreme Multifunktionär Jörg Hähnel, seines Zeichen Vorsitzender des lokalen NPD-Kreisverbandes und Mitglied im Bundesvorstand der NPD, das DVU-Mitglied Sascha Kari ebenso wie der Anti-Antifa-Aktivist Paul Schneider. Die Stimmung ist gereizt. Die Verbalnote des Demonstrationsanmelders, nicht gemeinsam mit Rechten oder Linken demonstrieren zu wollen, bleibt an diesem Tag ein hehrer Wunschtraum.

Aufstand der Kleinbürger

Als es losgeht ist klar, dass die Neonazis mitmarschieren dürfen, am Ende der Demonstration als eigener Block. Später steht auf den Seiten der Berliner NPD zu lesen, dass Hähnel und Kameraden 'privat' an der Veranstaltung teilnahmen. Der Grund dafür ist simpel: Parteienvertreter wollten die Bürgeraktion eigentlich nicht auf ihrer Demonstration dulden. Doch in bestimmten Notsituationen kennen bekanntlich Deutsche keine Parteien mehr: Es gilt nur noch das völkische Prinzip.



10:30 bewegt sich der Mob aus Neonazis, Stammtischrassisten und chauvinistischen Kleinbürgern mit dem Ziel Rathaus Pankow los. Mit den Rufen "Nein, nein, nein zur Moschee" biegt die Demonstration lautstark aus der Tiniustraße in die Prenzlauer Promenade ein. Als das Häuflein Liberaler ins Blickfeld der Demonstranten rückte, entlädt sich das erste Mal der geballte Zorn. "Geht doch nach Hause", oder Angebote, doch endlich in die Linkspartei überzutreten, prasselten wild auf die Gegendemonstranten ein.

Nur hundert Meter weiter steht das Original am Rande der Demonstration, eine Abordnung der Linkspartei mit dem Transparent "Für Religionsfreiheit und Toleranz". Neben dem Bezirksvorsitzenden aus Pankow, Gernot Klemm, dem Mitglied im Abgeordnetenhaus, Marion Seelig, stellte sich auch der Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus, Stefan Liebich, öffentlich gegen die rassistische Hetze von Rechts. Die Antwort aus dem Demonstrationszug war dementsprechend und vielstimmig: minutenlang stimmten die Moscheegegner "Schämt Euch" Sprechchöre und Buhrufe an.

Kein Ende der Fahnenstange in Sicht

Den rund 30 autonomen Antifaschisten, die ständig versuchten an die Route zu gelangen, um die Demonstration zu blockieren, erging es ebenso. Wenn sie nicht gerade von der Polizei weiträumig vom Demonstrationszug fern gehalten wurden, bekamen sie die Schimpftiraden der Moscheegegner zu hören. Die Sprechchöre der Antifaschisten gehen einfach immer wieder im Lärm der Heinersdorfer Bürger unter.

Anderthalb Stunden später, gegen 11:30, endete der braune Spuk vor dem Rathaus Pankow. Der befürchtete Sturm aufs Rathaus blieb am 20. Mai zwar vorerst noch aus, doch die Organisatoren von der rechten Bürgeraktion kündigten schon an, mit ihrem Straßenprotest weiterzumachen. An Selbstbewusstsein jedenfalls mangelt es den Moscheegegner nicht. Nachdem der juristische Einspruch gescheitert ist, wollen sie nun über den Druck der Straße verhindern, dass die erste Moschee in Ostberlin Realität wird. Bleibt zu hoffen, dass sie damit keinen Erfolg haben.

Mittwoch, 17. Mai 2006

Misses Voltaire flüchtet in die USA

Islamkritikerin Ayan Hirsi Ali verlässt im Eklat die Niederlande

 

Ralf Fischer / Mut gegen rechte Gewalt


Ursprünglich wollte die engagierte Frauenrechtlerin und Abgeordnete des holländischen Parlamentes erst 2007 in die USA übersiedeln. Doch die niederländische Ministerin für Immigration und Integration entzog Hirsi Ali jetzt die Staatsbürgerschaft. Grund: 1992 hatte die engagierte 37jährige Frau falsche Angaben in ihrem Asylverfahren gemacht. Doch ihre Mahnungen halten Bestand.

Ayaan Hirsi Ali, 1969 in Somalia geboren, machte schon im Kindesalter ihre ersten Erfahrungen mit der Barbarei der islamischen Religion. Ein Koranlehrer brach ihr den Schädel, als er sie züchtigte, im Alter von fünf Jahren wurde sie ohne Wissen und gegen den Willen ihres Vaters auf Veranlassung ihrer Großmutter beschnitten und nach der Flucht ihrer Familie nach Kenia musste sie eine religiöse Mädchenschule besuchen. Hirsi Ali erhielt dort eine orthodoxe islamistische Erziehung und trug auch den Hidschab (Ganzkörperschleier). 1992, im Alter von 23 Jahren, sollte sie an einen Cousin aus Kanada verheiratet werden, den sie noch nie gesehen hatte.

Doch es kam anders. Auf ihrer Reise via Deutschland nach Kanada entschied sie sich dem Alptraum zu entfliehen. Anstatt in das nächste Flugzeug einzusteigen, blieb sie zunächst einige Tage in Düsseldorf um schließlich mit dem Zug in die Niederlande einzureisen. Dort beantragte sie Asyl und erhielt es aus humanitären Gründen auch. Den Behörden verschwieg sie dabei ihren kurzen Aufenthalt in Deutschland, der, wäre er den niederländischen Behörden bekannt gewesen, dazu geführt hätte, dass sie in Deutschland Asyl hätte beantragen müssen.

Kurzer Prozess

Vor einer Woche nun strahlte der Sender VARA eine Reportage über Ayaan Hirsi Ali aus, worin auch auf ihre seit längerem bekannten falschen Angaben in ihrem Asylverfahren 1992 hingewiesen wurde. Diese Tatsache schien bis dato, der aktuellen niederländischen Ministerin für Immigration und Integration Rita Verdonk (VVD) unbekannt gewesen zu sein. Jedenfalls kündigte sie keine vier Tage später, am 15. Mai 2006, an, dass Hirsi Alis Einbürgerung nach ihrer Meinung für hinfällig ist und ihr die niederländische Staatsbürgerschaft aberkannt werden müsse.

Doch bei einer bloßen Ankündigung beließ es die ehemalige Gefängnisdirektorin nicht: In einem wahrlich unglaublichem Tempo für die eigentlich doch recht langsamen Mühlen der holländischen Bürokratie wurde schon am nächstem Tag die Ausbürgerung von Hirsi Ali durchgeführt. Begründung: Sie hätte ja in Deutschland Asyl beantragen können, aber nicht in den Niederlanden...

Die Ausbürgerungsforderung und die außergewöhnliche Schnelligkeit des Verfahrens sorgt in den Niederlanden für heftige Diskussionen. Allein die Tatsache, dass Frau Hirsi Ali schon vor drei Jahren zugab, dass sie bei ihrer Einreise den Behörden gegenüber falsche Informationen über ihre Einreise gemacht hatte, macht die Reaktion der Innenministerin für viele Holländer nicht nachvollziehbar.

Last Exit: USA

Innerhalb der nächsten 6 Wochen soll auf Druck des Parlamentes hin das umstrittene Ausbürgerungsverfahren noch einmal auf "Ermessensspielraum" hin überdacht werden. Doch die Würfel sind für Hirsi Ali schon gefallen. Eine erfolgreiche Gerichtsklage ihrer Nachbarn, die sich wegen ihres Personenschutzes gestört sahen und den Verfall der Immobilienpreise beklagten, beschleunigte ihren Entschluss die Niederlande zu verlassen. Einen Tag bevor ihr die Staatsbürgerschaft aberkannt wurde, legt Hirsi Ali bereits ihren Parlamentssitz nieder. In den USA wollte Hirsi Ali ursprünglich erst 2007 für den neokonservativen Thinktank „American Enterprise Institute" in Washington (D.C.) arbeiten, aber womöglich fängt ihr Engagement dort etwas früher an. Der Presse jedenfalls gab sie die Auskunft: "Ich bin traurig und erleichtert zugleich".

Als vor wenigen Wochen der Streit um islamkritische dänische Karikaturen entbrannte, hatte Ali auch in Deutschland halt gemacht und in einer Grundsatzrede Position bezogen. Vom damals geäußerten hat sie nichts zurückzunehmen.

Mittwoch, 10. Mai 2006

Streit im braunen Kindergarten

Neonazis liegen sich wegen ihrer diesjährigen 1. Mai-Aktionen in den Haaren

 

Ralf Fischer / Mut gegen rechte Gewalt


Eine Reihe regionaler Neonazidemonstrationen in Sachsen und Brandenburg sorgen für Unruhe. In der Zivilgesellschaft vor Ort, aber auch in der rechtsextremen Kameradschaftsszene. Die Organisatoren werten ihre Aufmärsche als Erfolg. Bisherige Neonaziführer dagegen nicht.

Um die Durchführung einiger Spontandemonstrationen am vergangenen 1. Mai ist auf unterschiedlichen neonazistischen Internetseiten und Foren eine wüste Kommentarschlacht entbrannt. Kader der thüringischen, sachsen-anhaltinischen und sächsischen Kameradschaftsszene waren aus der Szenehierarchie ausgeschert. Sie beteiligten sich weder am - auch in der braunen Szene schon "Wanderzirkus" genannten - Leipziger Aufmarsch des Hamburger Neonaziführers Christian Worch, noch an der bundesweiten NPD-Demonstration in Rostock. Stattdessen marschierten sie spontan in ihren Regionen auf und störten dabei unter anderem traditionelle 1.Mai-Veranstaltungen der lokalen Linkspartei.

Braune Kaffeefahrt durch die Provinz

Knapp ein Monat nachdem den braunen Kameraden verboten wurde, in Bautzen für den derzeit vor Gericht stehenden Revisionisten Ernst Zündel aufzumarschieren, demonstrierten am 1. Mai über 150 Kameradschaftsaktivisten und Mitglieder der Jungen Nationaldemokraten unangemeldet in dem Zentrum der Oberlausitz. Pünktlich um 12 Uhr startete die dreiteilige Demotour organisierter Nationalisten in der Lausitz. Die völlig überforderte Polizei vor Ort war nicht in der Lage den Flugblätter verteilenden und Parolen grölenden Haufen aufzuhalten. Über eine halbe Stunde lang konnten die Neonazis ungestört durch Bautzen demonstrieren. Erst als Polizeiverstärkung kam, meldeten sie ihre Demonstration kurzerhand an.

Nächster Stopp der rechtsextremen Demotouristen war die Kleinstadt Niesky. Dort trafen sie gegen 14 Uhr ein und führten das gleiche Propagandaprogramm wie zuvor in Bautzen durch. Auch diesmal wieder völlig ungestört. Nur am Ende der Tour durch Niesky kam die braune Kaffeefahrt etwas ins Stocken. Die Polizei erwartete die Teilnehmer der illegalen Demonstration und führte eine Personalkontrolle durch. Doch auch dieses staatliche Instrument lief ins Leere. Keine Stunde später tauchten die ersten Neonazis im brandenburgischen Hoyerswerda auf um die Demotour weiterzuführen.

Dort störten sie das landesweite 1.Maifest der Linkspartei in Hoyerswerda. Mit Transparenten bewaffnet stürmten die Neonazis vor die Bühne und riefen unentwegt die Parole "PDS-Arbeiterverräter". Da die eingesetzte Polizei gänzlich überfordert auf die massive Störung reagiert, bauten die Mitglieder der lokalen Linkspartei das Fest lieber schnell ab. Im sächsischen Freital traten ebenfalls 100 Neonazis am 1. Mai auf den Plan, um - statt polizeiabgeschirmt in Leipzig oder Rostock - aussichtsreicher vor Ort zu demonstrieren.

Rechte Reaktionen

Während die sächsischen Neonazis auf ihre Weise Erfolgserlebnisse feierten, standen sich in Leipzig die rund 550 Gefolgsleute um Christian Worch und Steffen Hupka wieder einmal die Beine in den Bauch. Das Völkerschlachtdenkmal, welches für die beiden Neonazikader und ihre Anhänger zu erreichen galt, blieb auch an diesem Tag - dank vielfältiger zivilgesellschaftlicher und antifaschistischen Protestaktionen – weiterhin unerreichbar. Schon als Mitte April in der rechtsextremen Szene bekannt wurde, dass es eine weitere Demonstration am 1. Mai aus dem Spektrum der so genannten Freien Nationalisten gleich um die Ecke – nämlich in Magdeburg – geben sollte, ärgerte es Christian Worch über die Maßen. Dem Hauptorganisator zahlreicher Neonaziaufmärsche vor allem im Osten stieß es besonders unangenehm auf, dass nur 100 Kilometer entfernt quasi eine Konkurrenzveranstaltung aus dem militanten Kameradschaftsspektrum heraus organisiert wurde, als deren Wortführer er sich gerne in der Öffentlichkeit darstellt.

Doch die meisten der Kameraden hatten einfach keine Lust mehr auf den Kessel Braunes in Leipzig. Auch der neue Zweitanmelder der Demonstration in der Messestadt, Steffen Hupka, ist kein großer Liebling der Szene mehr. Seit einiger Zeit soll er Kameraden noch sehr viel Geld schulden, welches er angeblich in ein politisches Hausprojekt in Sachsen-Anhalt stecken wollte. Doch die eignen Szene wirft ihm vor, dass davon Geld im Ausbau seines eigenen Hauses gelandet sei.

Spontan offensiv

So war frühzeitig abzusehen, dass sich in diesem Jahr wohl kaum die Masse der Neonazis nach Leipzig mobilisieren lassen würde. In nicht öffentlich zugänglichen Foren wurden dagegen die Alternativen zu den zentralen Aufmärschen diskutiert. Nicht angemeldete oder sehr kurzfristig angemeldete regionale Demonstrationen waren die Antwort einiger lokaler Neonaziaktivisten aus Ostdeutschland, um in diesem Jahr auf die aufkommende Demonstrationsmüdigkeit in den eigenen Reihen zu reagieren. Die Möglichkeit unangemeldet zu demonstrieren versprach den eigenen Anhängern mehr Nervenkitzel, als der Ritus der regelmäßigen zentralen Aufmärsche. Rechtsextreme Kameradschaften in Mecklenburg-Vorpommern haben dies schon in den vergangenen Jahren vorexerziert und spontan Bühnen auf Volksfesten erobert.

Die rechtsextremen 1.Mai-Aktivisten aus Ostsachsen prahlen derzeit im Internet, im Gegensatz zu Worch & Co., an ihren politischen Gegner „bis auf Nasenlänge“ herangekommen zu sein und ihre Propaganda breit im Volk verteilt zu haben. Sie argumentieren damit, dass es an jedem anderen Tage im Jahr möglich wäre in Leipzig zu demonstrieren, aber am 1.Mai sollten besser lokale Möglichkeiten ausgenutzt werden, da zu dieser Zeit „in der eigenen Region dutzende Veranstaltungen von PDS-DKP-MLPD usw. stattfinden“. Zivilgesellschaft und Polizei werden sich auf diesen strategischen Schwenk einstellen müssen.

Donnerstag, 4. Mai 2006

Brüder im Geist

Deutsche Neonazis solidarisieren sich mit 'islamischen Völkern'

 

Ralf Fischer / Mut gegen rechte Gewalt


Als der NPD-Bundesvorsitzende, Udo Voigt, im Herbst 2002 gemeinsam mit dem Holocaustleugner Horst Mahler eine Veranstaltung der islamitischen Gruppe Hizb ut-Tahrir in der Technischen Universität zu Berlin besuchte, gingen viele Rechtsextremismusexperten noch davon aus, dass eine Allianz zwischen den beiden Antipoden kaum möglich wäre. Damit haben sie Unrecht.

Mit dem Amtsantritt des neuen iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad vor über einem halben Jahr haben viele neonazistische Gruppierungen in Deutschland ihre Liebe für die Mullahs entdeckt. Das Interesse diese Allianz speist sich aus dem beiderseitigen Wissen um den gemeinsamen Feind. Vor allem aber erst die antisemitischen Hasstiraden von Ahmadineschad vor der Weltöffentlichkeit haben den Stellenwert des Präsidenten der Islamischen Republik Irans ins Blickfeld deutscher Rechtsextremisten gerückt.

Bisherige Höhepunkt der gegenseitigen Liebesbekundungen war auf der einen Seite die Einladung aus dem Iran an Horst Mahler an einer internationalen Tagung von Revisionisten in Teheran teilzunehmen und die Ankündigung des Landesverbandes Sachsen der NPD, der iranischen Fußballmannschaft unter dem offiziellen Motto Die Welt zu Gast bei Freunden in Leipzig die Ehre zu erweisen. Mahler konnte der Einladung nicht folgen, da ihm für den infrage kommenden Zeitraum den Pass entzogen wurde. Was genau die NPD während der Spiele der iranischen Nationalmannschaft plant ist noch unbekannt, aber allein vier Demonstrationen in der Zeit der WM hat die NPD bereits in Leipzig angemeldet. Dort spielt der Iran bespielsweise am 21. Juni gegen Angola.

Gemeinsam gegen den 'Oneworldterror'

Doch die neue Völkerfreundschaft wird schon überall von den braunen Kameraden gepriesen. Und sie geht weit über bloße Lippenbekenntnisse hinaus: Derzeit wird auf den Internetseiten von 'Freien Nationalisten' aus Ostdeutschland dazu aufgerufen, sich im Falle einer von der USA angeführten Militäroperation gegen den Iran spontan auf der Straße zu versammeln um Solidarität mit dem Iran, dem "Symbol der freien Welt" wie es in dem Aufruf so larmoyant formuliert wird, zu demonstrieren. Das Pamphlet welches in rechten Internetforen kursiert, erinnert an viele Aufrufe aus der radikalen Linken im Vorfeld des Irakkrieges. Sprache und Diktion ähneln sich bis ins Detail. So rufen die Rechten ebenso wie ihr linker Gegenpart vor drei Jahren zu einem so genannten Tag X auf.

Gänzlich verwunderlich ist das aber wiederum auch nicht. Wenn sich radikale Linke und extreme Rechte in einem Punkt recht einig sind, dann in der kategorischen Ablehnung des Imperialismus. Für beiden Seiten symbolisieren den Imperialismus vor allem die Staaten USA, Großbritannien und Israel, europaweit schimpfen sie oft auch über die "Ostküste", weil sie im Osten der USA viele Juden vermutet. Das ist auch der ideologische Kitt der die deutschen Neonazis und die iranischen Mullahs zu Verbündeten macht, der Kampf gegen das Judentum und vermeintliche Imperialisten. Für die Neonazis stellt der Iran das „Symbol der freien Welt“ dar, nicht die USA. 

In ihrem Aufruf zur Mobilmachung werfen die Neonazis den amerikanischen Geheimdiensten vor, mittels der Mohammed-Karikaturen in einer dänischen Zeitung den Kampf der Kulturen überhaupt erst zu provozieren. Ähnliches konnte man in den letzten Monaten auch auf linken oder islamistischen Internetforen lesen. 

Antisemitische Sammlungsbewegung?

Trotzdem bleiben sich die Neonazis in einem Punkt treu: So heißt es zwar in dem Aufruf "Solidarität mit dem Iran", dass man sich zur Freiheit der islamischen Völker bekennt und sich mit ihnen solidarisiert im Kampf gegen den US-Imperialismus, aber einer "Islamisierung" treten die Nationalisten aus Ostdeutschland dennoch entgegen, unlängst vorgeführt beim demagogischen Protest gegen einen Moscheebau in Berlin-Pankow.

Die Verbrüderung mit den iranischen Mullahregime bedeutet für strammdeutschen Kameraden nicht Solidarität im praktischen Sinne, sondern einfach die Möglichkeit den Presserummel der im Falle eines Angriffes auf den Iran auszunutzen um ihre eigenen Propaganda zu betreiben.Ideologisch bleiben Neonazis und die Führung des Iran deshalb trotzdem Brüder im Geiste. Vor allem da zwischen der deutschen Variante des Antisemitismus und der iranischen nur ein hauchdünnes Blatt Papier passt. 

Diese Tatsache und die politische Konjunktur sind zwei Garanten dafür, dass der Brückenköpfe zwischen den Antisemiten aus dem Orient und jenen aus dem Okzident stetig weiter ausgebaut wird. Trotzdem gilt es dabei einen Unterschied ums Ganze immer im Auge zu behalten: Die Mullahs in Teheran haben womöglich bald eine Atombombe und die damit verbundene Macht. Von solch einer Macht können die Neonazis in Deutschland vorerst nur träumen. Ihre Waffen sind anderer Art.

Montag, 1. Mai 2006

«Weil für mich jeder Mensch etwas Besonderes ist»

Im Gespräch mit Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung

 

Ralf Fischer / Jüdische Zeitung


RF: Frau Kahane, wir sitzen hier in den Räumen der Amadeu Antonio Stiftung. Sie sind seit mehreren Jahren Vorsitzende der Stiftung. Wir kam es zu deren Entstehen, und was ist das vorrangige Anliegen?

AK: In der Zeit, bevor wir die Amadeu Antonio Stiftung gegründet haben - das war 1998 - habe ich viele Jahre auf der Geld nehmenden Seite gesessen und immer Anträge gestellt, um Projekte gegen Rechtsextremismus und für interkulturelle Bildung in Gang zu bringen. Doch recht bald hatte ich das Gefühl, das reicht nicht. Wir brauchten auch eine Stiftung, die wiederum anderen Leuten zur Seite steht, um sie mit Geld, Rat und Tat zu unterstützen. Und so kam es zur Gründung der Stiftung.

Woher kommt die Unterstützung für die Amadeu Antonio Stiftung?

Wir sind eine private Stiftung. Das heißt, wir sammeln Spenden, und wir bekommen Zustiftungen - kleine, aber immerhin. Und so versuchen wir nach und nach eine Stiftung aufzubauen, die Projekte und Initiativen gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus nachhaltig fördern kann. Doch wir fördern nicht nur, sondern gehen bestimmte Themen auch selbst an - zum Beispiel Antisemitismus. Der ist ja gerade auch in Ostdeutschland sehr tief verwurzelt und hat jetzt, unter den neuen weltpolitischen Voraussetzungen, ein anderes Gesicht bekommen. Darüber hinaus beschäftigen wir uns mit Bürgerstiftungen für demokratische Kultur, entwickeln Schulmaterialien zu den Themenkomplexen Geschichte, Islamismus und menschenfeindliche Ideologien. Wir unterstützen auch «Exit», das Aussteigerprojekt für Leute, welche die rechte Szene verlassen wollen.

Ein bekanntes Beispiel für ihr lokales Engagement ist der jüdische Friedhof in Berlin-Weißensee, der ja nun leider regelmäßig von Antisemiten geschändet wird. Die Stiftung hatte sich im Jahre 2001 engagiert, als über 100 Grabsteine zerstört wurden...

...übrigens auch der meiner Großeltern.

Damals hat die Stiftung einen Berliner Steinmetz unterstützt, der die teilweise komplett zerbrochenen Grabsteine kostenlos wieder hergerichtet hat. 

Das ist wirklich eine sehr traurige Geschichte. Der Steinmetz Ottmar Kagerer hatte damals seine Kollegen von der Innung aufgefordert, die Gräber kostenlos zu reparieren, welche die Neonazis kaputtgeschlagen hatten - und ist dann selbst Opfer der Rechten geworden. In einer einzigen Nacht wurde ihm das gesamte Steinlager zertrümmert. Deshalb haben wir für ihn Geld gesammelt. 

Viele Leute haben damals kleine Spenden gegeben, und es kam mehr Geld zusammen, als benötigt wurde, um die zerstörten Steine zu ersetzen. Das war der erste Grundstock der Stiftung, um Opfer rechter Gewalt zu unterstützen. Damit haben wir dann den ersten kleinen Opferfond gegründet.

Wie haben Sie es geschafft, in den vergangenen acht Jahren immer wieder den Mut und die Kraft zu finden, sich andauernd in der Öffentlichkeit gegen rechte Gewalt zu positionieren?

Die Frage, wie lange man es aushält, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, lässt sich auch mit so einer Geschichte wie Weißensee beantworten. Es gibt immer wieder Situationen, in denen unserem Anliegen unerwartet viel Solidarität entgegengebracht wird oder die Bereitschaft, sich auseinanderzusetzen, steigt - weit über die eigenen Kräfte hinaus. Und das gibt mir persönlich auch immer wieder sehr viel Kraft. Ansonsten frage ich mich das natürlich nicht jeden Morgen beim Aufstehen.

Zwischenmenschlicheaufmunterung und Ermutigung lädt Ihre Batterien also immer wieder auf?

«Aufladen» ist zuviel gesagt. Es passieren ja leider immer mehr negative Sachen als positive. So sieht das Dilemma aus: Wenn man sich sehr damit beschäftigt, dann sieht man die Dinge auch stärker. Es gibt zum Beispiel viele Leute, welche die Landkarte rauf und runter Ortsnamen anhören können, die ihnen nichts weiter sagen als: «kenn ich nicht», «schöne Landschaft», «war ein netter Urlaub» oder: «Da muss ich mal hinfahren». Es sind aber oft auch Orte der Gewalt, und für mich ist das dann meist eine Topographie des Terrors. Doch ich denke nicht immer nur an das Schlechte. Je mehr andere Leute diese Probleme wahrnehmen, sich darüber aufregen und zu handeln beginnen, desto entlasteter fühle ich mich.

Bekommt die Stiftung substantielle Unterstützung von außen? Und wenn ja, von wem? 

Ja, klar. Zum Beispiel von den Spendern, die statt einem Abo uns regelmäßig Geld überweisen. Oder von Jugendlichen, die Konzerte für uns veranstalten. Oder von Brautpaaren, die zu unseren Gunsten auf Blumen oder Geschenke verzichten.

Des Weiteren hat die Stiftung natürlich auch eine gewisse Anregungsfunktion in der gesellschaftspolitischen Diskussion darüber, was man jetzt gegen Rechtsextremismus machen kann. Deshalb unterstützt uns die Freudenberg-Stiftung aus Weinheim, und wir bekommen Gelder aus staatlichen Programmen für spezielle Projekte. So haben wir in den letzten Jahren, besonders in Ostdeutschland, Fortbildungsseminare für Mitarbeiter organisiert, die in Anti-Rechts-Initiativen aktiv sind, vor allem zum Thema «Neuer Antisemitismus». Die Tradition, aus der die Anti-Rechts-Leute kommen, ist ja nicht immer frei von Antisemitismus, um es mal vorsichtig auszudrücken.

Das ist kein erfreulicher Zustand: Die zivilgesellschaftlichen Aktivisten gegen Rechtsextremismus müssen zum Thema Antisemitismus extra beraten werden. Wie Erfolg versprechend ist Aufklärung bei diesem Thema überhaupt?

Es gibt gerade unter meinen jüdischen Freunden nicht wenige, die mir immer mal wieder den Vogel zeigen und sagen: «Du spinnst total». Mit Aufklärungsmaßnahmen, Informationsveranstaltungen und pädagogischen Interventionen etwas gegen Antisemitismus zu bewirken, halten sie für Zeit- und Kraftverschwendung. Mir tut so eine Art von Zynismus ein bisschen weh, aber es ist auch etwas Wahres dran. Doch man kann und muss etwas tun, zum Beispiel in der Bildung, durch allgemeine Information und natürlich auch durch Repression. Es darf den Antisemiten und Rassisten auch weiterhin nicht erlaubt sein, ihre «Sau durchs Dorf zu treiben».

Beim neuen Antisemitismus wirken natürlich Bilder und Traditionen aus der Vergangenheit nach, und dabei gibt es durchaus auch Unterschiede zwischen Ost und West.

Wenn ich beispielsweise in den neuen Bundesländern unterwegs bin, dann spüre ich auch, dass die Nazizeit mit all ihren Verbrechen dort noch massiver verdrängt wurde, und ich spüre auch, was strukturell an Antisemitismus in der DDR-Zeit vorhanden war. Da wurden einfach Friedhöfe platt gemacht, Einrichtungen der jüdischen Gemeinden zweckentfremdet genutzt oder in einer Weise mit Überlebenden des Holocaust umgegangen, dass einem die Spucke wegbleibt.

Der Antisemitismus wurde in der DDR als «Sozialismus der dummen Kerls» verstanden. Und der Nationalsozialismus als alleinige Veranstaltung des Großkapitals...

Richtig, und am Ende steht hinter dem Großkapital das Judentum, und dann sind die Juden wieder selbst Schuld. Außerdem - und das dürfen wir nicht vergessen oder unterschätzen - war die DDR erfüllt von wirklich aggressivem und bösartigem Antizionismus. Der Staat Israel ist ja von Seiten der DDR nie in seinem Existenzrecht anerkannt wurden. Das muss man sich einmal vorstellen: Ein deutscher Staat bestreitet das Recht des jüdischen, überhaupt da zu sein! Die DDR-Propaganda verkündete tagtäglich ihre antisemitische Hetze gegen Israel. Man darf auch nicht vergessen, dass außerdem viele Terroristen hier ausgebildet wurden. Westdeutsche wie arabische. Oftmals, wenn ich einschlägige linke Blätter lese, habe ich das Gefühl, ich höre diesen alten DDR-Jargon wieder. Leute, die heute noch solche antizionistischen Töne verkünden, müsste man mal in ein Archiv setzen und ihnen drei Tage hintereinander bei Matze und Tee den «Schwarzen Kanal» und die «Aktuelle Kamera» vorführen.

Frau Kahane sie sind selbst in der DDR aufgewachsen. Mit 16 Jahren haben sie offen einen Davidstern um den Hals getragen. Wie war die Reaktion der Umwelt? 

Das ist in Deutschland nie ohne Risiko, aber in der DDR war es etwas Besonderes. Meine Eltern fanden es überhaupt nicht lustig. Meine Muter wollte solche Bekenntnisse nicht. Und mein Vater hatte Angst um mich. Und er hatte auch Grund dazu. Die Leute haben mich darauf angesprochen, in meiner Gegenwart furchtbare Judenwitze erzählt - oder antisemitische Bemerkungen gemacht und sich halb tot gelacht, wenn ich dann empört war. Denn: Strafe muss sein - selber Schuld, wer so etwas trägt. Unrechtsbewusstsein oder irgendeine Form von Schamgefühl gab es da gar nicht. 

Doch ich fühlte mich nicht nur als Jüdin sehr unwohl, es ging überhaupt allen Leuten so, die als «Abweichler» definiert wurden. Wenn man aus der Reihe tanzte oder dachte, dass man etwas Besonderes ist, dann war das ein ganz furchtbares Vergehen am Geist des Kollektiven. Manchmal wurde ich gefragt, ob ich mir denn einbilde, was Besonderes zu sein. Dann habe ich immer geantwortet: «Ja, klar. Weil für mich jeder Mensch etwas Besonderes ist!».

Sie engagieren sich seit langem nicht nur gegen Rechts, sondern auch bei der Integration von Zuwanderern und ehemaligen Vertragsarbeitern. Auch hier hatte sich die DDR nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Im SED-Staat wurden die Vertragsarbeiter aus Asien und Afrika in gesonderten Heimen untergebracht, was sie auf ihre Weise entfremdete und den Kontakt zur Bevölkerung erschwerte. Kann man den Umgang der DDR mit Juden und mit Ausländern vergleichen?

Nein, auf keinen Fall. Die Politik gegenüber den Vertragsarbeitern war eindeutig rassistisch. Sie hatten kaum Schutz und fanden wenig Solidarität. Nur einige Kircheninitiativen halfen bei eklatanten Menschenrechtsverletzungen, wenn es irgendwie ging. Die Situation der Juden stellte sich ganz anders dar. Die Juden galten immerhin als Bürger der DDR. Und dennoch gibt es einen Zusammenhang: Wer - wie die Menschen im sozialistischen System - nicht gefordert war, über die unselige Tradition des Umgangs der Deutschen mit Minderheiten zu reflektieren, konnte kaum die Verletzung der Würde von Menschen wahrnehmen, die in der DDR ausschließlich zum Arbeiten da waren und vom Rest der Gesellschaft abgeschottet wurden. Die Jüdischen Gemeinden haben sich damals leider überhaupt nicht für diese Vertragsarbeiter eingesetzt.

Nun zu den Juden in der DDR: Die meisten von ihnen waren ja keine Mitglieder der Gemeinde. Sie waren meist Kommunisten und damit säkular. Denn während in Westdeutschland nach der Befreiung der Lager sehr viele osteuropäische Juden zunächst in DP-Camps kamen und später auch in Westdeutschland blieben, kehrten in den Osten, also in die SBZ und spätere DDR, fast ausschließlich jüdische Kommunisten zurück. Und die waren Deutsche. Es gab also weitaus mehr deutsche Juden in der DDR als in der Bundesrepublik. Die kommunistischen Juden kamen zurück, weil sie glaubten, dass man mit Aufklärung und einem neuen, sozialistischen System einen besseren Staat aufbauen kann. Zu denen gehörten auch meine Eltern, und die waren natürlich mit dem Staat eng verbunden. Sicher, die wenigen jüdischen Gemeindemitglieder wurden immer gehegt und gepflegt. Die Gemeinden waren dem Staat vollkommen loyal gegenüber. Nur ab und zu regte sich Kritik an dem harschen antizionistischen Kurs von Partei und Regierung. Unter starken staatlichen Druck gerieten Juden in der DDR nur, wenn sie opponierten. Und dann blieben sie in der Regel nicht lange und gingen in den Westen. Daran sieht man, dass die Rolle der Juden in der DDR eine ganz andere war, als die der eingepferchten Arbeiter aus Afrika und Asien. Die Rolle der Juden mochte ambivalent gewesen sein, aber die Lebensbedingungen der ausländischen Vertragsarbeiter hingegen waren einfach nur skandalös.

Kam es denn aus Ihren DDR-Erfahrungen oder eher durch die Pogromstimmung Anfang der 90er Jahre, im bereits vereinigten Deutschland, zu Ihrem antirassistischem Engagement?

Mich haben alle diese Fragen schon immer sehr beschäftigt. Ich studierte deshalb auch Lateinamerikanistik und konnte auch dabei mitbekommen, wie problematisch - um nicht zu sagen: rassistisch - die Haltung der DDR gegenüber Menschen mit einem anderen Aussehen war. Diese Erfahrung hat meine eigenen Fremdheitsgefühle verstärkt und natürlich auch auf das ausgedehnt, was mit anderen Leuten geschieht. Als dann die Wendezeit kam, habe ich sofort reagiert und im Rahmen des Neuen Forums dazu aufgerufen, sich mit Ausländerfragen zu beschäftigen. Erst da fanden wir geeignete Möglichkeiten, wirklich handeln und helfen zu können. Unsere kleine Initiativgruppe war sich einig: «Jetzt schauen wir uns das alles systematisch an» - und sofort kamen Fragen auf wie: Was sind das überhaupt für Verträge, unter denen die ausländischen Menschen hier arbeiten müssen? Oder: Wie sieht es mit den binationalen Ehen aus? 

So begann ich auch die Arbeit am zentralen Runden Tisch der DDR, und einige unserer Vorschläge schafften es auf die Agenda der Beschlüsse. Übrigens führte einer der ersten dazu, dass die Juden aus der Sowjetunion in die DDR einwandern können. So beschloss es auf unsere Anregung die Volkskammer. Das war ein großartiger Erfolg. Plötzlich kam ich dann dazu, ein Amt zu bekleiden. Politisch «von Null auf 120» zu beschleunigen, hatte auch etwas Komisches. Mit einem Mal war ich Ausländerbeauftragte des Berliner Magistrats. Wir haben unglaublich viel und hart gearbeitet, um ein paar Sachen in Gang zu bringen. Mit dem Einigungsgesetz fiel das dann alles wieder in sich zusammen. Von unseren ausländerrechtlichen Vorschlägen wurde absolut nichts übernommen. Über Umwege gelang es dann dennoch, den Zuzug der sowjetischen Juden zu sichern.

Kann man sagen, dass die antirassistische Arbeit in Deutschland in den letzten Jahren schon einige Früchte getragen hat, die Ausländerfeindlichkeit aber aktuell durch antisemitische Ressentiments abgelöst wird?

Nein, das würde ich nicht behaupten wollen. Es gibt nach wie vor beides - Rassismus und Antisemitismus. Der Antisemitismus hat deutlich zugenommen, doch abgelöst hat er den Rassismus keineswegs. Und ja, ich denke schon, dass wir Erfolge bei der antirassistischen Arbeit vorweisen können. Inzwischen haben Teile der Bevölkerung auch in ländlichen Gebieten gelernt, dass die Menschen verschiedenster Herkunft zusammenleben müssen. Das heißt nicht, dass der Rassismus verschwunden ist. Ich glaube, dazu hat er sich zu stark in der Mitte der Gesellschaft etabliert. Doch da unsere Arbeit gut läuft, gibt es jetzt auch mehr Jugendliche, die sich eindeutig gegen Rechtsextremismus positionieren. Abrufbar bleibt der Rassismus aber jederzeit - sollten Politik und Medien es darauf anlegen. Ich denke aber, dass dies niemand will. Doch sollte auch niemand mit dem populistischen Feuer spielen - das geschieht immer wieder und ist gefährlich.
Der Antisemitismus funktioniert anders, mal subtil und mal offen. Er war im Osten versteckt in bestimmten kulturellen, politischen und sozialen Bildern. Er war codiert, wie in einem Kokon. Ich habe schon vor dem 11. September 2001 prognostiziert, dass Antisemitismus sich auch im Osten entfalten wird. Es war klar, dass er irgendwann schlüpfen würde. Nach dem 11. September ist eine Situation eingetreten, die dem Antisemitismus einen weiteren Impuls gegeben hat. Gerade dieser Anschlag in New York hat den Ostdeutschen suggeriert, dass es nicht alles falsch war, was sie im Staatsbürgerkundeunterricht über die bösen Zionisten, die bösen Amerikaner und überhaupt die Ursachen aller Probleme auf der Welt gelernt haben. Deswegen meine ich, dass zum Rassismus noch weiteres dazugekommen ist.

Derzeit wird oft behauptet, die Islamophobie hätte den Antisemitismus abgelöst. Das halte ich für reine Polemik. Ich bin nicht sicher, was an aktuellen ausländerfeindlichen und rassistischen Äußerungen und Stimmungen wirklich islamophobisch ist. Das untersucht auch die Forschung zurzeit noch. Ich glaube aber, dass es hierzulande einen Rassismus gibt, der sich gegen die «Ausländer» an sich richtet und der die Religion nur vorschiebt. Was an der Religion, vor allem am politischen Islam wirklich gefährlich ist, wird dabei verdeckt. Deswegen muss man hier ganz genau unterscheiden.

Es kursiert ja auch die groteske Behauptung, die Moslems seien die Juden des neuen Jahrtausends...

Ach, da gibt es auch noch andere schöne Sachen. Zum Beispiel hat ein ehemaliger DDR-Schriftsteller neulich behauptet, die Ostdeutschen seien die Juden der Westdeutschen, weil sie deren Opfer sind. Unglaublich! Also, man kann heute alle möglichen Leute zu den Juden machen. Damit wird immer wieder das Singuläre am Holocaust und an der deutschen Geschichte relativiert. Das ist natürlich Blödsinn und verantwortungslos.

Woher kommt Ihrer Meinung nach die Motivation zu solch einem Geschichtsrevisionismus?

Man will sich entlasten. Wenn alles das Gleiche ist, dann brauchen wir uns über das Spezielle auch keine Gedanken mehr zu machen. Dann müssen wir darüber nicht mehr nachdenken und können den Juden im Nachhinein noch einmal einen Tritt verpassen.


Zur Person: Anetta Kahane

wurde 1954 in Ostberlin geboren, ihre Eltern waren während der nationalsozialistischen Diktatur aus politischen und rassischen Gründen verfolgt worden. Von früh an interessierte sie sich für andere Länder und Kulturen. In den 1970er Jahren studierte Anetta Kahane Lateinamerika-Wissenchaft und afrikanische Sprachen an der Humboldt-Universität Berlin. Während der 1980er Jahre arbeitete sie als Sprachdozentin und (literarische) Übersetzerin. Im Frühjahr 1989 begann ihr Engagement beim «Neuen Forum», wo sie eine Arbeitsgruppe Ausländerfragen mit initiierte. Während der politischen Wende 1989/90 wurde sie zur Ausländerbeauftragten des Ostberliner Magistrats. Mehr als zehn Jahre lang baute Anetta Kahane danach in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen das Netzwerk «Regionale Arbeitsstellen für Ausländerfragen» (RAA) mit auf. Im Dezember 1998 war sie Gründungsmitglied der Amadeu Antonio Stiftung, seit drei Jahren leitet sie den Stiftungsvorstand. Im Jahre 2004 erschien Anetta Kahanes Autobiographie unter dem Titel «Ich sehe was, was du nicht siehst. Meine deutschen Geschichten» bei Rowohlt Berlin. Sie ist Mutter einer 20jährigen Tochter.