Dienstag, 31. Januar 2006

Schuld und Sühne

Die Repression in den Zeiten des Bushido. Warum Berliner Rapper so erfolgreich sind

Ralf Fischer / Junge Welt

Seit geraumer Zeit sind die Protagonisten der Berliner Rapszene Lieblingsthema bei den Jugendschützern. Sie sagen, die Rapper seien sexistisch und homophob. Was sie auch sind. Doch wer vor ihnen warnt, macht für sie PR. Achtung, Unterschicht! Nicht diskursfähig! Erst ihre Verteufelung ermöglichte den Berliner Proleten den kometenhaften Aufstieg. 

»Und die verbieten mich / doch die Kinder lieben mich«, reimt Bushido im schlechten Stakkato selbstsicher auf seinem neuen Album »Staatsfeind Nr. 1«. Der bekennende SPD-Wähler ist samt seinen ehemaligen Battle-Rap-Kollegen vom Plattenlabel »Aggro Berlin« so etwas wie die späte Rache am linkspolitisch-korrekten Deutschrap vergangener Tage. Die Attitüde, sich als »Starke Verlierer« zu gerieren, ist in erster Linie eine Antwort auf den Fun-HipHop made in Germany aus den 90er Jahren und erst in zweiter Linie eine Erfindung von Labelbossen. Sido, Fler und Bushido sind die Böhsen Onkelz im Deutschrap. Sie sind zielgenau antimodern, auf flotte Art und Weise besonders dumpf und bestätigen alle Voruteile. Sie sind auch nicht die Besten ihres Genres, tragen aber dafür panisch dick auf. Der Kampf dieser Underdogs um Aufmerksamkeit erinnert an Kinder, die ihre Mütter auffordern, ihnen endlich mehr Beachtung zu schenken. In ihren Liedern setzen sie sich verbalradikal in Szene, um eine abstoßende Stärke zu demonstrieren, die sie dann in Interviews als Kunst bezeichnen. Der alte Rammstein-Trick (vergl. u. a. jW 3.9.97, jW 5./6.5.2001). Konformistische Rebellen, die hauptsächlich auf dem Schulhof und im Kinderzimmer gehört werden. Denn wer steht da schon auf und geht auf Nimmerwiedersehen? Wo doch Ausbildung so wichtig ist!

Auch die Rapper bilden aus. Lehr- und Lernfach ist die repressive Sexualmoral, wonach Sex immer mit Schuld und Sühne in Verbindung steht. Das wird von manchen Popstars vielleicht anders gesehen, doch die Underdog-Rapper beten das herunter, als wären sie die eigenen Eltern. Nur die Wörter, die sie benutzen, machen den Unterschied. So etwas wie einen »Arschficksong« möchten Eltern und Jugendschützer nicht im Radio. Kids hören sich das Lied gerne an, denn sie teilen die Ressentiments gegen Schwule. Aggressive Zwangsheterosexualität hat noch niemandem geschadet, der es im Leben weit bringen soll und will. Wer sich nicht hart macht, der wird untergebuttert – das ist das kapitalistische Prinzip in Kurzform. Wenn Deklassierte andere deklassieren, dann entwickeln sie sogar Selbstbewußtsein. Kinder sollen doch selbstbewußt sein, hört man immer wieder. Bei Bushido und seinen Kumpels wird nichts gesellschaftlich kritisiert, sondern individuell Angst verbreitet. Offiziell. Live ist es eher trübe: »Und dann? Passierte im Grunde nichts«, stellte Tobias Rapp verwundert in der taz über Bushidos Berlin-Konzert fest.

Daß es trotzdem auch anders geht, demonstriert Rapper Samy Deluxe. Gemeinsam mit den Headliners und einigen anderen Hamburger Kollegen hat er für sein Label »Deluxe Records« eine Platte gezaubert, die für all den »Deutschrap«-Schrott entschädigt. Handwerklich erinnert der Style der Hamburger eher an die US-amerikanischen Vorbilder, als an den blechernen Sound der deutschen Nachahmer. Gewohnt gekonnt rappen Samy Deluxe und die Headliners über die Szene, das Leben und die Liebe. Ob es nun um die »Schönste Frau« geht, die den Männern niemals begegnen wird, oder um die Rapkonkurrenten – Rapper sollen merken, wie leicht sie letztendlich austauschbar sind: »Kids vergessen euch noch schneller als ihre Scheiß-Hausaufgaben«. Es wäre auch wünschenswert, wenn die Kinder darauf hören würden, was ihnen die junge Dame am Ende des Liedes »Verlieb dich nie in ein’ Rapper« gegen die soziale Zurichtungsanstalt HipHop mit auf den Weg gibt: »Hört mal ein bißchen Tekkno. Hört mal bißchen elektronische Tanzmusik. Macht mal ein bißchen bumm bumm. Dann geht das auch weg ey!«

* Bushido: »Staatsfeind Nr.1« (Universal), V. A.: »Deluxe Records Let’s Go« (EMI), Bushido auf Tour: heute, Stuttgart, LKA Longhorn; 1.2. Nürnberg, Hirsch; 2.2. Würzburg, Soundpark Ost; 3.2. Mannheim, Capitol; 4.2. Saarbrücken, Garage; 5.2. Freiburg, Jazzhaus; 7.2. Kiel, Max; 8.2. Hamburg, Grünspan; 9.2. Bremen, Tivoli; 10.2. Magdeburg, Fichtestraße; 11.2. Chemnitz, Südbahnhof