Mittwoch, 29. November 2006

Brücken bauen mit elf Rabbis

Geistliche aus New York begegnen Oberschülern auf der "Bridge of Understanding".

 

Ralf Fischer / Neues Deutschland


Rabbi Jeffrey R. Astrachan wusste überhaupt nicht, was genau auf ihn zukommen würde, als er sich am Freitag in das Flugzeug nach Berlin setzte. Der junge Reform-Rabbi, der 1997 seine Ordination bekam und seit sechs Jahren am Tempel Beth Elohim in New York predigt, war sehr gespannt auf die unbekannte Stadt und vor allem auf die Begegnungen mit den jungen Berlinern. Sie sollte er im Rahmen des Projektes Bridge of Understanding kennen lernen.

Insgesamt machten sich 11 Rabbiner aus New York auf die Reise nach Berlin, darunter auch zwei Frauen. Rabbi Heidi Hoover gehört wie Astrachan der nicht-orthodoxen Glaubensgemeinschaft im Judentum an. Ihre Mutter emigrierte als Kind aus Deutschland in die USA, weshalb Hoover Deutschland regelmäßig besucht hat. Doch als ordinierte Rabbinerin war sie noch nie zu Besuch. Ihr ist es deshalb eine besondere Freude, an dem Austauschprogramm teilzunehmen.

Nicht alle Rabbis gehören der gleichen Glaubensrichtung an. Neben den reformierten, sind auch orthodoxe, konservative und liberale Rabbis in der Reisegruppe. Am Montagabend trafen sie das erste Mal im koscheren Restaurant Gabriel auf ihre jungen Austauschpartner von der Albrecht-Dürer Oberschule aus Neukölln sowie der Bertha von Suttner Oberschule aus Reinickendorf. Das Treffen stand unter dem Motto »Heimat und Exil«. Die Veranstalter von Brigde of Understanding hatten die Rabbis gebeten einen Gegenstand mitzubringen der ihnen so am Herzen liegt, dass sie ihn im Falle einer überstürzten Flucht auf jeden Fall mitnehmen würden. Auch die Schüler sollten solch einen Gegenstand mitbringen. Die Idee ist ganz einfach. Eine Annäherung wird dadurch erleichtert, dass dieser konkrete Gegenstand und die damit verbundenen Erinnerungen dem Gegenüber erst einmal aus persönlicher Sicht erklärt werden. Dies ermöglicht eine Annäherung, ohne gleich die politischen Unterschiede in den Vordergrund zu rücken.

Rabbi Jeffrey R. Astrachan brachte einen auf mehrere A4-Blättern gedruckten Stammbaum seiner Familie mit und erläuterte lächelnd, dass ihm seine Verwandtschaft das Wichtigste im Leben sei. Heidi Hoover hatte einen sehr alten Kiddushbecher aus Familienbesitz mitgebracht und Rabbi Eleanor Perlman stellte die Shabbatkerzen den Berliner Schülern vor. Für die 17- und 18-Jährigen waren dies Objekte aus einer anderen Welt, die ihnen kurz vorgestellt wurden. Doch daraus entwickelten sich lange Gespräche.

Am heutigen Mittwoch folgt der Gegenbesuch. Aufgeteilt auf vier Schulen, zwei in Berlin und zwei in Oranienburg, werden die New Yorker Rabbis vor Ort den Dialog fortsetzen. In Neukölln wollen die Schüler mit ihren amerikanischen Besuchern Moscheen, Kirchen und Synagogen besuchen. In Reinickendorf soll nach einer größeren Diskussionsrunde in der Mediathek in kleinen Gruppen über die von den Schülern mitgebrachten Gegenstände gesprochen werden.

Dagmar Weiler, die Organisatorin von Bridge of Understanding, erhofft sich dadurch eine Vertiefung des Verständnisses für die Geschichte und das Leben auf beiden Seiten des Atlantiks. Dabei bringen die persönlichen Gegenstände die Menschen überhaupt erst ins Gespräch.

Dienstag, 19. September 2006

Mit Rassismus ins Parlament

Mit gut drei Prozent zogen die rechtsextremen Republikaner am Sonntag in die Pankower Bezirksvertetung ein - geholfen hat ihnen dabei möglicherweise die Mobilisierung gegen die geplante Moschee im Stadtteil Heinersdorf.

 

Ralf Fischer / Mut gegen rechte Gewalt


Die Republikaner waren schon seit einigen Jahren nicht mehr in einem Berliner Bezirksparlament vertreten. Doch in Pankow zogen sie am Sonntag mit knapp über drei Prozent erstmals wieder in eine Bezirksvertretung ein. Zu verdanken haben das die Rechtsextremisten einer Wahlabsprache mit der NPD und der monatelangen Mobilisierung durch einen Bürgerverein gegen einen geplanten Moscheebau im Pankower Stadtteil Heinersdorf.

Die Kirche im Dorf zu lassen, und die Moschee in Istanbul, das versprachen die REPs ihren Wählern in ganz Berlin. Doch nirgendwo in der Stadt war mit diesem Spruch oder den anderen à la "Deutsch ist geil" ein Blumentopf, geschweige denn Wählerstimmen, zu gewinnen. Außer in Pankow, dort wussten die meisten Wahlberechtigten sofort etwas mit dem Slogan anzufangen. 4.822 fanden ihn sogar so gut, dass sie dem Urheber der Parole ihre Stimme gaben. Dies reicht für einen Sitz im Bezirksparlament, womit in der traditionell rechten Hochburg Pankow der Niedergang der Republikaner zumindest vorerst gestoppt wäre.

Bisher gestaltete sich die Geschichte der Republikaner in Pankow mehr als wechselvoll, doch der Bezirk blieb immer eine regionale Hochburg. Zwar war es den REPs zuletzt 1999 gelungen einen Bezirksverordneten in Pankow zu stellen, aber allein schon die Präsenz der Bundeszentrale der Partei ließ die parlamentarischen Misserfolge immer wieder in Vergessenheit geraten. Nachdem - aus finanziellen Gründen - die Bundeszentrale Ende 2003 aus Pankow wegziehen musste, wurde es auch im Bezirk merklich ruhiger um die Partei.

Erfolge der rechten Volksfront

Kameradschaften und die lokale NPD versuchten gemeinschaftlich das Vakuum welches die REPs hinterließ zu schließen. Zu Anfang eher erfolglos. Erst mit dem Zuzug des Neonazikaders Jörg Hähnel aus Frankfurt/Oder kam dann langsam auch der Erfolg. Unter seiner Führung wurden Sammlungsprojekte in der Kameradschaftsszene wie die Vereinten Nationalisten Nordost (VNNO) aus der Taufe gehoben und die lokalen NPD-Strukturen wieder reaktiviert. Der seit 2000 auch im Bundesvorstand der NPD aktive Hähnel ist seit seinem Umzug in die Hauptstadt Berlin auch presserechtlich Verantwortlicher für die Wahlkampfmaterialien der NPD und musikalisch immer für die "nationale Erweckung des Volkes" unterwegs. Außerdem ist er aktiv in der Organisation Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) wo er mit Gitarre und seinem Gesang dafür sorgt, dass der Nachwuchs auch ausreichend politisch indoktriniert wird.

So viel Aktivität kommt bei den extremen Rechten an. Wie nicht wenige Mitglieder der Pankower Republikaner in den letzten zwei Jahren sind im Zuge der Umstrukturierung der lokalen NPD auch einige jüngere Kameradschaftsaktivisten in die aktionistische Partei eingetreten. Wegen dem regen Zulauf konnte der Kreisverband Pankow neben einem Stützpunkt der Jungen Nationaldemokraten auch einen Ortsverband für den Stadtteil Pankow aufbauen. Derart organisatorisch gestärkt war es dem Kreisverband Anfang diesen Jahres überhaupt möglich eine größere Kampagne gegen den geplanten Bau einer Moschee in Pankow zu fahren. Im Gefolge dieser Kampagne rochen auch die Republikaner wieder Morgenluft. Durch eine Wahlabsprache mit der NPD kamen die REPs in die komfortable Situation in ihrer alten Hochburg Pankow als einzige rechtsextreme Partei anzutreten. Womit sie erst wieder eine kleine Chance hatten in das Regionalparlament einzuziehen.

Rechte Prominenz abgedrängt

Den Anfang der Kampagne Nein zur Moschee in Pankow der NPD machte eine Demonstration im Frühjahr diesen Jahres ausgehend vom S-Bahnhof Wollankstraße. Anwesend auf der Demonstration waren neben der üblichen Verdächtigen aus dem Umfeld der NPD und der Kameradschaften auch der lokale CDU-Funktionär Bernhard Lasinski sowie der ehemalige Landesgeschäftsführer der Republikaner sowie Kreisvorsitzende in Pankow, Detlef Britt. Was damals noch zu einem mittleren Skandal reichte – eine gemeinsame Manifestation von militanten Rechtsextremen und Rechtskonservativen – wurde über den Sommer hinweg zu einer handfeste Allianz aus Rassisten, Antidemokraten und Neonazis. Und zur Normalität. Nach der NPD demonstrierte regelmäßig eine Bürgervereinigung gegen die Moschee deren gesamte Öffentlichkeitsarbeit fast nur daraus zu bestehen schien, sich von Rechtsextremisten abzugrenzen, die aber auf der Straße jedes Mal aufs Neue das Gegenteil unter Beweis stellten. Zu den Demonstrationen der Interessensgemeinschaft Pankow-Heinersdorfer Bürger (IPAHB) gesellten sich neben bekannten NPDler, militante Kameradschaftsaktivisten, Republikaner auch Mitglieder der so genannte Reichsbürgerbewegung, einem illuster Verein aus deutschen Holocaustleugnern. In den Augen nicht weniger Demonstrationsteilnehmer kein wirklich dringliches Ärgernis.

So überraschte es auch als am vergangenen Donnerstagabend (14.9.) – die Bürgerinitiative hatte mal wieder zur Demonstration gerufen – die versammelten Rechtsextremisten in einem zaghaften Zusammenspiel aus Polizei und Demonstrationsveranstalter aus dem Zug herausgepickt und an das Ende der Demonstration verbannt wurden. Zwar gab es unter einander dafür viel Aufregung und nicht wenige engagierte Bürger ließen deshalb ihrem Unmut freien Lauf, aber erstmals seit Beginn ihres Demonstrationsmarathons zogen die 2000 Heinersdorfer Bürger getrennt von den Neonazis durch den Kiez.

Die prominente Unterstützung vom NPD-Vorsitzenden Udo Voigt und seinem Wahlkampfteam war im Vorfeld der Wahlen wohl sogar den bürgerlichen Moscheegegnern zu suspekt, als das man sich zusammen auf der Straße blicken lassen wollte. Der zukünftige Bezirkverordnete von Treptow-Köpenick verschwand ebenso schnell wie er auftauchte. Sein Kamerad Hähnel, er wurde am Sonntag in die Bezirksverordnetenversammlung von Lichtenberg gewählt, blieb dagegen vor Ort und dirigierte die rund 150 Rechtsextremisten durch die Dunkelheit. Den Versuch seiner Jungs am Ende der Demonstration mit einer aktionistischen Propagandashow zu brillieren machte die Polizei schnell zunichte. Acht Personen wurden verhaftet und wegen Volksverhetzung angezeigt.

Keine Anzeige wegen Volksverhetzung dagegen bekam der fleißig mitdemonstrierende Kreisvorsitzende der Pankower Republikaner, Michael Rauschenbach. Stattdessen wird er in Zukunft im Bezirksparlament eine Politik betreiben, die "die Meinung der Bürger im Bezirksparlament mit Nachdruck zu Gehör" bringen will. Dass damit eher die 6000 Bürger von Heinersdorf gemeint sind, als die restlichen 344.000 Pankower kann wohl als sicher gelten.

Samstag, 10. Juni 2006

Pankower Bürgermob

Seite an Seite mit Rechtsextremen zeigen Pankower Bürger, dass religiöse Toleranz nicht ihre Tugend ist.

  

Ralf Fischer und Juri Eber / Mut gegen rechte Gewalt


Eine in sich Gründung befindende "Interessengemeinschaft Pankow - Heinersdorfer Bürger" (IPAHB) mobilisierte am Mittwochabend rund 1000 Moschee-Gegner auf die Straße. Unter den Demonstranten befanden sich bekannte Neonazis und rechte Jugendcliquen.

Obwohl der Bau der ersten Moschee in Ostberlin so gut wie genehmigt ist, demonstrieren die Anwohner im Monatstakt gegen den geplanten Bau. Die Gegner des Moscheebaus sehen darin eine Chance letztendlich den Bau doch noch zu verhindern. Am linken Gegenprotest gegen die populistische Manifestation der Heinersdorfer beteiligten sind nur knapp 100 Personen.

Mittwochabend in der Pankower Tiniusstraße, langsam aber sicher macht sich Volksfeststimmung breit. „Molli rein, und fertig“ antwortet ein fünfzigjähriger Familienvater trocken auf die Frage seines Kumpels, mit dem er gemeinsam auf den Start der Demonstration wartet, „Was denn eigentlich jenseits der Demonstration zu tun wäre“. Die Stimmung brodelt. In trauter Eintracht stehen Heinersdorfer Familien neben Gruppen Ostberliner Hooligans, rechten Jugendcliquen und vereinzelten Neonazikadern. Lautstark werden alte Bekannte oder auch die Nachbarn begrüßt und über allen Köpfen wehen die Deutschlandfahnen im Wind.

Der ganze Aufwand gilt der muslimischen Ahmadiyya Gemeinde aus Berlin-Reinickendorf, die plant auf einer rund 4000 Quadratmeter großen Industriebrache an der Tiniusstraße ein Gemeindezentrum und eine Moschee mit einem 12 Meter hohen Minarett zu errichten. Dies zum Anlass nehmend demonstrierte schon am 1. April diesen Jahres die lokale NPD mit rund 200 Anhängern durch Pankow und ebenso eine ominöse „Bürgeraktion gegen Überfremdung“ im Mai mit rund 450 Anhängern.

Für den 07. Juni rief nun die Interessengemeinschaft Pankow – Heinersdorfer Bürger (IPAHB) zur Demonstration unter dem Motto „Gegen das Kalifat, gegen die Scharia, gegen den Missbrauch der Religionsfreiheit - Für die Gleichberechtigung der Frauen, für die Bürgerrechte, für Demokratie und Bürgerbegehren, für den Rechtsstaat!“ auf. Am Ende der Parolenlitanei fordert die IPAHB alle extremistischen Gruppen dazu auf, die Demonstration weder zu verunglimpfen noch sie für eigenen Zwecke zu missbrauchen.

Alle waren sie da

Doch beides geschah nicht. Die Berliner Gruppe Kritik und Praxis (KP) mobilisierte kurzfristig gegen den Aufmarsch und rief gemeinsam mit dem Pankower Netzwerk gegen Rassismus, Antisemitismus und rechte Gewalt dazu auf sich an zwei Gegenkundgebungen zu beteiligen Das Motto "Den rassistischen Konsens kippen - Schluss mit der Hetze gegen den Moscheebau in Pankow".

Die lokalen Neonazis brauchten erst gar kein Motto um sich an der Demonstration der Heinersdorfer Bürger zu beteiligen. So tauchte der ehemalige Pankower Republikaner Detlef Britt Seit an Seit mit Jörg Hähnel, dem Pankower NPD-Kreisvorsitzenden, ebenso auf dem Antrittsplatz der Demonstration auf, wie das DVU-Landesvorstandsmitglied Sascha Kari aus Berlin-Neukölln. Neben den beiden altbekannten Kadern nahmen auch weitere Mitglieder des lokalen NPD-Kreisverbandes, Mitglieder einer Kameradschaft aus dem Prenzlauer Berg sowie Autonome Nationalisten ungestört an der Demonstration teil.

Kein Kommentar

Für die Aktivisten der Interessensgemeinschaft Pankow - Heinersdorfer Bürger war dies kein besonderer Grund sich aufzuregen. Die gute Stimmung der Organisatoren trübten nur die nach fünfzig Metern erstmals auftauchenden Gegendemonstranten. Als diese nur in Sichtweite kamen schlug die bis dato ausgelassene Stimmung der Moscheegegner schlagartig um in Hassgesängen und aggressiven Gesten. Die zum Mob mutierten Teilnehmer reagierten mit "Haut ab" Rufen und wilden gestikulierenden Armbewegungen in Richtung Gegenkundgebung. Die Polizei hatte alle Mühe beide Seiten auseinander zuhalten.

Die erst Mitte März, mit dem Ziel „den Bau dieser Moschee in Pankow zu verhindern“ gegründete Interessensgemeinschaft Pankow - Heinersdorfer Bürger ließ einen Tag nach der Demonstration auf ihrer Internetseite verlauten, dass sie ihre Aktion „ein großer Erfolg“ war und eine „gelungene Veranstaltung“. Wegen der Teilnahme prominenter Neonazis bleibt die IPAHB eher maulfaul. Zu Recht, es wäre für sie auch schwerlich möglich, in einem Atemzug zu behaupten, dass die Demonstration ein Erfolg war und zu zugeben, dass mehr als zwei Dutzend organisierte Neonazis daran teilnahmen.

Donnerstag, 1. Juni 2006

Neues aus der Rechten Szene

Datenkrieg im Internet und neueste Erfolge der «Datenantifa»

 

Ralf Fischer / Jüdische Zeitung


Getreu dem Motto «Wissen ist Macht» bekämpfen sich Antifaschisten und Neonazis nicht nur auf der Straße. Auch im virtuellen Cyberspace wird mit harten Bandagen um jede noch so kleine Information gekämpft. Zumeist in den frühen Morgenstunden schlagen die anonymen Angreifer zu. Akribisch vorbereitet, reichen ihnen nur einige wenige Befehle und Tastenkombinationen, um die Schutzmassnahmen des jeweiligen Computers zu knacken.

Für die Internetseitenbetreiber kaum zu registrieren, verschaffen sie sich in Sekundenschnelle Zutritt zu allen Daten, die auf dem Server liegen - und klauen sie regelrecht: In den letzten anderthalb Jahren verschafften sich auf diesem Wege organisierte Antifaschisten die Daten von über 30 rechtsextremen Internetportalen in Deutschland und verbreiteten sie, für alle einsehbar, im Internet. Zum Abschied hinterließen die politisch motivierten Datendiebe immer ein kurzes Statement, damit der oder die Betroffene auch den Grund des Besuches durch die virtuelle Antifa genau nachlesen konnten. Doch auch die Gegenseite reagiert auf dieses neue Phänomen. So wurden im letzten Jahr die Internetausgabe des Antifa-Versandes sowie das Internetforum des Berliner Anti-Defamation-Forum ADF gehackt. Während die vorgefundenen Kundendaten des Antifa-Versandes einige Tage später im Internet veröffentlicht wurden, hatten die Betreiber des ADF-Forums etwas mehr Glück. Im Forum wurden nur alle Benutzerprofile gelöscht, ansonsten keine Daten entwendet.

Öde Neonazis

Nach allgemeinem Verständnis ist ein «Hacker» ein «talentierter Computerspezialist», der die Sicherheitsbarrieren von Computersystemen überwinden und in diese fremden Systeme eindringen kann. Ein Hacker, der seine Fähigkeiten zu politischen Zwecken einsetzt, wird allgemein «Hacktivist» genannt. Die neue Generation von antifaschistisch motivierten Hacktivisten, die in den letzten Jahren verstärkt im Internet aktiv geworden sind, bezeichnen sich selbst «Datenantifa».

Aktuell haben die «Datenantifas» gleich zwei wichtige Knotenpunkte der neonazistischen Szene geknackt. Am 22. Februar diesen Jahres mussten die Betreiber des neonazistischen «Aufruhr»-Versands aus Thüringen verblüfft feststellen, dass alle ihre Daten, statt, wie sonst üblich, auf ihrem Computer, nun auf dem linken Internetportal Indymedia zum downloaden bereitlagen. 7.500 Datensätze gaben darüber Auskunft, wer, wann und was bei dem Neonaziversand - etwa Klamotten, CDs oder anderen Propagandamüll - bestellt hat und mit welchen verfassungsfeindlichen Grüßen die Kunden ihre Bestellungen aufgaben.

Für die Antifaschisten war dieser Coup nur einer von vielen. Doch die steigende Flut an rechtsextremen Internetangeboten macht es den Hacktivisten nicht gerade leichter. So hinterließ die Datenantifa auf den Seiten des «Aufruhr»-Versandes eine Botschaft, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt: «Ihr Nazis, langsam haben wir es satt! Es ist immer dasselbe, es ist langweilig und ödet uns an! Wir tun es trotzdem! Und wir werden es weiter tun! Denn lieber ein bisschen Öde als euch auf der Straße oder im Netz! Aber wir sind ja nicht so! Wir machen euch ein Angebot! Jede Naziseite, die ab sofort freiwillig offline geht, werden wir nicht hacken! Versprochen! Das ist eure Chance! Wirklich! Wir halten unsere Versprechen! Ganz ehrlich! (...) Eure (entnervte) Datenantifa.»

Nationale Sozialisten gegen schwarze Schafe

Knapp eine Woche später, keine rechtsextreme Internetseite ging natürlich auf das Angebot der «Datenantifa» ein, wurde das Forum des neonazistischen «West-Versand» gehackt. Der nach eigenen Angaben als «Versand für Kameraden» firmierende T-Shirt-Handel musste sein Forum vorerst schließen. Auch das Radioprogramm der Neonazis war vor der «Datenantifa» nicht sicher. Mit nur einigen Tagen Verspätung wurde auch dieses Angebot des West-Versandes aus den Weiten des World Wide Web entfernt.

Die betroffenen Betreiber reagieren unterschiedlich. Während der «West-Versand» ankündigte, sein Angebot bald wieder im Internet online zu stellen, haben einige der angegriffenen Internetprojekte ihr Angebot komplett eingestellt oder zumindest grundlegend überarbeitet. Doch der Druck auf die Betreiber wächst auch aus der eigenen Szene. Auf der Internetseite des szeneintern sehr bekannten «Freien Widerstand» wurden schon mehrfach Beiträge veröffentlicht, in denen vor unsicheren Internetseiten, speziell Versandunternehmen, gewarnt wurde.

Die Sicherheit der eigenen Kunden, also der zukünftigen oder schon aktiven Kameraden, liegt den neonazistischen Führern sehr am Herz. Weshalb auch die so genannten schwarzen Schafe verbal geoutet werden, und zum Teil wird sogar, gegen besonders leichtsinnige Betreiber, zum Boykott aufgerufen.

Gefundenes Fressen für Antifa und Polizei

Die Ausbeute der «Datenantifa» ist recht unterschiedlich und zumeist nur für Insider zu nutzen. Mit den Adresslisten der Kunden können nur eingeweihte Antifa-Rechercheure oder die Strafverfolgungsbehörden etwas anfangen. Aber das reicht zumeist schon aus. Die sich in Sicherheit wiegenden Nutzer der neonazistischen Internetangebote geben viele interne Informationen preis, die nur auf diesem Wege gewonnen werden können. Für die Strafverfolgungsbehörden genauso ein gefundenes Fressen wie für die lokale Antifa.

So lies ein Sprecher des Thüringischen Verfassungsschutzes nach dem Hack auf den «Aufruhr»-Versand gegenüber dem MDR durchblicken, dass man mit «den Informationen arbeiten» werde. Schon mehrfach wurde das Versandhaus von der Polizei durchsucht, unter anderem wegen des Verdachts der Volksverhetzung und Verbreitung verfassungsfeindlicher Symbole.

Fazit

Die Bedeutung, die das Internet für die Organisierung der rechten Szene gewonnen hat, wächst von Tag zu Tag. Im World Wide Web könnnen mit wenig Aufwand und einem breitem Publikum als Adressaten Propaganda, egal ob schriftlich, in Form von Musik oder Film, betrieben und natürlich neue Mitglieder geworben werden. Die regionalen Strukturen tauschen sich über dieses Medium aus und erhöhen ihren Organisationsgrad. Hier werden überregionale Netzwerke geknüpft und strategische Diskussionen geführt, häufig unbeobachtet von Staatsschutz und Antifa.

Jeden Tag kommen weltweit neue rechtsextreme Internetangebote zu den schon bestehenden hinzu. Seiten, auf denen verfassungsfeindliche Inhalte dargeboten werden, befinden sich nur im seltensten Fall auf deutschen Domains, auf die die deutsche Polizei Zugriff hätte. Solche Seiten werden auf ausländischen Servern gelagert und sind über viele - aber vor allem nichtdeutsche - Domains erreichbar.

Der Kampf der Strafverfolgungsbehörden gegen diese illegalen Inhalte im Internet artet immer mehr zur Sysiphosarbeit aus. Gerade die im Ausland gehosteten Internetseiten stellen ein sehr großes Problem dar. Es kommt nur selten vor, dass die Beweislage gegen die Betreiber überhaupt ausreicht, um ein Gerichtsverfahren gegen sie anzustrengen. Wenn es dennoch ausreicht, dann ist der Betreiber nicht zu erreichen, da er sich im Ausland nicht strafbar gemacht hat. Ein Weg aus diesem Dilemma ist die verdeckte Arbeit der «Datenantifa».

Mittwoch, 24. Mai 2006

Mit der NPD gegen geplante Moschee

500 Pankower demonstrierten gemeinsam mit Neonazis gegen den geplanten Bau einer Moschee

 

Ralf Fischer & Juri Eber / hagalil.com


Für den frühen Samstagvormittag rief eine 'Bürgeraktion gegen Überfremdung' zum Protest gegen den geplanten Bau einer Moschee in Berlin – Heinersdorf auf. Statt der 100 Teilnehmer wie von den Veranstaltern erwartet, folgten dem Aufruf weit über 450 Menschen. Unter ihnen waren auch 40 Neonazis.

Während die Jungen Liberalen noch am Straßenrand ihre Materialien für ihre Gegenkundgebung inklusive symbolischer Grundsteinlegung aufbauen, strömen immer mehr Anwohner zum Startpunkt der Demonstration. Die Flugblätter, die ihnen von den jungen Moscheebaubefürwortern gereicht werden, und auf denen mit Friedrich dem Großen, der den Satz prägte "In meinem Staate kann jeder nach seiner Facon selig werden", argumentiert wird, belächeln sie nur. 

Derweil hundert Meter weiter in der Tiniusstraße - direkt vor dem Grundstück, auf dem die Moschee von der Ahmadiyya Gemeinde gebaut werden soll - sammeln sich die Gegner des Moscheebaus. Einfache Heinersdorfer Bürger stehen Seit an Seit mit Mitgliedern des Pankower NPD-Kreisverband, des Märkischen Heimatschutzes und Anhängern der Berliner Kameradschaftsszene. Unter ihnen der rechtsextreme Multifunktionär Jörg Hähnel, seines Zeichen Vorsitzender des lokalen NPD-Kreisverbandes und Mitglied im Bundesvorstand der NPD, das DVU-Mitglied Sascha Kari ebenso wie der Anti-Antifa-Aktivist Paul Schneider. Die Stimmung ist gereizt. Die Verbalnote des Demonstrationsanmelders, nicht gemeinsam mit Rechten oder Linken demonstrieren zu wollen, bleibt an diesem Tag ein hehrer Wunschtraum.

Aufstand der Kleinbürger

Als es losgeht ist klar, dass die Neonazis mitmarschieren dürfen, am Ende der Demonstration als eigener Block. Später steht auf den Seiten der Berliner NPD zu lesen, dass Hähnel und Kameraden 'privat' an der Veranstaltung teilnahmen. Der Grund dafür ist simpel: Parteienvertreter wollten die Bürgeraktion eigentlich nicht auf ihrer Demonstration dulden. Doch in bestimmten Notsituationen kennen bekanntlich Deutsche keine Parteien mehr: Es gilt nur noch das völkische Prinzip.



10:30 bewegt sich der Mob aus Neonazis, Stammtischrassisten und chauvinistischen Kleinbürgern mit dem Ziel Rathaus Pankow los. Mit den Rufen "Nein, nein, nein zur Moschee" biegt die Demonstration lautstark aus der Tiniustraße in die Prenzlauer Promenade ein. Als das Häuflein Liberaler ins Blickfeld der Demonstranten rückte, entlädt sich das erste Mal der geballte Zorn. "Geht doch nach Hause", oder Angebote, doch endlich in die Linkspartei überzutreten, prasselten wild auf die Gegendemonstranten ein.

Nur hundert Meter weiter steht das Original am Rande der Demonstration, eine Abordnung der Linkspartei mit dem Transparent "Für Religionsfreiheit und Toleranz". Neben dem Bezirksvorsitzenden aus Pankow, Gernot Klemm, dem Mitglied im Abgeordnetenhaus, Marion Seelig, stellte sich auch der Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus, Stefan Liebich, öffentlich gegen die rassistische Hetze von Rechts. Die Antwort aus dem Demonstrationszug war dementsprechend und vielstimmig: minutenlang stimmten die Moscheegegner "Schämt Euch" Sprechchöre und Buhrufe an.

Kein Ende der Fahnenstange in Sicht

Den rund 30 autonomen Antifaschisten, die ständig versuchten an die Route zu gelangen, um die Demonstration zu blockieren, erging es ebenso. Wenn sie nicht gerade von der Polizei weiträumig vom Demonstrationszug fern gehalten wurden, bekamen sie die Schimpftiraden der Moscheegegner zu hören. Die Sprechchöre der Antifaschisten gehen einfach immer wieder im Lärm der Heinersdorfer Bürger unter.

Anderthalb Stunden später, gegen 11:30, endete der braune Spuk vor dem Rathaus Pankow. Der befürchtete Sturm aufs Rathaus blieb am 20. Mai zwar vorerst noch aus, doch die Organisatoren von der rechten Bürgeraktion kündigten schon an, mit ihrem Straßenprotest weiterzumachen. An Selbstbewusstsein jedenfalls mangelt es den Moscheegegner nicht. Nachdem der juristische Einspruch gescheitert ist, wollen sie nun über den Druck der Straße verhindern, dass die erste Moschee in Ostberlin Realität wird. Bleibt zu hoffen, dass sie damit keinen Erfolg haben.

Mittwoch, 17. Mai 2006

Misses Voltaire flüchtet in die USA

Islamkritikerin Ayan Hirsi Ali verlässt im Eklat die Niederlande

 

Ralf Fischer / Mut gegen rechte Gewalt


Ursprünglich wollte die engagierte Frauenrechtlerin und Abgeordnete des holländischen Parlamentes erst 2007 in die USA übersiedeln. Doch die niederländische Ministerin für Immigration und Integration entzog Hirsi Ali jetzt die Staatsbürgerschaft. Grund: 1992 hatte die engagierte 37jährige Frau falsche Angaben in ihrem Asylverfahren gemacht. Doch ihre Mahnungen halten Bestand.

Ayaan Hirsi Ali, 1969 in Somalia geboren, machte schon im Kindesalter ihre ersten Erfahrungen mit der Barbarei der islamischen Religion. Ein Koranlehrer brach ihr den Schädel, als er sie züchtigte, im Alter von fünf Jahren wurde sie ohne Wissen und gegen den Willen ihres Vaters auf Veranlassung ihrer Großmutter beschnitten und nach der Flucht ihrer Familie nach Kenia musste sie eine religiöse Mädchenschule besuchen. Hirsi Ali erhielt dort eine orthodoxe islamistische Erziehung und trug auch den Hidschab (Ganzkörperschleier). 1992, im Alter von 23 Jahren, sollte sie an einen Cousin aus Kanada verheiratet werden, den sie noch nie gesehen hatte.

Doch es kam anders. Auf ihrer Reise via Deutschland nach Kanada entschied sie sich dem Alptraum zu entfliehen. Anstatt in das nächste Flugzeug einzusteigen, blieb sie zunächst einige Tage in Düsseldorf um schließlich mit dem Zug in die Niederlande einzureisen. Dort beantragte sie Asyl und erhielt es aus humanitären Gründen auch. Den Behörden verschwieg sie dabei ihren kurzen Aufenthalt in Deutschland, der, wäre er den niederländischen Behörden bekannt gewesen, dazu geführt hätte, dass sie in Deutschland Asyl hätte beantragen müssen.

Kurzer Prozess

Vor einer Woche nun strahlte der Sender VARA eine Reportage über Ayaan Hirsi Ali aus, worin auch auf ihre seit längerem bekannten falschen Angaben in ihrem Asylverfahren 1992 hingewiesen wurde. Diese Tatsache schien bis dato, der aktuellen niederländischen Ministerin für Immigration und Integration Rita Verdonk (VVD) unbekannt gewesen zu sein. Jedenfalls kündigte sie keine vier Tage später, am 15. Mai 2006, an, dass Hirsi Alis Einbürgerung nach ihrer Meinung für hinfällig ist und ihr die niederländische Staatsbürgerschaft aberkannt werden müsse.

Doch bei einer bloßen Ankündigung beließ es die ehemalige Gefängnisdirektorin nicht: In einem wahrlich unglaublichem Tempo für die eigentlich doch recht langsamen Mühlen der holländischen Bürokratie wurde schon am nächstem Tag die Ausbürgerung von Hirsi Ali durchgeführt. Begründung: Sie hätte ja in Deutschland Asyl beantragen können, aber nicht in den Niederlanden...

Die Ausbürgerungsforderung und die außergewöhnliche Schnelligkeit des Verfahrens sorgt in den Niederlanden für heftige Diskussionen. Allein die Tatsache, dass Frau Hirsi Ali schon vor drei Jahren zugab, dass sie bei ihrer Einreise den Behörden gegenüber falsche Informationen über ihre Einreise gemacht hatte, macht die Reaktion der Innenministerin für viele Holländer nicht nachvollziehbar.

Last Exit: USA

Innerhalb der nächsten 6 Wochen soll auf Druck des Parlamentes hin das umstrittene Ausbürgerungsverfahren noch einmal auf "Ermessensspielraum" hin überdacht werden. Doch die Würfel sind für Hirsi Ali schon gefallen. Eine erfolgreiche Gerichtsklage ihrer Nachbarn, die sich wegen ihres Personenschutzes gestört sahen und den Verfall der Immobilienpreise beklagten, beschleunigte ihren Entschluss die Niederlande zu verlassen. Einen Tag bevor ihr die Staatsbürgerschaft aberkannt wurde, legt Hirsi Ali bereits ihren Parlamentssitz nieder. In den USA wollte Hirsi Ali ursprünglich erst 2007 für den neokonservativen Thinktank „American Enterprise Institute" in Washington (D.C.) arbeiten, aber womöglich fängt ihr Engagement dort etwas früher an. Der Presse jedenfalls gab sie die Auskunft: "Ich bin traurig und erleichtert zugleich".

Als vor wenigen Wochen der Streit um islamkritische dänische Karikaturen entbrannte, hatte Ali auch in Deutschland halt gemacht und in einer Grundsatzrede Position bezogen. Vom damals geäußerten hat sie nichts zurückzunehmen.

Mittwoch, 10. Mai 2006

Streit im braunen Kindergarten

Neonazis liegen sich wegen ihrer diesjährigen 1. Mai-Aktionen in den Haaren

 

Ralf Fischer / Mut gegen rechte Gewalt


Eine Reihe regionaler Neonazidemonstrationen in Sachsen und Brandenburg sorgen für Unruhe. In der Zivilgesellschaft vor Ort, aber auch in der rechtsextremen Kameradschaftsszene. Die Organisatoren werten ihre Aufmärsche als Erfolg. Bisherige Neonaziführer dagegen nicht.

Um die Durchführung einiger Spontandemonstrationen am vergangenen 1. Mai ist auf unterschiedlichen neonazistischen Internetseiten und Foren eine wüste Kommentarschlacht entbrannt. Kader der thüringischen, sachsen-anhaltinischen und sächsischen Kameradschaftsszene waren aus der Szenehierarchie ausgeschert. Sie beteiligten sich weder am - auch in der braunen Szene schon "Wanderzirkus" genannten - Leipziger Aufmarsch des Hamburger Neonaziführers Christian Worch, noch an der bundesweiten NPD-Demonstration in Rostock. Stattdessen marschierten sie spontan in ihren Regionen auf und störten dabei unter anderem traditionelle 1.Mai-Veranstaltungen der lokalen Linkspartei.

Braune Kaffeefahrt durch die Provinz

Knapp ein Monat nachdem den braunen Kameraden verboten wurde, in Bautzen für den derzeit vor Gericht stehenden Revisionisten Ernst Zündel aufzumarschieren, demonstrierten am 1. Mai über 150 Kameradschaftsaktivisten und Mitglieder der Jungen Nationaldemokraten unangemeldet in dem Zentrum der Oberlausitz. Pünktlich um 12 Uhr startete die dreiteilige Demotour organisierter Nationalisten in der Lausitz. Die völlig überforderte Polizei vor Ort war nicht in der Lage den Flugblätter verteilenden und Parolen grölenden Haufen aufzuhalten. Über eine halbe Stunde lang konnten die Neonazis ungestört durch Bautzen demonstrieren. Erst als Polizeiverstärkung kam, meldeten sie ihre Demonstration kurzerhand an.

Nächster Stopp der rechtsextremen Demotouristen war die Kleinstadt Niesky. Dort trafen sie gegen 14 Uhr ein und führten das gleiche Propagandaprogramm wie zuvor in Bautzen durch. Auch diesmal wieder völlig ungestört. Nur am Ende der Tour durch Niesky kam die braune Kaffeefahrt etwas ins Stocken. Die Polizei erwartete die Teilnehmer der illegalen Demonstration und führte eine Personalkontrolle durch. Doch auch dieses staatliche Instrument lief ins Leere. Keine Stunde später tauchten die ersten Neonazis im brandenburgischen Hoyerswerda auf um die Demotour weiterzuführen.

Dort störten sie das landesweite 1.Maifest der Linkspartei in Hoyerswerda. Mit Transparenten bewaffnet stürmten die Neonazis vor die Bühne und riefen unentwegt die Parole "PDS-Arbeiterverräter". Da die eingesetzte Polizei gänzlich überfordert auf die massive Störung reagiert, bauten die Mitglieder der lokalen Linkspartei das Fest lieber schnell ab. Im sächsischen Freital traten ebenfalls 100 Neonazis am 1. Mai auf den Plan, um - statt polizeiabgeschirmt in Leipzig oder Rostock - aussichtsreicher vor Ort zu demonstrieren.

Rechte Reaktionen

Während die sächsischen Neonazis auf ihre Weise Erfolgserlebnisse feierten, standen sich in Leipzig die rund 550 Gefolgsleute um Christian Worch und Steffen Hupka wieder einmal die Beine in den Bauch. Das Völkerschlachtdenkmal, welches für die beiden Neonazikader und ihre Anhänger zu erreichen galt, blieb auch an diesem Tag - dank vielfältiger zivilgesellschaftlicher und antifaschistischen Protestaktionen – weiterhin unerreichbar. Schon als Mitte April in der rechtsextremen Szene bekannt wurde, dass es eine weitere Demonstration am 1. Mai aus dem Spektrum der so genannten Freien Nationalisten gleich um die Ecke – nämlich in Magdeburg – geben sollte, ärgerte es Christian Worch über die Maßen. Dem Hauptorganisator zahlreicher Neonaziaufmärsche vor allem im Osten stieß es besonders unangenehm auf, dass nur 100 Kilometer entfernt quasi eine Konkurrenzveranstaltung aus dem militanten Kameradschaftsspektrum heraus organisiert wurde, als deren Wortführer er sich gerne in der Öffentlichkeit darstellt.

Doch die meisten der Kameraden hatten einfach keine Lust mehr auf den Kessel Braunes in Leipzig. Auch der neue Zweitanmelder der Demonstration in der Messestadt, Steffen Hupka, ist kein großer Liebling der Szene mehr. Seit einiger Zeit soll er Kameraden noch sehr viel Geld schulden, welches er angeblich in ein politisches Hausprojekt in Sachsen-Anhalt stecken wollte. Doch die eignen Szene wirft ihm vor, dass davon Geld im Ausbau seines eigenen Hauses gelandet sei.

Spontan offensiv

So war frühzeitig abzusehen, dass sich in diesem Jahr wohl kaum die Masse der Neonazis nach Leipzig mobilisieren lassen würde. In nicht öffentlich zugänglichen Foren wurden dagegen die Alternativen zu den zentralen Aufmärschen diskutiert. Nicht angemeldete oder sehr kurzfristig angemeldete regionale Demonstrationen waren die Antwort einiger lokaler Neonaziaktivisten aus Ostdeutschland, um in diesem Jahr auf die aufkommende Demonstrationsmüdigkeit in den eigenen Reihen zu reagieren. Die Möglichkeit unangemeldet zu demonstrieren versprach den eigenen Anhängern mehr Nervenkitzel, als der Ritus der regelmäßigen zentralen Aufmärsche. Rechtsextreme Kameradschaften in Mecklenburg-Vorpommern haben dies schon in den vergangenen Jahren vorexerziert und spontan Bühnen auf Volksfesten erobert.

Die rechtsextremen 1.Mai-Aktivisten aus Ostsachsen prahlen derzeit im Internet, im Gegensatz zu Worch & Co., an ihren politischen Gegner „bis auf Nasenlänge“ herangekommen zu sein und ihre Propaganda breit im Volk verteilt zu haben. Sie argumentieren damit, dass es an jedem anderen Tage im Jahr möglich wäre in Leipzig zu demonstrieren, aber am 1.Mai sollten besser lokale Möglichkeiten ausgenutzt werden, da zu dieser Zeit „in der eigenen Region dutzende Veranstaltungen von PDS-DKP-MLPD usw. stattfinden“. Zivilgesellschaft und Polizei werden sich auf diesen strategischen Schwenk einstellen müssen.

Donnerstag, 4. Mai 2006

Brüder im Geist

Deutsche Neonazis solidarisieren sich mit 'islamischen Völkern'

 

Ralf Fischer / Mut gegen rechte Gewalt


Als der NPD-Bundesvorsitzende, Udo Voigt, im Herbst 2002 gemeinsam mit dem Holocaustleugner Horst Mahler eine Veranstaltung der islamitischen Gruppe Hizb ut-Tahrir in der Technischen Universität zu Berlin besuchte, gingen viele Rechtsextremismusexperten noch davon aus, dass eine Allianz zwischen den beiden Antipoden kaum möglich wäre. Damit haben sie Unrecht.

Mit dem Amtsantritt des neuen iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad vor über einem halben Jahr haben viele neonazistische Gruppierungen in Deutschland ihre Liebe für die Mullahs entdeckt. Das Interesse diese Allianz speist sich aus dem beiderseitigen Wissen um den gemeinsamen Feind. Vor allem aber erst die antisemitischen Hasstiraden von Ahmadineschad vor der Weltöffentlichkeit haben den Stellenwert des Präsidenten der Islamischen Republik Irans ins Blickfeld deutscher Rechtsextremisten gerückt.

Bisherige Höhepunkt der gegenseitigen Liebesbekundungen war auf der einen Seite die Einladung aus dem Iran an Horst Mahler an einer internationalen Tagung von Revisionisten in Teheran teilzunehmen und die Ankündigung des Landesverbandes Sachsen der NPD, der iranischen Fußballmannschaft unter dem offiziellen Motto Die Welt zu Gast bei Freunden in Leipzig die Ehre zu erweisen. Mahler konnte der Einladung nicht folgen, da ihm für den infrage kommenden Zeitraum den Pass entzogen wurde. Was genau die NPD während der Spiele der iranischen Nationalmannschaft plant ist noch unbekannt, aber allein vier Demonstrationen in der Zeit der WM hat die NPD bereits in Leipzig angemeldet. Dort spielt der Iran bespielsweise am 21. Juni gegen Angola.

Gemeinsam gegen den 'Oneworldterror'

Doch die neue Völkerfreundschaft wird schon überall von den braunen Kameraden gepriesen. Und sie geht weit über bloße Lippenbekenntnisse hinaus: Derzeit wird auf den Internetseiten von 'Freien Nationalisten' aus Ostdeutschland dazu aufgerufen, sich im Falle einer von der USA angeführten Militäroperation gegen den Iran spontan auf der Straße zu versammeln um Solidarität mit dem Iran, dem "Symbol der freien Welt" wie es in dem Aufruf so larmoyant formuliert wird, zu demonstrieren. Das Pamphlet welches in rechten Internetforen kursiert, erinnert an viele Aufrufe aus der radikalen Linken im Vorfeld des Irakkrieges. Sprache und Diktion ähneln sich bis ins Detail. So rufen die Rechten ebenso wie ihr linker Gegenpart vor drei Jahren zu einem so genannten Tag X auf.

Gänzlich verwunderlich ist das aber wiederum auch nicht. Wenn sich radikale Linke und extreme Rechte in einem Punkt recht einig sind, dann in der kategorischen Ablehnung des Imperialismus. Für beiden Seiten symbolisieren den Imperialismus vor allem die Staaten USA, Großbritannien und Israel, europaweit schimpfen sie oft auch über die "Ostküste", weil sie im Osten der USA viele Juden vermutet. Das ist auch der ideologische Kitt der die deutschen Neonazis und die iranischen Mullahs zu Verbündeten macht, der Kampf gegen das Judentum und vermeintliche Imperialisten. Für die Neonazis stellt der Iran das „Symbol der freien Welt“ dar, nicht die USA. 

In ihrem Aufruf zur Mobilmachung werfen die Neonazis den amerikanischen Geheimdiensten vor, mittels der Mohammed-Karikaturen in einer dänischen Zeitung den Kampf der Kulturen überhaupt erst zu provozieren. Ähnliches konnte man in den letzten Monaten auch auf linken oder islamistischen Internetforen lesen. 

Antisemitische Sammlungsbewegung?

Trotzdem bleiben sich die Neonazis in einem Punkt treu: So heißt es zwar in dem Aufruf "Solidarität mit dem Iran", dass man sich zur Freiheit der islamischen Völker bekennt und sich mit ihnen solidarisiert im Kampf gegen den US-Imperialismus, aber einer "Islamisierung" treten die Nationalisten aus Ostdeutschland dennoch entgegen, unlängst vorgeführt beim demagogischen Protest gegen einen Moscheebau in Berlin-Pankow.

Die Verbrüderung mit den iranischen Mullahregime bedeutet für strammdeutschen Kameraden nicht Solidarität im praktischen Sinne, sondern einfach die Möglichkeit den Presserummel der im Falle eines Angriffes auf den Iran auszunutzen um ihre eigenen Propaganda zu betreiben.Ideologisch bleiben Neonazis und die Führung des Iran deshalb trotzdem Brüder im Geiste. Vor allem da zwischen der deutschen Variante des Antisemitismus und der iranischen nur ein hauchdünnes Blatt Papier passt. 

Diese Tatsache und die politische Konjunktur sind zwei Garanten dafür, dass der Brückenköpfe zwischen den Antisemiten aus dem Orient und jenen aus dem Okzident stetig weiter ausgebaut wird. Trotzdem gilt es dabei einen Unterschied ums Ganze immer im Auge zu behalten: Die Mullahs in Teheran haben womöglich bald eine Atombombe und die damit verbundene Macht. Von solch einer Macht können die Neonazis in Deutschland vorerst nur träumen. Ihre Waffen sind anderer Art.

Montag, 1. Mai 2006

«Weil für mich jeder Mensch etwas Besonderes ist»

Im Gespräch mit Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung

 

Ralf Fischer / Jüdische Zeitung


RF: Frau Kahane, wir sitzen hier in den Räumen der Amadeu Antonio Stiftung. Sie sind seit mehreren Jahren Vorsitzende der Stiftung. Wir kam es zu deren Entstehen, und was ist das vorrangige Anliegen?

AK: In der Zeit, bevor wir die Amadeu Antonio Stiftung gegründet haben - das war 1998 - habe ich viele Jahre auf der Geld nehmenden Seite gesessen und immer Anträge gestellt, um Projekte gegen Rechtsextremismus und für interkulturelle Bildung in Gang zu bringen. Doch recht bald hatte ich das Gefühl, das reicht nicht. Wir brauchten auch eine Stiftung, die wiederum anderen Leuten zur Seite steht, um sie mit Geld, Rat und Tat zu unterstützen. Und so kam es zur Gründung der Stiftung.

Woher kommt die Unterstützung für die Amadeu Antonio Stiftung?

Wir sind eine private Stiftung. Das heißt, wir sammeln Spenden, und wir bekommen Zustiftungen - kleine, aber immerhin. Und so versuchen wir nach und nach eine Stiftung aufzubauen, die Projekte und Initiativen gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus nachhaltig fördern kann. Doch wir fördern nicht nur, sondern gehen bestimmte Themen auch selbst an - zum Beispiel Antisemitismus. Der ist ja gerade auch in Ostdeutschland sehr tief verwurzelt und hat jetzt, unter den neuen weltpolitischen Voraussetzungen, ein anderes Gesicht bekommen. Darüber hinaus beschäftigen wir uns mit Bürgerstiftungen für demokratische Kultur, entwickeln Schulmaterialien zu den Themenkomplexen Geschichte, Islamismus und menschenfeindliche Ideologien. Wir unterstützen auch «Exit», das Aussteigerprojekt für Leute, welche die rechte Szene verlassen wollen.

Ein bekanntes Beispiel für ihr lokales Engagement ist der jüdische Friedhof in Berlin-Weißensee, der ja nun leider regelmäßig von Antisemiten geschändet wird. Die Stiftung hatte sich im Jahre 2001 engagiert, als über 100 Grabsteine zerstört wurden...

...übrigens auch der meiner Großeltern.

Damals hat die Stiftung einen Berliner Steinmetz unterstützt, der die teilweise komplett zerbrochenen Grabsteine kostenlos wieder hergerichtet hat. 

Das ist wirklich eine sehr traurige Geschichte. Der Steinmetz Ottmar Kagerer hatte damals seine Kollegen von der Innung aufgefordert, die Gräber kostenlos zu reparieren, welche die Neonazis kaputtgeschlagen hatten - und ist dann selbst Opfer der Rechten geworden. In einer einzigen Nacht wurde ihm das gesamte Steinlager zertrümmert. Deshalb haben wir für ihn Geld gesammelt. 

Viele Leute haben damals kleine Spenden gegeben, und es kam mehr Geld zusammen, als benötigt wurde, um die zerstörten Steine zu ersetzen. Das war der erste Grundstock der Stiftung, um Opfer rechter Gewalt zu unterstützen. Damit haben wir dann den ersten kleinen Opferfond gegründet.

Wie haben Sie es geschafft, in den vergangenen acht Jahren immer wieder den Mut und die Kraft zu finden, sich andauernd in der Öffentlichkeit gegen rechte Gewalt zu positionieren?

Die Frage, wie lange man es aushält, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, lässt sich auch mit so einer Geschichte wie Weißensee beantworten. Es gibt immer wieder Situationen, in denen unserem Anliegen unerwartet viel Solidarität entgegengebracht wird oder die Bereitschaft, sich auseinanderzusetzen, steigt - weit über die eigenen Kräfte hinaus. Und das gibt mir persönlich auch immer wieder sehr viel Kraft. Ansonsten frage ich mich das natürlich nicht jeden Morgen beim Aufstehen.

Zwischenmenschlicheaufmunterung und Ermutigung lädt Ihre Batterien also immer wieder auf?

«Aufladen» ist zuviel gesagt. Es passieren ja leider immer mehr negative Sachen als positive. So sieht das Dilemma aus: Wenn man sich sehr damit beschäftigt, dann sieht man die Dinge auch stärker. Es gibt zum Beispiel viele Leute, welche die Landkarte rauf und runter Ortsnamen anhören können, die ihnen nichts weiter sagen als: «kenn ich nicht», «schöne Landschaft», «war ein netter Urlaub» oder: «Da muss ich mal hinfahren». Es sind aber oft auch Orte der Gewalt, und für mich ist das dann meist eine Topographie des Terrors. Doch ich denke nicht immer nur an das Schlechte. Je mehr andere Leute diese Probleme wahrnehmen, sich darüber aufregen und zu handeln beginnen, desto entlasteter fühle ich mich.

Bekommt die Stiftung substantielle Unterstützung von außen? Und wenn ja, von wem? 

Ja, klar. Zum Beispiel von den Spendern, die statt einem Abo uns regelmäßig Geld überweisen. Oder von Jugendlichen, die Konzerte für uns veranstalten. Oder von Brautpaaren, die zu unseren Gunsten auf Blumen oder Geschenke verzichten.

Des Weiteren hat die Stiftung natürlich auch eine gewisse Anregungsfunktion in der gesellschaftspolitischen Diskussion darüber, was man jetzt gegen Rechtsextremismus machen kann. Deshalb unterstützt uns die Freudenberg-Stiftung aus Weinheim, und wir bekommen Gelder aus staatlichen Programmen für spezielle Projekte. So haben wir in den letzten Jahren, besonders in Ostdeutschland, Fortbildungsseminare für Mitarbeiter organisiert, die in Anti-Rechts-Initiativen aktiv sind, vor allem zum Thema «Neuer Antisemitismus». Die Tradition, aus der die Anti-Rechts-Leute kommen, ist ja nicht immer frei von Antisemitismus, um es mal vorsichtig auszudrücken.

Das ist kein erfreulicher Zustand: Die zivilgesellschaftlichen Aktivisten gegen Rechtsextremismus müssen zum Thema Antisemitismus extra beraten werden. Wie Erfolg versprechend ist Aufklärung bei diesem Thema überhaupt?

Es gibt gerade unter meinen jüdischen Freunden nicht wenige, die mir immer mal wieder den Vogel zeigen und sagen: «Du spinnst total». Mit Aufklärungsmaßnahmen, Informationsveranstaltungen und pädagogischen Interventionen etwas gegen Antisemitismus zu bewirken, halten sie für Zeit- und Kraftverschwendung. Mir tut so eine Art von Zynismus ein bisschen weh, aber es ist auch etwas Wahres dran. Doch man kann und muss etwas tun, zum Beispiel in der Bildung, durch allgemeine Information und natürlich auch durch Repression. Es darf den Antisemiten und Rassisten auch weiterhin nicht erlaubt sein, ihre «Sau durchs Dorf zu treiben».

Beim neuen Antisemitismus wirken natürlich Bilder und Traditionen aus der Vergangenheit nach, und dabei gibt es durchaus auch Unterschiede zwischen Ost und West.

Wenn ich beispielsweise in den neuen Bundesländern unterwegs bin, dann spüre ich auch, dass die Nazizeit mit all ihren Verbrechen dort noch massiver verdrängt wurde, und ich spüre auch, was strukturell an Antisemitismus in der DDR-Zeit vorhanden war. Da wurden einfach Friedhöfe platt gemacht, Einrichtungen der jüdischen Gemeinden zweckentfremdet genutzt oder in einer Weise mit Überlebenden des Holocaust umgegangen, dass einem die Spucke wegbleibt.

Der Antisemitismus wurde in der DDR als «Sozialismus der dummen Kerls» verstanden. Und der Nationalsozialismus als alleinige Veranstaltung des Großkapitals...

Richtig, und am Ende steht hinter dem Großkapital das Judentum, und dann sind die Juden wieder selbst Schuld. Außerdem - und das dürfen wir nicht vergessen oder unterschätzen - war die DDR erfüllt von wirklich aggressivem und bösartigem Antizionismus. Der Staat Israel ist ja von Seiten der DDR nie in seinem Existenzrecht anerkannt wurden. Das muss man sich einmal vorstellen: Ein deutscher Staat bestreitet das Recht des jüdischen, überhaupt da zu sein! Die DDR-Propaganda verkündete tagtäglich ihre antisemitische Hetze gegen Israel. Man darf auch nicht vergessen, dass außerdem viele Terroristen hier ausgebildet wurden. Westdeutsche wie arabische. Oftmals, wenn ich einschlägige linke Blätter lese, habe ich das Gefühl, ich höre diesen alten DDR-Jargon wieder. Leute, die heute noch solche antizionistischen Töne verkünden, müsste man mal in ein Archiv setzen und ihnen drei Tage hintereinander bei Matze und Tee den «Schwarzen Kanal» und die «Aktuelle Kamera» vorführen.

Frau Kahane sie sind selbst in der DDR aufgewachsen. Mit 16 Jahren haben sie offen einen Davidstern um den Hals getragen. Wie war die Reaktion der Umwelt? 

Das ist in Deutschland nie ohne Risiko, aber in der DDR war es etwas Besonderes. Meine Eltern fanden es überhaupt nicht lustig. Meine Muter wollte solche Bekenntnisse nicht. Und mein Vater hatte Angst um mich. Und er hatte auch Grund dazu. Die Leute haben mich darauf angesprochen, in meiner Gegenwart furchtbare Judenwitze erzählt - oder antisemitische Bemerkungen gemacht und sich halb tot gelacht, wenn ich dann empört war. Denn: Strafe muss sein - selber Schuld, wer so etwas trägt. Unrechtsbewusstsein oder irgendeine Form von Schamgefühl gab es da gar nicht. 

Doch ich fühlte mich nicht nur als Jüdin sehr unwohl, es ging überhaupt allen Leuten so, die als «Abweichler» definiert wurden. Wenn man aus der Reihe tanzte oder dachte, dass man etwas Besonderes ist, dann war das ein ganz furchtbares Vergehen am Geist des Kollektiven. Manchmal wurde ich gefragt, ob ich mir denn einbilde, was Besonderes zu sein. Dann habe ich immer geantwortet: «Ja, klar. Weil für mich jeder Mensch etwas Besonderes ist!».

Sie engagieren sich seit langem nicht nur gegen Rechts, sondern auch bei der Integration von Zuwanderern und ehemaligen Vertragsarbeitern. Auch hier hatte sich die DDR nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Im SED-Staat wurden die Vertragsarbeiter aus Asien und Afrika in gesonderten Heimen untergebracht, was sie auf ihre Weise entfremdete und den Kontakt zur Bevölkerung erschwerte. Kann man den Umgang der DDR mit Juden und mit Ausländern vergleichen?

Nein, auf keinen Fall. Die Politik gegenüber den Vertragsarbeitern war eindeutig rassistisch. Sie hatten kaum Schutz und fanden wenig Solidarität. Nur einige Kircheninitiativen halfen bei eklatanten Menschenrechtsverletzungen, wenn es irgendwie ging. Die Situation der Juden stellte sich ganz anders dar. Die Juden galten immerhin als Bürger der DDR. Und dennoch gibt es einen Zusammenhang: Wer - wie die Menschen im sozialistischen System - nicht gefordert war, über die unselige Tradition des Umgangs der Deutschen mit Minderheiten zu reflektieren, konnte kaum die Verletzung der Würde von Menschen wahrnehmen, die in der DDR ausschließlich zum Arbeiten da waren und vom Rest der Gesellschaft abgeschottet wurden. Die Jüdischen Gemeinden haben sich damals leider überhaupt nicht für diese Vertragsarbeiter eingesetzt.

Nun zu den Juden in der DDR: Die meisten von ihnen waren ja keine Mitglieder der Gemeinde. Sie waren meist Kommunisten und damit säkular. Denn während in Westdeutschland nach der Befreiung der Lager sehr viele osteuropäische Juden zunächst in DP-Camps kamen und später auch in Westdeutschland blieben, kehrten in den Osten, also in die SBZ und spätere DDR, fast ausschließlich jüdische Kommunisten zurück. Und die waren Deutsche. Es gab also weitaus mehr deutsche Juden in der DDR als in der Bundesrepublik. Die kommunistischen Juden kamen zurück, weil sie glaubten, dass man mit Aufklärung und einem neuen, sozialistischen System einen besseren Staat aufbauen kann. Zu denen gehörten auch meine Eltern, und die waren natürlich mit dem Staat eng verbunden. Sicher, die wenigen jüdischen Gemeindemitglieder wurden immer gehegt und gepflegt. Die Gemeinden waren dem Staat vollkommen loyal gegenüber. Nur ab und zu regte sich Kritik an dem harschen antizionistischen Kurs von Partei und Regierung. Unter starken staatlichen Druck gerieten Juden in der DDR nur, wenn sie opponierten. Und dann blieben sie in der Regel nicht lange und gingen in den Westen. Daran sieht man, dass die Rolle der Juden in der DDR eine ganz andere war, als die der eingepferchten Arbeiter aus Afrika und Asien. Die Rolle der Juden mochte ambivalent gewesen sein, aber die Lebensbedingungen der ausländischen Vertragsarbeiter hingegen waren einfach nur skandalös.

Kam es denn aus Ihren DDR-Erfahrungen oder eher durch die Pogromstimmung Anfang der 90er Jahre, im bereits vereinigten Deutschland, zu Ihrem antirassistischem Engagement?

Mich haben alle diese Fragen schon immer sehr beschäftigt. Ich studierte deshalb auch Lateinamerikanistik und konnte auch dabei mitbekommen, wie problematisch - um nicht zu sagen: rassistisch - die Haltung der DDR gegenüber Menschen mit einem anderen Aussehen war. Diese Erfahrung hat meine eigenen Fremdheitsgefühle verstärkt und natürlich auch auf das ausgedehnt, was mit anderen Leuten geschieht. Als dann die Wendezeit kam, habe ich sofort reagiert und im Rahmen des Neuen Forums dazu aufgerufen, sich mit Ausländerfragen zu beschäftigen. Erst da fanden wir geeignete Möglichkeiten, wirklich handeln und helfen zu können. Unsere kleine Initiativgruppe war sich einig: «Jetzt schauen wir uns das alles systematisch an» - und sofort kamen Fragen auf wie: Was sind das überhaupt für Verträge, unter denen die ausländischen Menschen hier arbeiten müssen? Oder: Wie sieht es mit den binationalen Ehen aus? 

So begann ich auch die Arbeit am zentralen Runden Tisch der DDR, und einige unserer Vorschläge schafften es auf die Agenda der Beschlüsse. Übrigens führte einer der ersten dazu, dass die Juden aus der Sowjetunion in die DDR einwandern können. So beschloss es auf unsere Anregung die Volkskammer. Das war ein großartiger Erfolg. Plötzlich kam ich dann dazu, ein Amt zu bekleiden. Politisch «von Null auf 120» zu beschleunigen, hatte auch etwas Komisches. Mit einem Mal war ich Ausländerbeauftragte des Berliner Magistrats. Wir haben unglaublich viel und hart gearbeitet, um ein paar Sachen in Gang zu bringen. Mit dem Einigungsgesetz fiel das dann alles wieder in sich zusammen. Von unseren ausländerrechtlichen Vorschlägen wurde absolut nichts übernommen. Über Umwege gelang es dann dennoch, den Zuzug der sowjetischen Juden zu sichern.

Kann man sagen, dass die antirassistische Arbeit in Deutschland in den letzten Jahren schon einige Früchte getragen hat, die Ausländerfeindlichkeit aber aktuell durch antisemitische Ressentiments abgelöst wird?

Nein, das würde ich nicht behaupten wollen. Es gibt nach wie vor beides - Rassismus und Antisemitismus. Der Antisemitismus hat deutlich zugenommen, doch abgelöst hat er den Rassismus keineswegs. Und ja, ich denke schon, dass wir Erfolge bei der antirassistischen Arbeit vorweisen können. Inzwischen haben Teile der Bevölkerung auch in ländlichen Gebieten gelernt, dass die Menschen verschiedenster Herkunft zusammenleben müssen. Das heißt nicht, dass der Rassismus verschwunden ist. Ich glaube, dazu hat er sich zu stark in der Mitte der Gesellschaft etabliert. Doch da unsere Arbeit gut läuft, gibt es jetzt auch mehr Jugendliche, die sich eindeutig gegen Rechtsextremismus positionieren. Abrufbar bleibt der Rassismus aber jederzeit - sollten Politik und Medien es darauf anlegen. Ich denke aber, dass dies niemand will. Doch sollte auch niemand mit dem populistischen Feuer spielen - das geschieht immer wieder und ist gefährlich.
Der Antisemitismus funktioniert anders, mal subtil und mal offen. Er war im Osten versteckt in bestimmten kulturellen, politischen und sozialen Bildern. Er war codiert, wie in einem Kokon. Ich habe schon vor dem 11. September 2001 prognostiziert, dass Antisemitismus sich auch im Osten entfalten wird. Es war klar, dass er irgendwann schlüpfen würde. Nach dem 11. September ist eine Situation eingetreten, die dem Antisemitismus einen weiteren Impuls gegeben hat. Gerade dieser Anschlag in New York hat den Ostdeutschen suggeriert, dass es nicht alles falsch war, was sie im Staatsbürgerkundeunterricht über die bösen Zionisten, die bösen Amerikaner und überhaupt die Ursachen aller Probleme auf der Welt gelernt haben. Deswegen meine ich, dass zum Rassismus noch weiteres dazugekommen ist.

Derzeit wird oft behauptet, die Islamophobie hätte den Antisemitismus abgelöst. Das halte ich für reine Polemik. Ich bin nicht sicher, was an aktuellen ausländerfeindlichen und rassistischen Äußerungen und Stimmungen wirklich islamophobisch ist. Das untersucht auch die Forschung zurzeit noch. Ich glaube aber, dass es hierzulande einen Rassismus gibt, der sich gegen die «Ausländer» an sich richtet und der die Religion nur vorschiebt. Was an der Religion, vor allem am politischen Islam wirklich gefährlich ist, wird dabei verdeckt. Deswegen muss man hier ganz genau unterscheiden.

Es kursiert ja auch die groteske Behauptung, die Moslems seien die Juden des neuen Jahrtausends...

Ach, da gibt es auch noch andere schöne Sachen. Zum Beispiel hat ein ehemaliger DDR-Schriftsteller neulich behauptet, die Ostdeutschen seien die Juden der Westdeutschen, weil sie deren Opfer sind. Unglaublich! Also, man kann heute alle möglichen Leute zu den Juden machen. Damit wird immer wieder das Singuläre am Holocaust und an der deutschen Geschichte relativiert. Das ist natürlich Blödsinn und verantwortungslos.

Woher kommt Ihrer Meinung nach die Motivation zu solch einem Geschichtsrevisionismus?

Man will sich entlasten. Wenn alles das Gleiche ist, dann brauchen wir uns über das Spezielle auch keine Gedanken mehr zu machen. Dann müssen wir darüber nicht mehr nachdenken und können den Juden im Nachhinein noch einmal einen Tritt verpassen.


Zur Person: Anetta Kahane

wurde 1954 in Ostberlin geboren, ihre Eltern waren während der nationalsozialistischen Diktatur aus politischen und rassischen Gründen verfolgt worden. Von früh an interessierte sie sich für andere Länder und Kulturen. In den 1970er Jahren studierte Anetta Kahane Lateinamerika-Wissenchaft und afrikanische Sprachen an der Humboldt-Universität Berlin. Während der 1980er Jahre arbeitete sie als Sprachdozentin und (literarische) Übersetzerin. Im Frühjahr 1989 begann ihr Engagement beim «Neuen Forum», wo sie eine Arbeitsgruppe Ausländerfragen mit initiierte. Während der politischen Wende 1989/90 wurde sie zur Ausländerbeauftragten des Ostberliner Magistrats. Mehr als zehn Jahre lang baute Anetta Kahane danach in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen das Netzwerk «Regionale Arbeitsstellen für Ausländerfragen» (RAA) mit auf. Im Dezember 1998 war sie Gründungsmitglied der Amadeu Antonio Stiftung, seit drei Jahren leitet sie den Stiftungsvorstand. Im Jahre 2004 erschien Anetta Kahanes Autobiographie unter dem Titel «Ich sehe was, was du nicht siehst. Meine deutschen Geschichten» bei Rowohlt Berlin. Sie ist Mutter einer 20jährigen Tochter.

Donnerstag, 27. April 2006

Denn er wusste, was er tat…

Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm sorgt für Eklat bei der Befreiungsfeier des KZ Sachsenhausens

 

Ralf Fischer / Mut gegen rechte Gewalt


Bei der zentralen Gedenkfeier für die Überlebenden des Konzentrationslagers Sachsenhausen erinnerte der Innenminister von Brandenburg, Jörg Schönbohm, auch an die Menschen die nach 1945 im sowjetischen Internierungslager "ebenso rechtlos" eingesperrt waren. Die anwesenden ehemaligen KZ-Häftlinge protestierten gegen diese Form der Verharmlosung des Nationalsozialismus. Zu Recht.

Der Anlass des Gedenkens war eigentlich allen Teilnehmern zur Genüge bekannt: am 23. April 2006 ging es im Konzentrationslager Sachsenhausen bei Oranienburg nicht um das Gedenken an die Opfer des Totalitarismus im 20. Jahrhundert, sondern um den 61. Jahrestag der Befreiung des KZ durch sowjetische und polnische Soldaten. Schwarz auf weiß war dies im Vorfeld für jeden Besucher den Einladungen zu entnehmen.

Dafür, dass es trotzdem ein prominenter Redner schaffte, diese Tatsache zu verdrängen, gibt es keine Entschuldigung. Auch nicht jene, die in diesen Tagen gerne in der Presse kolportiert wird, dass womöglich der eigene Vater oder andere Familienangehörige im sowjetischen Internierungslager unschuldig ums Leben kamen. Des Weiteren kann auch beim besten Willen, kein guter Wille darin gesehen werden, dass mehrere Tage nach dem gezielten Tabubruch in der Öffentlichkeit von dem Redner selbstkritisch eingeräumt wird, dass „im Sinne der Opfer“ ein Fehler begangen wurde. Ein strategisch motiviertes Ablenkungsmanöver und zu spät. Jedenfalls als ernstzunehmender Versuch die Wellen der Empörung zu glätten kann die Aussage nicht angesehen werden.

Als Jörg Schönbohm, der Vertreter der brandenburgischen Landesregierung, in seiner Rede am 23. April in Sachsenhausen ansetzte zu seinem Ritt durch den Täter- und Opferwald, da wollte er die einzelnen Bäume vor lauter Wald nicht mehr unterscheiden. In der Rede vor über 80 Überlebenden des KZ und ihrer Angehörigen verschwammen die Opfer des Nationalsozialismus in einer breiigen Masse mit jenen die als Nazis zu Recht nach 1945 in Internierungslagern verbracht wurden und denjenigen die unschuldig in die Fänge der Stalinisten gerieten. Im Meer der Opfer des 20. Jahrhunderts gingen für Schönbohm die Unterschiede komplett baden.

Den Schock der Überlebenden des KZs auf die den Nationalsozialismus und seine Verbrechen relativierende Wald- und Wieserede brachte sofort im Anschluss an die Rede des Innenministers ein Vertreter des Internationale Sachsenhausen Komitees (ISK) zur Sprache. Er wies die Behauptungen Schönbohms mit aller Schärfe zurück und verwies darauf, dass 80% derer die nach 1945 im Internierungslager eingesperrt waren, entweder KZ-Wärter oder NS-Systemträger waren. Oder sogar beides.

Die, mit dem Versuch die Gefangenen des sowjetischen Internierungslagers auf eine Stufe mit den Opfern des nationalsozialistischen Lagersystems zu stellen, einhergehende Relativierung des NS, wollte der Generalsekretär des ISK nicht hinnehmen. Und auch die Zivilgesellschaft tut gut daran dies nicht hinzunehmen, egal ob derjenige der gerade den Versuch dazu unternimmt, nun ein wichtiger Minister oder ein einfacher Türsteher ist.

Dienstag, 18. April 2006

Mordversuch aus Fremdenhass

Deutsch-Äthiopier von Rassisten halb tot geschlagen

 

Ralf Fischer / Mut gegen rechte Gewalt


Am vergangenen Sonntagmorgen wurde in Potsdam der 37-jähriger Wasserbauingenieur Ernyas M. von zwei unbekannten Tätern angegriffen und lebensgefährlich verletzt. Die Polizei geht von einem fremdenfeindlichen Motiv aus, denn das eingeschaltete Handy des Opfers übertrug die Tat. Die Stimmen der Täter hat die Polizei ins Internet gestellt.

Beim Abspielen des Telefonats auf der Pressekonferenz lief es so manch einem Pressevertreter kalt den Rücken herunter. Neben den vielen nicht deutbaren Geräuschen und Wortfetzen ist ein Wort immer wieder deutlich zu hören: 'Nigger'. Offenbar hat das Opfer versucht seine Frau anzurufen, aber die war nicht ans Telefon gegangen, so dass der Anrufbeantworter ansprang und das aufzeichnete, was die Polizei als Beginn der Auseinandersetzung ansieht. Nach insgesamt fast zwei Minuten bricht das Telefonat ab. 'Oh je!' ist das Letzte, was deutlich zu hören ist. Das Gespräch kann mittlerweile auch über die Telefon-Nummer 0331 - 283 53 777 abgehört werden.

Seit jenen Morgenstunden kämpfen die Ärzte um das Leben des 37-Jährigen Deutschen mit afrikanischer Herkunft. Mit einem schweren Schädel- und Gehirntrauma, Knochenverletzungen, einem verletzten Auge und Erbrochenem in der Lunge wurde er ins Krankenhaus eingeliefert. Nur ein Schlag oder Tritt mehr und der Mann wäre vermutlich tot gewesen, so Benedikt Welfens, Sprecher der Staatsanwaltschaft.

Was die Verletzungen verursachte ist bis jetzt noch nicht klar. "Stumpfe Gewalt gegen den Kopf", heißt es seitens der Polizei. Verursacht durch eine unbekannte Waffe oder durch Tritte mit Stiefeln gegen den Kopf, als das Opfer schon am Boden lag, genau könne man das noch nicht sagen.

Womöglich hat ein Taxifahrer Ernyas M. das Leben gerettet. Auf der Fahrt zu einer nahen Diskothek, sah er bereits, dass sich Täter und Opfer an der Haltestelle im Gespräch befanden. Auf der Rücktour habe er dann den Mann an der Ecke Zeppelinstraße/Nansenstraße auf dem Boden liegen sehen. Daraufhin stieg der Taxifahrer aus und die Täter flüchteten in Richtung Innenstadt. Zwar versuchte der Taxifahrer den beiden Tätern noch zu Fuß zu verfolgen, aber nach ergebnisloser Verfolgung ist er an der Ecke Zeppelinstraße/Stiftstraße umgekehrt, um dem Opfer zu helfen.

Zivilgesellschaftliche Solidaritätskundgebung mit dem Opfer

Eine Reaktion der Potsdamer Zivilgesellschaft auf diesen brutalen Angriff lies nicht lange auf sich warten. Schon einen Tag nach dem Übergriff demonstrierten über 500 Menschen in der Potsdamer Innenstadt zwei Stunden lang ihre Solidarität mit dem Opfer und gegen rechte Gewalt. Vom Platz der Einheit ausgehend ging es bis zum S-Bahnhof Charlottenhof und wieder zurück. Zumeist junge Antifaschisten aus Berlin und Potsdam waren an der Demonstration durch die brandenburgische Landeshauptstadt beteiligt.

Angemeldet hat die Demonstration Lutz Boede von der Kampagne gegen Wehrpflicht aus Potsdam. Die Stimmung ist kämpferisch solidarisch. Als sich der Demonstrationszug losbewegt ertönen Sprechchöre, die dazu auffordern den Neonazis die Straße zurück zugeben, und zwar Stein für Stein. Doch trotz dieser verbalen Militanz ist es eher ein breites Bündnis, welches auf der Straße gegen jeden Rassismus und rechte Gewalt demonstriert. Mitglieder der Grünen bekunden Seit an Seit mit jugendlichen Autonomen und Anhänger der PDS sowie der DKP ihre Abscheu.

Übergriffe im Wochentakt

Vielen steht die Wut ins Gesicht geschrieben, sie haben erst vor kurzem erfahren, was am 16. April Frühmorgens in Potsdam geschah. Unter ihnen ist auch Tamás Blenessy. Vor einem Jahr wurde der Student auch Opfer eines Überfalles von Neonazis. Er war erschüttert als er die Nachricht vom Geschehen an der Straßenbahnhaltestelle bekam, aber überrascht hat es ihn nicht. Rechte Übergriffe, nicht immer in dieser Dimension, finden, nach seiner Aussage, derzeit im Wochentakt in Potsdam statt.

Die Brutalität mit der die Täter gegen ihn vorgingen, erinnert Blenessy an das Vorgehen der Neonazis damals gegen ihn. Doch er hatte mehr Glück als der aus Äthopien stammende Ernyas M., dass steht für ihn fest. 

Für die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung, Anetta Kahane, beweist der Übergriff wieder einmal mehr, wie wichtig eine kontinuierliche gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit Rassismus wäre und dass besonders Opferberatungen in Ostdeutschland als wichtiger Bestandteil der Zivilgesellschaft finanziell gefördert werden müssen. Sie ruft dazu auf Geld zur Betreuung und Behandlung von Ernyas M. und seiner Familie, aber auch zugunsten vieler anderer, oft unbekannter Opfer rassistischer Gewalt zu spenden. Das sei die Gesellschaft den Opfer rechter Gewalt schuldig.

Dienstag, 11. April 2006

Hassprediger in Deutschland willkommen?

Irans Präsident Ahmadineschad überlegt einen Abstecher zur Fußball-WM nach Deutschland zu machen. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) heißt ihn schon einmal vorsorglich willkommen.

 

Ralf Fischer / Mut gegen rechte Gewalt


Die Ankündigung des Holocaust-Leugner und Israelfeindes Mahmud Ahmadineschad vielleicht die iranische Nationalmannschaft auf ihrem Trip zur WM in Deutschland zu begleiten, sorgt für einige Diskussion im deutschen Blätterwald. Doch gibt es da überhaupt etwas zu diskutieren?

International bekannt geworden ist der aktuelle iranische Präsident durch seine breitenwirksame antisemitische Öffentlichkeitsarbeit. Als Präsident eines Landes, welches sich selbst als 'Land der Arier' bezeichnet, formulierte er kurz nach seiner Wahl zum neuen Präsident im vergangenen Jahr in die Mikrofone der internationale Presse Sätze wie diesen: "Einige europäische Länder pochen darauf, dass Hitler Millionen unschuldiger Juden in Öfen getötet hat. Wir akzeptieren diese Behauptung nicht."

Und um auch ja kein Missverständnis an seiner Gesinnung aufkommen zu lassen, schob er in regelmäßigen Abständen neue Hasstiraden in Richtung Israel hinterher. Im Dezember 2005 sprach er sich im iranischen Fernsehsender El-Alam für eine 'Verlegung' des Staates Israel nach Deutschland und Österreich aus und behauptete, das Ausmaß des Holocaust werde übertrieben dargestellt. Weiterhin bezeichnete er Israel als 'Krebsgeschwür'.

Nur wenige Tage später erklärte er in einer im staatlichen Fernsehen übertragenen Rede in der Provinz Sistan-Balutschestan: "Der Mythos vom Massaker an den Juden ist von den westlichen Staaten erfunden worden, um mitten in der islamischen Welt einen jüdischen Staat zu errichten." Woraufhin ihn die Tel Aviver Zeitung 'Haaretz' mit Adolf Hitler "diesem anderen gewählten Führer, der Juden zu vernichten versprach" verglich.

Falsch verstandene Gastfreundschaft

Nun dürfte man eigentlich davon ausgehen, dass der Bundesinnenminister Schäuble all diese Hasstiraden bis ins kleinste Detail kennt. Und trotzdem heißt Schäuble den Hassprediger aus Teheran willkommen. In der Öffentlichkeit wird Schäuble sogar mit dem Satz: "Mein Rat ist, wir sollten gute Gastgeber sein" zitiert.

Gute Gastgeber? Es fragt sich nur für wenn!

Für einen Präsidenten dem die Beteiligung an terroristischen Aktionen zur Last gelegt wird und der – ganz im Gegensatz zum Credo der WM – jede Sekunde in der Öffentlichkeit dazu nutzt um gegen jede friedliche Völkerverständigung zu argumentieren? Es wäre ein nicht wieder gut zu machender Skandal.

Weitere Zitate zum Thema:

"Der iranische Präsident Ahmadineschad ist ein Antisemit übelster Sorte, aber es gibt keine rechtlich keine Möglichkeit, ihm die Einreise zu verwehren. Wenn er als Regierungschef eines WM-Teilnehmerlandes zur Fußball-WM kommen möchte, dann wird man sich nicht darüber freuen, aber gleichwohl hinnehmen müssen. Das wird kein unproblematischer Besuch werden, man wird ihn sehr sorgfältig vorbereiten müssen.

Es kommt ja hinzu, dass die rechtsextremistische Szene in Deutschland mit Blick auf die Fußball-Weltmeisterschaft insbesondere im Umfeld iranischer Spieler Aktivitäten plant, weil sie den Antisemitismus des iranischen Präsidenten für gut heißt. Es wäre sicher für alle Beteiligten besser, wenn er auf seine Reisepläne verzichten würde." Sebastian Edathy, SPD-Innenpolitiker und Mitglied des Bundestages

"Ahmadineschad ist auf Show eingestellt und wird sich diese Show auch in Deutschland nicht entgehen lassen. Ich glaube schlicht und einfach, dass es in der Tat rechtlich keine andere Möglichkeit gibt, als ihn einreisen zu lassen. Denn wenn man sagt, die Weltmeisterschaft hat nichts mit Politik zu tun, muss man sich daran halten. Das Motto dieser Weltmeisterschaft heißt ja: Die Welt zu Gast bei Freuden. Da sollen die Gastgeber jetzt ihre Freunde entsprechen empfangen – auch mit Demonstrationen." Daniel Cohn-Bendit, Fraktionschef der Grünen im Europaparlament

"Ahmadineschad darf auf keinen fall zur WM eingeladen werden. Er sollte offiziell als Persona non grata behandelt werden. Zudem sollte die Bundesanwaltschaft sehr sorgfältig prüfen, ob seine Äußerungen gegen den Paragrafen 130 des Strafgesetzbuches, die Holocaustleugnung, und gegen das internationale Verbot der Vorbereitung eines Angriffkrieges und des Völkermordes verstößt.
Schäuble kommt der traurige Ruhm zu, als erster Vertreter einer deutschen Bundesregierung einen aktiven und offenen Holocaust-Leuugner hofffähig gemacht zu haben." Micha Brumlik, Publizist und Professor für Erziehungswissenschaften

Donnerstag, 6. April 2006

'HOO-NA-RA': Zu Gast bei Feinden

Dass nicht alle Bewohner dieses Landes gewillt sind, der Welt ein guter Freund zu sein, zeigen vermehrt die antisemitischen und rassistischen Vorkommnisse in und außerhalb der Stadien.

 

Ralf Fischer / Mut gegen rechte Gewalt


Der nigerianische Fußballspieler Adebowale Ogungbure ist eigentlich schon so einiges gewohnt. Wenn er, der Abwehrchef des FC Sachsen Leipzig, seinen Arbeitsplatz betritt verfolgen ihn die von den gegnerischen Fans angestimmten Urwald- und Affengeräusche auf Schritt und Tritt. Manchmal werden dem 24-Jährigen auch Bananen hinterher geworfen, aber so schlimm wie letzte Woche bei dem Viertligaspiel gegen den Halleschen FC war es für ihn nach eigener Aussage "noch nie".

Mit dem Schlusspfiff der Partie – kurz vor Abpfiff gelang den Spielern des HFC noch der Ausgleich zum 2:2 - stürmten rund 200 Leipziger Ultras den Platz. Die zahlreich versammelte Polizei reagiert zwar umgehend und drängte die Leipziger recht schnell in ihren Block zurück. Doch das Chaos in der Zwischenzeit nutzten die Hooligans vom HFC um ebenfalls über die Absperrungen zu klettern und in Richtung Innenraum - und auf den Sachsen-Spieler Adebowale Ogungbure zu zustürmen.

Zuerst prasselt eine Schimpfwortkanonaden auf den Abwehrspieler ein, es fallen Worte wie "Drecks-Nigger, Affe, Bimbo, Scheiß-Neger", doch damit begnügten sich die HFC-Fans nicht. Ogungbure wird bespuckt und körperlich attackiert. Als ihm zu guter Letzt, von der Haupttribüne zum wiederholten Male Affenlaute entgegen dröhnen, reagiert der Nigerianer mit einem Zeichen, welches eigentlich nur den selbsternannten Kämpfer für die Reinheit der arischen Rasse vorbehalten ist.

Ogungbure formt zwei Finger zum Diktator-Bärtchen und reckt den rechten Arm zum Hitler-Gruß. Daraufhin ticken die Hools richtig aus. Eine Faust trifft Ogungbure am Hinterkopf. Dann wird er in ein Absperrgitter geschubst.

Das hat mit Fuß…

Ausreden für die rassistischen Übergriffe oder antisemitischen Hetzgesänge in den Stadien gibt es genügend. Vor allem von den jeweiligen Fangruppierungen und den Verantwortlichen im betroffenen Verein. Doch egal wie man es dreht oder wendet, man muss schon von Normalität sprechen, wenn es um solche Phänomene geht. Und zwar von einer gesellschaftlichen Normalität nicht nur in Deutschland.

Sport ist, auch wenn es gerne von einigen Ministerien so dargestellt wird, kein Zeitvertreib der automatisch die Fähigkeit zur Toleranz erhöht. Im Gegenteil, die Toleranz für die aktuell verfeindete Mannschaft geht zumeist dem Nullpunkt entgegen. Der Kampf um den Sieg, der bedingungslose Wettbewerb zwischen zwei Mannschaften ist Haupttriebfeder im Fußball. Nicht die Akzeptanz des Gegners, und erstrecht nicht antirassistische Motive.

Das hat mit Ball…

Ein aktuelles Beispiel für den Versuch ganzen Sportevents zu funktionalisieren legt derzeit die rechtsextreme NPD vor. Während die Partei einerseits Öffentlichkeitswirksam in der Presse lancieren lässt, dass sie aus Solidarität mit dem Iran, und vor allem mit dem für seine antisemitischen Ausfälle bekannten Präsidenten des Landes, während der WM in verschiedenen Städten Demonstrationen durchführen möchte, wirbt sie andererseits mit einem WM-Planer auf dem zu lesen ist: "WEIß - Nicht nur eine Trikot-Farbe - Für eine echte NATIONAL-Mannschaft".

Auf der Vorderseite des Planers ist das Trikot des Bremer Nationalspieler Patrick Owomoyela zu sehen. Owomoyela ist Sohn eines Nigerianers, und damit für die Neonazis kein Deutscher. Erstrecht kein deutscher Nationalspieler. Mit dieser Fußball-Provokation wandelt die NPD auf dem Pfad, die der neonazistische 'Schutzbund Deutschland' aus Ostdeutschland vor einigen Wochen angelegt hat. Zu dessen Führungsfiguren unter anderem der ehemalige NPD-Vorsitzende in Berlin-Brandenburg, Mario Schulz gehört. Die braune Propagandatruppe hatte unter anderem ein Plakat mit einer Abbildung des deutschen Fußballnationalspielers Gerald Asamoah in Umlauf gebracht, Überschrift: "Nein Gerald, Du bist nicht Deutschland - Du bist BRD!".

Das hat mit Fußball nichts zu tun!

Anklang findet diese Art der braunen Propaganda hauptsächlich im Hooligan-Milieu. Gerade in dieser Szene tummeln sich in letzter Zeit nach Angaben der Polizeibehörden immer mehr gewaltbereite Neonazis. In Sachsen, speziell in Chemnitz, hat diese Vermischung der Hooligan und Neonaziszene schon eine neue Parole zur Welt gebracht: 'HOO-NA-RA'.

'HOO-NA-RA' steht für 'Hooligans – Nazis – Rassisten' und ist nicht nur ihre Losung, sondern auch die ebenso treffende wie aufrichtige Selbstbezeichnung des lokalen Milieus aus Neonazis, Hools und Kleinkriminellen. Ob im Stadion von Chemnitz, auf der Straße oder während eines so genannten Fight Clubs, die Parole der sächsischen Hardcore-Rassisten ertönt überall wo diese sich gerade bewegen. Es ist ihnen eigentlich egal wo sie gerade ihren Hass verbreiten, die Hauptsache ist, dass ihnen jemand zuhört. Umso mehr, umso besser.

Und was für ein Zufall: Derzeit liegt die Hauptaufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf der kommenden Fußball-WM in Deutschland und damit auch auf die zu befürchtenden Krawalle von Fußballfans. Das wissen natürlich auch die Neonazis unter den Fußballfans wie auch die NPD.

Gesellschaftliches Gegensteuern

Die Taktik ist damit eigentlich offensichtlich. Während die rechtsextreme Partei auf der Suche nach einem Aufhänger um in die Öffentlichkeit zu kommen über die WM gestolpert ist, betreiben die neonazistischen Hooligans ihren alltäglichen Kampf gegen alles Undeutsche und freuen sich, wenn sie durch die Sensibilität der Presse im Vorfeld der WM noch häufiger als sonst ihre Hackfresse in einen Kamera halten können.

Schnelle Abhilfe dagegen liegt in utopischer Ferne. Einerseits wird es kein Polizeiaufgebot der Welt verhindern können, dass irgendwo auf einer Waldlichtung Hooligans aufeinander treffen, andererseits ist es auch nicht einmal mit den besten Überwachungsmöglichkeiten möglich nachzuweisen wer in einem Block nun genau angefangen hat mit den antisemitischen oder rassistischen Sprechchören.

Es ist eine Crux, wem wirklich am Herzen liegt, dass Neonazis, Stammtischrassisten und nationalistische Chauvinisten das Handwerk gelegt wird, der muss sich langfristig engagieren. Die kurzfristige Skandalisierung von neonazistischen Aktivitäten ist keinerlei Ersatz zur langfristige Projektarbeit.

Mittwoch, 22. März 2006

Hass auf politisch Andersdenkende

Haftstrafe für rechte Schlägerin und Bewährung für rechte Schläger

Ralf Fischer / Mut gegen rechte Gewalt

Die ersten Urteilsverkündungen am vergangenen Montag im so genannten Potsdamer Tramüberfallprozess sorgten für ein unerwartet großes Medieninteresse. Die Urteile dagegen waren weniger spektakulär. Zwei zeitgleiche Urteile in Sachsen fielen dagegen überraschend aus.

Dichtes Gedränge herrscht am Montagvormittag vor dem Raum 15 im Landgericht Potsdam. Kamerateams drängeln mit der Polizei und rechten wie linken Prozessbeobachtern um die besten Plätze im Saal. Insgesamt stehen für Besucher nur 27 Plätze zur Verfügung. Beim dem Gedrängel verlieren die 15 extra aus Berlin angereisten Neonazis gleich ihren ersten Kampf des Tages. Nur drei ihrer Kameraden schaffen es in den Gerichtsaal und können die Urteilsverkündung mitverfolgen. Der Rest muss draußen warten. Immer aufmerksam beobachtet von mitgereisten Berliner Polizisten.

Die drei Rechtsextremisten im Gerichtssaal werden ebenso sorgfältig beobachtet. Auch im Gerichtsaal sitzen mitten in den Reihen verteilt Polizisten der Berliner Spezialeinheit PMS. Daneben Journalisten und die Beobachter des antifaschistische Vereins Jugend engagiert in Potsdam e.V. (JEP). Mit Spannung erwarten alle die Urteilsverkündung im Jugendverfahren gegen fünf Tatbeteiligte die an einem der brutalsten Angriffe in Potsdam durch Neonazis in den letzten Jahren beteiligt waren.

Eine Gruppe aus 11 organisierten Neonazis hatte am 3. Juli des vergangenen Jahres zwei Personen brutal zusammengeschlagen und schwer verletzt. Die Gruppe kam gerade von einer politisch motivierten Sauf- und Grillparty als sie aus der Straßenbahn heraus zwei Männer erblickten, wovon ihnen einer als stadtbekannter Antifaschist bekannt war. Die Angreifer zogen die Notbremse, sprangen aus der Bahn heraus und stürzten sich auf ihre Opfer.

Im Laufe des Prozesses gegen die zur Tatzeit noch jugendlichen Angreifer gab die 18-Jährige Sandra C. aus der Neonaziclique vor Gericht zu, als erste mit einer Bierflasche zugeschlagen zu haben. Danach sollen auch andere aus der Gruppe die beiden Opfer getreten und geschlagen haben. Dies bestreiten die Mitangeklagten und der Vorsitzenden Richterin fehlen die Beweise um den männlichen Angeklagten dies nachzuweisen. Zwar gibt es Videoaufnahmen aus der Straßenbahn, die zeigen wie die Angeklagten im Sommer Handschuhe überziehen, aber nicht, wie sie zuschlagen. Nur wenige Zeugen haben den Überfall gesehen, und wenn dann konnten sie nur eine komplett in schwarz gekleidete Meute, aber keine Personen erkennen.

Opfer fordert mehr Engagement

Vor Gericht behaupteten die meisten Angeklagten, dass sie zügig geflüchtet seien, als sie sahen, wie Sandra C. ihre Bierflasche auf dem Kopf von einem der Opfer zerschlug. So blieb der Richterin nichts weiter übrig als die Anklage wegen versuchtem gemeinschaftlicher Mord fallen zu lassen und nur noch wegen zweifacher gefährlicher Körperverletzung zu ermitteln. Die Staatsanwaltschaft hatte - da die Täter bei dem Übergriff den Tod der beiden Opfer billigend in Kauf genommen – versucht die Täter wenigstens wegen versuchtem Mord zu belangen.

In der Urteilsbegründung erklärte die Kammer, dass dieses Motiv jedoch nicht nachweisbar gewesen sei, die Angeklagten hätten aber nicht desto trotz aus "Hass auf politisch Andersdenkende" das Verbrechen begangen. Weshalb die geständige 18-jährige Frau zu drei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt wurde und drei an der Tat beteiligte junge Männer je zwei Jahren auf Bewährung bekamen. Ein weiterer Mann erhielt wegen unterlassener Hilfeleistung nur eine Verwarnung.

Für den Anwalt eines der beiden Opfer war es trotzdem ein "faires und angemessenes Verfahren". Eine Revision seines Nebenklägers sei eher unwahrscheinlich, da "der Mordversuch nicht nachweisbar" war, sagte Anwalt Stephan Martin. Für seinen Mandanten steht fest, dass "durch die welche Strafen auch immer die Motivation der Täter nicht verändert werden kann." Er fordert das Engagement aller zivilgesellschaftlichen Akteure sich kontinuierlicher gegen Rechts zu engagieren, damit neonazistische Gewalt verhindert wird, bevor sie passiert.

Dienstag, 21. März 2006

"Hey, schwarzer Neger!"

Eigentlich war Chamberlin Wandji nur auf der Suche nach einer Disko in Cottbus. Doch statt auf der Tanzfläche, verbrachte er die Nacht auf dem Polizeirevier.

Ralf Fischer / Mut gegen rechte Gewalt

Diskobesuche für erkennbar Nichtdeutsche in Ostdeutschland sind immer ein Glücksspiel. Die Chance im gewünschten Tanzschuppen Einlass zu erhalten ist äußerst gering. Hoch dagegen ist nach wie vor die Wahrscheinlichkeit, auf dem Heimweg von Rechtsextremen abgegriffen zu werden. Ein Beispiel aus Cottbus.

Eine kurze Notiz mit der Überschrift „Zwei Afrikaner im Bus geschlagen und getreten“ in der Lausitzer Rundschau vom 06. März informiert die Leser darüber, dass es am Samstag zuvor wohl zu einer „Auseinandersetzung zwischen 2 Afrikanern und 2 jungen Deutschen“ in Cottbus gekommen sei, in deren Verlauf es auch zu Handgreiflichkeiten kam.

Nichts ungewöhnliches, könnte man denken. Männliche Jugendliche neigen nun mal zu Gewalttätigkeiten und was soll man sich darüber großartig aufregen, wenn sie unter einander ihre Kräfte messen. Doch weit gefehlt. Den Lesern wurde in der kurzen Mitteilung mehr als nur die Tatsache, dass es sich um einen rassistischen Überfall gehandelt hat verschwiegen. Es wird eine Normalität suggeriert, wo es für erkennbare Nichtdeutsche keine Normalität im Sinne der eigenen körperlichen und geistigen Versehrtheit gibt.

Dass es womöglich eine rassistische Motivation der jungen Deutschen gab, die zwei Afrikaner anzugreifen wird sofort in der Pressemeldung dementiert. Und zwar mit einem Satz, den antirassistische Initiativen und Opferberater in Ostdeutschland nur noch als Hohn missverstehen können: „Die Polizei geht von keiner politisch motivierten Tat aus.

Eindeutig rassistisch motiviert...

Eine Woche nach dem diese Meldung unwidersprochen in der Regionalpresse veröffentlicht wurde, meldete sich eines der Opfer mit Hilfe der Antirassistischen Initiative Berlins zu Wort. Chamberlin Wandji konnte es nicht fassen, dass ein rassistisch motivierter Angriff auf ihn und seinen Begleiter derart zu einem Bagatelldelikt verniedlicht wurde. In der auch auf dem linken Internetportal Indymedia veröffentlichten Erklärung, verweist Wandji darauf, dass es sich bei der Gruppe, aus der die Angreifer heraus agierten, um 8 bis 10 Personen in militärischer Kleidung gehandelt habe.

Für ihn steht es fest, dass sich bei der Attacke am 04. März 2006 auf ihn „eindeutig um einen rassistischen Übergriff“ handelte und nicht um eine eskalierte Streiterei unter jungen Männern.

Odyssee durch die Nacht: Auf der Suche nach einer Disco

Den ersten Anlauf in eine Tanzlokalität zu gelangen unternahmen Wandji und sein Begleiter in der Disko Stuk-Club an der Strandpromenade. Dort wurden die Beiden direkt an der Eingangstür mit der Begründung abgewiesen, dass nur schwarze Studierende Einlass in die Disko erhielten, jedoch keine Asylsuchenden. Wahrlich eine einleuchtenden Begründung.

Doch so schnell lies sich Wandji nicht den Abend vermiesen. In der Hoffnung bei der nächsten Diskothek nicht das gleiche Theater erleben zu müssen, versuchte er bei einem anderen Tanzschuppen eingelassen zu werden: der Disko Stadt Cottbus.

Dort angekommen, durfte Wandji sich anhören, dass in der Disko Stadt Cottbus allgemein schwarze Menschen keinen Zutritt hätten. Derart in Rage gebracht, rief er die Polizei an. Diese konnte ihm aber nicht helfen. Am Telefon wurde ihm gesagt, dass dies alles ein persönliches Problem des Herrn Wandji sei und sie sich nicht darum kümmern könnten. Daraufhin entschied Herr Wandji, dass es wohl sicherer sei, den Heimweg anzutreten...

Endstation Polizeirevier

An der Bushaltestelle Stadtpromenade stieg er um 0.46 Uhr in den Nachtbus, der ihn nach Hause bringen sollte. Zufälligerweise traf er im Bus seinen Freund wieder, von dem er sich im Laufe des Abends getrennt hatte. Dieser war gerade dabei, den Busfahrer zu fragen, mit welchem Bus er denn in eine andere Disko gelangen könnte. Hinten im Bus saß derweil eine Gruppe von 8 bis 10 jungen, die nach Aussage von Wandji „sehr militärisch gekleidet waren“.

Urplötzlich und ohne Vorwarnung kam ein Mann aus der Gruppe auf die beiden zu und trat den Bekannten von Wandji so heftig, dass der aus der mittleren Bustür auf die Straße flog. Herr Wandji versuchte daraufhin dem jungen Mann den Weg zurück zu seiner Gruppe zu versperren und fragte den Angreifer ob Schwarze für ihn keine Menschen seien.

In dieser Situation kamen weitere Personen aus der Gruppe zum Geschehen dazu und hielten Wandji von hinten fest. Die Gefahr spürend versuchte er sich aus der Umklammerung mit einer Drehung zu befreien und bekam dabei von einem aus der Gruppe einen Schlag ins Gesicht versetzt. Zwei Frauen aus der Gruppe taten sich währenddessen damit hervor den von allen Seiten umzingelten Asylbewerber anzuschreien und zu beleidigen. Dabei fielen auch die Worte: „Hey, schwarzer Neger!“.

Herr Wandji bat in dieser Situation den Busfahrer, die Polizei zu rufen. Doch sein Freund hatte schon die Polizei benachrichtigt. Nach wenigen Minuten traf die Polizei ein und nahm zu völligen Verwunderung der beiden Opfer bis auf sie niemanden mit aufs Revier. Die Angreifer verblieben im Bus.

Verweigerte Erste Hilfe

Auf der Wache mussten Wandji und sein Freund dann etwa eine Stunde warten, ohne dass etwas geschah. Niemand kümmerte sich um die Gesichtsverletzungen und eine Anzeige wurde auch nicht aufgenommen.

Von der Wache aus mussten die beiden Asylbewerber zur Kriminalpolizei, wo sie noch einmal zwei Stunden warten mussten, bis sie überhaupt eine Anzeige machen konnten. Auf die Bitte zu einem Arzt gebracht zu werden, meinten jedoch die Polizisten, dass es nicht nötig sei. Er könne ja am Montag direkt zum Arzt gehen. Da Wandji dafür erst einen Krankenschein beim Sozialamt besorgen musste, kam er erst am Montagnachmittag in medizinische Behandlung...