Im Gespräch mit Anetta Kahane,
Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung
Ralf Fischer / Jüdische Zeitung
RF: Frau Kahane, wir sitzen hier in den
Räumen der Amadeu Antonio Stiftung. Sie sind seit mehreren Jahren
Vorsitzende der Stiftung. Wir kam es zu deren Entstehen, und was ist
das vorrangige Anliegen?
AK: In der Zeit, bevor wir die Amadeu
Antonio Stiftung gegründet haben - das war 1998 - habe ich viele
Jahre auf der Geld nehmenden Seite gesessen und immer Anträge
gestellt, um Projekte gegen Rechtsextremismus und für
interkulturelle Bildung in Gang zu bringen. Doch recht bald hatte ich
das Gefühl, das reicht nicht. Wir brauchten auch eine Stiftung, die
wiederum anderen Leuten zur Seite steht, um sie mit Geld, Rat und Tat
zu unterstützen. Und so kam es zur Gründung der Stiftung.
Woher kommt die Unterstützung für die
Amadeu Antonio Stiftung?
Wir sind eine private Stiftung. Das
heißt, wir sammeln Spenden, und wir bekommen Zustiftungen - kleine,
aber immerhin. Und so versuchen wir nach und nach eine Stiftung
aufzubauen, die Projekte und Initiativen gegen Rechtsextremismus und
Antisemitismus nachhaltig fördern kann. Doch wir fördern nicht nur,
sondern gehen bestimmte Themen auch selbst an - zum Beispiel
Antisemitismus. Der ist ja gerade auch in Ostdeutschland sehr tief
verwurzelt und hat jetzt, unter den neuen weltpolitischen
Voraussetzungen, ein anderes Gesicht bekommen. Darüber hinaus
beschäftigen wir uns mit Bürgerstiftungen für demokratische
Kultur, entwickeln Schulmaterialien zu den Themenkomplexen
Geschichte, Islamismus und menschenfeindliche Ideologien. Wir
unterstützen auch «Exit», das Aussteigerprojekt für Leute, welche
die rechte Szene verlassen wollen.
Ein bekanntes Beispiel für ihr lokales
Engagement ist der jüdische Friedhof in Berlin-Weißensee, der ja
nun leider regelmäßig von Antisemiten geschändet wird. Die
Stiftung hatte sich im Jahre 2001 engagiert, als über 100 Grabsteine
zerstört wurden...
...übrigens auch der meiner
Großeltern.
Damals hat die Stiftung einen Berliner
Steinmetz unterstützt, der die teilweise komplett zerbrochenen
Grabsteine kostenlos wieder hergerichtet hat.
Das ist wirklich eine sehr traurige
Geschichte. Der Steinmetz Ottmar Kagerer hatte damals seine Kollegen
von der Innung aufgefordert, die Gräber kostenlos zu reparieren,
welche die Neonazis kaputtgeschlagen hatten - und ist dann selbst
Opfer der Rechten geworden. In einer einzigen Nacht wurde ihm das
gesamte Steinlager zertrümmert. Deshalb haben wir für ihn Geld
gesammelt.
Viele Leute haben damals kleine Spenden
gegeben, und es kam mehr Geld zusammen, als benötigt wurde, um die
zerstörten Steine zu ersetzen. Das war der erste Grundstock der
Stiftung, um Opfer rechter Gewalt zu unterstützen. Damit haben wir
dann den ersten kleinen Opferfond gegründet.
Wie haben Sie es geschafft, in den
vergangenen acht Jahren immer wieder den Mut und die Kraft zu finden,
sich andauernd in der Öffentlichkeit gegen rechte Gewalt zu
positionieren?
Die Frage, wie lange man es aushält,
sich mit diesem Thema zu beschäftigen, lässt sich auch mit so einer
Geschichte wie Weißensee beantworten. Es gibt immer wieder
Situationen, in denen unserem Anliegen unerwartet viel Solidarität
entgegengebracht wird oder die Bereitschaft, sich
auseinanderzusetzen, steigt - weit über die eigenen Kräfte hinaus.
Und das gibt mir persönlich auch immer wieder sehr viel Kraft.
Ansonsten frage ich mich das natürlich nicht jeden Morgen beim
Aufstehen.
Zwischenmenschlicheaufmunterung und
Ermutigung lädt Ihre Batterien also immer wieder auf?
«Aufladen» ist zuviel gesagt. Es
passieren ja leider immer mehr negative Sachen als positive. So sieht
das Dilemma aus: Wenn man sich sehr damit beschäftigt, dann sieht
man die Dinge auch stärker. Es gibt zum Beispiel viele Leute, welche
die Landkarte rauf und runter Ortsnamen anhören können, die ihnen
nichts weiter sagen als: «kenn ich nicht», «schöne Landschaft»,
«war ein netter Urlaub» oder: «Da muss ich mal hinfahren». Es
sind aber oft auch Orte der Gewalt, und für mich ist das dann meist
eine Topographie des Terrors. Doch ich denke nicht immer nur an das
Schlechte. Je mehr andere Leute diese Probleme wahrnehmen, sich
darüber aufregen und zu handeln beginnen, desto entlasteter fühle
ich mich.
Bekommt die Stiftung substantielle
Unterstützung von außen? Und wenn ja, von wem?
Ja, klar. Zum Beispiel von den
Spendern, die statt einem Abo uns regelmäßig Geld überweisen. Oder
von Jugendlichen, die Konzerte für uns veranstalten. Oder von
Brautpaaren, die zu unseren Gunsten auf Blumen oder Geschenke
verzichten.
Des Weiteren hat die Stiftung natürlich
auch eine gewisse Anregungsfunktion in der gesellschaftspolitischen
Diskussion darüber, was man jetzt gegen Rechtsextremismus machen
kann. Deshalb unterstützt uns die Freudenberg-Stiftung aus Weinheim,
und wir bekommen Gelder aus staatlichen Programmen für spezielle
Projekte. So haben wir in den letzten Jahren, besonders in
Ostdeutschland, Fortbildungsseminare für Mitarbeiter organisiert,
die in Anti-Rechts-Initiativen aktiv sind, vor allem zum Thema «Neuer
Antisemitismus». Die Tradition, aus der die Anti-Rechts-Leute
kommen, ist ja nicht immer frei von Antisemitismus, um es mal
vorsichtig auszudrücken.
Das ist kein erfreulicher Zustand: Die
zivilgesellschaftlichen Aktivisten gegen Rechtsextremismus müssen
zum Thema Antisemitismus extra beraten werden. Wie Erfolg
versprechend ist Aufklärung bei diesem Thema überhaupt?
Es gibt gerade unter meinen jüdischen
Freunden nicht wenige, die mir immer mal wieder den Vogel zeigen und
sagen: «Du spinnst total». Mit Aufklärungsmaßnahmen,
Informationsveranstaltungen und pädagogischen Interventionen etwas
gegen Antisemitismus zu bewirken, halten sie für Zeit- und
Kraftverschwendung. Mir tut so eine Art von Zynismus ein bisschen
weh, aber es ist auch etwas Wahres dran. Doch man kann und muss etwas
tun, zum Beispiel in der Bildung, durch allgemeine Information und
natürlich auch durch Repression. Es darf den Antisemiten und
Rassisten auch weiterhin nicht erlaubt sein, ihre «Sau durchs Dorf
zu treiben».
Beim neuen Antisemitismus wirken
natürlich Bilder und Traditionen aus der Vergangenheit nach, und
dabei gibt es durchaus auch Unterschiede zwischen Ost und West.
Wenn ich beispielsweise in den neuen
Bundesländern unterwegs bin, dann spüre ich auch, dass die Nazizeit
mit all ihren Verbrechen dort noch massiver verdrängt wurde, und ich
spüre auch, was strukturell an Antisemitismus in der DDR-Zeit
vorhanden war. Da wurden einfach Friedhöfe platt gemacht,
Einrichtungen der jüdischen Gemeinden zweckentfremdet genutzt oder
in einer Weise mit Überlebenden des Holocaust umgegangen, dass einem
die Spucke wegbleibt.
Der Antisemitismus wurde in der DDR als
«Sozialismus der dummen Kerls» verstanden. Und der
Nationalsozialismus als alleinige Veranstaltung des Großkapitals...
Richtig, und am Ende steht hinter dem
Großkapital das Judentum, und dann sind die Juden wieder selbst
Schuld. Außerdem - und das dürfen wir nicht vergessen oder
unterschätzen - war die DDR erfüllt von wirklich aggressivem und
bösartigem Antizionismus. Der Staat Israel ist ja von Seiten der DDR
nie in seinem Existenzrecht anerkannt wurden. Das muss man sich
einmal vorstellen: Ein deutscher Staat bestreitet das Recht des
jüdischen, überhaupt da zu sein! Die DDR-Propaganda verkündete
tagtäglich ihre antisemitische Hetze gegen Israel. Man darf auch
nicht vergessen, dass außerdem viele Terroristen hier ausgebildet
wurden. Westdeutsche wie arabische. Oftmals, wenn ich einschlägige
linke Blätter lese, habe ich das Gefühl, ich höre diesen alten
DDR-Jargon wieder. Leute, die heute noch solche antizionistischen
Töne verkünden, müsste man mal in ein Archiv setzen und ihnen drei
Tage hintereinander bei Matze und Tee den «Schwarzen Kanal» und die
«Aktuelle Kamera» vorführen.
Frau Kahane sie sind selbst in der DDR
aufgewachsen. Mit 16 Jahren haben sie offen einen Davidstern um den
Hals getragen. Wie war die Reaktion der Umwelt?
Das ist in Deutschland nie ohne Risiko,
aber in der DDR war es etwas Besonderes. Meine Eltern fanden es
überhaupt nicht lustig. Meine Muter wollte solche Bekenntnisse
nicht. Und mein Vater hatte Angst um mich. Und er hatte auch Grund
dazu. Die Leute haben mich darauf angesprochen, in meiner Gegenwart
furchtbare Judenwitze erzählt - oder antisemitische Bemerkungen
gemacht und sich halb tot gelacht, wenn ich dann empört war. Denn:
Strafe muss sein - selber Schuld, wer so etwas trägt.
Unrechtsbewusstsein oder irgendeine Form von Schamgefühl gab es da
gar nicht.
Doch ich fühlte mich nicht nur als
Jüdin sehr unwohl, es ging überhaupt allen Leuten so, die als
«Abweichler» definiert wurden. Wenn man aus der Reihe tanzte oder
dachte, dass man etwas Besonderes ist, dann war das ein ganz
furchtbares Vergehen am Geist des Kollektiven. Manchmal wurde ich
gefragt, ob ich mir denn einbilde, was Besonderes zu sein. Dann habe
ich immer geantwortet: «Ja, klar. Weil für mich jeder Mensch etwas
Besonderes ist!».
Sie engagieren sich seit langem nicht
nur gegen Rechts, sondern auch bei der Integration von Zuwanderern
und ehemaligen Vertragsarbeitern. Auch hier hatte sich die DDR nicht
gerade mit Ruhm bekleckert. Im SED-Staat wurden die Vertragsarbeiter
aus Asien und Afrika in gesonderten Heimen untergebracht, was sie auf
ihre Weise entfremdete und den Kontakt zur Bevölkerung erschwerte.
Kann man den Umgang der DDR mit Juden und mit Ausländern
vergleichen?
Nein, auf keinen Fall. Die Politik
gegenüber den Vertragsarbeitern war eindeutig rassistisch. Sie
hatten kaum Schutz und fanden wenig Solidarität. Nur einige
Kircheninitiativen halfen bei eklatanten Menschenrechtsverletzungen,
wenn es irgendwie ging. Die Situation der Juden stellte sich ganz
anders dar. Die Juden galten immerhin als Bürger der DDR. Und
dennoch gibt es einen Zusammenhang: Wer - wie die Menschen im
sozialistischen System - nicht gefordert war, über die unselige
Tradition des Umgangs der Deutschen mit Minderheiten zu reflektieren,
konnte kaum die Verletzung der Würde von Menschen wahrnehmen, die in
der DDR ausschließlich zum Arbeiten da waren und vom Rest der
Gesellschaft abgeschottet wurden. Die Jüdischen Gemeinden haben sich
damals leider überhaupt nicht für diese Vertragsarbeiter
eingesetzt.
Nun zu den Juden in der DDR: Die
meisten von ihnen waren ja keine Mitglieder der Gemeinde. Sie waren
meist Kommunisten und damit säkular. Denn während in
Westdeutschland nach der Befreiung der Lager sehr viele
osteuropäische Juden zunächst in DP-Camps kamen und später auch in
Westdeutschland blieben, kehrten in den Osten, also in die SBZ und
spätere DDR, fast ausschließlich jüdische Kommunisten zurück. Und
die waren Deutsche. Es gab also weitaus mehr deutsche Juden in der
DDR als in der Bundesrepublik. Die kommunistischen Juden kamen
zurück, weil sie glaubten, dass man mit Aufklärung und einem neuen,
sozialistischen System einen besseren Staat aufbauen kann. Zu denen
gehörten auch meine Eltern, und die waren natürlich mit dem Staat
eng verbunden. Sicher, die wenigen jüdischen Gemeindemitglieder
wurden immer gehegt und gepflegt. Die Gemeinden waren dem Staat
vollkommen loyal gegenüber. Nur ab und zu regte sich Kritik an dem
harschen antizionistischen Kurs von Partei und Regierung. Unter
starken staatlichen Druck gerieten Juden in der DDR nur, wenn sie
opponierten. Und dann blieben sie in der Regel nicht lange und gingen
in den Westen. Daran sieht man, dass die Rolle der Juden in der DDR
eine ganz andere war, als die der eingepferchten Arbeiter aus Afrika
und Asien. Die Rolle der Juden mochte ambivalent gewesen sein, aber
die Lebensbedingungen der ausländischen Vertragsarbeiter hingegen
waren einfach nur skandalös.
Kam es denn aus Ihren DDR-Erfahrungen
oder eher durch die Pogromstimmung Anfang der 90er Jahre, im bereits
vereinigten Deutschland, zu Ihrem antirassistischem Engagement?
Mich haben alle diese Fragen schon
immer sehr beschäftigt. Ich studierte deshalb auch
Lateinamerikanistik und konnte auch dabei mitbekommen, wie
problematisch - um nicht zu sagen: rassistisch - die Haltung der DDR
gegenüber Menschen mit einem anderen Aussehen war. Diese Erfahrung
hat meine eigenen Fremdheitsgefühle verstärkt und natürlich auch
auf das ausgedehnt, was mit anderen Leuten geschieht. Als dann die
Wendezeit kam, habe ich sofort reagiert und im Rahmen des Neuen
Forums dazu aufgerufen, sich mit Ausländerfragen zu beschäftigen.
Erst da fanden wir geeignete Möglichkeiten, wirklich handeln und
helfen zu können. Unsere kleine Initiativgruppe war sich einig:
«Jetzt schauen wir uns das alles systematisch an» - und sofort
kamen Fragen auf wie: Was sind das überhaupt für Verträge, unter
denen die ausländischen Menschen hier arbeiten müssen? Oder: Wie
sieht es mit den binationalen Ehen aus?
So begann ich auch die Arbeit am
zentralen Runden Tisch der DDR, und einige unserer Vorschläge
schafften es auf die Agenda der Beschlüsse. Übrigens führte einer
der ersten dazu, dass die Juden aus der Sowjetunion in die DDR
einwandern können. So beschloss es auf unsere Anregung die
Volkskammer. Das war ein großartiger Erfolg. Plötzlich kam ich dann
dazu, ein Amt zu bekleiden. Politisch «von Null auf 120» zu
beschleunigen, hatte auch etwas Komisches. Mit einem Mal war ich
Ausländerbeauftragte des Berliner Magistrats. Wir haben unglaublich
viel und hart gearbeitet, um ein paar Sachen in Gang zu bringen. Mit
dem Einigungsgesetz fiel das dann alles wieder in sich zusammen. Von
unseren ausländerrechtlichen Vorschlägen wurde absolut nichts
übernommen. Über Umwege gelang es dann dennoch, den Zuzug der
sowjetischen Juden zu sichern.
Kann man sagen, dass die
antirassistische Arbeit in Deutschland in den letzten Jahren schon
einige Früchte getragen hat, die Ausländerfeindlichkeit aber
aktuell durch antisemitische Ressentiments abgelöst wird?
Nein, das würde ich nicht behaupten
wollen. Es gibt nach wie vor beides - Rassismus und Antisemitismus.
Der Antisemitismus hat deutlich zugenommen, doch abgelöst hat er den
Rassismus keineswegs. Und ja, ich denke schon, dass wir Erfolge bei
der antirassistischen Arbeit vorweisen können. Inzwischen haben
Teile der Bevölkerung auch in ländlichen Gebieten gelernt, dass die
Menschen verschiedenster Herkunft zusammenleben müssen. Das heißt
nicht, dass der Rassismus verschwunden ist. Ich glaube, dazu hat er
sich zu stark in der Mitte der Gesellschaft etabliert. Doch da unsere
Arbeit gut läuft, gibt es jetzt auch mehr Jugendliche, die sich
eindeutig gegen Rechtsextremismus positionieren. Abrufbar bleibt der
Rassismus aber jederzeit - sollten Politik und Medien es darauf
anlegen. Ich denke aber, dass dies niemand will. Doch sollte auch
niemand mit dem populistischen Feuer spielen - das geschieht immer
wieder und ist gefährlich.
Der Antisemitismus funktioniert anders,
mal subtil und mal offen. Er war im Osten versteckt in bestimmten
kulturellen, politischen und sozialen Bildern. Er war codiert, wie in
einem Kokon. Ich habe schon vor dem 11. September 2001
prognostiziert, dass Antisemitismus sich auch im Osten entfalten
wird. Es war klar, dass er irgendwann schlüpfen würde. Nach dem 11.
September ist eine Situation eingetreten, die dem Antisemitismus
einen weiteren Impuls gegeben hat. Gerade dieser Anschlag in New York
hat den Ostdeutschen suggeriert, dass es nicht alles falsch war, was
sie im Staatsbürgerkundeunterricht über die bösen Zionisten, die
bösen Amerikaner und überhaupt die Ursachen aller Probleme auf der
Welt gelernt haben. Deswegen meine ich, dass zum Rassismus noch
weiteres dazugekommen ist.
Derzeit wird oft behauptet, die
Islamophobie hätte den Antisemitismus abgelöst. Das halte ich für
reine Polemik. Ich bin nicht sicher, was an aktuellen
ausländerfeindlichen und rassistischen Äußerungen und Stimmungen
wirklich islamophobisch ist. Das untersucht auch die Forschung
zurzeit noch. Ich glaube aber, dass es hierzulande einen Rassismus
gibt, der sich gegen die «Ausländer» an sich richtet und der die
Religion nur vorschiebt. Was an der Religion, vor allem am
politischen Islam wirklich gefährlich ist, wird dabei verdeckt.
Deswegen muss man hier ganz genau unterscheiden.
Es kursiert ja auch die groteske
Behauptung, die Moslems seien die Juden des neuen Jahrtausends...
Ach, da gibt es auch noch andere schöne
Sachen. Zum Beispiel hat ein ehemaliger DDR-Schriftsteller neulich
behauptet, die Ostdeutschen seien die Juden der Westdeutschen, weil
sie deren Opfer sind. Unglaublich! Also, man kann heute alle
möglichen Leute zu den Juden machen. Damit wird immer wieder das
Singuläre am Holocaust und an der deutschen Geschichte relativiert.
Das ist natürlich Blödsinn und verantwortungslos.
Woher kommt Ihrer Meinung nach die
Motivation zu solch einem Geschichtsrevisionismus?
Man will sich entlasten. Wenn alles das
Gleiche ist, dann brauchen wir uns über das Spezielle auch keine
Gedanken mehr zu machen. Dann müssen wir darüber nicht mehr
nachdenken und können den Juden im Nachhinein noch einmal einen
Tritt verpassen.
Zur Person: Anetta Kahane
wurde 1954 in
Ostberlin geboren, ihre Eltern waren während der nationalsozialistischen
Diktatur aus politischen und rassischen Gründen verfolgt worden. Von
früh an interessierte sie sich für andere Länder und Kulturen. In den
1970er Jahren studierte Anetta Kahane Lateinamerika-Wissenchaft und
afrikanische Sprachen an der Humboldt-Universität Berlin. Während der
1980er Jahre arbeitete sie als Sprachdozentin und (literarische)
Übersetzerin. Im Frühjahr 1989 begann ihr Engagement beim «Neuen Forum»,
wo sie eine Arbeitsgruppe Ausländerfragen mit initiierte. Während der
politischen Wende 1989/90 wurde sie zur Ausländerbeauftragten des
Ostberliner Magistrats. Mehr als zehn Jahre lang baute Anetta Kahane
danach in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen das Netzwerk
«Regionale Arbeitsstellen für Ausländerfragen» (RAA) mit auf. Im
Dezember 1998 war sie Gründungsmitglied der Amadeu Antonio Stiftung,
seit drei Jahren leitet sie den Stiftungsvorstand. Im Jahre 2004
erschien Anetta Kahanes Autobiographie unter dem Titel «Ich sehe was,
was du nicht siehst. Meine deutschen Geschichten» bei Rowohlt Berlin.
Sie ist Mutter einer 20jährigen Tochter.