Mittwoch, 9. November 2005

Federvieh mit Mantel

In einem kostenlosen Computerspiel sorgt sich der Verfassungsschutz um so manche linke Gretchenfrage

Ralf Fischer / Junge Welt

Propaganda zum Spielen. Seit PC-Systeme weltweit massenkompatibel sind, gibt es auch massenweise Mitmach-Games von interessierter Seite. Der Nachwuchs will daddeln und ballern – aber gerne. Aktuell bekanntestes Beispiel ist der Egoshooter der US-amerikanischen Armee, an dem Millionen von Menschen gleichzeitig im Internet ihre Fähigkeit trainieren, sekundenschnell den jeweiligen Feind zu eliminieren. Und die US-Armee hat viele Feinde.

Früher war an solche Wunderwerke der Werbetechnik nicht zu denken. Bis Anfang der 90er war auf dem Commodore 64 grobe Pixelei und schnarrender Sound angesagt. Keine gute Voraussetzung für aufwendige Spiele, aber gut genug für Jump-and-Run- und Adventure-Games. Es gab nur eine einzige Ausnahme, und die war illegal. »RAF« hieß das Spiel, und der Name war Programm.

Als Steinewerfer konnte man bei einer Terrorgruppe anheuern und Politiker, Industrielle und auch Popstars ermorden, aber immer der Reihe nach. Zuerst galt es sich zu bewähren. Man brauchte viel Übung, bis man es schaffte, die großen »Schweine« anzugreifen. Irgendwann durfte man dann per Mausklick die bundesdeutsche Führungsschicht samt Bodyguards in die ewigen Jagdgründe befördern. Ein virtuelles Gemetzel in unbeholfener Grafik. »Wolfenstein« ein paar Jahre später sah schon besser aus. Wer wollte, konnte Nazis ins von ihnen heiß geliebte Walhalla schicken.

Grafisch auf ähnlichem Niveau arbeitet der Verfassungsschutz in seinem neuen – kostenlos erhältlichen – Computerspiel »Was steckt dahinter? (3)«. Man möchte die Jugend von heute über die hauseigenen Vorstellungen aufklären, was denn politischer Extremismus sei. Dabei gehen die Staatsschützer so pädagogisch wie dilettantisch und unspektakulär vor. In einer Art Untergrundlabyrinth muß sich der Held, ein Federvieh mit Mantel, Schlapphut und Lupe namens »Leo Lupix«, von Tür zu Tür bewegen, Schlüssel suchen und Fragen zu den unterschiedlichen Themen beantworten. Unterwegs begegnen Lupix ab und zu unförmige Gegenstände, mal Krokodile, mal Bomben, die übersprungen werden müssen. Und wenn man nicht zu früh stirbt, bekommt man am Ende sogar mit, um welchen geheimnisvollen Auftrag es sich handelt, der da spielend umgesetzt werden soll. Am Anfang, wie so üblich in Geheimdienstkreisen, wird natürlich noch nichts verraten.

Wer die Hoffnung auf ein technisch anspruchsvolles Spiel hat, sollte den Schrott gleich in die nächstbeste Ecke werfen. Wer auf politische Realsatire steht, könnte aber auf seine Kosten kommen. Fragen wie »Welches wesentliche Ziel verfolgen Autonome?« sind schon eine harte Nuß: a) »Eine gerechte Entlohnung der Werktätigen«, b) »Die Errichtung einer ›herrschaftsfreien Gesellschaft‹« oder c) »Nie wieder Krieg«. Vermutlich würde es unter Autonomen wochenlange Diskussionen um eine adäquate Antwort geben. Geheimdienste haben eben Humor. Auf die Frage, wofür was das Kürzel DVU stehe, lautet eine mögliche Antwort »Dortmunder Verein der Usambaraveilchenzüchter«.

Geradezu liebevoll kümmern sich die Schlapphüte um so manche linke Gretchenfrage. Beispielsweise heißt es im Bereich »Ausländerextremismus«: »Auch islamistische Organisationen betreiben in Deutschland eigene Moscheen. In einer dieser Moscheen werden nach dem Freitagsgebet Spendengelder ›zur Unterstützung von Märtyrerfamilien in Palästina‹ gesammelt. Wofür könnten diese Gelder u. a. bestimmt sein?« a) »Für Lebensmitteltransporte nach Pakistan«, b) »Zur Verstärkung der Polizeikräfte in den palästinensischen Autonomiegebieten«, c) »Für die Hinterbliebenen palästinensischer Selbstmordattentäter«, d) »Für Kampfeinsätze der deutschen Bundeswehr im Nahen Osten«.

* »Was steckt dahinter? (3)«, Systemvoraussetzung PC mit Windows 98, 2000 oder XP, Mac mit OS9.2 oder X, Vierfach-Programmlaufwerk. Erhältlich beim Bundesamt für Verfassungsschutz, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Merianstr. 100, 50765 Köln, gratis