Samstag, 18. Juni 2005

Fix

Der 20jährige Berliner Sprayer NOUS 1 über das am Freitag vom Bundestag verschärfte Antigraffitigesetz, die Streetart der Latte-macchiato-Modepuppen und seine Kunst

Ralf Fischer / Junge Welt

RF: Sprayer können künftig zu mehrjährigen Haftstrafen verknackt werden, sofern sie das »äußere Erscheinungsbild« einer Sache »nicht nur vorübergehend« und »nicht nur unerheblich« verändern. Mit den Stimmen von SPD, Grünen und Union verabschiedete der Bundestag am Freitag einen entsprechenden Gesetzentwurf. Bislang war die Sachbeschädigung nur strafbar, wenn die Substanz der Sache beschädigt war. Die Neuregelung ist im Frühjahr auf den Weg gebracht worden. Wie hat die Sprayer-Szene sie aufgenommen?

Nous1: Ziemlich locker. Bis auf Denunzianten, die durch die Hetze in den Medien mehr Verantwortungsgefühl zeigen, hat sich nicht viel verändert. Verfolgt wurde man schon vorher.

Pünktlich zum Antigraffitikongreß in Berlin veranlaßte Otto Schily im April den Einsatz von Hubschraubern zur Bekämpfung der Szene. In der Hauptstadt gibt es seitdem eher mehr Graffitis. Haben die Sprayer den Kampf um die Stadt aufgenommen?
Graffiti paßt sich den Umständen an, siehe New York. Die Antwort auf verschärfte Repression und Säuberungen waren dort mehr Throw-Ups. An frisch gestrichenen Wänden oder sanierten Häusern ist selten ein Piece zu finden, einfach weil die Wahrscheinlichkeit groß ist, daß die Wand gleich wieder gesäubert wird. Dort entstehen weniger aufwendige Sachen wie T-Ups und Tags. Sanierungs- und Säuberungswahn gehören zusammen. Mit der Ausbreitung von teuren Modeläden, die kein Mensch braucht, werden ganze Stadtteile auf Dauer verändert, nicht im kulturellen, sondern im ökonomischen Sinne. Ich hoffe, daß hier keine Ermüdung oder gar Resignation bei den Writern einsetzt. Das sollte im Gegenteil eher Ansporn sein.

Hat die verschärfte Repression persönliche Konsequenzen? Sind Sie vorsichtiger geworden?

Ich versuche, vorsichtiger zu sein, weil ich schon mindestens noch zehn Jahre malen möchte.

Nur vereinzelt tauchen im Stadtbild Schriftzüge auf, die sich inhaltlich auf die verschärfte Repression beziehen. Kann man so gegen die Ordnungsmacht punkten oder macht nur die Masse der Bilder den Erfolg aus?
Politische Äußerungen können zwar neben ein Piece gesetzt werden. Grundsätzlich aber stehen der Name, die Buchstaben und Formen im Vordergrund. Die politische Aussage wird indirekt vermittelt. Man kann das Writing als Spiegel der Gesellschaftsform verstehen: Es ist egoistisch, man benutzt seine Ellenbogen, um als Individuum bekannt zu werden. Gleichzeitig aber ist es mehr als ein Wettkampf in einer Parallelwelt.

Sie sind nun schon viele Jahre illegal unterwegs. Wie würden Sie Ihre Entwicklung beschreiben? Vom Schmierer zum Styler?

Schmieren ist Bestandteil der Entwicklung eines Writers. Es hat den gleichen Wert wie das Malen von Styles, wobei es mir schwer fällt, ein gutes Tag zu machen. Richtig gute Tagger gibt es ja auch nicht viele.

Was benutzen Sie außer Spraydosen und Markern?

Streichfarbe, Bitumen, Kreide und Aufkleber. Manchmal auch Wasserpistolen, Plastikflaschen mit einem Loch vorne drin oder einfach meinen Finger für Staub.

Ihr Style ist sehr auf die Typo fixiert, auf Buchstaben statt Characters.

Characters sind nur Schmuck. Beim Writing geht es um Buchstaben! Figürliche Mittel können diese nur in einem gewissen Rahmen unterstützen.

Machen Sie Streetart oder Kunst?

Ich schreibe nur einen Namen, ästhetisch, schön. Graffiti sollte allgemein als Kunstform anerkannt werden. Punkt.

Ist der Hype um Streetart nur ein PR-Gag gelangweilter Kunststudenten?

Ich war auf ein, zwei Streetart-Ausstellungen. Mindestens 80 Prozent der Leute dort waren Latte-macchiato-Modepuppen. Sowas macht etwas aggressiv. Diese Streetart-Sachen sind mir inzwischen fast egal, auch wenn ich 90 Prozent davon Scheiße finde – sie sind absolut unspannend. Die Leute kopieren zu Hause irgendwelche Sachen aus Zeitschriften, machen 100 Reproduktionen von Figuren, die oft nicht mal selbst gemalt sind.

Man kann sich über diese Arbeiten auch kaum unterhalten. Es gibt keine Regeln der Form wie beim Writing. Da werden einfach kackniedliche Pinguine oder Meerschweine an die Wände geklebt. Ein Piece oder Tag dagegen wird direkt an die Wand gemalt. Wie es aussieht, ist extrem abhängig von der konkreten Situation. Dadurch strahlt es für mich viel mehr Kraft und Intensität aus.


Im Alten Rom wurden Parolen, Theatertermine und vieles mehr wie selbstverständlich an die Wände geschrieben. Leider gelten in unserer Gesellschaft Stahl- und Betonflächen als Eigentum, Straßen als Verkehrswege für Güter und Waren. Jeder geht zur Arbeit und gleich wieder nach Hause, ohne sich auch nur einen Augenblick umzuschauen.


Was würden Sie auf den Vorwurf sagen, daß Sie weiche Standortvorteile förden, mit Ihrer Kunst für gute Laune im beschissenen Alltag sorgen, Lokalpatriotismus stärken und Lohnsklaven produktiver machen?
Das ist ziemlich abwegig, oder?

Könnte es sein, daß Streetart als neue Mode Frauen den Einstieg in die Welt des kreativen Vandalismus erleichtert? Die Dominanz von Männern in der Szene ist erdrückend.
Wäre ganz nett. Ich kenne auch nur zwei bis drei Frauen, die malen.

Bleibt die Straße Ihre Ausstellungsfläche oder möchten Sie auch mal in Galerien?

Ja, schon, aber nicht mit Graffiti. Auf Leinwand oder Foto funktioniert das nicht.

Wie stehen Sie zu legalen Freiflächen?

Es gibt viele geduldete Wände: Fabrikhallen, Hinterhöfe oder Freiflächen. Diese aufzuspüren und zu erkunden kann ich jedem empfehlen. Dort sind die schönsten Pieces versteckt. Richtig legal malen gehe ich eigentlich nur, wenn ich gerade viel Geld habe, sonst sind mir die Dosen zu schade.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen