Mittwoch, 22. Juni 2005

Kartoffelernte

In die Ecke, Besen, Besen: Erst wollte man bei der SPD eine Deutschquote, jetzt kriegt man Angst vor den üblen Folgen

Ralf Fischer / Junge Welt

Durch die angekündigten Neuwahlen lassen sich die Politiker des Landes derzeit zu äußerst peinlichen PR-Aktionen hinreißen. Die größten Klassenkasper kommen dabei aus den Reihen der Regierung. Hier herrscht Panik vor dem Kassensturz. Statt einfach den Sack zuzumachen und sich in Würde darauf vorzubereiten, für mindestens die nächsten vier Jahre mit einer Rumpfmannschaft auf den Oppositionsbänken im Bundestag abzuhängen, plärren die Regierenden in alle verfügbaren Mikrofone, was niemand wissen will, aber im Wahlkampf vielleicht ein paar Punkte bringt.

Monika Griefahn (SPD) etwa, als Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien gewichtige Befürworterin einer Deutschquote im Radio, macht Theater wegen deutschnationalem Rap, der außerdem pornographisch und gewaltverherrlichend sei, es zugegebenermaßen auch ist. Anfang Juni forderte sie im Focus nicht weniger als ein Verbot der Videos zweier Berliner Rapper, Fler und Sido.

Nicht diese Forderung nach Zensur verblüfft; nur, wer sie vorbringt. Mit einer nationalen Quote im Radio sollte der einheimische Mittelstand des Verwertungsgewerbes gegen die Weltkonzerne SonyBMG, Warner, EMI und Universal mit stetig fließendem Kapital ausgestattet werden. Genau das ist mittlerweile realisiert. Auch ohne Quote. Im übrigen macht, wer die Geschichte als düster und vor allem abgeschlossen darstellt, alles falsch und viel Kohle. Viele distanzieren sich zwar vom Rechtsextremismus, bedienen sich aber faschistischer Ästhetik.

Das Label der beiden Rapper, Aggro Berlin, beantwortete Griefahns Anwürfe nüchtern: »Keiner unserer Künstler oder Mitarbeiter ist rechtsradikal«. Das ist unwahrscheinlich, könnte aber sogar stimmen. Ein grottenschlechter Rapper wie Fler braucht einen marketingstrategisch eingefädelten Skandal, um Tonträger abzusetzen. Deshalb setzt er in seinen Texten auf die nationale Karte, frontet gegen Amirap, das Label wirbt mit deutschnationaler Ästhetik für sein Album. Sowas kommt an, gerade weil es nicht politisch korrekt ist und deswegen skandalisiert wird. Dieser Entwicklung ist mit Polemik nicht beizukommen.

Obwohl Fler, den der Rapper Eko treffsicher Kartoffel taufte, mit Sido das Label gemeinsam hat, gibt es frappante Unterschiede. Hätte sich Griefahn Videos von Sido angeschaut, wüßte sie, daß er im Gegensatz zu Fler bisher nur eine polnische Nationalfahne schwenkte. Hätte sie den Text seines Hits »Mama ist stolz« gelesen, wüßte sie: Das ist schon keine Farce mehr, das ist Parodie.

Nur weil die Vernunft sich endgültig in den Sommerurlaub verabschiedet hat, will ich hier nicht zwei selten bekloppte Rapper gegen berechtigte Kritik verteidigen. Fler ist widerwärtig, schon wegen seiner Frauenfeindlichkeit und Deutschtümelei. Dazu kommt seine beispiellose Unfähigkeit am Mike. Um Sido ist es nicht viel besser bestellt. Doch was sind diese beiden Spinner gegen Berufspolitiker im Überlebenswahlkampf? Der Feind steht eben überall.

Aus den ersten und zweiten Reihen der etablierten Parteien werden in nächster Zeit noch etliche absurde Vorschläge kommen, zumal eine ernst zu nehmende Alternative auf der linkspopulistischen Überholspur aufgetaucht ist. So geht die Mediendemokratie. Eine derbe Mobilisierung von Ressentiments aller Art ist zu erwarten. Wie wäre es z. B. mit einem generellen Tanzverbot zu US-amerikanischer Musik? Das käme der Moral zugute, und mehr ist ja nicht zu heben, außer der Arbeitslosenzahl natürlich.

Samstag, 18. Juni 2005

Fix

Der 20jährige Berliner Sprayer NOUS 1 über das am Freitag vom Bundestag verschärfte Antigraffitigesetz, die Streetart der Latte-macchiato-Modepuppen und seine Kunst

Ralf Fischer / Junge Welt

RF: Sprayer können künftig zu mehrjährigen Haftstrafen verknackt werden, sofern sie das »äußere Erscheinungsbild« einer Sache »nicht nur vorübergehend« und »nicht nur unerheblich« verändern. Mit den Stimmen von SPD, Grünen und Union verabschiedete der Bundestag am Freitag einen entsprechenden Gesetzentwurf. Bislang war die Sachbeschädigung nur strafbar, wenn die Substanz der Sache beschädigt war. Die Neuregelung ist im Frühjahr auf den Weg gebracht worden. Wie hat die Sprayer-Szene sie aufgenommen?

Nous1: Ziemlich locker. Bis auf Denunzianten, die durch die Hetze in den Medien mehr Verantwortungsgefühl zeigen, hat sich nicht viel verändert. Verfolgt wurde man schon vorher.

Pünktlich zum Antigraffitikongreß in Berlin veranlaßte Otto Schily im April den Einsatz von Hubschraubern zur Bekämpfung der Szene. In der Hauptstadt gibt es seitdem eher mehr Graffitis. Haben die Sprayer den Kampf um die Stadt aufgenommen?
Graffiti paßt sich den Umständen an, siehe New York. Die Antwort auf verschärfte Repression und Säuberungen waren dort mehr Throw-Ups. An frisch gestrichenen Wänden oder sanierten Häusern ist selten ein Piece zu finden, einfach weil die Wahrscheinlichkeit groß ist, daß die Wand gleich wieder gesäubert wird. Dort entstehen weniger aufwendige Sachen wie T-Ups und Tags. Sanierungs- und Säuberungswahn gehören zusammen. Mit der Ausbreitung von teuren Modeläden, die kein Mensch braucht, werden ganze Stadtteile auf Dauer verändert, nicht im kulturellen, sondern im ökonomischen Sinne. Ich hoffe, daß hier keine Ermüdung oder gar Resignation bei den Writern einsetzt. Das sollte im Gegenteil eher Ansporn sein.

Hat die verschärfte Repression persönliche Konsequenzen? Sind Sie vorsichtiger geworden?

Ich versuche, vorsichtiger zu sein, weil ich schon mindestens noch zehn Jahre malen möchte.

Nur vereinzelt tauchen im Stadtbild Schriftzüge auf, die sich inhaltlich auf die verschärfte Repression beziehen. Kann man so gegen die Ordnungsmacht punkten oder macht nur die Masse der Bilder den Erfolg aus?
Politische Äußerungen können zwar neben ein Piece gesetzt werden. Grundsätzlich aber stehen der Name, die Buchstaben und Formen im Vordergrund. Die politische Aussage wird indirekt vermittelt. Man kann das Writing als Spiegel der Gesellschaftsform verstehen: Es ist egoistisch, man benutzt seine Ellenbogen, um als Individuum bekannt zu werden. Gleichzeitig aber ist es mehr als ein Wettkampf in einer Parallelwelt.

Sie sind nun schon viele Jahre illegal unterwegs. Wie würden Sie Ihre Entwicklung beschreiben? Vom Schmierer zum Styler?

Schmieren ist Bestandteil der Entwicklung eines Writers. Es hat den gleichen Wert wie das Malen von Styles, wobei es mir schwer fällt, ein gutes Tag zu machen. Richtig gute Tagger gibt es ja auch nicht viele.

Was benutzen Sie außer Spraydosen und Markern?

Streichfarbe, Bitumen, Kreide und Aufkleber. Manchmal auch Wasserpistolen, Plastikflaschen mit einem Loch vorne drin oder einfach meinen Finger für Staub.

Ihr Style ist sehr auf die Typo fixiert, auf Buchstaben statt Characters.

Characters sind nur Schmuck. Beim Writing geht es um Buchstaben! Figürliche Mittel können diese nur in einem gewissen Rahmen unterstützen.

Machen Sie Streetart oder Kunst?

Ich schreibe nur einen Namen, ästhetisch, schön. Graffiti sollte allgemein als Kunstform anerkannt werden. Punkt.

Ist der Hype um Streetart nur ein PR-Gag gelangweilter Kunststudenten?

Ich war auf ein, zwei Streetart-Ausstellungen. Mindestens 80 Prozent der Leute dort waren Latte-macchiato-Modepuppen. Sowas macht etwas aggressiv. Diese Streetart-Sachen sind mir inzwischen fast egal, auch wenn ich 90 Prozent davon Scheiße finde – sie sind absolut unspannend. Die Leute kopieren zu Hause irgendwelche Sachen aus Zeitschriften, machen 100 Reproduktionen von Figuren, die oft nicht mal selbst gemalt sind.

Man kann sich über diese Arbeiten auch kaum unterhalten. Es gibt keine Regeln der Form wie beim Writing. Da werden einfach kackniedliche Pinguine oder Meerschweine an die Wände geklebt. Ein Piece oder Tag dagegen wird direkt an die Wand gemalt. Wie es aussieht, ist extrem abhängig von der konkreten Situation. Dadurch strahlt es für mich viel mehr Kraft und Intensität aus.


Im Alten Rom wurden Parolen, Theatertermine und vieles mehr wie selbstverständlich an die Wände geschrieben. Leider gelten in unserer Gesellschaft Stahl- und Betonflächen als Eigentum, Straßen als Verkehrswege für Güter und Waren. Jeder geht zur Arbeit und gleich wieder nach Hause, ohne sich auch nur einen Augenblick umzuschauen.


Was würden Sie auf den Vorwurf sagen, daß Sie weiche Standortvorteile förden, mit Ihrer Kunst für gute Laune im beschissenen Alltag sorgen, Lokalpatriotismus stärken und Lohnsklaven produktiver machen?
Das ist ziemlich abwegig, oder?

Könnte es sein, daß Streetart als neue Mode Frauen den Einstieg in die Welt des kreativen Vandalismus erleichtert? Die Dominanz von Männern in der Szene ist erdrückend.
Wäre ganz nett. Ich kenne auch nur zwei bis drei Frauen, die malen.

Bleibt die Straße Ihre Ausstellungsfläche oder möchten Sie auch mal in Galerien?

Ja, schon, aber nicht mit Graffiti. Auf Leinwand oder Foto funktioniert das nicht.

Wie stehen Sie zu legalen Freiflächen?

Es gibt viele geduldete Wände: Fabrikhallen, Hinterhöfe oder Freiflächen. Diese aufzuspüren und zu erkunden kann ich jedem empfehlen. Dort sind die schönsten Pieces versteckt. Richtig legal malen gehe ich eigentlich nur, wenn ich gerade viel Geld habe, sonst sind mir die Dosen zu schade.