Mittwoch, 6. April 2005

Mob und Elite

Faschismustheorie neue alte Folge: Eine Broschüre macht die »Gefängnisthesen« des fast vergessenen Heinz Langerhans wieder zugänglich

Ralf Fischer / Junge Welt

Als deutsche Truppen im Mai 1940 nach Belgien einmarschierten, wurden Staatsangehörige der Achsenländer zunächst interniert und anschließend nach Südfrankreich deportiert. Unter ihnen war auch Heinz Langerhans, Marxist der sogenannten Korsch-Gruppe, der sich in Belgien vor den Nazis versteckte. Doch er kam schnell in die USA. Vor allem Mitglieder des exilierten Frankfurter Instituts für Sozialforschung und Karl Korsch setzten sich für ein Visum für die USA ein.

1973 erzählte Langerhans in einem Interview von seiner glücklichen Flucht: »Um die scharfen amerikanischen Einwanderungsbestimmungen, wonach kein organisierter Kommunist ins Land gelassen wird, kam ich herum, da ich ein vom Matteotti-Komitee anerkannter politischer Flüchtling war und Fritz Heine mir in Marseille bestätigte, daß ich ein wackerer Sozialdemokrat sei. Die Fahrt nach Amerika verlief auf Umwegen, denn das erste für mich mögliche Schiff ging nach Martinique, der französischen Kolonie im Karibischen Meer. Unsere ›Mannschaft‹ auf diesem Dampfer war ein recht buntes Gemisch. Da war z. B. Victor Serge, die deutsche Dichterin Anna Seghers, André Breton, der mit uns surrealistische Fragespiele veranstaltete; und natürlich Mitglieder der verschiedensten Oppositionsgruppen. Als ich im Mai 1941 endlich in New York ankam, wartete dort durch Vermittlung von Korsch Dr. Felix Weil vom Institut für Sozialforschung, das mir in der ersten Zeit mit einer Art Stipendium weiterhalf.« Bald ging Langerhans nach Boston, wo Korsch lebte, und belegte an der Harvard-Universität einige Kurse, bis er am Gettysburg College eine Professur erhielt.

Einige Jahre zuvor, im Juli 1934, saß Langerhans in einem Zuchthaus der Nazis, da er eine antifaschistische Zeitung produziert hatte. In der Haft verfaßte er auf Zigarettenpapier seine sogenannten »Gefängnisthesen«, die aus dem Zuchthaus geschmuggelt wurden und ihren Adressaten Korsch schließlich Ende 1934 im dänischen Exil erreichten. Im Mai des darauffolgenden Jahres veröffentlichte Langerhans einen Aufsatz mit dem Titel »The Next World Crisis, the Second World War and the World Revolution« in der von Paul Mattick redigierten International Council Correspondence. Wie auch in den »Gefängnisthesen« entwickelte er den Begriff vom »Staatssubjekt Kapital«. Für Langerhans war die von den Nazis behauptete »Volksgemeinschaft« keine Propagandalüge, sondern eine »große soziale Pazifizierungsaktion«. Ein Bündnis von Mob und Elite, das mit allen Mitteln der »politischen Revolution und der Sozialreform die Arbeiterklasse und alle übrigen Schichten weitgehenden Veränderungen« unterwarf und Klassenkampf stillstellte. Die »Zerschlagung aller Klassenorgane der Arbeiter war seine erste Tat«.

Der Aufstieg der NSDAP resultiert für Langerhans nicht aus der Zerfallsperiode der Weimarer Republik. Die faschistische Epoche beginnt für ihn bereits mit dem Ersten Weltkrieg. Die Produktivkräfte waren zu diesem Zeitpunkt nicht mehr mit dem liberalen System des Konkurrenzkapitalismus kompatibel. Sie drohten schon während des Krieges, »das auf Lohnarbeit und Kapital beruhende Nationalstaatensystem zu zersprengen«. Zwar gelang es in den Nachkriegskrisen, die Produktivkräfte wieder in das Produktionsverhältnis Lohnarbeit-Kapital in den kapitalistischen Rahmen einzufügen, »aber die Kapazität des industriellen Apparats kann auch in der Prosperität nicht voll ausgenutzt werden«. In seinen Thesen prohezeite Langerhans auch den Zweiten Weltkrieg, dessen Beginn er für das Jahr 1940 datierte. Im Interview dreißig Jahre später gibt er zwar zu, mit dieser Einschätzung »Schwein« gehabt zu haben, findet aber hierin seine Theorie über das »Staatssubjekt Kapital« bestätigt.

In der nun vorliegenden Broschüre »Staatssubjekt Kapital« sind neben dem Interview von Michael Buckmiller und Jörg Kammler mit Heinz Langerhans von 1973 die beiden wichtigsten und bisher nur schlecht zugänglichen Texte von Langerhans wiederveröffentlicht: »Die nächste Weltkrise, der zweite Weltkrieg und die Weltrevolution« (1934) sowie »Krieg und Faschismus« von 1929.

Ab 1944 publizierte Langerhans in der antistalinistischen Zeitung Network, die von Ruth Fischer herausgegeben wurde. Die Exvorsitzende der KPD war ebenso wie Langerhans 1926 aus der Partei ausgeschlossen worden. Fischer wegen »ultralinker« Positionen, Langerhans wurde »Korschismus« vorgeworfen.

In der ersten Ausgabe von Network – das Ende des Faschismus ist abzusehen – rief Langerhans die deutschen Emigranten in den USA dazu auf, den Stalinismus als neuen Hauptfeind zu erkennen. Zusammen mit Fischer versuchte er in einer Art Vorgriff auf das Komitee für unamerikanische Umtriebe einige Jahre später, tatsächliche oder vermeintliche Stalinisten und GPU-Agenten zu denunzieren. In dem Interview von 1973 finden sich neben Ausführungen seiner Theorie auch Äußerungen, die an Thesen revisionistischer Historiker erinnern. Der faschistische Terror, führte er beispielsweise aus, habe diejenigen nicht überraschen können, »die im Widerstand gegen die Stalinisierung, wie z. B. die Korsch-Gruppe, alle Methoden schon erfahren und erkannt haben«.

Korsch selbst ging noch zu Kriegszeiten auf Distanz zu Langerhans, während Max Horkheimer vom Institut für Sozialforschung, bei dem Langerhans 1931 promovierte, zumindest Verständnis zeigte: »... sein Geist«, so Horkheimer in einem Brief an Felix Weil, »scheint gestört zu sein. Es ist eine Tatsache, daß die meisten Menschen, die in einem Konzentrationslager festgehalten wurden, die Spuren der Hölle in sich tragen.« Heinz Langerhans starb, eher unbekannt, 1976.

* Heinz Langerhans: Staatssubjekt Kapital – Texte zur Diskussion um Faschismus, Krieg und Krise, Reihe »Materialien zur Aufklärung und Kritik« 1, 50 S., 3 Euro, Broschüre zu bestellen bei shg, PF 110706, 06021 Halle, shg.halle@gmx.de

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen