Dienstag, 12. April 2005

Gegen die Wand

Auf einem Anti-Graffiti-Kongreß diskutierten Ordnungsfanatiker, mit welchen Mitteln ihr Traum von einer sauberen Stadt umzusetzen sei und ließen Taten folgen

Ralf Fischer / Junge Welt

Vor 25 Jahren fing alles völlig harmlos an. Im Westberlin der 80er Jahre tauchten an der kilometerlangen Mauer immer öfter bunte Schriftzüge auf, die manchmal politisch codiert, aber meistens unpolitisch, via Buchstaben und Charakters die unterschiedlichsten Visionen in den öffentlichen Raum katapultierten. Vorbilder für die Kids im Zonenrandgebiet waren Crews aus den Vorstädten der USA, die neben HipHop, Breakdance auch Graffiti weltweit zum Durchbruch verhalfen. Generationen von Jugendlichen fanden seither Gefallen daran, mittels Aufklebern, Markern oder Spraydosen Wände, Gelände, den eigenen Wohnblock, ja die gesamte Stadt in Besitz zu nehmen, um wenigstens von außen die Verhältnisse ein wenig zum Tanzen zu animieren.

Gegner dieser unkonventionellen Aneignung des öffentlichen Raumes gab es seit ihren Anfängen. Doch über den Kreis der üblichen Verdächtigen – Polizei, konservative Politiker und Hausbesitzer – ging die Allianz der Saubermänner selten hinaus. Ihr Ziel: Die Verschärfung der Gesetze. Doch die Rollen waren immer klar zu ihren Ungunsten verteilt. Ein Großteil der politischen Entscheidungsträger setzte auf andere Strategien. Während die organisierte Sozialdemokratie – Gewerkschaften, Sozialarbeiter und sozialdemokratische Partei selbst – immer das Argument der Kunst im Munde führte und für legale Flächen plädierte, waren sich die radikalen Linken sicher, es bei den Sprayercrews mit natürlichen Verbündeten im Kampf gegen die bestehende Ordnung zu tun zu haben. Beides Trugschlüsse mit Langzeitwirkung.

Die Speerspitze

Kulminieren die gut gepflegten Ressentiments, wie rund um den ersten internationalen Anti-Graffiti–Kongress am 7. April in Berlin, dann wundern sich alle beteiligten Seiten einerseits über die merkwürdigen neu entstandenen Bündniskonstellationen sowie die plötzlich zu Tage tretenden unüberbrückbaren Widersprüche zu alten Freunden. In Berlin kam es in den letzten Tagen ganz verrückt: Radikale Linke mobilisierten im Bündnis mit RTL 2 und SPIEGEL TV gegen die selbsternannte internationale »Anti-Graffiti-Bewegung« rund um NoFitti, den Verein zur Rettung des Berliner Stadtbildes, der den Kongreß ausrichtete.

Die organisierte Speerspitze der Bewegung, bestehend aus CDU-Politikern, Unternehmern aus der Reinigungsbranche und anderen Ordnungsfanatikern, konnte auf ihrer Seite den Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), die Senatorin für Justiz des Landes Berlin, Karin Schubert (SPD), und den Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) aufbieten. Selbst der Bundestagsabgeordnete für Friedrichshain-Kreuzberg Hans Christian Ströbele (Bü90/Die Grünen), obwohl Gegner einer Verschärfung der Gesetze, wünschte dem Kongreß per Fax viel Erfolg. Dagegen ließ sich schwer punkten.

Dementsprechend groß die Schmach der Niederlage auf der anderen Seite der Barrikade. Die radikalen Linken blieben mehr oder weniger unter sich. Bei einer Gegendemonstration am vergangenen Donnerstag fehlte das Lager der Sprayer fast vollständig. Die Kongreßinitiatoren luden zu einem Spaziergang durch das Historische Berlin ein, und Aktivisten aus der Graffitiszene riefen zur eigenen Protestkundgebung auf. Sie wollten nicht gemeinsam mit den »Polit-Rowdies« demonstrieren. Auch kein Erfolg. Vor dem Roten Rathaus versammelten sich nur rund 80 Jugendliche und Supporter der Graffiti-Szene. Nachrichtenwert hatte das Mini-Event trotzdem.

Zum Rundgang von NoFitti erschienen dafür rund 100 Personen. Hauptsächlich ältere Männer im besten Anzug und Alter. Ihr Interesse galt zwar auch den Sprayern, doch viel interessanter für sie war die Besichtigung des Holocaust-Mahnmals, wo sie die Stelen mit dem Anti-Graffiti-Schutz made by Degussa bestaunen konnten. Dr. Sabine Giessler von der Degussa AG, Bereich Aerosil & Silane, war denn auch einen Tag später Rednerin vor über 200 Kongreßteilnehmern. Referenten wie Stephan Schwarz, Präsident der Handelskammer Berlin und geschäftsführender Gesellschafter der GRG Dienstleistungsgruppe, oder Dieter Blümmel, seit 1989 geschäftsführender Gesellschafter des Grundeigentum-Verlages Berlin und Vorstandsmitglied der deutschen Fachpresse im Verband der Zeitschriftenverleger (VDZ), paßten da bestens ins Bild und heizten die Stimmung kräftig an.

Nägel mit Köpfen

Insgesamt gelang es den Organisatoren, ihrem altbackenen Image ein neues, etwas moderneres öffentliches Gewand zu verleihen, indem sie teilweise auch vor laufender Kamera zugestanden, daß vereinzelte Graffitis durchaus Kunst seien. Doch bitte nur legale, schoben sie meist hinterher. Ihr Auftreten als Bürgerbewegung täuscht die Öffentlichkeit darüber hinweg, daß es sich bei ihrem Verein einzig um ein paar Hinterbänkler der CDU handelt, die mit Unterstützung einiger Firmen aus der Reinigungsbranche ihrem ordnungspolitischen Traum einer »sauberen und sicheren« Stadt Ausdruck verleihen.

NoFitti schaffte es, die Forderung nach einer Verschärfung der bisher geltenden Gesetze wieder auf die Tagesordnung der Politik zu bringen. Ihre aus der Luft gegriffene Schlußfolgerung, es könne erst dann richtig sozial werden, wenn es so richtig sauber ist, macht dem amerikanischen Vorbild »Zero Tolerance« alle Ehre und darf auch hierzulande mit einer Mehrheit rechnen. Wer einmal angefangen hat, mittels Sprühdosen die Umwelt zu verändern, so der Tenor auf dem Kongreß, der ist auch anfällig für weitere Straftaten, wie zum Beispiel Drogenkonsum oder Beschaffungskriminalität. Stundenlang wurden Statistiken aus skandinavischen Ländern präsentiert, die beweisen sollten, daß die harte Gangart auch schnelle Resultate zeitigt

Und auf der Straße? Dort eskalierte der Krieg in den letzten Tagen. Eine große Koalition der Hardliner möchte mittels BGS-Hubschrauber der »Graffiti-Seuche« (Wolfgang Bosbach, CDU) gleich bundesweit Einhalt gebieten. Schily, ganz Realpolitiker, machte Nägel mit Köpfen: In Berlin flogen prompt Hubschrauber Patrouille. Unerwarteter Weise jedoch hagelte es massive Proteste von Bürgern gegen den lauten Nachteinsatz der fliegenden Überwachungskameras. Selbst in den noblen Randgebieten Berlins war den Einwohnern ihr Schlaf heiliger als unbefleckte Wände.

Sauberer Traum

Die Umsetzung des Traums der Ordnungsfanatiker von einer sauberen Stadt à la 1984 wird nicht nur Widerstand ernten, sondern auch massive »Kollateralschäden« verursachen. Um eine Jugendkultur zu zerstören sind Einschränkungen der persönlichen Freiheiten und viele Sicherheitskräfte erforderlich. Und ob diese Strategie zum Ziel führt, wo doch gerade das Verbotene den Reiz ausmacht, steht in den Sternen. Die Berliner Polizei könnte davon ein Lied singen, wenn sie wollte. Übereifrige Polizisten überfuhren, nur wenige Stunden nach dem Ende des Anti-Graffiti-Kongresses, auf der Jagd nach einem Sprayer, einen völlig unbeteiligten Motorradfahrer in Marzahn. Der 22jährige starb noch am Unfallort. Dem Sprayer gelang die Flucht.

Ende der Story? Noch lange nicht. Der junge Motorradfahrer wird nicht der letzte Tote im Kampf der »Anti-Graffiti-Bewegung« sein. Beide Seiten werden keinen Zentimeter Wand freiwillig aufgeben ... Das steht fest, und damit auch: Graffiti wird auch noch die nächsten 25 Jahre dafür sorgen, daß Berlin als lebendiges Bilderbuch bezeichnet werden kann.

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