Freitag, 22. April 2005

Das Rudel tollt, damit der Rubel rollt

Modell der Krisenlösung im deutschen HipHop: Die Beginner gehen mit einer DVD an den Start

Ralf Fischer / Junge Welt

Den meisten wird es längst aufgefallen sein: Es kriselt in der Wirtschaft. Der Druck, sich produktiv verwerten zu müssen ist überall spürbar. Den Fließbandarbeiter bei Opel trifft es ähnlich wie den Musiker und sein Label. Schon vor Jahren brachten die Fantastischen Vier das Problem auf den Punkt: »Das Geld, das du nicht hast, kauft sich das, was du nicht willst.«

Die vier Jungs zogen daraus die Konsequenz, soviel wie möglich davon in ihren Besitz zu bringen, damit sich nie wieder jemand etwas kauft, was er nicht braucht. Bei begrenztem Kohlevorrat bleibt einem immer nur die gleiche Frage: In was investieren? Nicht selten zieht Musik bei der Entscheidung den kürzeren. Dies hat zwei plausible Gründe: Eine CD kann man nicht essen, und Musik läßt sich einfach kostenlos als MP3 aus dem Netz ziehen. Davon kann aber nur die Telekom, vielleicht noch Microsoft leben, aber kein freischaffender Künstler. Locker bleiben in der Krise die wenigsten. Weder die Produzenten noch die Konsumenten. Mit der Furcht vor materieller Armut wächst die geistige. Und das in allen Bereichen des Biz, also auch im HipHop. Während Berliner Rapper mit oder ohne Maske Aggressivität und Gewalt zelebrieren, machen in Hamburg einige bekanntere Rapstars lieber auf Deutschquote statt auf dicke Hose. Komischerweise haben beide damit beim Publikum kommerziellen Erfolg.

Ob Party, Fun oder Gangsta, deutscher Rap ist weiterhin ein gutes Geschäft. Um so mehr verwundert es, daß sich gerade die Hamburger Beginner dafür stark machen, daß eine Quote dafür sorgt, daß zur Hälfte deutschsprachige Musik im Radio gespielt wird. Eißfeldt, DJ Mad und Denyo hätten eigentlich kaum Grund zu klagen. Sie sind seit über einem Jahrzehnt erfolgreich unterwegs und haben mit ihrer letzten CD neben vielen Preisen auch die Charts abgeräumt. Dessen ungeachtet, engagierte sich Eißfeldt im vergangenen Jahr in der Öffentlichkeit unermüdlich für die Deutschquote. Allein die Bündnispartner hätten dem singenden Sohn Stammheims die Augen öffnen müssen: Gemeinsam mit der Berliner Band 2Raumwohnung, Heinz Rudolf Kunze und einigen weiteren Volksmusikern warf er sich in die Bresche. Die Beginner, die ehemaligen Sympathisanten der Autonomen, sind in der Mitte Deutschlands angekommen. Sie verteidigen die deutsche Kultur gegen die Überfremdung und musizieren auch mal gemeinsam mit den Protagonisten der Kampagne »Neu Anfangen«, die in Deutschland den Patriotismus fördern will. Mit Mietze zum Beispiel, der Sängerin von MIA, trällerte er im vergangenen Jahr auf dem Album »Rapper’s Delight«, einer Veröffentlichung der Berliner Produzentin Melbeatz. Langsam kommt zusammen, was deutsch denkt und hören will.

Doch wo Schatten ist, war vielleicht auch mal Licht, was die Beginner nun mit einer DVD belegen. Das Hamburger Rudel tollt, damit der Rubel weiter rollt – wenn man will auf dem eigenen Fernseher. Denyo, DJ Mad und Eißfeldt bringen dem geneigten Zuschauer die Geschichte der Band in bewegten Bildern mit viel Sound gemixt näher. DJ Mad – die coolste Sau im TV – der sich, als der Hype um die Band 1999 begann, entschloß nicht mehr öffentlich aufzutreten, da er keinen Bock auf die Nachteile des Startums hatte ...

Nun erzählt er vor der Kamera mit seinen »friends of good taste« von alten Zeiten, der Gegenwart und einer möglichen Zukunft. Auch die Weggefährten der Beginner wie Main Concept, Samy Deluxe, Tropf oder der Altmeister des deutschen HipHop der Heidelberger Torch dürfen auf der DVD ihre sachkundigen Kommentare zum besten geben. Komplett versammelt: Die Fresh Family on DVD. Entstanden ist so, mittels alter Mitschnitte, gesammelter Erinnerung oder privaten Filmaufnahmen, eine Reise durch einen wichtigen Abschnitt in der Geschichte des deutschsprachigen HipHop.

Man bekommt fast alles zu sehen. Vom Anfang, dem Autonomen-Hip Hop gegen Neonazis, noch gemeinsam mit Live-Schlagzeuger und natürlich, legendär, dem vierten absoluten Beginner: PlatinMadin, über die Entstehungsgeschichte von »ill styles«, Touren durch die Jugendzentren des Landes bis hin zu »Flashnizsm«, der enorme Karrieresprung mit »Bambule«. Ob nun Liebeslied oder nicht, bis zum Flash Crash 2000 stürmten die Jungs aus Hamburg die Herzen, Bühnen und Charts des Landes. Dies ist alles auf der DVD zu sehen und zu hören. Der Break folgte ein Jahr später. Die HipHop-Depression 2000 brachte die Beginner nach eigener Aussage darauf, mal abseits der üblichen Pfade eine Krisenlösung zu suchen. Sie verschwanden für zwei Jahre von der Bühne, stattdessen kam der Guerillatownrocker Jan Delay.

2003 setzten die drei Jungs ihren gemeinsamen Siegeszug fort. Auf der DVD wird die Entstehung der letzten Platte »Blast Action Heros« ausführlich kommentiert und dokumentiert sowie mit einigen Mitschnitten von der letzten Tour aufgelockert. Die »Derbste Band der Welt« macht dabei eine gute Figur.

* Beginner: Derbste Band der Welt. DVD. (Buback/Universal)

Dienstag, 12. April 2005

Gegen die Wand

Auf einem Anti-Graffiti-Kongreß diskutierten Ordnungsfanatiker, mit welchen Mitteln ihr Traum von einer sauberen Stadt umzusetzen sei und ließen Taten folgen

Ralf Fischer / Junge Welt

Vor 25 Jahren fing alles völlig harmlos an. Im Westberlin der 80er Jahre tauchten an der kilometerlangen Mauer immer öfter bunte Schriftzüge auf, die manchmal politisch codiert, aber meistens unpolitisch, via Buchstaben und Charakters die unterschiedlichsten Visionen in den öffentlichen Raum katapultierten. Vorbilder für die Kids im Zonenrandgebiet waren Crews aus den Vorstädten der USA, die neben HipHop, Breakdance auch Graffiti weltweit zum Durchbruch verhalfen. Generationen von Jugendlichen fanden seither Gefallen daran, mittels Aufklebern, Markern oder Spraydosen Wände, Gelände, den eigenen Wohnblock, ja die gesamte Stadt in Besitz zu nehmen, um wenigstens von außen die Verhältnisse ein wenig zum Tanzen zu animieren.

Gegner dieser unkonventionellen Aneignung des öffentlichen Raumes gab es seit ihren Anfängen. Doch über den Kreis der üblichen Verdächtigen – Polizei, konservative Politiker und Hausbesitzer – ging die Allianz der Saubermänner selten hinaus. Ihr Ziel: Die Verschärfung der Gesetze. Doch die Rollen waren immer klar zu ihren Ungunsten verteilt. Ein Großteil der politischen Entscheidungsträger setzte auf andere Strategien. Während die organisierte Sozialdemokratie – Gewerkschaften, Sozialarbeiter und sozialdemokratische Partei selbst – immer das Argument der Kunst im Munde führte und für legale Flächen plädierte, waren sich die radikalen Linken sicher, es bei den Sprayercrews mit natürlichen Verbündeten im Kampf gegen die bestehende Ordnung zu tun zu haben. Beides Trugschlüsse mit Langzeitwirkung.

Die Speerspitze

Kulminieren die gut gepflegten Ressentiments, wie rund um den ersten internationalen Anti-Graffiti–Kongress am 7. April in Berlin, dann wundern sich alle beteiligten Seiten einerseits über die merkwürdigen neu entstandenen Bündniskonstellationen sowie die plötzlich zu Tage tretenden unüberbrückbaren Widersprüche zu alten Freunden. In Berlin kam es in den letzten Tagen ganz verrückt: Radikale Linke mobilisierten im Bündnis mit RTL 2 und SPIEGEL TV gegen die selbsternannte internationale »Anti-Graffiti-Bewegung« rund um NoFitti, den Verein zur Rettung des Berliner Stadtbildes, der den Kongreß ausrichtete.

Die organisierte Speerspitze der Bewegung, bestehend aus CDU-Politikern, Unternehmern aus der Reinigungsbranche und anderen Ordnungsfanatikern, konnte auf ihrer Seite den Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), die Senatorin für Justiz des Landes Berlin, Karin Schubert (SPD), und den Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) aufbieten. Selbst der Bundestagsabgeordnete für Friedrichshain-Kreuzberg Hans Christian Ströbele (Bü90/Die Grünen), obwohl Gegner einer Verschärfung der Gesetze, wünschte dem Kongreß per Fax viel Erfolg. Dagegen ließ sich schwer punkten.

Dementsprechend groß die Schmach der Niederlage auf der anderen Seite der Barrikade. Die radikalen Linken blieben mehr oder weniger unter sich. Bei einer Gegendemonstration am vergangenen Donnerstag fehlte das Lager der Sprayer fast vollständig. Die Kongreßinitiatoren luden zu einem Spaziergang durch das Historische Berlin ein, und Aktivisten aus der Graffitiszene riefen zur eigenen Protestkundgebung auf. Sie wollten nicht gemeinsam mit den »Polit-Rowdies« demonstrieren. Auch kein Erfolg. Vor dem Roten Rathaus versammelten sich nur rund 80 Jugendliche und Supporter der Graffiti-Szene. Nachrichtenwert hatte das Mini-Event trotzdem.

Zum Rundgang von NoFitti erschienen dafür rund 100 Personen. Hauptsächlich ältere Männer im besten Anzug und Alter. Ihr Interesse galt zwar auch den Sprayern, doch viel interessanter für sie war die Besichtigung des Holocaust-Mahnmals, wo sie die Stelen mit dem Anti-Graffiti-Schutz made by Degussa bestaunen konnten. Dr. Sabine Giessler von der Degussa AG, Bereich Aerosil & Silane, war denn auch einen Tag später Rednerin vor über 200 Kongreßteilnehmern. Referenten wie Stephan Schwarz, Präsident der Handelskammer Berlin und geschäftsführender Gesellschafter der GRG Dienstleistungsgruppe, oder Dieter Blümmel, seit 1989 geschäftsführender Gesellschafter des Grundeigentum-Verlages Berlin und Vorstandsmitglied der deutschen Fachpresse im Verband der Zeitschriftenverleger (VDZ), paßten da bestens ins Bild und heizten die Stimmung kräftig an.

Nägel mit Köpfen

Insgesamt gelang es den Organisatoren, ihrem altbackenen Image ein neues, etwas moderneres öffentliches Gewand zu verleihen, indem sie teilweise auch vor laufender Kamera zugestanden, daß vereinzelte Graffitis durchaus Kunst seien. Doch bitte nur legale, schoben sie meist hinterher. Ihr Auftreten als Bürgerbewegung täuscht die Öffentlichkeit darüber hinweg, daß es sich bei ihrem Verein einzig um ein paar Hinterbänkler der CDU handelt, die mit Unterstützung einiger Firmen aus der Reinigungsbranche ihrem ordnungspolitischen Traum einer »sauberen und sicheren« Stadt Ausdruck verleihen.

NoFitti schaffte es, die Forderung nach einer Verschärfung der bisher geltenden Gesetze wieder auf die Tagesordnung der Politik zu bringen. Ihre aus der Luft gegriffene Schlußfolgerung, es könne erst dann richtig sozial werden, wenn es so richtig sauber ist, macht dem amerikanischen Vorbild »Zero Tolerance« alle Ehre und darf auch hierzulande mit einer Mehrheit rechnen. Wer einmal angefangen hat, mittels Sprühdosen die Umwelt zu verändern, so der Tenor auf dem Kongreß, der ist auch anfällig für weitere Straftaten, wie zum Beispiel Drogenkonsum oder Beschaffungskriminalität. Stundenlang wurden Statistiken aus skandinavischen Ländern präsentiert, die beweisen sollten, daß die harte Gangart auch schnelle Resultate zeitigt

Und auf der Straße? Dort eskalierte der Krieg in den letzten Tagen. Eine große Koalition der Hardliner möchte mittels BGS-Hubschrauber der »Graffiti-Seuche« (Wolfgang Bosbach, CDU) gleich bundesweit Einhalt gebieten. Schily, ganz Realpolitiker, machte Nägel mit Köpfen: In Berlin flogen prompt Hubschrauber Patrouille. Unerwarteter Weise jedoch hagelte es massive Proteste von Bürgern gegen den lauten Nachteinsatz der fliegenden Überwachungskameras. Selbst in den noblen Randgebieten Berlins war den Einwohnern ihr Schlaf heiliger als unbefleckte Wände.

Sauberer Traum

Die Umsetzung des Traums der Ordnungsfanatiker von einer sauberen Stadt à la 1984 wird nicht nur Widerstand ernten, sondern auch massive »Kollateralschäden« verursachen. Um eine Jugendkultur zu zerstören sind Einschränkungen der persönlichen Freiheiten und viele Sicherheitskräfte erforderlich. Und ob diese Strategie zum Ziel führt, wo doch gerade das Verbotene den Reiz ausmacht, steht in den Sternen. Die Berliner Polizei könnte davon ein Lied singen, wenn sie wollte. Übereifrige Polizisten überfuhren, nur wenige Stunden nach dem Ende des Anti-Graffiti-Kongresses, auf der Jagd nach einem Sprayer, einen völlig unbeteiligten Motorradfahrer in Marzahn. Der 22jährige starb noch am Unfallort. Dem Sprayer gelang die Flucht.

Ende der Story? Noch lange nicht. Der junge Motorradfahrer wird nicht der letzte Tote im Kampf der »Anti-Graffiti-Bewegung« sein. Beide Seiten werden keinen Zentimeter Wand freiwillig aufgeben ... Das steht fest, und damit auch: Graffiti wird auch noch die nächsten 25 Jahre dafür sorgen, daß Berlin als lebendiges Bilderbuch bezeichnet werden kann.

Mittwoch, 6. April 2005

Mob und Elite

Faschismustheorie neue alte Folge: Eine Broschüre macht die »Gefängnisthesen« des fast vergessenen Heinz Langerhans wieder zugänglich

Ralf Fischer / Junge Welt

Als deutsche Truppen im Mai 1940 nach Belgien einmarschierten, wurden Staatsangehörige der Achsenländer zunächst interniert und anschließend nach Südfrankreich deportiert. Unter ihnen war auch Heinz Langerhans, Marxist der sogenannten Korsch-Gruppe, der sich in Belgien vor den Nazis versteckte. Doch er kam schnell in die USA. Vor allem Mitglieder des exilierten Frankfurter Instituts für Sozialforschung und Karl Korsch setzten sich für ein Visum für die USA ein.

1973 erzählte Langerhans in einem Interview von seiner glücklichen Flucht: »Um die scharfen amerikanischen Einwanderungsbestimmungen, wonach kein organisierter Kommunist ins Land gelassen wird, kam ich herum, da ich ein vom Matteotti-Komitee anerkannter politischer Flüchtling war und Fritz Heine mir in Marseille bestätigte, daß ich ein wackerer Sozialdemokrat sei. Die Fahrt nach Amerika verlief auf Umwegen, denn das erste für mich mögliche Schiff ging nach Martinique, der französischen Kolonie im Karibischen Meer. Unsere ›Mannschaft‹ auf diesem Dampfer war ein recht buntes Gemisch. Da war z. B. Victor Serge, die deutsche Dichterin Anna Seghers, André Breton, der mit uns surrealistische Fragespiele veranstaltete; und natürlich Mitglieder der verschiedensten Oppositionsgruppen. Als ich im Mai 1941 endlich in New York ankam, wartete dort durch Vermittlung von Korsch Dr. Felix Weil vom Institut für Sozialforschung, das mir in der ersten Zeit mit einer Art Stipendium weiterhalf.« Bald ging Langerhans nach Boston, wo Korsch lebte, und belegte an der Harvard-Universität einige Kurse, bis er am Gettysburg College eine Professur erhielt.

Einige Jahre zuvor, im Juli 1934, saß Langerhans in einem Zuchthaus der Nazis, da er eine antifaschistische Zeitung produziert hatte. In der Haft verfaßte er auf Zigarettenpapier seine sogenannten »Gefängnisthesen«, die aus dem Zuchthaus geschmuggelt wurden und ihren Adressaten Korsch schließlich Ende 1934 im dänischen Exil erreichten. Im Mai des darauffolgenden Jahres veröffentlichte Langerhans einen Aufsatz mit dem Titel »The Next World Crisis, the Second World War and the World Revolution« in der von Paul Mattick redigierten International Council Correspondence. Wie auch in den »Gefängnisthesen« entwickelte er den Begriff vom »Staatssubjekt Kapital«. Für Langerhans war die von den Nazis behauptete »Volksgemeinschaft« keine Propagandalüge, sondern eine »große soziale Pazifizierungsaktion«. Ein Bündnis von Mob und Elite, das mit allen Mitteln der »politischen Revolution und der Sozialreform die Arbeiterklasse und alle übrigen Schichten weitgehenden Veränderungen« unterwarf und Klassenkampf stillstellte. Die »Zerschlagung aller Klassenorgane der Arbeiter war seine erste Tat«.

Der Aufstieg der NSDAP resultiert für Langerhans nicht aus der Zerfallsperiode der Weimarer Republik. Die faschistische Epoche beginnt für ihn bereits mit dem Ersten Weltkrieg. Die Produktivkräfte waren zu diesem Zeitpunkt nicht mehr mit dem liberalen System des Konkurrenzkapitalismus kompatibel. Sie drohten schon während des Krieges, »das auf Lohnarbeit und Kapital beruhende Nationalstaatensystem zu zersprengen«. Zwar gelang es in den Nachkriegskrisen, die Produktivkräfte wieder in das Produktionsverhältnis Lohnarbeit-Kapital in den kapitalistischen Rahmen einzufügen, »aber die Kapazität des industriellen Apparats kann auch in der Prosperität nicht voll ausgenutzt werden«. In seinen Thesen prohezeite Langerhans auch den Zweiten Weltkrieg, dessen Beginn er für das Jahr 1940 datierte. Im Interview dreißig Jahre später gibt er zwar zu, mit dieser Einschätzung »Schwein« gehabt zu haben, findet aber hierin seine Theorie über das »Staatssubjekt Kapital« bestätigt.

In der nun vorliegenden Broschüre »Staatssubjekt Kapital« sind neben dem Interview von Michael Buckmiller und Jörg Kammler mit Heinz Langerhans von 1973 die beiden wichtigsten und bisher nur schlecht zugänglichen Texte von Langerhans wiederveröffentlicht: »Die nächste Weltkrise, der zweite Weltkrieg und die Weltrevolution« (1934) sowie »Krieg und Faschismus« von 1929.

Ab 1944 publizierte Langerhans in der antistalinistischen Zeitung Network, die von Ruth Fischer herausgegeben wurde. Die Exvorsitzende der KPD war ebenso wie Langerhans 1926 aus der Partei ausgeschlossen worden. Fischer wegen »ultralinker« Positionen, Langerhans wurde »Korschismus« vorgeworfen.

In der ersten Ausgabe von Network – das Ende des Faschismus ist abzusehen – rief Langerhans die deutschen Emigranten in den USA dazu auf, den Stalinismus als neuen Hauptfeind zu erkennen. Zusammen mit Fischer versuchte er in einer Art Vorgriff auf das Komitee für unamerikanische Umtriebe einige Jahre später, tatsächliche oder vermeintliche Stalinisten und GPU-Agenten zu denunzieren. In dem Interview von 1973 finden sich neben Ausführungen seiner Theorie auch Äußerungen, die an Thesen revisionistischer Historiker erinnern. Der faschistische Terror, führte er beispielsweise aus, habe diejenigen nicht überraschen können, »die im Widerstand gegen die Stalinisierung, wie z. B. die Korsch-Gruppe, alle Methoden schon erfahren und erkannt haben«.

Korsch selbst ging noch zu Kriegszeiten auf Distanz zu Langerhans, während Max Horkheimer vom Institut für Sozialforschung, bei dem Langerhans 1931 promovierte, zumindest Verständnis zeigte: »... sein Geist«, so Horkheimer in einem Brief an Felix Weil, »scheint gestört zu sein. Es ist eine Tatsache, daß die meisten Menschen, die in einem Konzentrationslager festgehalten wurden, die Spuren der Hölle in sich tragen.« Heinz Langerhans starb, eher unbekannt, 1976.

* Heinz Langerhans: Staatssubjekt Kapital – Texte zur Diskussion um Faschismus, Krieg und Krise, Reihe »Materialien zur Aufklärung und Kritik« 1, 50 S., 3 Euro, Broschüre zu bestellen bei shg, PF 110706, 06021 Halle, shg.halle@gmx.de