Donnerstag, 17. März 2005

Verflickste Vergangenheit

Wege zum Glücklichsein: Die »Flick-Collection« und die Berliner Republik

Ralf Fischer / Junge Welt

Die Lebenserfahrung lehrt seine Träger meist nur Einfaches. Zum Beispiel: In Familien werden in aller Regel nur die schlechten Eigenschaften, Charakterzüge und Vorlieben vererbt, die positiven Wesenszüge dagegen leider nur äußerst selten. Meistens handelt es sich ja eh nur um Geld.

So muß man also recht häufig genervt feststellen, daß auch eine eher für einfach gehaltene Transaktion innerhalb der Generationen, das Erben, wie so vieles anderes, wenn man es nicht falsch machen will, entweder gelernt sein will oder einfach immer in die Hose geht. Reduziert sich das Erbe nicht nur auf die massenhaft angehäuften materiellen Werte, sondern auch auf die emotionalen Bedürfnisse und charakterlichen Wesenszüge, dann läßt sich zu recht feststellen: Wie der Vater, so der Sohn. Vor allem der deutsche Apfel fällt anscheinend immer neben den Stamm.

In seinem neuen Buch »Von der Kunst des Erben.« hat sich Peter Kessen, seit 1996 Produzent von Reportagen und Hörfunkfeatures in Berlin, diesem Thema gewidmet und sich eine ganz spezielle Familiengeschichte aus Deutschland vorgenommen: nämlich die Geschichte von Friedrich Christian Flick und seinen Vorfahren.

Sein Großvater war prägend: Ein Industrie- und Rüstungsmagnat sowie verurteilter Kriegsverbrecher, der sich beharrlich weigerte, einen seit 1964 vorliegenden Entschädigungsvertrag und damit seine Schuld anzuerkennen. Ein standhafter Deutscher, wie es auch der Bundeskanzler gerne von seinem Vater denkt. Flick senior verstieß seinen Sohn zugunsten des Enkels Friedrich Christian. Der erbte nicht nur ein Vermögen von rund 500 Millionen Euro, er hält bis heute, anders als seine Geschwister, die Lebenslüge des alten Flick aufrecht, wonach er den Krieg »gehaßt« und natürlich den Naziverbrechen fern gestanden hat.

Friedrich C. Flick zieht die Verweigerung der Zahlung gegenüber ehemaligen Zwangsarbeitern durch, obwohl sogar seine Schwester, Dagmar Ottmann, in einem Brief öffentlich gefordert hatte, daß die Ausstellung im Hamburger Bahnhof solange verschoben werden sollte, bis »die Geschichte des Flick-Konzerns aufgearbeitet« sei. In ihrem offenen Brief an Salomon Korn und Michael Fürst, abgedruckt im Buch, beklagt sie auch die Rolle der Bundesregierung. So schreibt sie mit Bitterkeit, daß »von höchst ministerieller Stelle« behauptet wurde, die Flick-Sammlung »schließe in Berlin die Wunde, die die Nazizeit geschlagen« hat.

Doch genau diese Wunden sind solange noch sichtbar, so lange es noch Menschen wie die aus Ungarn stammende Jüdin Eva Fahidi gibt. Dies ist das große Verdienst von Kessens Buch, den Flicks nebst Erben die Parallelbiographie von Fahidi gegenüberzustellen, die sich bei Dynamit Nobel fast zu Tode schinden mußte und deren Familie in Auschwitz ermordet wurde.

Im Gegensatz zu anderen Autoren, die zu diesem Thema schon so einiges publiziert haben, machte Kessen sich die Mühe der Sklavenarbeit, von der die Flicks während des Nationalsozialismus profitierten, ein Gesicht zu geben. Das Gesicht der ungarischen Jüdin verdeutlicht, warum die Forderung nach sofortiger finanzieller Entschädigung nur ein Tropfen auf den heißen Stein wäre, aber eben wenigstens ein Tropfen.

Der freie Journalist Kessen, Jahrgang 1963 und Absolvent der Deutschen Journalistenschule, geht mit seinem Buch ans Eingemachte. Die Geschichte der Familie Flick ist auch die Geschichte Deutschlands nach 1945. So kann man im Buch auch darüber lesen, daß Flick junior, bevor er Kunstsammler wurde. weltbekannter Jet-Set-Playboy war, der sich durch Aktienspekulationen einen Namen machte. Über die Vergangenheit seiner Familie dachte er erst seit Mitte der 90er Jahre nach. Das Porträt, das Peter Kessen von Friedrich Christian Flick zeichnet, zeigt ihn eben nicht nur als Vermögens-, sondern auch als Geisteserben des Rüstungsmagnaten und verurteilten Kriegsverbrechers Friedrich Flick.

Kessen bemüht sich nicht nur, die Liebe Flicks zur Kunst zu ergründen. Ihm geht es auch darum, den gesellschaftlichen Kontext herauszuarbeiten. So steht auch nicht zufällig der 11. November 2003, als Gerhard Schröder und Kulturstaatsministerin Christina Weiss den Sammler zum Kunsttalk ins Bundeskanzleramt luden, im Zentrum des Buches. Wenn die eigene Geschichte nur Schattenseiten aufzuweisen hat, dann versteht sich schon, warum die Kunst das ausbügeln kann.

Christina Weiss sagt es in drei Worten: »Kunst macht glücklich!« Und Erben der Nazis zu besseren Menschen.

* Peter Kessen: Von der Kunst des Erbens. Die »Flick-Collection« und die Berliner Republik. Mit einem Vorwort von Micha Brumlik. Philo Verlag, Berlin 2004, 171 Seiten, 12,90 Euro