Mittwoch, 16. Februar 2005

Glück oder Depression?

Melissa Logan von Chicks on Speed über ihr neues Album »Press the Spacebar«, den Szenebezirk Berlin-Mitte und andere PR-Katastrophen

Ralf Fischer / Junge Welt

* »Press the Spacebar« heißt das neue Album der drei Chicks on Speed Alex Murray-Leslie, Kiki Moorse und Melissa Logan. Es wurde in Barcelona aufgenommen und enthält mehr Punk- und Trashelemente als die zwei Vorgängeralben. Das Genre Label Elektroclash haben die Chicks verlassen. »Feministische Hausfrau in Zeiten von Karrieretum« feiern sie ab und setzen Madeleine Albright ein satirisches Denkmal. Besondere Erwähnung verdient die Hommage an Courtney Love, »Wax my Anus«. Unbedingt laut hören!


RF: Mit »Press the Spacebar« scheinen Chicks on Speed den Elektroclash-Ansatz endgültig aufzugeben. Die Gruppe hat das neue Album mit dem Produzenten Christian Vogel und der Band The No Heads eingespielt. Soll eine neue Musikrichtung entworfen werden?

ML: Die beste Umschreibung für die Platte kam in einem Brief von einem Jungen aus Großbritannien – seine Art zu schreiben war sehr kindlich. Er schrieb: »Ich mag das neue Album wirklich sehr, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob es mich glücklich oder depressiv macht, aber bitte sagt Christian, er hat seinen Job echt gut gemacht!« Wir sind wirklich stolz auf dieses Album, aber es sieht so aus, als hätten viele der Journalisten nicht so viel Spaß daran, es zu besprechen. Es scheint, als würden einige Dinge einfach zu ernst genommen werden, vielleicht wegen des aufgeladenen Inhalts, aber natürlich gibt es wie üblich auch den ganzen banalen, albernen Kram. Das ist nicht unsere neue Richtung, sondern lediglich ein weiterer Teil unseres Projektes, das ja insgesamt ein Experiment darstellt. Natürlich haben wir keine Ahnung, was als nächstes kommt.

Oft wird behauptet, die Platte sei viel politischer als die vorherigen. Muß man glücklich oder depressiv sein, um die Gesellschaft grundlegend verändern zu wollen?

Jeder der im Leben, in der Politik und in zwischenmenschlichen Interaktionen nach der Wahrheit sucht, kann ziemlich schnell deprimiert werden. Unzufriedenheit ist für uns ein sehr wichtiges Mittel, fast ein Werkzeug. Unzufriedenheit motiviert uns und macht uns auf Dinge aufmerksam, die auch andere Leute verstehen. In den letzten zwei Jahren wurde jede weltpolitische Katastrophe zur großen PR-Kampagne, um die Menschen einer Gehirnwäsche zu unterziehen und sie glauben zu machen, daß die Regierungen gut sind und für die Menschen arbeiten. In Wahrheit arbeiten sie nur für das große Geschäft.

Wie kamen Chicks on Speed auf die Idee, dem fertigsten Stadtbezirk von Berlin einen Song zu widmen? »Mitte Bitte« ist ja auch sprachlich eine große Ausnahme auf dem Album. Ist das eine Liebeserklärung?


Das ist eher eine Verarsche von »Ich steh’ auf Berlin« von Ideal. Wir dachten, daß wir das mal modernisieren sollten. Wir leben hier, weil wir finden, daß das hier der beste Ort in der Welt ist. Gut, Alex Murray-Leslie ist in Barcelona geblieben, sogar jetzt, wo das Album fertig ist. Ein Freund sagte, Mitte ist voll von »Kulturtouristen, die herumlaufen, und alle sehen so aus wie ich«. Es ist großartig, so viele witzige Leute um sich zu haben, dann ist man kein Einzelgänger mehr. »Mitte Bitte« handelt von dieser Haß-Liebe-Verwirrung, ist aber grundsätzlich ein alberner Song. Und ich mag die Zeile »schlecht gelaunte Preußen, tut uns leid, tanzt auf den Tischen, zerreiß dein Kleid«

Von allen Deutschen sind die armseligen Preußen wirklich die wehleidigsten, aber mit keiner Begründung. Obwohl es traurig zu sehen ist, daß die östliche Bevölkerung aus der Hauptstadt vertrieben wird. Zur gleichen Zeit braucht die Stadt wirklich diesen Zustrom von Menschen aus anderen Orten, um sie lebhaft zu machen. Ausländer sind erforderlich! Bitte zieht nach Berlin, eröffnet Restaurants, kleine feine Läden, Bitte! Wir wollen nicht nur MiniMals und andere Ketten!

* Chicks on Speed and the No Heads: »Press the Spacebar« (Chicks on Speed Records). Mit The No Heads treten Chicks on Speed heute in der Berliner Volksbühne um 21 Uhr auf

Sonntag, 6. Februar 2005

Die alte Leier

Mit der Mitte in die Zukunft heißt Tradition pur

Ralf Fischer / hagalil.com

Im Wettstreit um Wählerstimmen waren die so genannten demokratischen Parteien in diesem Land noch nie sonderlich zimperlich. Vor allem die CDU/CSU läuft immer wieder zu Höchstform auf, wenn es darum geht, den braunen Sumpf mittels der eigenen braunen Propaganda anzuzapfen.

Das viel zitierte Dogma, dass es rechts neben der CDU/CSU keine demokratische Partei geben kann, ist ein wichtiger Faktor, dass innerhalb der Christdemokraten und -sozialen die rechte Klientel kein Randphänomen bleibt, sondern schon immer die braune Mitte in der Partei darstellt.

Das mal wieder unter Beweis zu stellen, trat im Januar beim 7. politischen Neujahrstreffen der extrem demokratischen Rechten in München das CSU-Mitglied Thomas S. Fischer im Rahmen einer Podiumsdiskussion gemeinsam mit dem NPD- Fraktionsvorsitzenden im Sächsischen Landtag Holger Apfel auf. Ziel der Veranstaltung, so sagte der auch anwesende Vorsitzende der so genannten Deutschen Partei, Ulrich Pätzold gegen über dem ZDF-Magazin Mona Lisa, sei, dass "unsere Nachkommen" ein starkes Vaterland in Zukunft erleben, im Gegensatz zum derzeitigen, dass an "Überfremdung, Überschuldung, Überalterung und an übernationaler Beherrschung" leide.
Bei diesem braunen Stammtischtreffen wollte der CSUler Fischer natürlich nicht hinter die anderen Protagonisten der deutschen Neonazisszene zurückfallen. Im Kampf um die Stimmen des deutschen Volkes erprobt, formulierte er seine Ressentiments ins zahlreich versammelte Publikum: "Wenn Herr Beckstein keine Probleme hat, Michael Friedman zu duzen, dann muss ich mich auch nicht dafür schämen, heute mit Holger Apfel an einem Tisch zu sitzen." Punkt, Satz, Sieg.

Es ist die alte Leier in diesem Land, die Opfer werden zu Tätern gemacht, entweder damit man endlich gegen sie wieder mit Verve vorgehen kann, oder um mit ihren erklärten Feinden ein wenig über eine neue Endlösung plaudern zu können. Früh übt sich eben was ein demokratischer Antisemit sein will. Es bleibt nur noch ein Fazit, geklaut von der Elektropopband Egotronic: "Bekackte Deutsche, nichts hat sich geändert, bekackte Nazis!"

Freitag, 4. Februar 2005

Ängstliches Kokeln

The Teacher versus Pädagogen. Eine Tagung in Weimar

Ralf Fischer / Junge Welt

Ende der 70er Jahre schmissen DJs, Breaker, Sprayer und Skater in US-amerikanischen Vorstädten die ersten Blockpartys. HipHop war sexy und rebellisch. Egal, ob Latino, »Black« oder White Trash – via Sprühdose, Skateboard oder Tanz besetzten vor allem jene Kids, die keine Kohle hatten, während der Reagonomics den tristen Alltag in ihren Ghettos. Nie ging es dabei nur um Party. Viele wollten mehr sein als Teil einer Jugendbewegung. KRS One zum Beispiel, einer der ersten MCs (Rapper) dieses Planeten, kehrte seinem zerrütteten Elternhaus sehr jung den Rücken und lebte fortan auf der Straße. Dies war nicht sein Ende, sondern der Anfang seiner Weltkarriere. And he is also known as »The Teacher«.

KRS One brauchte gerade mal noch Bibliotheken, um zu erkennen, daß sich die Welt nicht so, wie sie eingerichtet ist, weiter drehen darf. Sein politisches Engagement war auf dem eigenen Mist gewachsen, einfach durch intensives Studium der Umgebung, nicht durch die Agitation staatlich bezahlter Sozialpädagogen. Um dies zu verstehen, oder auch nicht, trafen sich am vergangenen Wochenende Sozialpädagogen, unbedarfte Jugendliche, Vertreter der politischen Bildungsarbeit und eine Handvoll Experten aktueller Jugendkulturen in Weimar. Das Desaster dieses Aufeinandertreffens sei hier umrissen.

»Popkultur und Politik« war das Thema der Konferenz, veranstaltet vom Archiv der Jugendkulturen e.V. in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung und der Europäischen Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar. Doch schafften es die Sozialpädagogen und Referenten, das Thema fast komplett unter den Tisch fallen zu lassen. Statt es zu erörtern, geiferten sie nach Konzepten, die mit/über/durch HipHop oder andere Subkulturen ihre Jugendarbeit wieder populär machen könnten. Unbedingt wollten sie die Schäfchen, die sich ihrer Kontrolle entziehen, endlich wieder unter ihre Fittiche, ihre Kontrolle, bekommen. Wo pädagogische Projekte wie Malen nach Zahlen oder Aerobic zu 80er-Jahre-Hits auf ganzer Linie gescheitert sind, ist diese händeringende Suche nach neuen Ansätzen wohl verständlich. Wenn aber für paar Kröten vom Staat nun etwa HipHop-Musicals produziert werden sollen, gehört das nach allen Regeln der Kunst denunziert.

Zur Krönung wußten die versammelten Wohlmeinenden zu berichten, daß der deutsche HipHop-Trend – Aggro Berlin, AZAD, Kool Savas – das Ende der Fahnenstange jeder bislang ach so toleranten Jugendkultur sei. Wer Drogen verherrliche und sich sexistisch oder eindeutig homophob artikuliere, sei ein gesellschaftliches Problem. So die eingängige Argumentation der Jugendarbeiter. Klasse Erkenntnis! Die übergroße Mehrheit der bundesdeutschen Jugendlichen dürfte diese Kriterien erfüllen. Was für ein Potential! Genug Arbeit für Jahrzehnte.

»Each one teach one« war der Leitspruch von KRS One. Einige Sozialarbeiter dagegen zogen ein anderes Motto für ihre Jugendarbeit in Erwägung: Schlage einen, erziehe Hunderte. HipHop will nicht bildungshubermäßig auf Kids einwirken, sondern Möglichkeiten und Schwierigkeiten des Bizz aufzeigen, welches das Leben ist. Die Beats sind, ähnlich wie im Techno, Herzschläge: So geht die Taktfrequenz des Lebens, legal oder illegal. Pädagogen können das nicht mal ansatzweise nachvollziehen. Ihre Taktfrequenz ist vom Staat vorgegeben. Deswegen kann sozialpädagogischer HipHop nur jedem am Arsch vorbeigehen. Schon aufgesetzt sozialkritischer deutscher HipHop erreicht nur das politisch korrekte Publikum. Das »Nein« der HipHop-Rebellen richtet sich gegen jeden gesellschaftlichen Konsens.

Wie konformistisch diese Revolte letztlich ist, konnte in Weimar kaum reflektiert werden, weil die Sozialpädagogen ihren Ressentiments jedesmal ungefragt freien Lauf ließen, wenn es spannend zu werden drohte. Man fühlte sich in die eigene Schulzeit zurückversetzt, in der Musik zum Lebenselixier wurde. Nachdem einem Erzieher übel mitgespielt hatten, brauchte es den emotionalen Sandsack, die weiche Wolke, in die man sich fallen lassen konnte. Damals lernte man, daß Musik und Pädagogik sich zueinander verhalten wie Feuer und Wasser. Deshalb, an alle HipHopper: Paßt auf, daß euer Feuer weiterbrennt und sich die Staatsbüttel ihre Finger verbrennen. Stay Raw! Stay Rebell!