Freitag, 14. Januar 2005

Auf keinem Auge blind.

Rezension: Trotz und wegen Auschwitz - Antisemitismus und nationale Identität nach 1945

Ralf Fischer / Mut gegen rechte Gewalt


Das Buch »Trotz und wegen Auschwitz« der AG Antifa/Antira der Universität Halle betrachtet die Entwicklung des Antisemitismus nach 1945 in Deutschland - inklusive Reizthemen. Dabei behandelt es u.a. Reizthemen wie Antisemitismus in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, in der antizionistischen Linken, die Streitpunkte der Goldhagen-Debatte, den Umgang der Medien mit der zweiten Intifada und den Antisemitismus im islamistischen Millieu.

»Antisemitismus ist nicht nur, wie Adorno und Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung eindrucksvoll darlegen, Teil eines Tickets. Er setzt sich vielmehr aus einer Vielzahl von Tickets, Komponenten und Planken zusammen. Der Hass auf das Abstrakte, Künstliche, auf die Zirkulationssphäre, Müßiggang, den Liberalismus, Kommunismus und vieles mehr wird im Antisemitismus zu einem Weltbild mit allumfassendem Erklärungsanspruch zusammengefügt.«

Mit dieser Mischung aus Fazit und Einleitung beginnt das Buch »Trotz und wegen Auschwitz«, welches die Entwicklung des Antisemitismus nach 1945 in Deutschland genauer betrachten will. Es ist Ende 2004 im Unrast-Verlag Ende erschienen, von der AG Antifa/Antira im Studentenrat der Universität Halle/Saale (Sachsen-Anhalt) herausgegeben und versammelt einen Teil der Referate, die im Rahmen der Vortragsreihe »Geschichte und Gegenwart des Antisemitismus« vor zwei Jahren in Halle gehalten wurden. In sieben Beiträgen schreiben u.a. so bekannte Autoren wie Thomas Haury, Claudia Dantschke oder Gerhard Scheit über die Kontinuität des Antisemitismus in der Bundesrepublik Deutschland, die antizionistische Linke, die Streitpunkte der Goldhagen-Debatte, den Umgang der Medien mit der zweiten Intifada und den Antisemitismus im islamistischen Millieu.

Auf keinem Auge blind

Der Umgang der ehemaligen DDR mit der Shoah wird im Buch erfreulicher Weise nicht, wie sonst bei diesem Thema schon fast üblich, links liegen gelassen. Die Schuldabwehr der Parteigenossen, die Abgrenzung der DDR von Israel und damit einhergehend die Solidarität mit dem arabischen Ländern sowie die gesamte Erinnerungskultur der DDR skizziert der Historiker Jan Gerber in seinem Beitrag sehr deutlich. 

Der Soziologe Thomas Haury befasst sich in seinem Text mit den Ursachen des Antisemitismus in der bundesrepublikanischen Linken, einem Spektrum, das sich meist per Definition in Gegnerschaft zum Antisemitismus sah und sieht. In seinem Beitrag verweist er auf die zahlreichen Anschlusspunkte, die Kapitalismus- und Imperialismusverständnis der Linken mit antisemitischen Denkfiguren aufweisen, und auf die immer wieder von neuem beginnende skurrile Suche der deutschen Linken nach der eigenen nationalen Identität. 

Treffend bemerkt Haury, der Vorwurf des Antisemitismus, speziell in der Linken, »löst bis heute mitunter Unglauben, heftige Empörung und Abwehrreaktionen aus«. Wer dieses Buch nicht nur in der Hand, sondern auch gelesen hat, wird einem solchen typisch deutschen Affekt gegenüber fürs Erste wachsam sein.
Offen bleibt, was aus dem Erlesenen wird. Das Wissen um die Kontinuität des Antisemitismus in Deutschland verspricht zwar Aufklärung, aber wie weit diese geht, ist freilich jeder/m immer noch selber überlassen.

Ständige Reflektion
 
Was nicht erklärt wird, ist, weshalb das falsche Ganze überhaupt bestand und weiterhin besteht, dass Auschwitz erst möglich machte. Warum das aber so ist, legt der freie Autor Gerhard Scheit aus Wien in seinem Buchbeitrag »Deutsche Identität. Resümee über die Meister der Krise« dar. Eine Erklärung der Shoah, so Scheit, kann es »mit den Mitteln der Vernunft so wenig geben wie eine Begründung dafür, warum das falsche Ganze überhaupt existiert, das die Vernichtung möglich gemacht hat. Was aber sichtbar werden kann und soll: das dieses Ganze sie ebenso ermöglicht, wie es durch sie existiert - und in dieser Immanenz des Sinnlosen müssen die vernünftigen Mittel jedes Erklärungsversuchs notwendig sich selber in frage stellen, muss die historisierende Erkenntnis die Wiederkehr des Immergleichen eingestehen und das aufgeklärte Bewusstsein den magischen Bannkreis, dem es nicht entkommen kann, reflektieren.«

Genug Material, über das es sich zu reflektieren lohnt, versammelt das Buch auf jeden Fall. Eine komplette Übersicht der gesamten historischen Entwicklung des Antisemitismus in Deutschland bietet es nicht - auf rund 140 Seiten ist dies auch einfach unmöglich. Doch der gerade der Blick auf die aktuellen Debatten ist fundiert und lässt sich hervorragend für die anti-antisemitische Praxis nutzen. Vor allem auch der Text von Frank Wichert, Mitarbeiter am Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) über die Nahost-Berichterstattung zur zweiten Intifada in deutschen Printmedien sticht dabei hervor.

Veranstaltungstipp: Diskussion im SBZ Krähenfuß in Berlin

Die aktuelle Debatte um den so genannten »neuen« Antisemitismus spielt in »Trotz und wegen Auschwitz« leider keine Rolle. Das liegt daran, dass diese zu der Zeit, als die Beiträge geschrieben wurden, gerade erst begann. Doch diese und andere Anmerkungen, natürlich auch Kritik, kann aktuell mit den Herausgebern diskutiert werden. Auf Einladung der Initiative gegen Antisemitismus Berlin-Brandenburg (IGA-BB) werden am kommenden Dienstag einige der Herausgeber das Buch im Krähenfuß vorstellen. Und natürlich sich auch den Fragen des Publikums sowie der wahrscheinlich kontroversen Diskussion stellen.

Rezension zu:
AG Antifa/Antira im Stura der Uni Halle (Hrsg.): Trotz und wegen Auschwitz - Antisemitismus und nationale Identität nach 1945, Münster 2004.

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