Freitag, 19. November 2004

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Ol’ Dirty Bastard ist tot

Ralf Fischer / Junge Welt

Am Samstag verstarb Ol’ Dirty Bastard (O.D.B.), mit bürgerlichem Namen Russell Tyrone Jones in einem New Yorker Musikstudio. Er brach plötzlich zusammen, kurz vorher hatte er über Schmerzen im Brustkorb geklagt. Bei Ankunft des Notarztes war er schon tot – zwei Tage vor seinem 36. Geburtstag. Er hinterläßt 13 Kinder, deren Namen er sich auf die Arme tätowieren ließ.

Nach eigenen Angaben wurde Ol’ Dirty Bastard Mitte der 80er Jahre von Außerirdischen mit einem Ufo nach Brooklyn verfrachtet, um HipHop zu retten. Dies hat er zusammen mit vielen Freunden zumindest zeitweise in den 90ern geschafft. 1991 gründete er gemeinsam mit Robert Diggs aka RZA und Greg Grice aka The Genius den Wu-Tang Clan. Im Laufe der Jahre gesellten sich weitere bekannte Rapper dazu wie Method Man, Raekwon oder Ghosthface Killah. Der Kosmos der Crew drehte sich nicht einfach nur um dicke Beats und fette Reime. Ihre Performance aus asiatischen Styles sowie den dazugehörigen Mythen, unterschiedlichen Weltverschwörungstheorien, Gangstermaskeraden, und einer Menge Drogen machten sie weltberühmt. Wu-Wear wurde zur Trendmarke. Ein Muß für jeden HipHopfan. Die angepeilte Rettung des HipHop stand fast bevor.

Ol’Dirty glaubte, daß er Jesus sei und zwar »Big Baby Jesus«. Man durfte ihn aber auch »Dirt McGirt«, »Dirt Dog« oder »Joe Bananas« nennen. So richtig entscheiden konnte sich O.D.B. nie. Mal hielt er sich für die Wiedergeburt des ägyptischen Totengotts Osiris und dann eher wieder für einen Kämpfer der Shaolin, der das Wu-Tang-Schwert in Kammer 36 erobern möchte. Oder muß?

Viel Phantasie hatte er, Glück eher weniger. Seine Jugend verbrachte er in Brooklyn bei den Jugendgangs der Armen. Für die gibt es nur Musik oder Sport als Weg nach draußen. Der Lieblingssport von O.D.B. war die Vernichtung von Marihuana und noch viel mehr. 2001 wurde er wegen Drogenbesitzes und Flucht aus einer Entziehungsklinik zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Seit seiner Entlassung im letzten Jahr mußte er sich regelmäßig einem gerichtlich verordneten Drogentest unterziehen. Zum Zeitpunkt seines Todes soll er drogenfrei gewesen sein. Da bastelte er gerade zusammen mit Macy Gray an einem neuen Soloalbum. Im Sommer hatte er an der Reunion des Clans in Kalifornien teilgenommen. Es ging wieder los, die Mission fest im Blick. Die Rettung von HipHop war wieder möglich. Bis letzten Samstag. Werkimmanent kann man die Hoffnung hegen, daß er bald wieder auftaucht, und von seinem spektakulären Ausflug ins Weltall, gemeinsam mit seinen Freunden, den Außerirdischen, berichtet, bzw. rappt.

Dienstag, 2. November 2004

Was man merkt

Kunst und Kommerz: In Berlin fand am Wochenende »Pictoplasma« statt – die erste internationale Konferenz über Characters in Trickfilm, Comic und anderswo

Ralf Fischer / Junge Welt

Man kann sie sich kaum merken, die Zehntausenden Figuren und Characters in Trickfilm, Comic, Spielzeugland oder Graffitiwelt. In unseren Breitengraden denken wir recht häufig an die drei glorreichen Paare Lolek und Bolek, Asterix und Obelix oder Tim und Struppi. Variante: die Handpuppe Barbie. Bei denen wissen alle Bescheid, denn sie gehören schon lange zum alten Eisen. Die Konkurrenz ist ebenso massiv und so vielfältig.

Character-Design will etwas Spezielles sein, sogar Kunst. Weder richtig Kommerz noch Non-Profit-orientiert. Auch nicht festgelegt auf das Material. Es kann Stoffpuppe, Animation oder nur Aufkleber oder Streetart sein, eben alles oder nichts. Fast jeder kann mitmachen. Selbst einen Character designen und den dann fast völlig frei umsetzen. Die sehen dann so ähnlich aus wie die vom alten Eisen. Nur haben sich die technischen Möglichkeiten in den letzten Jahren komplett geändert.

Character-Design versucht, selbstbewußt zwischen den beiden unversöhnlichen Polen Kunst und Kommerz eine Mittelposition einzunehmen. Das ist dann trotzdem sehr exklusiv. So wurde »Pictoplasma«, die erste internationale Konferenz zum Thema, die am Wochenende in Berlin stattfand, gefördert von der Kulturstiftung des Bundes, der Schweizer Kultustiftung, dem British Council, dem japanischen Kulturinstitut und von Popzeitungen wie Spex, Style und De:BUG. Es kamen bekannte Streetartaktivisten, Kunststudenten, junge Unternehmer, Künstler und Journalisten. Manche wurden gefeiert wie Popstars: Autogramme und persönliche Zeichnungen, anzufertigen in Menschentrauben, lang anhaltender Applaus für ihre Videoanimationen, alles inklusive im Kino International und dem Cafe Moskau schräg gegenüber in Berlin-Mitte.

Dem Publikum sind geschichtliche Anekdoten zu den Event-Gebäuden nicht wichtig. Kein Grund, Tausende Kilometer Flug zurückzulegen. Die meisten sind zwischen 25 und 35 Jahre alt, modisch gekleidet, weltgewandt. Sie verlangen nach Kunst. Die gezeigten Animationen von Künstlerkollektiven, Einzelpersonen und Character-Design-Firmen waren sehr vielfältig. Durchweg gewitzt, mal bombastisch animiert, dann wieder schlichter, aber nicht unbedingt schlechter und immer sehr schnell, von einem zum nächsten, nicht endlos bunt. Am Freitag hielt die Präsentation der Produktionsfirma der virtuellen Band Gorillas aus England das Publikum in Atem.

Am Samstag demonstrierte unter anderem die holländische Crew The London Police ihre großartigen schwarz-weißen Characters, teilweise live gezeichnet. Einer führt ein, die anderen beiden führten eine Show zwischen Variete, Kabarett und Kunst. Staunen und lachen. Mit ein paar schnellen Handbewegungen ist ein Character von London Police auf einen Gegenstand nach Wahl verewigt, die japanische Firma FuFuri braucht dagegen ein Jahr, um einen Character komplett zu designen. Im bunten Mangastil entwerfen sie Characters, um sie später gewinnbringend zu vermarkten. Zum Beispiel das »Girl Power Manifesto«: Alles grell, alles bunt, alles von und für Girls. In Japan gibt es von ihnen gestaltete T-Shirts, Taschen, Puppen, Zahnbürsten, Videospiel usw., die Zukunft soll auch Lizenzprodukte außerhalb Japans bald auf den Markt bringen.

Der Unterschied ist, daß man die Kunstwerke der London Police und der vielen anderen Aktivisten überall in der Stadt nicht umsonst, aber kostenlos betrachten kann.Es gibt Streetartaktivisten, die die Straßen zupflastern und gleichzeitig versuchen, in Galerien zu verkaufen. Wovon soll man leben? Solche Diskussionen wurden kaum geführt. Der Eintrittspreis zu dieser Veranstaltung betrug 100 Euro.