Samstag, 1. Mai 2004

Die Cowboys sind unterwegs

Eine Liebeserklärung an die radikalsten Street Art-Aktivisten Berlins

Ralf Fischer / Scheinschlag

Wer in die MoMA-Ausstellung gehen möchte, muß neben dem stundenlangen Warten einplanen, nicht zu knapp Eintritt bezahlen zu müssen. Doch zeitgenössische Kunst ist auch kostengünstiger und ohne langes Warten zu besichtigen, und zwar überall in der Stadt. „Street Art" ist das Stichwort, das die vielfältigen Sticker, Poster, Stencils und Graffitis bezeichnet, die sich derzeit in ganz Berlin ausbreiten. Zumeist in den östlichen Innenstadtbezirken und in Kreuzberg, aber zunehmend auch darüber hinaus nimmt sich die neue urbane Kunstform ihren Platz in der Hauptstadt. Durchweg werden strategische Plätze im öffentlichen Raum besetzt und das Medium einfallsreich dem entsprechenden Ort angepaßt. So haften zum Beispiel an Straßenlaternen oder Verkehrsschildern unzählige Sticker, die ihrem eigentlichen Bestimmungszweck als Paketaufkleber entzogen und zu neuen Kommunikationsmitteln umgestaltet wurden. Diese künstlerische Intervention in den Alltag verdrängt sogar zum Teil die häufigen Tags. Doch die Sticker sind nicht die einzige Kunstform der unpolitischen aber auch politischen „Urban Artists".

Von Fäusten, Sechsen und Birds

Street Art ist in Berlin endgültig angekommen seit der Ausstellung über internationale Street Art letztes Jahr im Bethanien. Damals waren aus aller Welt Aktivisten dieser Kunstrichtung hierher gekommen und zeigten über die Ausstellung hinaus überall in der Stadt täglich neue Kunstwerke. Die Entwicklung hält seitdem an.

Die ersten Projekte in diese Richtung brachten Teile der lokalen Graffitiszene bereits Ende der neunziger Jahre hervor. Die Birds/Vögel waren, hauptsächlich im Ostteil der Stadt, die ersten Boten einer neuen Generation von Urban Artists, die über die üblichen Formen hinausgingen. Die damals noch recht schlicht gestalteten Vögel tauchten, schwarz und silbern gesprüht, an vielen Wänden auf und sind teilweise noch heute im Stadtbild zu sehen. Das seinerzeit neue und ungewöhnliche für die Graffiti-Szene war die komplette Abkehr von Buchstaben und die Hinwendung zu einer praktischen Auseinandersetzung, mit dem Anspruch, mehr zu machen als pubertäre Reviermarkierungen.

Es folgten Cats/Katzen, die die Birds zu fressen versuchten; der Sechsen-Maler geht schon seit zehn Jahren den ganzen Tag mit Farbe und Pinsel durch die Innenstadt und malt allerorten seine Sechsen. Genauso wie bei den Birds sind die Geheimnisse seines Erfolges die massive Verbreitung in der Stadt und daß es immer wieder überrascht, wo sie zu finden sind.

Bald tauchten meist zweifarbige Fäuste im Stadtbild auf. Diese werden bis heute überall in unterschiedlichen Formen mittels Sprühdose angebracht. Ob entlang der S-Bahn-Strecke zwischen den Bahnhöfen, an Häuserwänden oder stillgelegten Bauwagen. Durch ihre Optik und die leuchtenden Farben fallen sie in erster Linie auf, politisch wirken sie eher unterschwellig. Dies ist auch so gewollt. Die Subversion durch konkrete Aneignung von öffentlichem Raum und einer attraktiven Optik hat funktioniert: Die Fäuste sind jenseits einer kleinen Szene bekannt, vielen Berlinern sind sie ein Begriff.

Cowboys Crew


Urheber der Fäuste ist die 1995 gegründete Cowboys Crew, auch CBS genannt. Sie ist die wohl bekannteste und ausgefallenste Urban-Artists-Gruppe in Berlin, und das nicht nur wegen der Fäuste. Ihre Palette an Kommunikationsmitteln reicht von selbstgedruckten Aufklebern, Plakaten und Graffitis bis hin zu Wandbildern oder konkreten Aneignungsakten wie vor zwei Monaten auf dem U-Bhf Alexanderplatz, wo eine Kunsttafel ausgetauscht wurde (s. scheinschlag 2/04). Diese Aktion und der damit verbundene Protest gegen einen Kongreß der Werbewirtschaft ist rebel:art, die Schnittstelle zwischen Kultur oder Kunst und Aktivismus. Jene rebellische Kunst, die sich gerne Subversion nennt, ist lange nicht mehr so kontinuierlich und kreativ umgesetzt worden wie von CBS in den letzten Jahren. Sie haben der Stadt erfolgreich ihren Stempel aufgedrückt und dem rebellischen Potential eine neue Ausdrucksform beschert. Daß die Finger, wenn man sie zusammenschließt, zu einer Faust werden, ist lange bekannt, doch noch nie wurde es so schön in der ganzen Stadt kommuniziert.

Die Aktivisten von CBS kommen aus der radikalen Sprüherszene, dem Teil, der auch über den eigenen Tellerrand hinaussieht. Sie sind jung, ungestüm und meist nicht an übermäßigem kommerziellen Erfolg interessiert. Sie haben die Verbindung zwischen Kunst, Widerstand und Kultur natürlich geknüpft, um sich selbst darzustellen. Aber eben auch, um als „Kopfknacker" zu wirken. Sie basteln kleine Gehirnbomben für ihre Umwelt und wollen dabei auch registriert werden. Dazu muß die halbe Stadt mit den eigenen Codes eingedeckt werden, logisch.

Längere Kampagnen sind nichts Außergewöhnliches bei der Cowboys-Crew. So nimmt CBS immer wieder die offenkundige Farce des Parlamentarismus in diesem Lande aufs Korn. Immer aufs neue zu den jeweiligen Wahlen tauchen sie auf: Plakate und Aufkleber, die dazu auffordern, CBS zu wählen. Das ist zwar Kritik ohne Lösungsvorschlag, gerichtet an Menschen, die meist genauso denken, aber wenigstens ist es engagiert und besser als jedes Plakat irgendeiner der zur Wahl stehenden Parteien. Die Visualität der CBS-Wahlkampagnen ist bei weitem origineller als das, was in den Werbeagenturen für die Parteien produziert wird.

rebel:art ­ radikale Kommunikation?

Der öffentliche Raum ist mehr als die Shopping Mall, die öffentlichen Verkehrsmittel oder der Bahnhofsvorplatz. Etwas, das vielen zugänglich ist ­ sei es das Internet, das Schwimmbad, sogar die Wahlkabine ­ ist Teil der Öffentlichkeit, des öffentlichen Raums. Widerstand, Sabotage und Aneignung kann hier überall organisiert und einem breiten Publikum vermittelt werden. Demonstrationen sind ein Mittel, doch ein sehr beschränktes. Wie wäre es, wenn bei den nächsten Wahlen in allen Wahlkabinen Aufkleber von CBS kleben würden? Oder wenn man die Kandidaten auf seinem Wahlzettel durch den Namen CBS ergänzen und sich zu einer persönlichen Liebeserklärung an die Cowboys entscheiden würde statt zur parlamentarischen Wahl.

Der öffentliche Raum, den die Situationisten ebenso wie viele andere linke Subkulturen als sozio-politisches Aktionsfeld und als Milieu zur Rückeroberung der Subjektivität verstanden, ist heute oft Gegenstand von Kunst- oder Designprojekten. Doch es gibt wesentliche Unterschiede etwa zwischen dem Sechsen-Maler und der CBS-Crew.

Während sich beide gezielt öffentlichen Raum aneignen, bleibt der Sechsen-Maler unpolitisch. Er macht einfach Kunst, nicht mehr, aber auch nicht weniger. CBS dagegen visualisiert mit seiner „Art" immer wieder politische Symbole im öffentlichen Raum und regt damit Menschen zum Denken an. Während die politischen Interventionen mittels Innenstadtaktionen und -kampagnen Mitte der neunziger Jahre schon lange verebbt sind, kann die derzeitige positive Entwicklung der Urban Art ein kleiner Hoffnungsschimmer für die Zukunft sein. Es ist die kreativste und praktischste Form von Aneignung innerhalb der derzeitigen Phase des Kapitalismus und kann wichtige Impulse in die undogmatische Linke ausstrahlen. „Die Stadt gehört uns", meinte schon Ende der neunziger Jahre nicht Hausbesetzungen, sondern die Aneignung des gesamten sozio-kulturellen Komplexes Stadt, und die unzähligen grauen Wände gehören nun mal auch dazu.

Gerade unter der Voraussetzung, daß sich mit der Visualisierung der Warenwelt die Erzeugung von Werten zunehmend in ihrer Rezeption vollzieht, besteht die Chance für politische Street Art, die Wertschöpfungsmechanismen zwar nicht auf Dauer zu durchbrechen, aber doch für eigene Zwecke umzufunktionieren. Im Idealfall wird die hegemoniale Bedeutungsproduktion sabotiert, und es entstehen kurzfristig Territorien der divergenten Erzeugung symbolischer Gebrauchswerte.

Für diejenigen, für die das alles viel zu politologisch ist, bleibt ein anderes, knapperes Fazit: Der aufmerksame Gang durch die Straßen von Berlin ersetzt zwar nicht den Besuch des MoMA, verschafft aber mindestens genausoviel Genuß und Muße. Und natürlich ist er umsonst!