Mittwoch, 28. April 2004

Häuserkampf in Teltow

In dem brandenburgischen Ort Teltow-Seehof wehren sich viele Bewohner gegen die Rückgabe ehemals »arisierten« Eigentums. 

Ralf Fischer / Jungle World

Im sonst verschlafenen und beschaulichen Teltow-Seehof am Rande Berlins war am vorigen Samstag die Idylle getrübt. Rund 70 Antifas demonstrierten gegen die Vorgänge in dem Ort und sahen sich wüsten Beschimpfungen ausgesetzt. Einige junge, kurzhaarige Jugendliche brüllten der Demonstration entgegen: »Ihr Juden!« und »Ausländer raus!« Andere Dorfbewohner fragten: »Wer hat euch bezahlt?« Einem Mann missfiel die von Demonstranten gezeigte Israelfahne und er rief: »Aber ihr habt doch die Atombombe!«
Schon im Vorfeld der Demonstration waren die Gemüter in dem Ort äußerst erregt. Den PDS-Kreisverband Potsdam-Mittelmark empörte das Vorhaben der Antifas derart, dass er sich genötigt sah, die Organisatoren aufzufordern, »die beabsichtigte Demo abzusagen und sich bei den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern für die pauschale Verurteilung als Antisemiten zu entschuldigen«.

Worum geht es in Teltow-Seehof? Im Jahr 1872 kauften die jüdischen Brüder Albert und Max Sabersky das Gut Seehof. Mit der Übergabe der Macht an die Nationalsozialisten im Jahr 1933 war Schluss für die Saberskys. Angesichts von Verordnungen, die eine landwirtschaftliche Nutzung des Bodens durch Juden unmöglich machten, blieb ihnen nichts anderes übrig, als das Land im Oktober 1933 zu parzellieren und unter Aufsicht als Bauland zu verkaufen. Der Verkauf und die spätere Sperrung der Konten der Saberskys geschahen im Rahmen der »Arisierungen«.


Nach dem Krieg sah sich auch die DDR nicht verpflichtet, den Opfern dieser »Arisierungen« ihr Eigentum zurückzugeben. 16 Millionen Antifaschisten hatten sich eben für nichts zu entschuldigen und erst recht niemanden zu entschädigen.

Als der Realsozialismus zusammenbrach, verlangten im Jahr 1991 die Erben der Saberskys die Rückübertragung der enteigneten Grundstücke. Seitdem dauert der Rechtsstreit an. Die Rückgabe wurde mehrmals abgelehnt, bis der Fall schließlich vor das Bundesverwaltungsgericht kam. Es nahm die gesetzliche Vorgabe, dass bei »Veräußerungen eines Vermögensgegenstandes in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945« von einem »verfolgungsbedingten Vermögensverlust« auszugehen sei, beim Wort und ordnete die Rückübertragung eines Grundstücks an.

Nach dem gleichen Muster wird nun wohl in den verbliebenen rund 700 Fällen in Teltow-Seehof entschieden. Einen von den Erben angebotenen Vergleich, den Anspruch auf die Grundstücke für einen Bruchteil des Wertes abzutreten, nahmen etwa 200 Teltower an, der Rest fühlt sich im Recht und hofft auf die deutsche Justiz.

Seit dem Rechtsstreit mit den Erben der Saberskys stilisieren sich einige Bürger zu Opfern eines unfassbaren Schicksalsschlages. Fast erinnert der Vorgang an die Ereignisse in dem Städtchen Gollwitz im Jahre 1997. In dem brandenburgischen Ort wehrte sich damals die Dorfgemeinschaft gegen den Zuzug jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion und fühlte sich von den Medien ungerecht behandelt.

Die Märkische Allgemeine Zeitung dokumentiert seit einiger Zeit das Unbehagen der Parzellenkämpfer ostdeutscher Prägung in Teltow-Seehof. So würden viele Dorfbewohner beklagen, dass die »Keule Antisemitismus« ausgepackt werde. Teltow-Seehof jedenfalls könne »nicht mehr ruhig schlafen«, sagte ein Dorfbewohner der Zeitung, überhaupt ergäben sich da gewisse Parallelen zu anderen, aktuellen Untaten der Juden. »Was die in Israel mit den Palästinensern machen, machen sie hier mit uns«, zitierte die Berliner Morgenpost einen Dorfbewohner.

Traudel Herrmann, die gleichzeitig Vorsitzende der Bürgerinitiative der vertreibungsbedrohten Hausbesitzer und PDS-Mitglied ist, präsentierte schon vor Jahren bereitwillig, was sie »als Kommunistin« zu dem Sachverhalt zu sagen hat: »Die Saberskys waren Schmarotzer, weil sie Grund und Boden zu Spottpreisen aufkauften und später teuer weiterverkauften.« (konkret, 8/98)


Thomas Schmid (SPD), der Bürgermeister des Ortes, sah in der Demonstration vom Wochenende »eine einzige Provokation« und sann darüber nach, ob es nicht möglich sei, rechtlich gegen die Organisatoren der Demonstration vorzugehen, weil Teile der Bevölkerung Seehofs von den Antifas als antisemitisch bezeichnet worden seien. Die PDS Potsdam-Mittelmark warf den Antifas in der oben erwähnten Erklärung vor: »In völliger Verkennung der historischen und gesetzgeberischen Tatsachen macht sich die Antifa-Bewegung jetzt zum Handlanger einer bundesdeutschen Politik, die dieses neue Unrecht verursacht hat.« Mit Unrecht ist hier allerdings nicht die »Arisierung« jüdischen Eigentums gemeint, sondern das nach der Wiedervereinigung geltende Prinzip »Rückgabe vor Entschädigung«.

Die Mehrheit in Teltow-Seehof, unabhängig von parteipolitischen Einstellungen, steht dem Versuch entgegen, wenigstens einen Teil des Unrechts »wiedergutzumachen«. Die Stadtverordnetenversammlung rief die Seehofer in der vorigen Woche auf, »sich von selbst ernannten Demonstranten gegen Antisemitismus nicht provozieren zu lassen«. Die Stadtverordneten würden weiterhin versuchen, verträgliche Lösungen für alle Beteiligten zu finden. Das Vorgehen der Antifas sei »frei von jeder Sachkenntnis und ersichtlich auf Diskriminierung und Krawall ausgelegt«, sagte der Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung, Rolf-Dieter Bornschein.

Zum Krawall kam es am Samstag jedoch nicht, wohl auch dank der Polizei, die die Demonstranten und die aufgebrachten Bürger vorsorglich voneinander entfernt hielt. Christina DeClerq von der Antifa Nordost, die die Demonstration organisiert hatte, sagte, die Reaktion der Bevölkerung habe gezeigt, wie »wie wichtig und richtig« es gewesen sei, in Teltow-Seehof zu demonstrieren. Nach der Demonstration kehrte schnell wieder Ruhe ein in dem Ort, der irgendwie so ist wie viele andere in diesem Land.