Sonntag, 12. Dezember 2004

"Ein Abgrund an Aufklärungsverrat"

Über die Befindlichkeiten der deutschen sowie österreichischen Linken, sowie Irrwege bei Bündnis- und Gedenkpolitik in Zeiten der Regression.

 

Ralf Fischer / hagalil.com


Stephan Grigat ist Lehrbeauftragter für Politikwissenschaft an der Universität Wien und arbeitet als freier Autor in Tel Aviv. Er gehört zur Gruppe "Café Critique" und ist unter anderem Herausgeber des im Freiburger ça ira-Verlag erschienenen Sammelbandes "Transformation des Postnazismus. Der deutsch-österreichische Weg zum demokratischen Faschismus."

R.F.: Sie waren auf der Konferenz "Antisemitismus in der deutschen Linken" der Hans Böckler Stiftung Ende November 2004 in Berlin Referent zum Thema "Nahost-Konflikt und deutsche Linke." Ihre Debatte mit der Berliner Journalistin Elfriede Müller auf der Konferenz war für viele Teilnehmer einer der emotionalen Highlights. Können sie sich erklären wieso das Thema so gefühlsbetont diskutiert wird? Und welche Reflexe sind dabei besonders in der Linken immer wieder zu beobachten?

S.G.: Wenn das Podium mit Elfriede Müller und mir von vielen Teilnehmern als "emotionales Highlight" gesehen wurde, zeigt das nur, daß es auch diesen Teilnehmern nicht um Inhalte und Kritik ging, sondern um Politshow. Für meinen Teil würde ich in Anspruch nehmen, daß ich nicht sonderlich "gefühlsbetont" diskutiert habe, ja daß ich über vieles gar nicht diskutiert habe, da es, wie ich gleich eingangs bei meinem Referat festgestellt hatte, nicht möglich ist, über die Rationalisierung antisemitischen Massenmordes, die sich in dem Dossier "Schuld und Erinnerung" von Elfriede Müller und anderen (1) findet, Argumente auszutauschen. Mir ging es darum, darzustellen, warum man darüber keine wissenschaftliche Debatte führen kann, und aufzuzeigen, wie solch ein aufgeklärt daherkommender Antizionismus funktioniert. Elfriede Müller hat darauf tatsächlich reflexhaft reagiert, indem sie mit den obligatorischen Schlagworten um sich geworfen hat, die für das Ressentiment gegenüber antideutscher Kritik charakteristisch sind: "Projektion", "Identifikation", "NS-Relativierung", "Rassismus" und - besonders dumm und ekelhaft - "deutsche Schuldabwehr".

Diese Schlagworte klingen toll, auch irgendwie kritisch und kommen bei vielen Linken gut an, da sie einem die Mühe ersparen, sich beispielsweise mit der argumentativen Begründung dafür auseinander zu setzen, warum ganz bewußt, jenseits von Provokation und Polemik, in der antideutschen Kritik Begriffe wie "islamistische Nazis" oder "Ummasozialismus" verwendet werden. Letzeres ist übrigens ein Begriff, der meiner Einschätzung nach zur Charakterisierung der djihadistischen Mordbrennerei sowohl in Anlehnung als auch in Abgrenzung zu ihrem nationalsozialistischen Vorbild besonders gut geeignet ist. Die notwendige Diskussion über die richtige Begrifflichkeit in der Auseinandersetzung mit dem Islamismus ist ja keineswegs abgeschlossen. Wie sollte sie auch? Schließlich ist das ein Phänomen, mit dem sich Kommunisten und Linke erst seit einer vergleichsweise kurzen Zeit beschäftigen. Die erwähnten Schlagworte sind aber gerade kein Beitrag zu solch einer Diskussion, sondern zeugen vom Unwillen, eine solche zu führen.

Sie sind viel in Österreich und Deutschland unterwegs. Können sie Unterschiede zwischen der Linken in Deutschland und Österreich ausmachen? Gibt es überhaupt welche?

In Österreich finden viele Entwicklungen mit einiger Verzögerung statt. Auch in der Linken. Was die Kollegen von der Initiative Sozialistisches Forum aus Freiburg bei der deutschen Linken diagnostiziert haben, zeigt sich aber ebenso deutlich bei der österreichischen: ein Abgrund an Aufklärungsverrat. Dieser Verrat, der sich unter anderem darin ausdrückt, daß man viel von Betroffenheit redet, Gesinnungsnachweise veröffentlicht und hochmoralische Bekenntnisse von sich gibt, aber keinen materialistischen Begriff von der Sache entwickelt, die es zu kritisieren gilt, macht sich in letzter Zeit leider auch bei jenen Linken bemerkbar, die man in den letzten Jahren nach endlosen Diskussionen immerhin soweit gebracht hatte, daß sie mit Israelsolidarität irgendetwas anfangen konnten.

Wohin das noch führen wird, läßt sich im Augenblick nicht abschätzen. Ich denke, daß sich in solchen Entwicklungen sowohl in Österreich als auch in Deutschland zeigt, daß es auch in der israelsolidarischen Linken einen noch aus Auseinandersetzungen vom Beginn der neunziger Jahre herrührenden Gramcsianismus und Althusserianismus gibt. Die taugen zum einen gut dazu, entgegen den eigenen Einsichten an einem linken Politizismus und einem positiven Bezug auf die linke Szene festzuhalten; zum anderen dienen sie, insbesondere wenn sie sich unkritisch auf die Diskussionen über kulturalistischen und differentialistischen Rassismus von vor rund fünfzehn Jahren beziehen und dabei so tun, als hätte sich seit dem nichts Wesentliches verändert, zu einer "antirassistisch" daherkommenden Relativierung der Islamismuskritik.

Bei dieser Islamismuskritik wäre es im übrigen auch sinnvoll, wenn bei den Debatten in der Bundesrepublik stärker zur Kenntnis genommen würde, daß sich das Verhältnis von Mehrheitsgesellschaft und Islam nicht in allen Ländern so entwickelt hat wie in Deutschland. In Österreich beispielsweise existiert durchaus ein gesellschaftlich relevanter antiarabischer Rassismus, der sich des Ressentiments gegenüber dem Islam bedient, etwas also, das in Deutschland insbesondere in den Medien mittlerweile in sehr viel geringerem Ausmaß existiert als die meisten Linken behaupten - was aber nicht heißt, daß es so etwas in Deutschland nun überhaupt nicht mehr gibt. In Österreich mit seinem politischen Katholizismus und dem eher antiquiert-rassistischen Anhang der FPÖ ist die Situation diesbezüglich von jener in der BRD jedenfalls zu unterscheiden.

Ich habe den Eindruck, daß die jeweils andere Lage weder in der deutschen noch in der österreichischen Linken reflektiert wird. Zur Kritik des Rassismus, sei es eines rot-grünen, multikulturell-kulturrelativistischen und offen islamfreundlichen, sei es eines traditionalistischen, auf das christliche Abendland pochenden, braucht man allerdings weder den aufgeblasenen Begriffsapparat poststrukturalistischer Theoriebildung, noch neoalthusserianische Rassismusstudien und schon gar nicht eine identitätspolitische Selbstbezüglichkeit, welche die moralische Dignität des eigenen Handelns auf Podien und in Texten permanent zur Schau stellt, sondern man braucht einen aus der Kritik der politischen Ökonomie zu entwickelnden materialistischen Rassismusbegriff - so ziemlich das Gegenteil von political correctness also.

Die Polarisierung zwischen sogenannten Antideutschen und Antiimperialisten wird häufig als triftiger Grund vorgeschoben, weshalb es sich nicht ziemt den weitverbreiteten Antizionismus in der Linken zu thematisieren und kritisieren. Die Einheitsfront gegen den organisierten Neonazismus soll nicht gespalten werden. Die Vertreter dieser Strategie behaupten aus den Fehlern der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts gelernt zu haben. Ist dies die richtige Lehre aus dem Nationalsozialismus? Kritik zurückzustecken, um mehr Menschen zu erreichen?

Wie soll man mit Freunden und Unterstützern des islamistischen und panarabischen Judenmordens gegen Nazis demonstrieren? Das ist mir unbegreiflich. In Österreich, auch dies ein Unterschied zu Deutschland, ist die Antifa recht stark von trotzkistischen Gruppen geprägt, von denen einige ganz offen die Zusammenarbeit mit Hamas oder Hisbollah propagieren und sich mit den baathistischen und islamistischen Killern im Irak solidarisieren. Da kann es keine Gemeinsamkeiten geben.

Auch antideutsche Gruppen arbeiten ja in breiten Bündnissen, z.B. mit zivilgesellschaftlichen Gruppen zusammen. Welche Maßstäbe sind ihrer Meinung nach für eine emanzipatorische Politik in der Bündnisarbeit anzusetzen?

Ich weiß nicht, was "emanzipatorische Politik" ist. Es geht um Kritik. Und bei der gibt es auch in einer Zusammenarbeit keine inhaltlichen Abstriche. Wenn man notwendige Dinge macht, auch mit Menschen zusammen, die einen anderen Begründungszusammenhang für ihre Tätigkeit haben, braucht man das nicht mit so hochtrabenden Etiketten wie "Bündnispolitik" oder "Bündnisarbeit" zu versehen und womöglich im Sinne einer "politischen Strategie" zu theoretisieren. Wenn es möglich ist, mit irgendwelchen Demokratieidealisten, Staatsfetischisten und Ausbeutungsapologeten jemanden daran zu hindern, antisemitische Propaganda zu verbreiten, soll man das natürlich machen. Nur ist das kein Grund, denen ihren Demokratieidealismus und Staatsfetischismus oder ihre Ausbeutungsapologie durchgehen zu lassen.

Aber das sind solche Selbstverständlichkeiten, daß ich immer das Gefühl habe, es geht bei diesen Fragen nach "Bündnissen", "Politik machen", "Strategie und Taktik" um ganz andere Dinge. Es kommt immer darauf an, die materialistische Kritik stark zu machen, also für den Kommunismus zu agitieren, was die Solidarisierung mit Israel impliziert. Letzteres tritt der kommunistischen Kritik ja nicht als Akzidentielles hinzu, sondern ist die zwingende Konsequenz aus der Kritik der politischen Ökonomie. Das zu betonen, ist auch in Debatten über die Gründe für den linken Antisemitismus notwendig. Man kann sich mit manchen Vertretern der sogenannten "Zivilgesellschaft" heute schnell darauf verständigen, daß maßgebliche Teile der Linken üble Israelhasser sind. Die Frage ist aber ja, warum das so ist. Und da gilt es deutlich zu machen, daß der linke Antisemitismus, daß das mal indifferente, mal von Mißtrauen geprägte, mal haßerfüllte Verhalten der Linken gegenüber Israel nicht aus der Radikalität ihrer Gesellschaftskritik resultiert, sondern aus einem Mangel an Radikalität. Der linke Antisemitismus resultiert nicht aus dem Marxschen Denken, sondern aus dem Desinteresse großer Teile der Linken gegenüber der Marxschen Kritik.

Es ist ja schön, wenn ein TAZ-Redakteur wie Philipp Gessler ein Büchlein über Antisemitismus schreibt, und endlich auch den Antisemitismus bei Linken und Migranten thematisiert. Aber solche Leute kommen über reine Empirie natürlich nicht hinaus und verbreiten dementsprechend auch jede Menge Blödsinn. Wenn Gessler beispielsweise auf der Böckler-Tagung Marx' Schrift "Zur Judenfrage" als "antisemitische Hetzschrift" tituliert, sagt das viel über das theoretische Niveau des linksliberalen Journalismus aus, wenig aber über die Gründe für einen linken Antisemitismus. Es ginge ja darum zu erklären, warum der junge Marx sich in einem Text, der sich gerade gegen eine antisemitische Hetzschrift wendet, antisemitischer Sterotypen bedient. Das Instrumentarium für diese Erklärung findet sich aber nicht in der TAZ oder bei irgendwelchen zivilgesellschaftlichen Initiativen, sondern in der entfalteten Marxschen Kritik der politischen Ökonomie.

Aktuell ist zu beobachten, dass das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus mit dem Gedenken an die Täter, weil sie zum Beispiel während der Nachkriegszeit in sowjetischer Gefangenschaft waren oder als Zivilbevölkerung aus den besetzten Gebieten vor den vorrückenden Alliierten flohen, in eins gesetzt wird. Fehlt es hier nur an der entsprechenden Aufklärung oder handelt es sich eher um den altbekannten Geschichtsrevisionismus?

Es handelt sich um die aktuelle Artikulation des postnazistischen Bewußtseins, um deutsche Ideologie auf der Höhe der Zeit, die ein Leugnen der deutschen Verbrechen nicht mehr nötig hat. Der deutsche Opferdiskurs (hier scheint mir dieses poststrukturalistische Unwort ausnahmsweise angebracht) ist nichts anderes als die Vorbereitung neuer Verbrechen mit den Mitteln der Gedenkkultur.

Was erwarten Sie von den im nächsten Jahr anstehenden 60. Jahrestagen der Befreiung vom Nationalsozialismus, den unterschiedlichen Zeremonien im Gedenken an die Opfer der Shoah? Können diese zur Verwirklichung des Diktums Adornos 'das Auschwitz sich nie wieder wiederhole' beitragen?

Soweit es sich dabei um staatspolitische Veranstaltungen in Deutschland handelt, geht es um Antifaschismus zum Wohle des Rechtsnachfolgers des Dritten Reiches, also um die Wiedergutmachung Deutschlands. Dem Adornoschen Imperativ, alles Handeln so einzurichten, daß Auschwitz sich nicht wiederhole, nichts ähnliches geschehe, kann letztlich nur entsprochen werden, wenn man sich dem Marxschen Imperativ verpflichtet fühlt, alle Verhältnisse umzustürzen.

Solange letzteres keine Aussicht auf Erfolg hat, gilt es, kritische Theorie als entfaltetes Existenzialurteil zu betreiben und an einem materialistisch zu interpretierenden zionistischen kategorischen Imperativ festzuhalten: alles zu tun, um die Möglichkeiten reagierender und präventiver Selbstverteidigung des Staates der Shoahüberlebenden aufrecht zu erhalten.

Vielen Dank für das Gespräch.


Anmerkungen:

(1) Jungle World Dossier "Schuld und Erinnerung"

Freitag, 19. November 2004

Return to sender

Ol’ Dirty Bastard ist tot

Ralf Fischer / Junge Welt

Am Samstag verstarb Ol’ Dirty Bastard (O.D.B.), mit bürgerlichem Namen Russell Tyrone Jones in einem New Yorker Musikstudio. Er brach plötzlich zusammen, kurz vorher hatte er über Schmerzen im Brustkorb geklagt. Bei Ankunft des Notarztes war er schon tot – zwei Tage vor seinem 36. Geburtstag. Er hinterläßt 13 Kinder, deren Namen er sich auf die Arme tätowieren ließ.

Nach eigenen Angaben wurde Ol’ Dirty Bastard Mitte der 80er Jahre von Außerirdischen mit einem Ufo nach Brooklyn verfrachtet, um HipHop zu retten. Dies hat er zusammen mit vielen Freunden zumindest zeitweise in den 90ern geschafft. 1991 gründete er gemeinsam mit Robert Diggs aka RZA und Greg Grice aka The Genius den Wu-Tang Clan. Im Laufe der Jahre gesellten sich weitere bekannte Rapper dazu wie Method Man, Raekwon oder Ghosthface Killah. Der Kosmos der Crew drehte sich nicht einfach nur um dicke Beats und fette Reime. Ihre Performance aus asiatischen Styles sowie den dazugehörigen Mythen, unterschiedlichen Weltverschwörungstheorien, Gangstermaskeraden, und einer Menge Drogen machten sie weltberühmt. Wu-Wear wurde zur Trendmarke. Ein Muß für jeden HipHopfan. Die angepeilte Rettung des HipHop stand fast bevor.

Ol’Dirty glaubte, daß er Jesus sei und zwar »Big Baby Jesus«. Man durfte ihn aber auch »Dirt McGirt«, »Dirt Dog« oder »Joe Bananas« nennen. So richtig entscheiden konnte sich O.D.B. nie. Mal hielt er sich für die Wiedergeburt des ägyptischen Totengotts Osiris und dann eher wieder für einen Kämpfer der Shaolin, der das Wu-Tang-Schwert in Kammer 36 erobern möchte. Oder muß?

Viel Phantasie hatte er, Glück eher weniger. Seine Jugend verbrachte er in Brooklyn bei den Jugendgangs der Armen. Für die gibt es nur Musik oder Sport als Weg nach draußen. Der Lieblingssport von O.D.B. war die Vernichtung von Marihuana und noch viel mehr. 2001 wurde er wegen Drogenbesitzes und Flucht aus einer Entziehungsklinik zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Seit seiner Entlassung im letzten Jahr mußte er sich regelmäßig einem gerichtlich verordneten Drogentest unterziehen. Zum Zeitpunkt seines Todes soll er drogenfrei gewesen sein. Da bastelte er gerade zusammen mit Macy Gray an einem neuen Soloalbum. Im Sommer hatte er an der Reunion des Clans in Kalifornien teilgenommen. Es ging wieder los, die Mission fest im Blick. Die Rettung von HipHop war wieder möglich. Bis letzten Samstag. Werkimmanent kann man die Hoffnung hegen, daß er bald wieder auftaucht, und von seinem spektakulären Ausflug ins Weltall, gemeinsam mit seinen Freunden, den Außerirdischen, berichtet, bzw. rappt.

Dienstag, 2. November 2004

Was man merkt

Kunst und Kommerz: In Berlin fand am Wochenende »Pictoplasma« statt – die erste internationale Konferenz über Characters in Trickfilm, Comic und anderswo

Ralf Fischer / Junge Welt

Man kann sie sich kaum merken, die Zehntausenden Figuren und Characters in Trickfilm, Comic, Spielzeugland oder Graffitiwelt. In unseren Breitengraden denken wir recht häufig an die drei glorreichen Paare Lolek und Bolek, Asterix und Obelix oder Tim und Struppi. Variante: die Handpuppe Barbie. Bei denen wissen alle Bescheid, denn sie gehören schon lange zum alten Eisen. Die Konkurrenz ist ebenso massiv und so vielfältig.

Character-Design will etwas Spezielles sein, sogar Kunst. Weder richtig Kommerz noch Non-Profit-orientiert. Auch nicht festgelegt auf das Material. Es kann Stoffpuppe, Animation oder nur Aufkleber oder Streetart sein, eben alles oder nichts. Fast jeder kann mitmachen. Selbst einen Character designen und den dann fast völlig frei umsetzen. Die sehen dann so ähnlich aus wie die vom alten Eisen. Nur haben sich die technischen Möglichkeiten in den letzten Jahren komplett geändert.

Character-Design versucht, selbstbewußt zwischen den beiden unversöhnlichen Polen Kunst und Kommerz eine Mittelposition einzunehmen. Das ist dann trotzdem sehr exklusiv. So wurde »Pictoplasma«, die erste internationale Konferenz zum Thema, die am Wochenende in Berlin stattfand, gefördert von der Kulturstiftung des Bundes, der Schweizer Kultustiftung, dem British Council, dem japanischen Kulturinstitut und von Popzeitungen wie Spex, Style und De:BUG. Es kamen bekannte Streetartaktivisten, Kunststudenten, junge Unternehmer, Künstler und Journalisten. Manche wurden gefeiert wie Popstars: Autogramme und persönliche Zeichnungen, anzufertigen in Menschentrauben, lang anhaltender Applaus für ihre Videoanimationen, alles inklusive im Kino International und dem Cafe Moskau schräg gegenüber in Berlin-Mitte.

Dem Publikum sind geschichtliche Anekdoten zu den Event-Gebäuden nicht wichtig. Kein Grund, Tausende Kilometer Flug zurückzulegen. Die meisten sind zwischen 25 und 35 Jahre alt, modisch gekleidet, weltgewandt. Sie verlangen nach Kunst. Die gezeigten Animationen von Künstlerkollektiven, Einzelpersonen und Character-Design-Firmen waren sehr vielfältig. Durchweg gewitzt, mal bombastisch animiert, dann wieder schlichter, aber nicht unbedingt schlechter und immer sehr schnell, von einem zum nächsten, nicht endlos bunt. Am Freitag hielt die Präsentation der Produktionsfirma der virtuellen Band Gorillas aus England das Publikum in Atem.

Am Samstag demonstrierte unter anderem die holländische Crew The London Police ihre großartigen schwarz-weißen Characters, teilweise live gezeichnet. Einer führt ein, die anderen beiden führten eine Show zwischen Variete, Kabarett und Kunst. Staunen und lachen. Mit ein paar schnellen Handbewegungen ist ein Character von London Police auf einen Gegenstand nach Wahl verewigt, die japanische Firma FuFuri braucht dagegen ein Jahr, um einen Character komplett zu designen. Im bunten Mangastil entwerfen sie Characters, um sie später gewinnbringend zu vermarkten. Zum Beispiel das »Girl Power Manifesto«: Alles grell, alles bunt, alles von und für Girls. In Japan gibt es von ihnen gestaltete T-Shirts, Taschen, Puppen, Zahnbürsten, Videospiel usw., die Zukunft soll auch Lizenzprodukte außerhalb Japans bald auf den Markt bringen.

Der Unterschied ist, daß man die Kunstwerke der London Police und der vielen anderen Aktivisten überall in der Stadt nicht umsonst, aber kostenlos betrachten kann.Es gibt Streetartaktivisten, die die Straßen zupflastern und gleichzeitig versuchen, in Galerien zu verkaufen. Wovon soll man leben? Solche Diskussionen wurden kaum geführt. Der Eintrittspreis zu dieser Veranstaltung betrug 100 Euro.

Mittwoch, 1. September 2004

Gegen Neonazi-Strukturen und Asylpolitik


In brandenburgischen Hennigsdorf bei Berlin wird am Freitag, den 03. September, um 18 Uhr gegen Rassismus demonstriert. Die InitiatorInnen der Demo erzählen im Interview, warum sie dies zum dritten Mal für nötig erachten und wie sich die lokale rechtsextreme Szene entwickelt. 

Ralf Fischer Anna Blume / Mut gegen rechte Gewalt


Milena Hildebrandt und Stefan Tschirswitz sind zwei der Organisatoren und Organisatorinnen der diesjährigen Antirassismusdemo in Hennigsdorf.

Wie würdet Ihr die Situation in Hennigsdorf beschreiben?

Milena: Auch wenn die Nazis hier keine festen Treffpunkte haben, gibt es trotzdem eine nicht zu unterschätzende Gefahr, Opfer von Übergriffen zu werden. So kann es schon mal passieren, dass zwei Nazis an dir vorbei fahren und sich spontan entschließen, dir auf die Fresse zu hauen. Auch wird man öfter angepöbelt und bespuckt. Dies passiert besonders häufig auf Rummeln und in Hennigsdorf Nord. Speziell Nord kann aufgrund seines rauen Klimas als Angstzone beschrieben werden, die von potentiellen Opfern gemieden wird.

Stefan: Nichts desto trotz muss man sagen, dass die Rechten im öffentlichen Raum weniger präsent sind als im Vorjahr. Dies liegt aber weniger an einem "Umdenken", sondern eher an einem Strategiewechsel. Sie legen momentan mehr wert auf Propaganda. So wurden im Juni diesen Jahres hier erstmals Flugblätter mit rassistischen Inhalten verteilt und antisemitische Parolen gesprüht.

Am Stadtrand Hennigsdorfs liegt das Asylbewerberheim Stolpe Süd. Durch welche äußeren Bedingungen ist das Leben der Menschen dort gekennzeichnet? 

Milena: Zum einen bekommen Asylbewerber kein Bargeld, sondern sogenannte Gutscheine, die einem Wert von 70 bis 80% des Sozialhilfesatzes entsprechen. Mit ihnen müssen sie so gut wie alle ihrer Ausgaben in speziellen, meist teureren Läden bestreiten. Asylbewerber bekommen lediglich 40 Euro Taschengeld pro Monat in bar, dass sie in Läden ihrer Wahl für Dinge ihrer Wahl ausgeben können. Zum anderen leiden sie unter der, in Oberhavel besonders hart durchgesetzten, Residenzpflicht. Diese besagt, dass sie den Landkreis nicht ohne Genehmigung verlassen dürfen. Die wird aber vom Landratsamt nur bei Anwaltstermine oder Arztbesuchen erteilt. 

Neben der Asylpolitik werdet ihr auf der Demo den Naziladen "On the streets" thematisieren. Welche Rolle spielt er eurer Meinung nach für die rechte Szene in Hennigsdorf? 

Stefan: Der Besitzer des Ladens ist Lars Georgi. Dieser betreibt neben dem neonazistischem TTV-Versand das Label Wotan-Records, das Bands wie Spreegeschwader vermarktet. Zufälligerweise arbeitet der Sänger dieser Band - Alexander Gast - im Laden. Durch den Vertreib von neonazistischen Marken wie Masterrace Europe, den Verkauf rechter CDs und das Stellen von Räumlichkeiten für rechtsradikale Treffen bietet der Laden die Struktur, die für die Etablierung und Stärkung einer rechtsradikalen Szene notwendig ist. 

Ihr habt schon im Vorjahr eine Demo zur Asylpolitik und dem Laden "On the streets" gemacht. Was hat sich seitdem verändert und was hat euch bewogen, diese Demo zu wiederholen? 

Milena: Zwar war die Resonanz auf die letzte Demo äußerst positiv und es wurde eine zivilgesellschaftliche Initiative für eine öffentliche Kampagne gegen den Laden gestartet, aber trotzdem hat sich an der Situation der Asylbewerber, dem Alltagsrassismus und dem Problem mit den Nazi-Strukturen vor Ort kaum etwas verändert. 

Stefan: Wir fordern von den Politikern vor Ort nicht nur verbale sondern auch strukturelle bzw. finanzielle Unterstützung und schließlich politische Konsequenzen, die sich aus der Situation vor Ort ergeben, da dies bis jetzt nicht geschehen ist, demonstrieren wir dieses Jahr wieder.

Die 3. Antirassismus-Demonstration startet am Freitag, dem 3. September 2004 um 18 Uhr am KZ-Denkmal am Bahnhof Hennigsdorf.

Donnerstag, 8. Juli 2004

Antifa Oranienburg ruft zur Demonstration auf

Erinnerung an Erich Mühsam und aktueller Widerstand gegen neofaschistische Umtriebe

Ralf Fischer / Neues Deutschland


Anlässlich des 70. Jahrestages der Ermordung von Erich Mühsam ruft ein Bündnis von Antifagruppen aus Berlin und Brandenburg am kommenden Sonnabend zu einer Demonstration in Oranienburg auf. Man möchte aber nicht nur an den Dichter und Anarchisten erinnern, sondern auch neofaschistischen Umtrieben in Oranienburg offensiv entgegentreten. Das scheint dringend nötig zu sein. Dass in Oranienburg unterschiedlichste Strukturen der extremen Rechten aktiv sind, verrät schon ein kurzer Spaziergang durch die Stadt. Die Propaganda der lokalen Kameradschaft sowie der NPD pappt hier und da. Der Bahnhof, der Schlosspark und die Stadtfeste sind nach Angaben der örtlichen Antifagruppe regelmäßig durch rechte Cliquen und teilweise bekannte Neonazis besetzt. Die hiesige NPD ist in letzter Zeit mit Plakaten, Aufklebern und Infoständen massiv in Erscheinung getreten. Als im Januar im Gebäude des Forums gegen Rassismus und rechte Gewalt eine Informationsveranstaltung zur rechtsextremen Organisation Märkischer Heimatschutz (MHS) stattfand, versuchten 30 Personen aus dem Kameradschaftsspektrum, die Veranstaltung zu stören.

Die Geschichte mahnt »Schweigen ist Gold – Reden Oranienburg«. Dieser Spruch war 1933 rund um Berlin weit verbreitet. Er drückte die Angst vor dem KZ Oranienburg aus. Dorthin brachten die Faschisten einen Monat nach dem Reichstagsbrand die ersten Gefangenen – im Rahmen eines Fackelmarsches der SA und unter der begeisterten Teilnahme vieler Bürger.

Als Mitte 1934 die SS die Führung im KZ Oranienburg übernahm, verschärften sich die Haftbedingungen noch einmal drastisch. Willkürliches Verprügeln, Dunkelhaft in den Steinsärgen der alten Brauerei und Zwangsarbeit bis zur totalen körperlichen Erschöpfung wurden zur Regel. Im Zuge dieser verschärften Maßnahmen wurde auch Erich Mühsam am 10. Juli 1934 von den SS-Wachmännern ermordet.

1878 geboren, gehörte Mühsam 1919 in Bayern zu den Anführer der Arbeiterrevolution und der kurzlebigen Münchner Räterepublik. Nachdem diese militärisch niedergeschlagen wurde, kämpfte er in der Roten Hilfe für die Freilassung politischer Gefangener. 1925 schloss ihn die KPD wegen seiner Kontakte zur Föderation Kommunistischer Anarchisten Deutschlands aus. Mühsam verfasste zwar politische Schriften, in denen er sich für einen kommunistischen Anarchismus aussprach, er war aber kein typischer Theoretiker. Er warnte frühzeitig vor dem aufkommenden Faschismus. Der deutsche Untertanengeist war Mühsam zuwider. »Sich fügen heißt lügen!« – so endet eines seiner berühmtesten Gedichte.
 
Demonstration »Sich fügen heißt lügen!«, Sonnabend, 10. Juli, 15 Uhr, S-Bhf. Oranienburg,
Treff für Berliner: 13.45 Uhr, S-Bhf. Friedrichstraße,

Donnerstag, 1. Juli 2004

Lifestyle aus eigener Schlachtung

Eine Fleischerei für die Subkultur

Ralf Fischer / Scheinschlag

Symbole und Codes sind dazu da, Gefühlen, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Szene oder auch politischen Botschaften Ausdruck zu verleihen. Menschen nutzen verschiedene Ausdrucksweisen für die gleichen Bedürfnisse. Maler zum Beispiel verarbeiten ihr Bedürfnis nach gesellschaftlicher Anerkennung und Selbstverwirklichung mittels Farbe auf der Leinwand, Sprüher nutzen S-Bahnwaggons und graue Wände. Der eminente Unterschied zwischen beiden liegt weniger am bearbeiteten Material, sondern darin, wie die Gesellschaft diese Werke rezipiert. Während für Ölgemälde viel Geld bezahlt wird, muß nicht selten der Sprüher dafür bezahlen, wenn er dabei erwischt wird, daß er die Stadt verschönert hat.

Daß es auch anders geht, zeigt seit Mai 2001 die Fleischerei in Berlin-Mitte. In der Nähe vom Rosenthaler Platz gelegen, ist die Fleischerei ein Subculture-Shop, der Kunst verkauft, die in den meisten Galerien gewöhnlich nicht zu erwerben ist.

Im alten Stile einer ehemaligen Fleischerei erhalten, die Fensterscheiben übersät mit Aufklebern, hat sich innen ein Raum für die lokale Urban und Street Art entwickelt. Plakate, Postkarten, Aufkleber und Bücher der unterschiedlichsten Urban Artists werden angeboten, daneben T-Shirts, sexy Unterwäsche, einige Platten sowie Tapes und Schmuck. Alle möglichen Ausgangsstoffe finden ihre Verwendung. Fast alles ist aus eigener Produktion, da setzt einzig die Technik der Kreativität Grenzen. Doch die Siebdruckwerkstatt hinter dem Verkaufsraum kann fast jede Idee umsetzen. Viele Motive, die etwa via Graffiti im Stadtbild von Berlin auftauchen, werden hier verarbeitet. In einem Buch finden sich die Künstler mit ihren Werken.

Hauptsächlich werden T-Shirts gemacht, sagt Hans, der das Projekt zusammen mit seinem Freund Beat vor drei Jahren aufgebaut hat. T-Shirts werden auch am häufigsten verkauft, in letzter Zeit auch vermehrt Plakate. Finanziell reicht das allerdings kaum. Auftragsarbeiten und die offene Werkstatt ergänzen die Einnahmen des Ladengeschäfts. An zwei Tagen in der Woche, am Dienstag und am Freitag, kann jeder, der will, selbst zur Tat schreiten und mit Unterstützung siebdrucken. Fast alles läuft dabei in Handarbeit, manuelles Siebdrucken ohne große Technik.


Die Produktionsräume sind gleichzeitig Ausstellungsräume. Überall hängen an den Kacheln Aufkleber, Plakate und andere Gegenstände aus eigener Produktion. In einer altmodisch anmutenden Nähstube liegen Stoffe in grellen Farben. Das Angebot, selbst aktiv zu werden, nutzen regelmäßig zwölf Menschen unterschiedlichen Alters. Es geht international zu in der alten Fleischerei, von breitem Berliner Akzent, fließendem Englisch bis zu Schwyzerdütsch hört man hier einiges.

Aus dem Proberaum im Keller tauchen immer wieder bunthaarige Teens auf, die gerade fertig sind mit ihren musikalischen Kraftanstrengungen. Ein Aufnahmestudio, das auch noch Platz in den Räumlichkeiten gefunden hat, produziert regelmäßig und unabhängig von den restlichen Projekten in der Fleischerei. Ein breites und vielfältiges Netzwerk hat sich hier entwickelt, eine Art Open Space. Hans sieht die Fleischerei als Hobby. Alle Aktiven haben noch Nebenjobs oder bekommen ihr Geld vom Amt. Doch es ist ein Hobby, das viele Möglichkeiten eröffnet.


Fleischerei, Torstr. 116-118, Mitte, fon 27572298, infos unter www.beatleprint.de

Samstag, 1. Mai 2004

Die Cowboys sind unterwegs

Eine Liebeserklärung an die radikalsten Street Art-Aktivisten Berlins

Ralf Fischer / Scheinschlag

Wer in die MoMA-Ausstellung gehen möchte, muß neben dem stundenlangen Warten einplanen, nicht zu knapp Eintritt bezahlen zu müssen. Doch zeitgenössische Kunst ist auch kostengünstiger und ohne langes Warten zu besichtigen, und zwar überall in der Stadt. „Street Art" ist das Stichwort, das die vielfältigen Sticker, Poster, Stencils und Graffitis bezeichnet, die sich derzeit in ganz Berlin ausbreiten. Zumeist in den östlichen Innenstadtbezirken und in Kreuzberg, aber zunehmend auch darüber hinaus nimmt sich die neue urbane Kunstform ihren Platz in der Hauptstadt. Durchweg werden strategische Plätze im öffentlichen Raum besetzt und das Medium einfallsreich dem entsprechenden Ort angepaßt. So haften zum Beispiel an Straßenlaternen oder Verkehrsschildern unzählige Sticker, die ihrem eigentlichen Bestimmungszweck als Paketaufkleber entzogen und zu neuen Kommunikationsmitteln umgestaltet wurden. Diese künstlerische Intervention in den Alltag verdrängt sogar zum Teil die häufigen Tags. Doch die Sticker sind nicht die einzige Kunstform der unpolitischen aber auch politischen „Urban Artists".

Von Fäusten, Sechsen und Birds

Street Art ist in Berlin endgültig angekommen seit der Ausstellung über internationale Street Art letztes Jahr im Bethanien. Damals waren aus aller Welt Aktivisten dieser Kunstrichtung hierher gekommen und zeigten über die Ausstellung hinaus überall in der Stadt täglich neue Kunstwerke. Die Entwicklung hält seitdem an.

Die ersten Projekte in diese Richtung brachten Teile der lokalen Graffitiszene bereits Ende der neunziger Jahre hervor. Die Birds/Vögel waren, hauptsächlich im Ostteil der Stadt, die ersten Boten einer neuen Generation von Urban Artists, die über die üblichen Formen hinausgingen. Die damals noch recht schlicht gestalteten Vögel tauchten, schwarz und silbern gesprüht, an vielen Wänden auf und sind teilweise noch heute im Stadtbild zu sehen. Das seinerzeit neue und ungewöhnliche für die Graffiti-Szene war die komplette Abkehr von Buchstaben und die Hinwendung zu einer praktischen Auseinandersetzung, mit dem Anspruch, mehr zu machen als pubertäre Reviermarkierungen.

Es folgten Cats/Katzen, die die Birds zu fressen versuchten; der Sechsen-Maler geht schon seit zehn Jahren den ganzen Tag mit Farbe und Pinsel durch die Innenstadt und malt allerorten seine Sechsen. Genauso wie bei den Birds sind die Geheimnisse seines Erfolges die massive Verbreitung in der Stadt und daß es immer wieder überrascht, wo sie zu finden sind.

Bald tauchten meist zweifarbige Fäuste im Stadtbild auf. Diese werden bis heute überall in unterschiedlichen Formen mittels Sprühdose angebracht. Ob entlang der S-Bahn-Strecke zwischen den Bahnhöfen, an Häuserwänden oder stillgelegten Bauwagen. Durch ihre Optik und die leuchtenden Farben fallen sie in erster Linie auf, politisch wirken sie eher unterschwellig. Dies ist auch so gewollt. Die Subversion durch konkrete Aneignung von öffentlichem Raum und einer attraktiven Optik hat funktioniert: Die Fäuste sind jenseits einer kleinen Szene bekannt, vielen Berlinern sind sie ein Begriff.

Cowboys Crew


Urheber der Fäuste ist die 1995 gegründete Cowboys Crew, auch CBS genannt. Sie ist die wohl bekannteste und ausgefallenste Urban-Artists-Gruppe in Berlin, und das nicht nur wegen der Fäuste. Ihre Palette an Kommunikationsmitteln reicht von selbstgedruckten Aufklebern, Plakaten und Graffitis bis hin zu Wandbildern oder konkreten Aneignungsakten wie vor zwei Monaten auf dem U-Bhf Alexanderplatz, wo eine Kunsttafel ausgetauscht wurde (s. scheinschlag 2/04). Diese Aktion und der damit verbundene Protest gegen einen Kongreß der Werbewirtschaft ist rebel:art, die Schnittstelle zwischen Kultur oder Kunst und Aktivismus. Jene rebellische Kunst, die sich gerne Subversion nennt, ist lange nicht mehr so kontinuierlich und kreativ umgesetzt worden wie von CBS in den letzten Jahren. Sie haben der Stadt erfolgreich ihren Stempel aufgedrückt und dem rebellischen Potential eine neue Ausdrucksform beschert. Daß die Finger, wenn man sie zusammenschließt, zu einer Faust werden, ist lange bekannt, doch noch nie wurde es so schön in der ganzen Stadt kommuniziert.

Die Aktivisten von CBS kommen aus der radikalen Sprüherszene, dem Teil, der auch über den eigenen Tellerrand hinaussieht. Sie sind jung, ungestüm und meist nicht an übermäßigem kommerziellen Erfolg interessiert. Sie haben die Verbindung zwischen Kunst, Widerstand und Kultur natürlich geknüpft, um sich selbst darzustellen. Aber eben auch, um als „Kopfknacker" zu wirken. Sie basteln kleine Gehirnbomben für ihre Umwelt und wollen dabei auch registriert werden. Dazu muß die halbe Stadt mit den eigenen Codes eingedeckt werden, logisch.

Längere Kampagnen sind nichts Außergewöhnliches bei der Cowboys-Crew. So nimmt CBS immer wieder die offenkundige Farce des Parlamentarismus in diesem Lande aufs Korn. Immer aufs neue zu den jeweiligen Wahlen tauchen sie auf: Plakate und Aufkleber, die dazu auffordern, CBS zu wählen. Das ist zwar Kritik ohne Lösungsvorschlag, gerichtet an Menschen, die meist genauso denken, aber wenigstens ist es engagiert und besser als jedes Plakat irgendeiner der zur Wahl stehenden Parteien. Die Visualität der CBS-Wahlkampagnen ist bei weitem origineller als das, was in den Werbeagenturen für die Parteien produziert wird.

rebel:art ­ radikale Kommunikation?

Der öffentliche Raum ist mehr als die Shopping Mall, die öffentlichen Verkehrsmittel oder der Bahnhofsvorplatz. Etwas, das vielen zugänglich ist ­ sei es das Internet, das Schwimmbad, sogar die Wahlkabine ­ ist Teil der Öffentlichkeit, des öffentlichen Raums. Widerstand, Sabotage und Aneignung kann hier überall organisiert und einem breiten Publikum vermittelt werden. Demonstrationen sind ein Mittel, doch ein sehr beschränktes. Wie wäre es, wenn bei den nächsten Wahlen in allen Wahlkabinen Aufkleber von CBS kleben würden? Oder wenn man die Kandidaten auf seinem Wahlzettel durch den Namen CBS ergänzen und sich zu einer persönlichen Liebeserklärung an die Cowboys entscheiden würde statt zur parlamentarischen Wahl.

Der öffentliche Raum, den die Situationisten ebenso wie viele andere linke Subkulturen als sozio-politisches Aktionsfeld und als Milieu zur Rückeroberung der Subjektivität verstanden, ist heute oft Gegenstand von Kunst- oder Designprojekten. Doch es gibt wesentliche Unterschiede etwa zwischen dem Sechsen-Maler und der CBS-Crew.

Während sich beide gezielt öffentlichen Raum aneignen, bleibt der Sechsen-Maler unpolitisch. Er macht einfach Kunst, nicht mehr, aber auch nicht weniger. CBS dagegen visualisiert mit seiner „Art" immer wieder politische Symbole im öffentlichen Raum und regt damit Menschen zum Denken an. Während die politischen Interventionen mittels Innenstadtaktionen und -kampagnen Mitte der neunziger Jahre schon lange verebbt sind, kann die derzeitige positive Entwicklung der Urban Art ein kleiner Hoffnungsschimmer für die Zukunft sein. Es ist die kreativste und praktischste Form von Aneignung innerhalb der derzeitigen Phase des Kapitalismus und kann wichtige Impulse in die undogmatische Linke ausstrahlen. „Die Stadt gehört uns", meinte schon Ende der neunziger Jahre nicht Hausbesetzungen, sondern die Aneignung des gesamten sozio-kulturellen Komplexes Stadt, und die unzähligen grauen Wände gehören nun mal auch dazu.

Gerade unter der Voraussetzung, daß sich mit der Visualisierung der Warenwelt die Erzeugung von Werten zunehmend in ihrer Rezeption vollzieht, besteht die Chance für politische Street Art, die Wertschöpfungsmechanismen zwar nicht auf Dauer zu durchbrechen, aber doch für eigene Zwecke umzufunktionieren. Im Idealfall wird die hegemoniale Bedeutungsproduktion sabotiert, und es entstehen kurzfristig Territorien der divergenten Erzeugung symbolischer Gebrauchswerte.

Für diejenigen, für die das alles viel zu politologisch ist, bleibt ein anderes, knapperes Fazit: Der aufmerksame Gang durch die Straßen von Berlin ersetzt zwar nicht den Besuch des MoMA, verschafft aber mindestens genausoviel Genuß und Muße. Und natürlich ist er umsonst!

Mittwoch, 28. April 2004

Häuserkampf in Teltow

In dem brandenburgischen Ort Teltow-Seehof wehren sich viele Bewohner gegen die Rückgabe ehemals »arisierten« Eigentums. 

Ralf Fischer / Jungle World

Im sonst verschlafenen und beschaulichen Teltow-Seehof am Rande Berlins war am vorigen Samstag die Idylle getrübt. Rund 70 Antifas demonstrierten gegen die Vorgänge in dem Ort und sahen sich wüsten Beschimpfungen ausgesetzt. Einige junge, kurzhaarige Jugendliche brüllten der Demonstration entgegen: »Ihr Juden!« und »Ausländer raus!« Andere Dorfbewohner fragten: »Wer hat euch bezahlt?« Einem Mann missfiel die von Demonstranten gezeigte Israelfahne und er rief: »Aber ihr habt doch die Atombombe!«
Schon im Vorfeld der Demonstration waren die Gemüter in dem Ort äußerst erregt. Den PDS-Kreisverband Potsdam-Mittelmark empörte das Vorhaben der Antifas derart, dass er sich genötigt sah, die Organisatoren aufzufordern, »die beabsichtigte Demo abzusagen und sich bei den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern für die pauschale Verurteilung als Antisemiten zu entschuldigen«.

Worum geht es in Teltow-Seehof? Im Jahr 1872 kauften die jüdischen Brüder Albert und Max Sabersky das Gut Seehof. Mit der Übergabe der Macht an die Nationalsozialisten im Jahr 1933 war Schluss für die Saberskys. Angesichts von Verordnungen, die eine landwirtschaftliche Nutzung des Bodens durch Juden unmöglich machten, blieb ihnen nichts anderes übrig, als das Land im Oktober 1933 zu parzellieren und unter Aufsicht als Bauland zu verkaufen. Der Verkauf und die spätere Sperrung der Konten der Saberskys geschahen im Rahmen der »Arisierungen«.


Nach dem Krieg sah sich auch die DDR nicht verpflichtet, den Opfern dieser »Arisierungen« ihr Eigentum zurückzugeben. 16 Millionen Antifaschisten hatten sich eben für nichts zu entschuldigen und erst recht niemanden zu entschädigen.

Als der Realsozialismus zusammenbrach, verlangten im Jahr 1991 die Erben der Saberskys die Rückübertragung der enteigneten Grundstücke. Seitdem dauert der Rechtsstreit an. Die Rückgabe wurde mehrmals abgelehnt, bis der Fall schließlich vor das Bundesverwaltungsgericht kam. Es nahm die gesetzliche Vorgabe, dass bei »Veräußerungen eines Vermögensgegenstandes in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945« von einem »verfolgungsbedingten Vermögensverlust« auszugehen sei, beim Wort und ordnete die Rückübertragung eines Grundstücks an.

Nach dem gleichen Muster wird nun wohl in den verbliebenen rund 700 Fällen in Teltow-Seehof entschieden. Einen von den Erben angebotenen Vergleich, den Anspruch auf die Grundstücke für einen Bruchteil des Wertes abzutreten, nahmen etwa 200 Teltower an, der Rest fühlt sich im Recht und hofft auf die deutsche Justiz.

Seit dem Rechtsstreit mit den Erben der Saberskys stilisieren sich einige Bürger zu Opfern eines unfassbaren Schicksalsschlages. Fast erinnert der Vorgang an die Ereignisse in dem Städtchen Gollwitz im Jahre 1997. In dem brandenburgischen Ort wehrte sich damals die Dorfgemeinschaft gegen den Zuzug jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion und fühlte sich von den Medien ungerecht behandelt.

Die Märkische Allgemeine Zeitung dokumentiert seit einiger Zeit das Unbehagen der Parzellenkämpfer ostdeutscher Prägung in Teltow-Seehof. So würden viele Dorfbewohner beklagen, dass die »Keule Antisemitismus« ausgepackt werde. Teltow-Seehof jedenfalls könne »nicht mehr ruhig schlafen«, sagte ein Dorfbewohner der Zeitung, überhaupt ergäben sich da gewisse Parallelen zu anderen, aktuellen Untaten der Juden. »Was die in Israel mit den Palästinensern machen, machen sie hier mit uns«, zitierte die Berliner Morgenpost einen Dorfbewohner.

Traudel Herrmann, die gleichzeitig Vorsitzende der Bürgerinitiative der vertreibungsbedrohten Hausbesitzer und PDS-Mitglied ist, präsentierte schon vor Jahren bereitwillig, was sie »als Kommunistin« zu dem Sachverhalt zu sagen hat: »Die Saberskys waren Schmarotzer, weil sie Grund und Boden zu Spottpreisen aufkauften und später teuer weiterverkauften.« (konkret, 8/98)


Thomas Schmid (SPD), der Bürgermeister des Ortes, sah in der Demonstration vom Wochenende »eine einzige Provokation« und sann darüber nach, ob es nicht möglich sei, rechtlich gegen die Organisatoren der Demonstration vorzugehen, weil Teile der Bevölkerung Seehofs von den Antifas als antisemitisch bezeichnet worden seien. Die PDS Potsdam-Mittelmark warf den Antifas in der oben erwähnten Erklärung vor: »In völliger Verkennung der historischen und gesetzgeberischen Tatsachen macht sich die Antifa-Bewegung jetzt zum Handlanger einer bundesdeutschen Politik, die dieses neue Unrecht verursacht hat.« Mit Unrecht ist hier allerdings nicht die »Arisierung« jüdischen Eigentums gemeint, sondern das nach der Wiedervereinigung geltende Prinzip »Rückgabe vor Entschädigung«.

Die Mehrheit in Teltow-Seehof, unabhängig von parteipolitischen Einstellungen, steht dem Versuch entgegen, wenigstens einen Teil des Unrechts »wiedergutzumachen«. Die Stadtverordnetenversammlung rief die Seehofer in der vorigen Woche auf, »sich von selbst ernannten Demonstranten gegen Antisemitismus nicht provozieren zu lassen«. Die Stadtverordneten würden weiterhin versuchen, verträgliche Lösungen für alle Beteiligten zu finden. Das Vorgehen der Antifas sei »frei von jeder Sachkenntnis und ersichtlich auf Diskriminierung und Krawall ausgelegt«, sagte der Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung, Rolf-Dieter Bornschein.

Zum Krawall kam es am Samstag jedoch nicht, wohl auch dank der Polizei, die die Demonstranten und die aufgebrachten Bürger vorsorglich voneinander entfernt hielt. Christina DeClerq von der Antifa Nordost, die die Demonstration organisiert hatte, sagte, die Reaktion der Bevölkerung habe gezeigt, wie »wie wichtig und richtig« es gewesen sei, in Teltow-Seehof zu demonstrieren. Nach der Demonstration kehrte schnell wieder Ruhe ein in dem Ort, der irgendwie so ist wie viele andere in diesem Land.

Sonntag, 1. Februar 2004

Nationaler Anarchismus? Anarchismus von Rechts!

Die Zusammenarbeit zwischen „Linken“ und „Rechten“ im äußeren Bereich des politischen Spektrums hat seit einigen Jahren eine neue Dimension erhalten. Immer offener agieren viele Gruppen und Einzelpersonen für ihr diffuses Weltbild – der Antisemitismus und Antiamerikanismus machen es möglich!


Ralf Fischer / Campo de Criptana


Linke Theorien werden seit ihrer Entstehung unterschiedlich interpretiert, so natürlich auch die uneinheitliche Strömung des Anarchismus. Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat und der Nation war das hauptsächliche Ziel der ersten Anarchistinnen, erstaunlicherweise und konträr zum Ursprung, macht nun seit einigen Jahren die Chiffre Nationaler Anarchismus oder wahlweise auch Anarchonationalismus innerhalb der extremen Rechten, aber auch der Linken, immer öfter die Runde.

Es gab schon immer viele unterschiedliche Denk- und Handlungsweisen, die man dem Anarchismus zuschrieb oder die sich selbst als anarchistisch definiert haben. All diese verschiedenartigen Tendenzen haben sich über die letzten Jahrzehnte sehr widersprüchlich entwickelt und lassen sich nur noch grob einer generellen Theorie oder Ideologie zuordnen. Anarchosyndikalisten, Anarchokommunisten, Anarchofeministinnen und Anarchokapitalisten sind nur einige der differierenden Identitäten oder Glaubensbekenntnissen die sich aus anarchistischen Theoremen heraus kristallisiert haben. Die meisten dieser Strömungen sind weder innerhalb der anarchistischen Szene, noch außerhalb dieser abgeschlossenen Spähren, politisch überhaupt relevant.

Der neue ideologische Deckmantel des 'Anarchonationalismus' hat bisher schon ein Ziel erreicht, die Zusammenführung von extremen Rechten und antiautoritären Linken. Gemeinsam frönen sie in ihren Zusammenhängen und Veröffentlichungen ihrem Geschichtsrevisionismus, dem Traum eines deutsch-nationalen Bündnisses von links bis rechts und speziell der Holocaustleugnung.

Nicht links, nicht rechts: NATIONAL!

Nach dem Motto „Die Grenzen verlaufen nicht zwischen Links und Rechts, sondern zwischen den Nationen“ haben sich Protagonisten zweier eigentlich konträrer Seiten, der extreme Rechte und der national-völkischen Linke, in den letzten Jahren politisch und organisatorisch zusammengefunden. Das ist nicht neu, schon im Jahr 1932 streikten bei den Berliner Verkehrsbetriebe die KPD sowie die NSDAP gemeinsam. Die Dialogbereitschaft für ein auf nationaler Grundlage stehendes rot-braunes Bündnis bestand also schon öfter auf einer der beiden Seiten. Hauptanknüpfungspunkt auf beiden Seiten ist dabei in der Regel die so genannte nationale Frage. Deshalb galten gerade Anarchisten diesen Avancen gegenüber immer als immun.


1983 bot der damals führende Neonazi Michael Kühnen auf einer Pressekonferenz in Berlin den anarchistischen Autonomen einen "Waffenstillstand" an. Gemeinsam sollte der "Hauptfeind" angegriffen werden, welcher von Kühnen in der proamerikanischen Bonner Bundesregierung identifiziert wurde, und auf Grundlage des Antiimperialismus eine gemeinsame Front aufgebaut werden. Dieses Angebot wurde damals dankend abgelehnt.

Erst zehn Jahre später konnte eine Nachfolgeorganisation der Anfang der 90er Jahre verbotenen Nationalistischen Front (NF) aus Halle/Saale die ersten praktischen Erfolge vermelden. Der in Halle angesiedelte Stützpunkt berichtet 1993, nicht ohne Stolz, dass sich „3 ehemalige Linksautonome“ (1) ihnen angeschlossen haben. Anlaß für diese Wortmeldung war die in Teilen der extremen Rechten geführte Diskussion um den Tod des RAF-Mitgliedes Wolfgang Grams. Eine positive Bezugnahme in der Neonaziszene auf Grams war dabei nicht unüblich. Die Kameradschaft Osthavel schrieb dazu folgendes: „Vergeßt nicht, Wolfgang Grams starb für eine Sache, an die er fest geglaubt hat. Auch wir sind bereit, unser Leben für die Idee des Nationalsozialismus zu opfern und für Deutschland zu sterben. (...) Das Grams auf der falschen Seite stand, würden wir eher als Zufall bezeichnen (...) Weiter müssen wir feststellen, daß wir uns genetisch und biologisch in keinster Weise von den Linken unterscheiden - wohl aber können wir Unterschiede zwischen uns und den HERREN DIESES Systems ausmachen. Das bedeutet für uns zweifelsfrei: Der Feind ist nicht im eigenen Volk zu suchen. (...) Wir sind bereit mit dem ‘Teufel’ ein Bündnis einzugehen, wenn es der nationalen Bündnisbewegung unseres Volkes nützt.“ (2)

Attribute wie "revolutionär", "antikapitalistisch" oder "antiimperialistisch" wurden und werden auch von militanten Neonazikreisen als positiv angesehen und nach außen propagiert. Die sich u.a. aus dieser Positionierung ergebende Solidarität mit national-revolutionären Bewegungen, wie der PKK, die IRA, der ETA oder den palästinensischen Terrororganisationen, diente dabei immer als Folie für den eigenen Haß auf den Staat Israel oder wahlweise die jüdische Weltverschwörung, die sich nach Ansicht vieler extremer Rechter in den USA manifestiert. Gerade diese radikalen Phrasen im Zusammenhang mit den sogenannten nationalen Befreiungsbewegungen unterschieden sich kaum von den Parolen, derer die sich selbst eigentlich als 'antifaschistisch' bezeichneten und die gegen die erneute Gefahr eines deutschen Faschismus ankämpften.

Nicht nur, wie meistens befürchtet und dementsprechend berichtet, im autoritär - kommunistischen Flügel der Linken, sondern auch innerhalb der anarchistischen und antiautoritären Kreise gibt es Bestrebungen, ein rot-braunes Bündnis zu initiieren und auf Dauer zu organisieren. In diesen Kreisen besonders aktiv ist dabei der Berliner Peter Töpfer. Er gilt als einer der wichtigsten Drahtzieher innerhalb des sich selbst als ‘Nationale Anarchisten’ bezeichnenden Netzwerk von Aktivisten. Gemeinsam mit Andreas Röhler gab er im Verlag der Freunde (VdF) das Magazin ‘Sleipnir’ heraus, wurde mehrfach wegen der Verbreitung neonazistischer Propaganda und dem Verdacht auf Volksverhetzung juristisch belangt.

Außerdem betrieb Töpfer die Homepage der Nationalen Anarchie und galt als eine der Stützen des Internetprojektes www.querfront.de. Seine politische Motivation beschrieb Töpfer auf die von ihm selbst gestellte Frage „Was ist Revisionismus und warum eignet die nationale Anarchie sich ihn an?“ recht deutlich: „Revisionismus, wie wir ihn verstehen, heißt Herstellung dieser Freiheit, heißt Kampf um totale Gedanken- und Meinungsfreiheit, gleich, ob es um Schuld, Geschichte ... was auch immer geht: Freiheit als Selbstzweck, Freiheit um der Freiheit willen, Freiheit als Genuss. ... Wenn der Revisionismus verteufelt wird, liegt es daran, dass er ins Herz der Ideologie der heute Herrschenden stößt, und Herrschaft heißt immer Freiheitsberaubung.“ (3)

Letztendlich streben die Kreise um Töpfer eine Ordnung an, in der organisierte Völker ohne Staaten nebeneinander existieren. Der Staat als vermittelnde Institution soll abgelöst werden, weil er eine Gesellschaft produziert, die nichts mehr mit dem erstrebenswerten Ideal einer solidarischen, souveränen Gemeinschaft auf völkischer Basis zu tun habe. Zudem wird von den 'Nationalen Anarchisten' auf die von dem Nationalrevolutionär Henning Eichberg formulierte Abkoppelungs-Ideologie rekurriert. So behaupten sie, das eine Dezentralisierung „Autonomie und Autarkie gegenüber herrschaftsambitionierten Fremden und damit (automatisch, Anmerkung des Autors) Freiheit“ (4) bedeutet.

Gegen Migranten kommen, ähnlich wie bei dem Themenfeld Revisionismus, sehr wirr anmutende Argumentationen von Töpfer zu Tage: „Ich als Anarchist brauche überhaupt keine Rechtfertigung. Ich nehme mir, was ich will, und frage niemanden danach. Und ich ... entscheide ganz einfach und souverän, u.a. dass ich unter meinesgleichen leben möchte. ... Ich habe keinen Bock auf 'Asylanten' aus aller Herren Länder: So einfach ist das.“ (5)

Diese Art der Demagogie, die es schafft sich undogmatisch zu geben, ist typisch für Argumentationen von Seiten derjenigen die einer anarchistisch geprägten Querfront anhängen. Die Aneignung und Vermischung von unterschiedlichen Ideologiefragmenten, oder einfach auch die Verdrehung von tatsächlichen ideologischen Dogmen sind die Werkzeuge mit denen sie dabei agieren. Bündnispartner oder Anknüpfungspunkte auf der linken Seite des politischen Spektrums finden die Nationalanarchisten trotz der Eindeutigkeit ihrer Außendarstellung nicht selten.

So beziehen sie sich zum Beispiel auf die Verlautbarungen der Antiimperialistischen Koordination (AIK) aus Wien, deren Internetseiten eifrig verlinkt werden. Selbstverständlich setzen sich Töpfer & Co. auch für antisemitisch argumentierenden Personen wie Norman Finkelstein oder Jamal Karsli ein. Ebenso bewerben die Nationalen Anarchisten die Spaßpartei der Punks: die Anarchistische Pogopartei Deutschlands (APPD). Aus solchen Kreisen stoßen die meisten 'Linken' zu den Querfrontkreisen. So wurde ein Beispiel aus Magdeburg vor über einem Jahr bekannt, dass einige über mehrere Jahre aktive Punks samt ihren privaten Fotoalben fast aller Antifa Aktionen auf die andere Seite der Barrikade gewechselt sind. Mitgenommen haben sie nicht nur die Fotos der aktiven Antifa, sondern auch ihr Outfit, sowie wahrscheinlich große Fragmente ihrer Ideologie. Die Feindaufklärung mit Irokesenhaarschnitt, also Anti-Antifa auf neonazistischen Demonstrationen im Jahre 2003, war dementsprechend auch die Aufgabe für diese ehemaligen 'Linken' in der neuen gewonnen Kampfgemeinschaft.

Querfront aktiv...

Seinen ersten großen öffentlichen Auftritt bei der extremen Rechten konnte Töpfer auf dem Wahlkampfabschluß der NPD 1998 in Rostock zelebrieren. Mit einem schwarz-rote Stern, das Symbol der anarchistischen Bewegung, am Revers wollte Töpfer mit mehreren tausend Neonazis durch die Straße der Hansestadt demonstrieren. Beinahe hätten bei diesem Auftritt einige forsche Jungnazis die Karriere des Querfrontaktivisten allzu schnell beendet, als sie ihm wegen seines Button anzumachen versuchten. Nur die Schützenhilfe prominenter NPDler konnte Töpfer vor einer nationalproletarischen Abreibung schützen. Die aktionistischen Jungnazis hielten Töpfer eben für einen politischen Gegner oder wenigstens einen Wirrkopf, und die gilt es zu bekämpfen. Innerhalb der nächsten drei Jahre änderte sich dies komplett. 2001 in Jena riefen NPD, Nationale Anarchisten und die Interessensgemeinschaft Deutsch-Arabische Freundschaft Berlin gemeinsam zu einer Demonstration unter dem Motto „Solidarität mit Palästina und Irak – für eine Welt freier Völker“ auf. Unter Parolen wie „Gegen Faschismus und Intoleranz“ zogen rund 150 Neonazis durch Jena und verwirrten nicht nur die Anwohnern.

Auch die thüringische Polizei konnte aufgrund der gleichen Parolen, aber auch identischer Kleidungsstücke wie z.B. Palästinensertücher, kaum die beiden Seiten auseinanderhalten. In dieser Zeit war Peter Töpfer regelmäßig auf Aufmärschen der Freien Kameradschaften sowie der NPD zu sehen. Bei solchen Gelegenheiten trug er und seine Kameraden sogar ein Transparentmit der Aufforderung „die nationale Antifa“ zu organisieren, mit sich. Ein weiterer überregional bekannter Nationaler Anarchist und häufiger Gast von Demonstrationen der NPD ist Thilo Kabus aus Hennigsdorf in Brandenburg. Kabus ist seit Jahren der Betreiber des Internetprojektes www.anarchonationalismus.de und arbeitet derzeit als Leiter der Presseabteilung der Fraktion der Deutschen Volksunion (DVU) im Landtag Brandenburg. Außerdem ist er derzeit, auch für die DVU, stellvertretendes stimmberechtigtes Mitglied im Landesjugendhilfeausschuss im Landtag.

Anfang der 90er Jahre war Thilo Kabus noch Bundesvorsitzender der Jungen Nationaldemokraten, später kandidierte er in Berlin u.a. auch für die Nationalen e.V. und wurde Landesvorsitzender der Berliner NPD sowie Vorsitzender der NPD in Brandenburg.

Peter Töpfer und Thilo Kabus sind nur zwei aus der Riege der Nationalen Anarchisten in der sogenannten Querfront. Auch nicht wenige 68er sind einen komischen Weg gegangen um dann letztendlich im gleichen Lager zu landen. Langhans, Mahler, Maschke, Rabehl, Oberlercher sind dabei immer die am häufigsten genannten Namen. Auch sie haben zum Teil inzwischen Aufgaben als Ideologieproduzenten der Neonazis wahrgenommen. Diese Ideologie transportierte der Verlag der Freunde von Röhler und Töpfer schon in den 90er Jahren über seine Publikationen sowie vertrieb sie über seinen Versand. Zwar sind sich z.B. Peter Töpfer und Horst Mahler ideologisch nicht in allem einig, aber es reicht für Töpfer aus, um sich für den gegenwärtig vor Gericht stehenden Mahler, sowie Reinhold Oberlercher und Uwe Meenen einzusetzen.

Gemeinsam mit einigen anderen Revisionisten fordert er, dass Mahler, Oberlercher und Meenen frei ihre Meinung äußern, also die Shoa verharmlosen, können. Gemeinsam mit so bekannten Rechtsaußen wie Jürgen Graf, Jürgen Schwab und Robert Faurisson steht Peter Töpfer unter diesem ‘internationalen Appell’.

Die beiden schon oben erwähnten Internetprojekte sind derzeit offline. Das Internetprojekt Querfront richtete sich gezielt an Nonkonformisten, Anarchisten und Linksalternative. Auf der Homepage wurden die Internetuser mit einem umgedichteten Zitat von Ton-Steine-Scherben begrüßt: „Die letzte Schlacht verlieren wir“. Neben der Verspottung der linken Kultband, deren Songs im übrigen auch auf Neonaziaufmärschen gespielt werden, stand die Selbstdarstellung des Projekts. In dieser wurde dazu animiert, sich nicht von politischen Ritualen anöden zu lassen und sich keinen „Denkverboten, Feindbildern und Gruppenzwängen“ zu fügen. Neben vielen Texten, bot diese Seite gleichfalls ein viel genutztes Forum.

Auf der Seite von Thilo Kabus fanden sich nur wenige Texte sowie auch sonst nur wenige Angebote. Trotzdem waren beide Projekte als wichtige informelle Knotenpunkte, wegen der im Internet üblichen breiteren Möglichkeit zur Außendarstellung und der dadurch vermehrten Ideologievermittlung, bedeutsam.

Bei www.querfront.de wird zur Zeit versucht der Eindruck zu erwecken die Internetseite sei von Hackern gecrackt worden. Doch die Tatsache das sich abwechselnd die Anti-Antifa sowie eine linke Gruppierung zur Tat auf der Seite bekennt, zeigt, dass hier wahrscheinlich ein Fake vorliegt. Der internationale Appell initiiert von für Horst Mahler ist aktuell auf der Internetdomän www.antideutsch.de gepostet. Diese scheint von den ehemaligen Besitzern, den Antideutschen Kommunisten Berlin (ADK), nicht mehr bezahlt worden zu sein. Die findigen Querfrontaktivisten haben sich diesen Umstand zu Nutze gemacht und sich die Domän gesichert.

Antisemitismus und Antiamerikanismus als ideologisches Bindeglied

Aus der langen Geschichte des libertären Denkens hat sich zwar eine lebendige und weit aus differenzierte Tradition entwickelt, die aber keine generelle Theorie darstellt. Der Anarchismus ist heutzutage zu einer aus unterschiedlichen Fragmenten individuell gestaltete Mischung aus anarchistischen und in der Tat auch anderen Theoremen geworden. Der so genannte Anarchonationalismus stellt dabei nur eine reaktionäre und besonders völkische Variante dar. Sie hat zwar mit ‘dem Anarchismus’ nichts zu tun, doch gibt es diesen ja eigentlich gar nicht. Dieser Schwierigkeit, den Unterschied ums Ganze klarzumachen, müssen sich fortschrittliche Anarchisten stellen.

Während bei autoritären Kommunisten, Nationalbolschewisten und Neonazis die rotbraune Schnittmenge meistens aus einem antiimperialistischen Antikapitalismus besteht, sind sich rechte und linke Protagonisten der Querfront, die sich Anarchisten nennen, einig in der Ablehnung zentralistischer Macht und dem positiven Bezug auf die Gemeinschaft, also der völkischen Version der Selbstbestimmung. Doch etwas haben sie alle gemeinsam, egal ob sie sich anarchistisch oder autoritär geben: den Antisemitismus und den Antiamerikanismus.

Der Antisemitismus kommt dabei sehr unterschiedlich zu Tage. Mal als Haß auf Israel, mal als Weltverschwörungstheorie und oft als Leugnung der deutsche Taten während der Shoa. So wird gerne von diesen Kreisen behauptet das die heutigen Forderungen der jüdischen Opferverbände aus Raffgier gestellt werden, und nicht als Resultat und kleine Entschädigung des deutschen Vernichtungswahns zu verstehen sind. Die notorische Solidarität mit Palästina und dem Irak der Querfrontaktivisten speist sich genauso aus ihrem Antisemitismus, in diesem Fall dem konkreten Haß auf Israel, und natürlich ihrem Antiamerikanismus. Vor einigen Jahren noch unvorstellbar, aber heutzutage gibt es kaum noch eine Neonazidemonstration, auf der keine Palästinensertücher und Palästinafahnen gezeigt werden. In einem Flugblatt zu dieser Thematik, für das Peter Töpfer sich verantwortlich zeichnete, heißt es dementsprechend: „Uns eint mit den palästinensischen Befreiungskämpfern, dass auch wir von jüdischen Bonzen und ihren philosemitischen Arschkriechern unterdrückt werden.

Am 22. September 2001, kurz nach den Anschlägen in New York, demonstrierte auch Thilo Kabus sehr deutlich seine Haltung zu diesem Thema. Er nahm an einer von dem damaligen NPD-Kreisvorsitzender Prignitz-Ruppin Mario Schulz angemeldeten antiamerikanischen Demonstration teil. Zum krönenden Abschluß der Demonstration verbrannte Schulz eine Flagge der USA unter dem Gejohle von rund 100 Neonazis.

Anmerkungen:

(1) zitiert nach Antifaschistisches INFO-Blatt Nr. 30, Funktionärin der NF-Nachfolgeorganisation auf Kontaktsuche, Juni/Juli 1995

(2) In Aktion - interner Rundbrief der Direkten Aktion Mitteldeutschland, Juli 1993

(3) zitiert nach Peter Nowak, Schwarz-rote Fahne, Blick nach Rechts 25/99

(4) Querfrontticker: http://www.copyriot.com/sinistra

(5) zitiert nach Peter Nowak, Schwarz-rote Fahne, Blick nach Rechts 25/99

Donnerstag, 1. Januar 2004

"its paradise" Vol. 1 - BERLIN STREETART 2004

Streetart-Fotos aus dem Jahre 2004

Deutsche Opfer

Die Gesellschaft für bedrohte Völker setzt auf völkische Ideologie

Ralf Fischer / iz3w

Die GfbV wurde 1968 gegründet und bezeichnet sich heute als "größte Menschenrechtsorganisation in Deutschland nach amnesty international". Nach eigenen Angaben hat sie 8.300 Mitglieder und 30.000 Förderer. Sektionen der GfbV sind in der "Autonomen Provinz Südtirol", in der Schweiz, in Österreich und in Bosnien-Herzegowina aktiv, Repräsentanten sind in Frankreich, Großbritannien und den USA tätig. Hauptsitze sind Göttingen und Bozen.


Die GfbV legt Wert darauf, daß sie "unabhängig von Ideologien und politischen Lagern" arbeitet. Nicht zuletzt deshalb erfreut sie sich einer breiten Akzeptanz, die sich unter anderem in der Unterstützung durch die Bundesregierung äußert. Amnesty International Deutschland drückt seine Sympathie schon in seiner Satzung aus: Das Vereinsvermögen soll bei einer eventuellen Auflösung zur Hälfte an die GfbV fallen. Und der Informationsdienst gegen Rechtsextremismus nutzt die GfbV als Quelle zum Thema "Sinti und Roma". Auf der anderen Seite wird die Homepage der GfbV oft in nationalrevolutionären Fanzines gepriesen und die rechtsintellektuelle Zeitung Junge Freiheit lobt die GfbV als "Vertreter und Unterstützer bedrohter Nationalitäten und Stammesvölker und ethnischer und religiöser Minderheiten".

Renegat der Linken


1995 wurde bekannt, daß im Beirat der GfbV unter einem Tarnnamen der ehemalige Verwalter des Ghettos in Kolomea (Polen) Peter Volkmann arbeitete. Er war für den Tod von 30.000 Juden verantwortlich. Heute sitzen in diesem Beirat Carl Amery, Freimut Duve, Rupert Neudeck und Martin Walser. Politischer Kopf ist aber Tilman Zülch, Generalsekretär der deutschen Sektion und einer der Gründer der Völkerrechtsorganisation. Begonnen hat seine politische Karriere 1963 als Vorsitzender des Sozialdemokratischen Hochschulbundes sowie als Mitglied der APO. Zum offenen Bruch mit der Linken kam es, als sich die GfbV 1991 aus dem Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO) verabschiedete - wegen "dogmatischer Gruppen", die sie in ihm ausgemacht hatte.

Seit 1993 hat die GfbV beratenden Status beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen. Dort vertritt sie nach eigenen Angaben "die Interessen verfolgter, unterdrückter und vertriebener Volksgruppen und Minderheiten". Dazu zählen insbesondere diejenigen der verschiedenen deutschen Landsmannschaften, die sich ihre aufgrund des Zweiten Weltkrieges 'verlorene Heimat' in den heutigen osteuropäischen Staatsgebieten wieder aneignen wollen. Die GfbV ist inzwischen eine der wichtigsten revanchistischen Organisationen, die neben dem Bund der Vertriebenen Druck auf die deutsche Politik machen. So forderte die GfbV die Bundesregierung bei ihrer Jahreshauptversammlung 2001 dazu auf, sie solle "auf europäischer und internationaler Ebene politische Schritte unternehmen, damit (...) sämtliche Gesetze und Verordnungen, durch welche die Vertreibung der Deutschen nach dem 2. Weltkrieg angeordnet bzw. nachträglich legalisiert wurde, von den heutigen EU-Beitrittskandidaten im östlichen Mitteleuropa als historisches Unrecht anerkannt wird und aufgehoben werden". Zülch sitzt gemeinsam mit Guido Knopp, Peter Scholl-Latour, Otto von Habsburg und anderen im wissenschaftlichen Beirat für das vom Bund der Vertriebenen initiierte Zentrum gegen Vertreibung. In der derzeitigen Debatte über deutsche Revisionsansprüche gegenüber Polen oder Tschechien agiert die GfbV somit als zivilgesellschaftlicher Vorreiter für deutsch-völkische Innen- und Außenpolitik.

Für diese Art von Menschenrechtsarbeit bekam der 1939 laut eigener Angabe in "Deutsch-Libau (Sudetenland)" geborene Zülch nicht nur das Bundesverdienstkreuz, sondern auch den Menschenrechtspreis der Sudetendeutschen Landsmannschaft und die Ehrenplakette des Bundes der Vertriebenen verliehen. Selbst die Friedensbewegung preist den deutschen "Menschenrechtler": Die Dr.-Roland-Röhl-Stiftung sprach ihm 2003 den Göttinger Friedenspreis zu. Zülchs Laudatorin, die grüne Entwicklungspolitikerin Uschi Eid, störte sich nicht daran, daß die GfbV Vorstellungen von Durchsetzung der "fundamentalen Menschenrechte" hat, die kaum mit den Zielen der Friedensbewegung kompatibel sein dürften. Denn nach Ansicht der GfbV soll dies durch "ständig einsatzbereite militärische Eingreiftruppen" sicher gestellt werden. Schon Ende der 90er Jahre machte sich die GfbV für den Nato-Militäreinsatz inklusive deutscher Soldaten im ehemaligen Jugoslawien stark.

Allgemeines Völkermorden


Als Vorsitzender einer großen "Menschenrechtsorganisation" ist Zülch besonders dafür geeignet, die Relativierung der deutschen Verbrechen als Verteidigung universaler Menschenrechte erscheinen zu lassen. Was der Bund der Vertriebenen für die "deutsche Volksgemeinschaft" erstreiten will, das versucht die GfbV weltweit für ethnisch oder religiös verfolgte Volksgruppen zu erkämpfen: Das "Recht auf Heimat" sowie die Anerkennung ihrer jeweiligen, kulturell oder ethnisch homogenen Identitäten, die als quasi-natürlich vorausgesetzt werden. Zugunsten einer "Identität in kleinen ethnisch homogenen Einheiten" richtet sich die GfbV gegen das universalistische Gleichheitsprinzip und individuelle Freiheitsrechte, wie sie eigentlich im Menschenrecht angelegt sind.

Mit ihrer offen erklärten Politik, auf "Volksdeutsche" die gleichen Maßstäbe anzulegen, wie sie für die Opfer von Naziverbrechen gelten, betreibt die GfbV jedoch nichts weniger als die Relativierung des deutschen Vernichtungskriegs. Die Umkehrung von Täter- und Opferrolle ist ein wichtiger Bestandteil der Strategien, die sich die Neue Rechte auf die Fahnen geschrieben hat. Auch die immer wieder vorgetragenen Vergleiche der GfbV zwischen "Hitler-Deutschland" und der Sowjetunion sind typische Elemente der Versuche, die Geschichte umzuschreiben und die deutschen Verbrechen im totalitären "allgemeinen Völkermorden" des 20. Jahrhunderts verschwinden zu lassen. Aus dieser Logik heraus fordert die GfbV die Zuwanderung deutscher "Volksangehöriger", also von "Spätaussiedlern", "Rußlanddeutschen" und "Rumäniendeutschen". Denn sie seien als "Volksgruppe kollektiv Opfer der Politik der Gewaltregime Hitlers und Stalins geworden" und daher gezielt zu fördern.

Heikle Bündnispolitik


Im Rahmen von konkreter Solidaritätsarbeit zugunsten unterdrückter Minderheiten sucht die GfbV immer wieder Anschluß an die linksalternative Szene, so wie umgekehrt auch diese immer wieder Kooperationen eingeht. So ist die GfbV auf dem alljährlichen Aktionstag gegen Rassismus, Neonazismus und Krieg in Berlin meist mit einem Info-Stand vertreten. Im Oktober 2003 veranstaltete die Berliner Ortsgruppe der GfbV im Kreuzberger Mehringhof eine von der Heinrich-Böll-Stiftung geförderte Benefizwoche für die Mapuche in Chile. Die Verantwortlichen des linken Zentrums hatten offensichtlich keine Ahnung von der Ausrichtung der GfbV. Antifaschisten blieb nur übrig, gegen die Veranstaltungen mit Flugblättern und Plakaten zu protestieren.

Bündnispolitik mit der GfbV betreiben auch Leute, die es eigentlich besser wissen sollten und die mit der Relativierung deutscher Verbrechen nichts am Hut haben. So veröffentlichte der Mitarbeiter der entwicklungspolitischen Hilfsorganisation WADI, Thomas von der Osten-Sacken, gleich in zwei aufeinander folgenden Ausgaben der GfbV-Zeitschrift pogrom (3/2003 und 4/2003) Artikel über die Situation im Nachkriegs-Irak. Von der Osten-Sacken und Zülch haben zusammen mit der Koalition für einen demokratischen Irak sowie mit Hans Branscheid von Medico International im November 2002 eine gemeinsame Pressekonferenz durchgeführt und im März 2003 einen Brief an Günter Verheugen von der Europäischen Kommission geschrieben. Immer wieder kommt es auch zur unfreiwilligen Vereinnahmung von linken Strukturen oder Einzelpersonen durch die GfbV. So prangte auf dem Plakat zur Mapuche-Benefizwoche das iz3w-Logo. Erst nach energischem Widerspruch aus Freiburg erklärte die Berliner Ortsgruppe, dies beruhe auf einer Verwechslung mit dem namensgleichen Dortmunder Informationszentrum Dritte Welt. Kaum mit einem Irrtum herausreden kann sich die GfbV indes im Falle des Autors Thomas Schmidinger. Sie druckte ohne dessen Zustimmung in der pogrom (3/2003) einen Beitrag von ihm.

Die Kooperationen mit der GfbV sind meistens punktuell und oft durch inhaltlich übereinstimmende Themenfelder oder Interessen zu erklären. Doch das macht sie nicht weniger problematisch. Als Schnittstelle zwischen der Neuen Rechten, der Bundesregierung und der Internationalismus- sowie Menschenrechtsbewegung schafft es die GfbV, ihre ethnopluralistische, völkische und interventionistische Ideologie breit zu streuen. Die durchaus fortschrittlichen Aktivitäten im Repertoire der GfbV wie zum Beispiel die Unterstützung der Sinti und Roma, der irakischen Opposition oder von Asylbewerbern in Deutschland sollten nicht darüber hinweg täuschen, daß dieses Engagement von ideologischen Motiven geprägt ist, die emanzipatorischen Vorstellungen entgegen stehen.