Freitag, 30. Mai 2003

Gedenkdemo für Neonaziopfer in Berlin-Buch: Wie gesellschaftlicher Verdrängung entgegenwirken?

Torben Klaas ist Sprecher der Autonomen Antifa Nordost Berlin [AANO]. Die Gruppe gehört zu den Organisatoren einer Antifademo am Samstag in Berlin-Buch (15 Uhr, S-Bhf.)

Ralf Fischer & Andreas Siegmund-Schultze / Junge Welt

Sie mobilisieren mit anderen Gruppen auch in diesem Jahr im Berliner Stadtteil Buch zur Gedenkdemonstration für Dieter Eich. Was ist der Hintergrund der Demo »Erinnern heißt kämpfen – den rechten Konsens brechen«?
Zu Beginn des sogenannten »Antifa-Sommers«, am 24. Mai 2000, wurde in Buch der Sozialhilfeberechtigte Dieter Eich von vier Neonazis ermordet. Wir wollen seiner gedenken und vor allem auf den politischen Hintergrund aufmerksam machen. Gerade die Vertuschungsversuche der Behörden – sie sprechen noch immer von einer unpolitischen Tat – und die kollektive Verdrängung des Mordes von Menschen in Buch sind für uns Grund, hier zu intervenieren. Wir wollen uns offensiv dem gelebten Sozialdarwinismus in dieser Gesellschaft stellen.

Bereits im vergangenen Jahr veranstalteten Sie diese Demonstration. Wie reagierte die lokale Neonaziszene 2002 auf Ihre Aktion?
Schon im Vorfeld mobilisierten Neonazis mit Flugblättern dagegen. Neben der Verunglimpfung des Anliegens wurde im Flugblatt auch dazu aufgerufen, den Aufzug zu stören. Am Tag der Demo wurde nahe des Treffpunktes eine Reichskriegsflagge aufgehangen. Auch in diesem Jahr haben sich bereits Neonazis angekündigt.

Gab es auch positive Reaktionen aus der Bevölkerung?

Vor allem junge Menschen aus Buch schlossen sich im Vorjahr unserer Demonstration an. Aber zum großen Teil war die Bevölkerung desinteressiert.

In einem zur Demonstration erschienenen Antifa-Jugendinfo wenden Sie sich gegen den weitverbreiteten Sozialdarwinismus in der Bevölkerung. Die bundesdeutsche Entwicklung, aktuelles Stichwort »Agenda 2010«, macht da wenig Hoffnung auf Veränderung. Wo muß die radikale Linke im Hinblick auf eine Bekämpfung dieser Zustände ansetzen?
Wir sehen unsere Intervention in Buch als praktischen Versuch, linksradikale Inhalte außerhalb der üblichen Kreise zu formulieren. Durch die bisherige inhaltliche Arbeit haben wir in Pankow langsam eine Basis, die sich nicht nur für reine Antinaziarbeit interessiert, sondern auch für die derzeitige Sozialpolitik der Bundesregierung und die sozialen Einschnitte des Senates in Berlin. Dies zum Glück nicht aus sozialdemokratischer, sondern aus einer linksradikalen Sicht. Mit der Demonstration wollen wir auch im Stadtteil Buch ein Klima dafür schaffen.

Gegen den kapitalistischen Alltag sollte nicht nur in Berlin-Mitte oder Kreuzberg demonstriert werden. Die Ghettoisierung der Linken hat auch eine regionale Komponente. Wir denken, durch die kontinuierliche Arbeit gerade in den Randbezirken können sogenannte »Hochburgen der Linken« ausgebaut werden. Außerdem unterstützen wir die Versuche, sich überregional und autonom zu vernetzen. Auf der Demonstration werden bestimmt nicht nur Antinazithemen dominieren.