Freitag, 21. November 2003

Der Neonazis neuer Style?

Die extreme Rechte in Deutschland differenziert sich kulturell und politisch aus

Ralf Fischer / Analyse & Kritik

Der Großteil der extremen Rechten in Deutschland organisiert sich schon seit längerem nicht mehr in klassischen Parteistrukturen oder Organisationen. Besonders die letzten Jahre waren von einem allgemeinen Einbruch der extrem rechten Parteien, wie der Republikaner und der DVU, geprägt. Lediglich der NPD gelang es vor allem im Ostteil der Republik, ihr Image als "Stammtisch"-Partei abzulegen und jugendliche Neonazis einzubinden. Die Masse der rechtsorientierten Jugendlichen fühlt sich eher zu rechts-militanten Strukturen hingezogen als zu starren Parteiformen oder völkischen Vereinen. Aus diesem Grund stellt heute die parteiunabhängig organisierte Neonazi-Szene den größten Einfluss innerhalb der extremen Rechten.

Die Neonazi-Szene organisiert sich in zweck-orientierten Kleingruppen (Kameradschaften, Bündnis Rechts, Braunes Kreuz, Naziläden, Medienprojekte), über zentrale Koordinationsstellen (Aktionsbüros, Nationale Info-Telefone) regional, bundesweit und natürlich auch international. Die Vernetzung innerhalb dieser sich unabhängig verstehenden Zusammenhänge ist häufig organisch gewachsen, es bestehen zahlreiche informelle Kontakte zwischen den einzelnen Kadern. Bei der Herausbildung organisierter Strukturen innerhalb der parteiunabhängigen Neonazi-Szene spielen die verschiedenen sozio-kulturellen Netzwerke eine wichtige Rolle. Diese Netzwerke erfüllen die Funktion kommunikativer und interaktiver Bezugsgruppen innerhalb des so genannten "Nationalen Widerstandes".

Die Partei ist out - rechte Subkultur in


Die Zusammenarbeit läuft entweder projektgebunden oder über räumlich orientierte Strukturen. Nach außen hin sind es Bekleidung, Verhaltensweisen, Musik, Tattoos sowie die oft von weiten Teilen der Gesellschaft kaum entschlüsselbaren Codes, die wahrgenommen werden. Einerseits dienen sie ihren Mitgliedern der Abgrenzung, andererseits werden durch die gemeinsame Kultur nach innen Gruppenzugehörigkeit und Einstellungen vermittelt. Mit der Macht, die sie in manchen Regionen ausüben und ausstrahlen, entwickelten sich rechte Cliquen zum bestimmenden Faktor im Sozialisationsprozess vieler Jugendlicher und junger Erwachsener. Neben der "Anti-Antifa-Kampagne" stehen "Anti-Globalisierungs-Aktionen", die Thematisierung des "Nahost-Konfliktes" und seiner Rezeption in Deutschland auf dem derzeitigen Programm der militanten Neonazis. Es ist ihnen gelungen gerade die Verkürzung auf bestimmte politische Teilbereiche wie die Migrationspolitik oder Innere Sicherheit aufzubrechen. Kampagnen zum Thema "Umweltschutz ist Heimatschutz", die Teilnahme an "Anti-Castor-Protesten" sowie die verstärkte Arbeit an "nationalen" Schülerzeitungsprojekten sind nur einige deutliche Beispiele für eine Veränderung bzw. Differenzierung der inhaltliche Ausrichtung.

Musik bietet der extremen Rechten die Chance der methodischen Indoktrination, besser als dies jemals in klassischen politischen Veranstaltungen gemacht werden könnte. Besonders junge Menschen wurden und werden über die Anziehungskraft des "Rechtsrock" politisiert. Möglich ist dies vor allem dadurch, dass der "Rechtsrock" sich erfolgreich das Image einer rebellierenden Musikform zu eigen gemacht hat. Unter dem sehr geläufigen Begriff "Rechtsrock" werden unterschiedliche Spielarten der Rockmusik zusammengefasst, wie zum Beispiel Skinhead-Musik, Dark Wave, Neofolk, Punk, Hardcore und Heavy Metal. Wichtig ist dabei, zu beachten, dass "Rechtsrock" nicht immer von "rechten" Skinheads gemacht wird und dass er in vielen Musikstilen anzutreffen ist. "Rechtsrock" sollte deswegen als ein Sammelbegriff für verschiedene Musikstile verwandt werden, deren verbindendes Element rassistische, nationalistische, antisemitische und neonazistische Texte sind. Obwohl der allgemeine gesellschaftliche Rechtsruck seit Mitte der 1980er Jahre oft zur Analyse und als Erklärungsmuster für die zunehmende Verbreitung rechter bis neonazistischer Inhalte mit herangezogen wird, unterbleibt es jedoch, seine genaue Tragweite zu analysieren. Gerade die Entwicklung des rechten "Life-Style" wird dabei häufig unterschätzt.

Mit der Entwicklung des "Rechtsrock" in all seinen Facetten und mit den neonazistischen Skinheads als dessen federführenden Protagonisten ging mehr und mehr die Unterscheidung von dem verloren, wer oder was Skinhead ist und woher die Musik überhaupt kommt. Die Bekleidung der Skinhead-Subkultur war geprägt durch einen Arbeiter- und Männlichkeitskult. Mit diesem Stil verbinden sich Bekleidungsmarken wie z.B. die Boxerbekleidung von Lonsdale oder Fred Perry. Die alten Skinheadkultmarken wurden über die Jahre zu den "In-Marken" vieler Jugendlicher, auch fernab der extremen Rechten. Im Laufe der Zeit vermischte sich dieser Stil immer mehr mit den Kultmarken der Hooligans, New Balance, Hooligan, Troublemaker oder Pit Bull.

Zur stilistischen Differenzierung der Rechts-Musik in Richtung völkische Folklore haben unter anderem die rechtsextremen Liedermacher Frank Rennicke, Jörg Hähnel oder das weibliche Gegenstück Annett Moeck beigetragen. Aber auch die musikalische Orientierung am Hardcore, bzw. "Hatecore", wie ihn beispielsweise die neonazistische US-amerikanische Band Blue Eyed Devil spielt, und der Bezug auf heidnische Motive erweiterten die musikalische und ästhetische Palette des "Rechtsrock" enorm. Die Bands des "NS-Black-Metal" lassen in ihren Texten auch eine ungeahnte Deutlichkeit erkennen. So singt die sächsische Band Magog's in ihrem Lied "Feuer der Dunkelheit": "Wir marschieren in eine neue Zeit, die uns von Juden und Christen befreit." Obwohl solche heidnischen Motive durchaus auch in der "schwarzen Szene" des Dark-Wave präsent sind, werden dort solche harschen Töne nicht angeschlagen. Entsprechend dem Gestus der Szene schneiden rechte Gruppen im musikalischen Stil des Neo-Folk eher mystische und klassisch völkische Themen an. Heute ähnelt das Auftreten der organisierten Neonazis einer Mischung aus den unterschiedlichen Stilen der Hatecore-, Skinhead-, Gang- und Rockerszene. Egal ob in der "Rockerszene", innerhalb der "Dark-Wave-Szene" oder in esoterischen Gruppen, eine Vermischung mit ästhetischen Vorstellungen, Stilelementen und Symbole der extremen Rechten setzte sich in den 1990er Jahren in allen diesen Subkulturen fest. Auch die lange Zeit als "kosmopolitisch" bekannte Hip-Hop-Szene muss sich mit den ersten Unterwanderungsversuchen von Rechts auseinander setzen. "HipHop wird schneller weiß, als man denkt", verkündete das rechtsextreme Hochglanzmagazin RockNord schon voller Erwartung. In Internetforen äußern sich Neonazis mit den Worten "Also, ich meine HipHop ist nicht wesentlicher weniger undeutsch als Rock".

Durch die Vermischung mit anderen Modemarken des gesellschaftlichen Mainstream und die massenhafte Verbreitung der als typisch rechtsextrem bezeichneten Kleidungsmarken wurden die alten "Kultmarken" für die organisierte Neonazi-Szene immer uninteressanter. So haben sie auch die Funktion als eindeutiges Erkennungsmerkmal nach innen und außen mehr und mehr verloren. Innerhalb der "Bewegung" vermehrte sich der Unmut gegen die kommerziellen Bekleidungsmarken. In einem Text auf der Internetseite des rechtsextremen Fanzine für Frauen - Triskele wird beispielsweise Fred Perry vorgeworfen, absichtlich "dunkelhäutige" Verkäuferinnen einzustellen, und auch New Balance sei ab sofort zu boykottieren, denn die Marke ist der "Laufschuh Nummer 1 in Israel".

Mit der Vergrößerung des "Zielpublikums" veränderten sich natürlich auch die Logistik und die Vertriebstrukturen innerhalb der "Rechtsrock"-Szene. Organisierte Neonazi-Kader bauten sich als Produzent von "Rechtsrock-Musik" oder Herausgeber eines Kataloges eine Existenz auf. Denn "Rechtsrock" ist seit Jahren ein lukrativer Markt, auf dem Millionen umgesetzt werden. Dementsprechend ist die Gründung von eigenen Versänden, Bekleidungsmarken und Labels in den letzten Jahren massiv vorangetrieben worden.

Unsichtbare, rechte Styling-Codes


Trotz unterschiedlicher Rezeption rechter Ideologien innerhalb der differierenden Subkulturen dominieren dabei immer die gleichen Themen. "Macht", "Stärke" und die klare Aufteilung der Geschlechterrollen sind die wichtigsten Anziehungspunkte innerhalb der unterschiedlichsten Subkulturen. Aber auch die Ästhetik spielt dabei eine wesentliche Rolle. Für rechtsorientierte Jugendliche ist nicht die Musikrichtung entscheidend, sondern was Musik, Text und Auftritt an Inhalt und Mystik transportieren. Antidemokratische, antiemanzipatorische sowie antimoderne Motive sind dabei die wichtigsten inhaltlichen Wurzeln. Inszeniert wird nicht nur ein antibürgerlicher Gestus, sondern darüber hinaus eine faschistische Ästhetik. Als die populärste Mischung aus germanischer Mythologie und romantisch angehauchter Musik gilt in den aktuellen Veröffentlichungen der extremen Rechten Neofolk. Entscheidend für den Erfolg ist dabei nicht, ob politische Botschaften lauthals verbreitet werden, sondern ob Mystik und Authentizität für rechtsorientierte Jugendliche erfolgreich inszeniert werden.

Die Erkenntnis, dass die Rekrutierung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in die organisierte Neonazi-Szene hauptsächlich mittels kultureller und sozialer Einbindungen funktioniert, ist nicht neu. Die bisherige Konsequenz der antifaschistischen Bewegung war - neben der Analyse - der Versuch, die unterschiedlichen sozio-kulturellen Angebote der extremen Rechten innerhalb der Gesellschaft zu isolieren. Vor Ort wurde dies von der organisierten Antifa und der aufgeschreckten Zivilgesellschaft durch Verhinderungsaktionen und lokale Bündnisarbeit umgesetzt. Dabei wurde hauptsächlich das Augenmerk auf die Verhinderung der inhaltlichen Vermittlung rechtsextremer ldeologeme gerichtet. Zu selten wurde versucht, über offensive Kampagnen wenigstens den Zusammenhang zwischen Ästhetik und Inhalt zu durchleuchten und eigene attraktive Lebensvorstellungen und Jugendstile zu fördern. Immer wieder wurden allein die von der jeweiligen Band vorgetragenen Texte skandalisiert, seltener ihr Auftreten und so gut wie gar nicht, wenn sie unbekannte Zeremonien, Attitüden, Signale oder Codes verwendeten. So konnten sich immer wieder gerade OI-Bands mit dem sicheren Verweis, ihre Texte seien nicht "antisemitisch, rassistisch, nationalistisch oder sexistisch" der inhaltlichen Auseinandersetzung entziehen.

Genau hier muss eine linke antifaschistische Kritik ansetzen. Zu wenig Gewicht wurde auf die Funktion der etablierten Umgangsformen, Codes und der Kleidung bei der Formierung der rechtsextremen Netzwerke gelegt. Politisierungsprozesse bei Jugendlichen laufen eben nicht über massiv präsentierte Inhalte. Zuerst müssen Emotionen geweckt werden, um überhaupt die jeweiligen Inhalte vermitteln zu können. Damit sind bestehende Lebensgefühle, die vorhergegangene Sozialisation und der Zustand der Psyche der Anfang einer jeden Politisierung. Er ist offensichtlich, dass ein verhindertes Konzert zwar löblich ist, aber nur minimal zur Stärkung linker Alternativen beiträgt.

Antifaschistische Gegenstrategien


Gerade die stilistische Verbreiterung und Ausdifferenzierung rechter Jugendkulturen bergen die enorme Gefahr der weiteren Bekanntmachung rechtsextremer Ideologeme, ohne dass die Gegnerlnnen überhaupt in der Lage sind, diese als solche zu erkennen. Eine Gefahr der kulturellen Subversion basiert auf ihrer Vielfältigkeit und ihrer Beliebigkeit. Wenn die "rechten Kulturkämpfer" innerhalb der jeweiligen Szene unterwegs sind, hilft auch keine Kampagne "Für Toleranz und Völkerfreundschaft" mehr. Diese wird auch schon von weniger geschulten Neonazis leicht inhaltlich auseinander genommen und natürlich zu ihren Gunsten ausgenutzt. Keine Toleranz gegenüber den "lntoleranten" ist die beste Abwehr!

Der Kampf um kulturelle Hegemonie wird nicht innerhalb der Jugendszene oder der Subkultur gewonnen. Er muss von Seiten der politischen Linken in allen Teilen der Gesellschaft offensiv geführt werden, damit auch in jeder Sub- oder Mainstreamkultur. Die überall erkennbaren Tendenzen rechter Kulturpolitik stehen zwanghaft im Einklang mit den Prozessen innerhalb der vorherrschenden Dominanz und damit im Kontext der gesellschaftlichen Verhältnisse.

Samstag, 19. Juli 2003

Neonazis in Berlin

FIGHT.BACK, 40 Seiten, nur Portokosten, Spenden erwünscht. Bezug: E-Mail: fight.back@web.de

Ralf Fischer & Andreas Siegmund-Schultze / Junge Welt

Die Gefahr, die in Berlin von der militanten Neonaziszene ausgeht, darf nicht unterschätzt werden. Zu diesem Urteil kommt man beim Lesen der jüngst erschienenen Antifarecherchezeitschrift FIGHT.BACK. Im Heft finden sich ausführliche Informationen zum Organisierungsgrad des Rechtsextremismus in den Stadtteilen Pankow, Treptow, Moabit und Rudow. Dabei sticht hervor, daß die militante Neonaziszene überall in Berlin fest organisiert ist.

Anhand zahlreicher Beispiele wird deutlich, daß Neonazis über ein enggewebtes Netz von Stützpunkten verfügen, egal ob im West- oder Ostteil der Stadt. Dazu sind Neonaziläden ebenso zu zählen wie Kneipen, Restaurants, Jugendclubs, die Landeszentralen von NPD und Republikanern, aber auch Kleingartenkolonien und Bahnhöfe des öffentlichen Nahverkehrs.

In FIGHT.BACK findet sich ein Verzeichnis von etwa 200 rechtsextremen Führungspersonen, die allesamt konkreten Aktionen oder Gruppen zugeordnet werden. Zu vielen Organisationen, also Parteien und anderen Gruppen wie Kameradschaften, bietet das Heft Hintergrundartikel und Bildmaterial. Die Artikel dokumentieren eine Vielzahl rechter Übergriffe und Propagandadelikte sowie Anschläge, Schändungen jüdischer Friedhöfe und antifaschistischer Gedenkstätten.

In der Zeitschrift wird die sogenannte Grauzone nicht übergangen, d.h. die Beziehungen zwischen rechtsextremen und bürgerlichen Organisationen und Einzelpersonen. FIGHT.BACK enthält außerdem einen Beitrag zu neuen Entwicklungen im rechtem Lifestyle und untersucht kritisch das Engagement zivilgesellschaftlicher Initiativen, Neonazis zum Ausstieg aus ihren Gruppierungen zu bewegen. Außerdem werden in einem Interview mit Vertretern antifaschistischer Initiativen die Positionen der organisierten Antifa deutlich. Ihre Forderung: Antifaschistische Arbeit darf sich nicht im Kampf gegen neue und alte Nazis erschöpfen, auch Alltagsrassismus, Antisemitismus und Chauvinismus sind anzugreifen. Die Broschüre soll dazu beitragen, »eine Basis für konkrete antifaschistische Arbeit in Berlin zu schaffen«. Im Internet steht sie unter www.treptowerantifa.de zur Verfügung.

Freitag, 30. Mai 2003

Gedenkdemo für Neonaziopfer in Berlin-Buch: Wie gesellschaftlicher Verdrängung entgegenwirken?

Torben Klaas ist Sprecher der Autonomen Antifa Nordost Berlin [AANO]. Die Gruppe gehört zu den Organisatoren einer Antifademo am Samstag in Berlin-Buch (15 Uhr, S-Bhf.)

Ralf Fischer & Andreas Siegmund-Schultze / Junge Welt

Sie mobilisieren mit anderen Gruppen auch in diesem Jahr im Berliner Stadtteil Buch zur Gedenkdemonstration für Dieter Eich. Was ist der Hintergrund der Demo »Erinnern heißt kämpfen – den rechten Konsens brechen«?
Zu Beginn des sogenannten »Antifa-Sommers«, am 24. Mai 2000, wurde in Buch der Sozialhilfeberechtigte Dieter Eich von vier Neonazis ermordet. Wir wollen seiner gedenken und vor allem auf den politischen Hintergrund aufmerksam machen. Gerade die Vertuschungsversuche der Behörden – sie sprechen noch immer von einer unpolitischen Tat – und die kollektive Verdrängung des Mordes von Menschen in Buch sind für uns Grund, hier zu intervenieren. Wir wollen uns offensiv dem gelebten Sozialdarwinismus in dieser Gesellschaft stellen.

Bereits im vergangenen Jahr veranstalteten Sie diese Demonstration. Wie reagierte die lokale Neonaziszene 2002 auf Ihre Aktion?
Schon im Vorfeld mobilisierten Neonazis mit Flugblättern dagegen. Neben der Verunglimpfung des Anliegens wurde im Flugblatt auch dazu aufgerufen, den Aufzug zu stören. Am Tag der Demo wurde nahe des Treffpunktes eine Reichskriegsflagge aufgehangen. Auch in diesem Jahr haben sich bereits Neonazis angekündigt.

Gab es auch positive Reaktionen aus der Bevölkerung?

Vor allem junge Menschen aus Buch schlossen sich im Vorjahr unserer Demonstration an. Aber zum großen Teil war die Bevölkerung desinteressiert.

In einem zur Demonstration erschienenen Antifa-Jugendinfo wenden Sie sich gegen den weitverbreiteten Sozialdarwinismus in der Bevölkerung. Die bundesdeutsche Entwicklung, aktuelles Stichwort »Agenda 2010«, macht da wenig Hoffnung auf Veränderung. Wo muß die radikale Linke im Hinblick auf eine Bekämpfung dieser Zustände ansetzen?
Wir sehen unsere Intervention in Buch als praktischen Versuch, linksradikale Inhalte außerhalb der üblichen Kreise zu formulieren. Durch die bisherige inhaltliche Arbeit haben wir in Pankow langsam eine Basis, die sich nicht nur für reine Antinaziarbeit interessiert, sondern auch für die derzeitige Sozialpolitik der Bundesregierung und die sozialen Einschnitte des Senates in Berlin. Dies zum Glück nicht aus sozialdemokratischer, sondern aus einer linksradikalen Sicht. Mit der Demonstration wollen wir auch im Stadtteil Buch ein Klima dafür schaffen.

Gegen den kapitalistischen Alltag sollte nicht nur in Berlin-Mitte oder Kreuzberg demonstriert werden. Die Ghettoisierung der Linken hat auch eine regionale Komponente. Wir denken, durch die kontinuierliche Arbeit gerade in den Randbezirken können sogenannte »Hochburgen der Linken« ausgebaut werden. Außerdem unterstützen wir die Versuche, sich überregional und autonom zu vernetzen. Auf der Demonstration werden bestimmt nicht nur Antinazithemen dominieren.

Montag, 3. März 2003

Befreiung, Antisemitismus und die Linke

Ralf Fischer / Rundbrief der AG Antifaschismus beim Parteivorstand der PDS

Befreiung und Freiheit sind keineswegs dasselbe. Zwar ist Freiheit ohne Befreiung nicht möglich, aber sie ist niemals einfach nur das selbstverständliche Resultat der Befreiung.“ Hannah Arendt

Auch wußte die bekannte Philosophin Hannah Arendt schon in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts, dass es sich bei der Annahme, Antisemitismus sei ausschließlich ein Phänomen der politischen Rechten, um ein hartnäckiges Vorurteil handelt. Max Horkheimer und Theodor W. Adorno stellten in ihrem Standardwerk „Dialetik der Aufklärung“ zum Antisemitismus nach dem Holocaust folgendes fest: „Die Juden sind heute die Gruppe, die praktisch wie theoretisch den Vernichtungswillen auf sich zieht, den die falsche gesellschaftliche Ordnung aus sich heraus produziert. Sie werden vom absolut Bösen als das absolute Böse gebrandmarkt. So sind sie in der Tat das auserwählte Volk. Während es der Herrschaft ökonomisch nicht mehr bedürfte, werden die Juden als deren absolutes Objekt bestimmt, mit dem bloß noch verfahren werden soll. Den Arbeitern, auf die es zuletzt freilich abgesehen ist, sagt es aus guten Gründen keiner ins Gesicht; die Neger will man dort halten, wo sie hingehören, von den Juden aber soll die Erde gereinigt werden, und im Herzen aller prospektiven Faschisten aller Länder findet der Ruf, sie wie Ungeziefer zu vertilgen, Widerhall.

Innerhalb der europäischen Arbeiterbewegung wurde Antisemitismus immer wieder geleugnet, verharmlost oder entschuldigt. Doch darüber hinaus wurde er und wird noch heute als sogar konsequenter Antikapitalismus offen propagiert. Als bekanntestes Beispiel der Vergangenheit gilt das ZK-Mitglied der deutschen KP Ruth Fischer. Sie forderte 1923 in einer Rede: „Tretet die Judenkapitalisten nieder, hängt sie an die Laterne, zertrampelt sie!

Als radikalste praktische Form eines linken Antisemitismus gelten die stalinistischen Kampagnen gegen den „Zionismus“ und „Kosmopolitismus“ in der Mitte des letzten Jahrhunderts. Die von Lenin geführte Oktoberrevolution hat den russischen Juden zahlreiche Vorteile im Vergleich zur Zarenzeit gebracht. Doch mit Stalin kam ein Mann an die Macht in der Sowjetunion, der bereit war Antisemitismus als politisches Mittel einzusetzen.

Stalin wandelte sich in der Zeit von einem taktischen zu einem überzeugten Antisemiten. Nach dem Zweiten Weltkrieg unterstützte zwar die Sowjetunion kurzfristig das Projekt der Gründung des Staates Israel. Doch spätestens Ende der vierziger Jahre wurde der Antizionismus zur Staatsdoktrin und damit zu einem Element staatlicher Ideologie und Praxis, bei dem die Regierungen der SU und anderer Staaten des sogenannten „Ostblocks“ auf die Gefolgschaft ihrer Bevölkerung rechnen konnten.

Die SED zum Beispiel begrüßte zwar noch 1947 den UN-Beschluß zur Teilung Palästinas, doch gleichzeitig wurden die Wiedergutmachungsbestrebungen gegenüber Israel mehrheitlich abgelehnt. Gegenüber Leo Bauer begründete Walter Ulbricht dieses Verhalten wie folgt: „Kommt gar nicht in Frage. Wir bauen hier unseren Saat, und da die Opfer des Faschismus die entscheidenden Träger dieses Staates sind, wäre es doch lächerlich, wenn sie sich selbst eine Wiedergutmachung zahlen wollten. Und die Juden? Nun, wir waren immer gegen die jüdischen Kapitalisten genauso wie gegen die nichtjüdischen. Und wenn Hitler sie nicht enteignet hätte, so hätten wir es nach der Machtergreifung getan.

Über das Recht der Juden auf einen eigenen Staat wurde innerhalb der DDR-Medien bis 1950 positiv berichtet. Israel wurde als fortschrittliches Land betrachtet, dass sich gegen die Aggression der von England unterstützten arabischen Feudalcliquen zur Wehr setzen müsse. Offen israelfeindliche Artikel erschienen erstmals im Zuge des Slànsky-Prozeß Anfang 1953. Im Laufe der Jahre entwickelten sich die „Partei des schaffenden Volkes“ und die ihr angeschlossenen Jugendorganisationen sowie Medien in der DDR zu den wichtigsten Träger der sogenannten „antiimperialistischen Solidarität“ mit den weltweit unterdrückten Völker, und damit einher gehend für antiisraelische und antizionistische Propaganda.

In der Geschichte der westdeutschen Linken lassen sich von der Sozialdemokratie, über die Grünen und selbstverständlich die Alternativen, feministischen Gruppierungen, K-Gruppen, Autonomen und Antiimperialisten bis hin zu den bewaffneten Gruppen Aussagen und Handlungen belegen, die jede Differenzierung zwischen Antizionismus und Antisemitismus überflüssig werden lassen.

Typische Beispiele dafür sind der Anschlag der „Tupamaros“ auf das jüdische Gemeindehaus 1969
in Westberlin, die Lobeshymnen linker Gruppen anläßlich der Ermordung israelischer Sportler bei der Olympiade 1972 in München, oder – der Klassiker – die Parole in der Hamburger Hafenstraße, die da tönte „Boykottiert ‚Israel‘! Waren, Kibbuzim und Strände … Palästina – das Volk wird dich befreien ... Revolution bis zum Sieg“.

Diese Parole hat alle zentrale Elemente des linken Antizionismus in sich vereint. Die Delegitimierung des Existenzrecht von Israel, die Ignoranz gegenüber der Verfolgung der Juden während des Nationalsozialismus sowie die Begeisterung für Volk und Lebensraum vorgetragen in einer revolutionären Befreiungsrhetorik.

Antisemitismus in der Linken manifestiert sich, wie schon weiter oben erwähnt, nicht nur im Antizionismus. Heute, da es seit Jahrzehnten innerhalb der Linken massive Kritik an antizionistischen Positionen gibt, muss vor allem die Diskussion über den strukturellen Antisemitismus weiter forciert werden. Ein wichtiger Faktor des Antisemitismus ist die Feindschaft gegenüber der abstrakten Seite der kapitalistischen Warenproduktion, die nur zu oft in den Juden biologisiert wird. Am deutlichsten wurde das bei der im Nationalsozialismus vorgenommenen Trennung in deutsches „schaffendes Kapital“ und jüdisches „raffendes Kapital“.

Die Grundlage dieser Trennung ist die Tendenz in fast allen Subjekten in der bürgerlichen Gesellschaft in Arbeitsplätze schaffende Industriekapitalisten einerseits und das scheinbar unproduktive Kapital der Zirkulationssphäre andererseits zu unterscheiden. Gerade in der aktuellen Debatte über die sogenannte Globalisierung finden sich zahlreiche Argumentationen, die inhaltliche Affinitäten, und viel öfter noch strukturelle Ähnlichkeiten zum Antisemitismus aufweisen.

Der linke Antisemitismus muß im Zusammenhang mit einer Kritik an jeglicher linker Ideologie erörtert werden. Der Antizionismus in den ehemaligen realsozialistischen Ländern wird in der Regel ausschließlich als taktisches Manöver der Staatsführung verstanden, anstatt ihn in Beziehung zur Ideologie des Marxismus-Leninismus zu setzen. Viele Kritiker des linken Antisemitismus haben ein funktionalistisches Antisemitismusverständnis ähnlich wie die von ihnen Kritisierten.

Wichtig zu erkennen ist, dass gerade die allgemeinen linken Vorstellungen von Kapitalismus, Imperialismus, von Staat, Nation und Volk sowie von Faschismus und Nationalsozialismus sehr viel mit dem Antisemitismus in der Linken zu tun haben. In den größten Teilen der Linken ist nämlich der Faschismus sowie der Nationalsozialismus darauf reduziert, eine besonders garstige, von den aggressivsten Fraktionen des Establishment dominierte Form von Kapitalismus zu sein.

Kapitalismus wird häufig in der Linken nicht als gesellschaftliche Totalität begriffen, sondern als eine Addition aller Kapitalisten, denen die Klasse der Lohnabhängigen als prinzipieller Antagonismus scheinbar unversöhnlich gegenüber steht. „So entsteht“, schreibt Thomas Haury folgerichtig, „zwangsläufig ein binäres und verdinglichendes, ein personalisierendes und moralisierendes Denken, das eine Clique von bösen Herrschenden annehmen muss, die mittels direkter Repression, Korruption durch Sozialpolitik und gemeiner Propaganda in den Medien die Guten, die Beherrschten, niederhalten.

Das zu Kritisierende, das Abzuschaffende ist dadurch – und darin besteht die fatale Ähnlichkeit zum Antisemitismus – nicht mehr ein gesellschaftliches Verhältnis, sondern sind Menschen, die einen Teil, eine Seite dieses gesellschaftlichen Verhältnisses vermeintlich oder tatsächlich repräsentieren. Doch, nicht das materielle Interesse ist das kapitalistische Problem, sondern dessen Nichtbefriedigung.

Die Verhältnisse zu kritisieren, in denen die Wünsche nicht erfüllt werden, ist die Aufgabe der Linken, nicht die Suche nach Schuldigen oder der Versuch durch die Absetzung, den Austausch oder gar die Liquidierung von Menschen den Kapitalismus abzuschaffen.