Montag, 23. Dezember 2002

Haftbefehl wegen Theaterrequisiten

Berliner Polizei versucht, Teilnehmer einer Aktion am »Werbefreien Tag« als Terroristen zu diffamieren

Ralf Fischer & Andreas Siegmund-Schultze / Junge Welt

Die Beteiligung dreier Berliner an Aktionen im Rahmen des sogenannten »werbefreien Tages« am 16. Dezember bleibt nicht folgenlos. Bundesweit hatte an diesem Tag das »nicht existierende Netzwerk aus Graffiti-Sprühern, Antikapitalisten, Künstlern und Vagabunden« dazu aufgerufen, Werbeflächen im Straßenland zu verändern. Allein in Berlin waren diesem Aufruf Hunderte Menschen gefolgt und hatten in verschiedenen Teilen der Stadt Werbung »verschönert, übermalt, abmontiert, überklebt, persifliert oder einfach nur zerstört«, wie die Veranstalter mitteilten. Im Aufruf zu dem Polit-Happening hatte es geheißen: »Jedes Jahr vor Weihnachten gipfelt die Werbung in ihre größte Perversion. (...) Mit den 17 Milliarden Euro, die von der Werbung im Jahr 2001 in Deutschland verschlungen wurden, könnten Bildungs- und Gesundheitssystem saniert werden«. Sinn der Aktion sollte auch der öffentliche Protest gegen die zunehmende Kriminalisierung von Graffitisprayern sein.

Für einen Teilnehmer hatte die Aktion jedoch recht unangenehme Folgen: In der Friedrichstraße in Berlin-Mitte griffen in der Nacht zum 17. Dezember Polizeibeamte drei Jugendliche zwischen 17 und 23 Jahren auf, als sie an einen Hauseingang den Spruch »Lebt den Kaufrausch!« gesprüht hatten. Bei anschließenden Hausdurchsuchungen sollen nach Angaben einer Pressemitteilung der Berliner Polizei vom Wochenende bei einem 21jährigen »drei selbst gebastelte Spreng- bzw. Brandvorrichtungen« sowie ein Kilogramm Rauchpulver im Keller gefunden worden sein. jW vorliegenden Informationen zufolge wird dieser Keller aber von mehreren Mietern einer Wohngemeinschaft genutzt. Ein Mitbewohner des Beschuldigten hat inzwischen eine eidesstattliche Erklärung abgeben, nach der die im Keller gefundenen Utensilien nicht dem Beschuldigten gehören, sondern ihm. Auch handele es sich nicht um »gefährlichen Sprengstoff«, sondern lediglich um harmlose Theaterrequisiten. Dennoch ist der Beschuldigte nach Angaben der Polizeipressestelle wegen Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten, Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz und Sachbeschädigung einem Richter vorgeführt worden. Gegen ihn wurde ein Haftbefehl erlassen, dessen Vollzug allerdings ausgesetzt wurde.

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