Samstag, 14. Juli 2001

Mehr Emotionen!

Wie wichtig ist Dir die junge Welt? jW-Gespräch mit dem Antifa-Aktivisten Ralf Fischer

Wie wichtig ist für Sie die junge Welt, für die autonome Antifa und die Antiglobalisierungsbewegung?

Als täglich erscheinende Zeitung ist sie natürlich sehr wichtig. Allerdings sind die 16 Seiten fast zu wenig. Ich halte die ganz anderen Themenschwerpunkte als in den bürgerlichen Medien sowie das breite Spektrum der jW für enorm wichtig, um sich über die herrschenden Zustände zu informieren. Das kann man erst einmal so festhalten.

Sicher kann man in einzelnen Fragen unterschiedlicher Meinung sein - da gibt es keine generellen Kritikpunkte. Unsere größte Kritik geht in Richtung Nahost- Berichterstattung. Wir kommen nicht aus der antiimperialistischen Richtung, die bedingungslos die Palästinenser unterstützt. Wir erkennen nicht nur das Existenzrecht von Israel an, sondern gehen darüber hinaus. Wir wollen schon mehr darüber hören, daß jugendliche Palästinenser massiv dazu angestachelt werden, Steine auf Israelis zu werfen, und nicht andauernd lesen, daß Israelis mit Schußwaffen zurückschießen. Es ist eine Frage der mangelnden Ausgewogenheit in diesem Bereich, die uns Bauchschmerzen bereitet. 

Wenn man heute jemanden fragt, wertfrei in der Linken, wer steht eher auf der Seite der Palästinenser und wer steht eher auf der Seite der Israelis, wird gesagt, konkret und Jungle World stehen auf der Seite der Israelis und die junge Welt auf der der Palästinenser. Ich versuche mich da nicht rauszuhalten, aber auch auf keiner Seite felsenfest ideologisch zu beharren. Das Problem scheint mir so vielschichtig, daß es schwer ist, sich hier aus Deutschland zu positionieren und danach auch noch sagen zu können, ich hab' mich richtig positioniert. Daß dort Kinder angeschossen oder erschossen werden, ist grauenvoll - das ist eine korrekte Position, das kann ich voll nachvollziehen. Aber genauso kann ich doch auch die Position haben, daß Israel ständigen Angriffen ausgeliefert ist und sich dagegen militärisch verteidigt ...

Im Gegensatz dazu wurde von autonomer Seite bei der Kritik an der jW-Berichterstattung über die Proteste in Göteborg die Frage von Ursache und Wirkung klarer gesehen.

Diejenigen, die nach Schweden gefahren sind, taten dies aus einem politischen Anspruch heraus und nicht, weil sie dort Krawall machen wollten, wie dies bei der jW durchklang. Da haben sich tatsächlich einige auf den Schlips getreten gefühlt. Die junge Welt beschrieb die deutschen Autonomen ja gerade so, als ob sie sich in Göteborg ansatzweise verhalten hätten wie allgemein Deutsche im Ausland. Es ist schon schwierig, in einer linken Zeitung lesen zu müssen, was ansonsten die Märkische Allgemeine Zeitung, die BZ oder andere bürgerliche Zeitungen schreiben. Es wäre schon schön gewesen, das ausgewogen darzustellen.

Heißt Ausgewogenheit das Ausbleiben von Kritik an militantem Auftreten?

Nein, nein. Das Ausbleiben von Kritik soll das nicht heißen. Aber wenn man als linke Tageszeitung den Anspruch hat, wirklich längerfristig zu diskutieren, dann kann man das doch auf den Themaseiten bringen oder vielleicht sogar eine Beilage machen.

Die Kritik nicht richtig zu finden muß nicht heißen, daß sie falsch ist oder daß die Fakten nicht stimmen, die vorgebracht worden sind.

Das müßte man sicher im einzelnen diskutieren. Politik ist doch aber nichts Emotionsloses, sondern hat sehr viel mit Emotion zu tun.

Heißt das, die junge Welt sollte emotionaler werden?

Vielleicht. Auch. Ich fand es zum Beispiel sehr schön, daß ein Interview mit der Sprecherin der Gruppe gebracht wurde, die Solidaritätsarbeit für die Gefangenen in Göteborg leistet. Es ist doch unbeschreiblich, was die jungen Menschen dort im Gefängnis erlebt haben. Berichte über Isolationshaft, wie man das aus Deutschland-Stammheim oder zum Teil der Türkei kennt. Da ist es für mich wichtig, auch in der jW eine sehr tiefe Solidarität mit diesen Menschen zu zeigen. Danach kann ich doch immer noch kritisieren. Oder?

Uns geht es nicht einfach darum, Kritik an militanter Politik zu unterbinden. Eine Debatte halten wir für sehr, sehr spannend. Zunächst aber müssen doch diejenigen, die zu den Protesten fahren, ernst genommen werden. Es ist eben nicht so, daß massenhaft Personen nach Göteborg oder nächste Woche nach Genua fahren, die nur Streit oder Gewalt suchen. Es sind Menschen, die in Gewerkschaften, Linksparteien oder in autonomen Antifa-Zusammenhängen organisiert sind und zusammen eine fundierte Kritik an der Globalisierung von oben, an der Europäischen Union und den Nationalstaaten an sich haben. Das ist doch schon eine Menge und sollte von der jW nicht einfach negiert werden.