Montag, 5. November 2001

Kampf um die Straße

Rechtsextremismus in Berlin: Ein aktueller Überblick über Gruppen und Einzelpersonen

Ralf Fischer & Sven Pötsch / Junge Welt

Aufgrund der besonderen Verhältnisse war der organisierte Rechtsextremismus vor 1989, sowohl in West- als auch in Ost-Berlin, ein Problemfeld, welches nahezu ausschließlich außerhalb von Parteiverbänden und öffentlichen Auftritten angesiedelt war. Berliner Rechtsextremisten agierten in losen Personenzusammenschlüssen und kleinen Zirkeln im subkulturellen Bereich. Wegen der Verbote von Parteitagen und Kundgebungen seitens der Westalliierten fand z.B. das Parteileben des seit 1966 im Westen Berlins aktiven Landesverbandes der NPD fast durchgängig in internen Zusammenkünften statt. Öffentlichkeitswirksamkeit wurde dadurch nicht erzielt. Aufgrund der räumlichen Trennung vom Bundesgebiet und damit von den Parteizentralen, waren die West-Berliner Landesverbände rechtsextremer Organisationen weitgehend auf sich allein gestellt, die spezifischen Berlin-Probleme wiederum spielten in den Parteizentralen eine untergeordnete Rolle.

Erst mit dem politischen Wandel in der Sowjetunion änderte sich die Haltung der Alliierten in bezug auf rechtsextreme Organisationen und Veranstaltungen. 1987 gründete sich ohne Einwände der Alliierten der Landesverband der Republikaner. Er schaffte es mit massiver Öffentlichkeitsarbeit, die allgemeine Demokratieverdrossenheit für sich zu nutzen und gewann bereits zwei Jahre nach seiner Gründung 7,5 Prozent der Stimmen zum West-Berliner Abgeordnetenhaus. Jedoch setzte sehr bald eine Ernüchterung ein, zu offensichtlich war der Charakter der Partei. Bei den ersten Gesamtberliner Wahlen im Dezember 1990 sank der Stimmenanteil auf knapp drei Prozent.


Republikaner, DVU, NPD ...

Auch heute sind die Republikaner in Berlin mit über 800 Mitgliedern die zahlenmäßig stärkste Partei im rechtsextremen Bereich. Doch ihre Bedeutung sinkt. Die Partei ist gespalten in einen gemäßigteren und einen zum offenen Schulterschluß mit militanten Neonazis bereiten Flügel. Der seit Jahren bundesweit ausgetragene Flügelkampf lähmt die Partei und wirkt sich vernichtend auf ihre Wahlergebnisse aus. Auch der Zuzug der Parteizentrale vor drei Jahren nach Berlin brachte nicht den erhofften langfristigen Aufschwung.

Die Deutsche Volksunion (DVU) ist mit zirka 600 eingetragenen Mitgliedern der zweitstärkste Landesverband einer rechtsextremen Partei in Berlin. Die DVU-Mitglieder spielen jedoch außerhalb des Wahlkampfes kaum eine politische Rolle in Berlin. Zu den Abgeordnetenhauswahlen in diesem Jahr waren sie wegen interner Absprachen mit den Republikanern nicht angetreten. Neben einigen wenigen Veranstaltungen für die Mitglieder der Partei ist in Berlin die Verbreitung der Zeitungen des DVU-Vorsitzenden Gerhard Frey die wichtigste parteipolitische Aktivität außerhalb der Wahlkämpfe.

Einen NPD-Mitgliedsausweis haben nur rund 250 Berliner in der Tasche. Dennoch sind die NPD und ihr Jugendverband, Junge Nationaldemokraten, die derzeit aktivste rechtsextreme Partei in Berlin und im Bundesgebiet. Nach dem Umzug der Bundesgeschäftsstelle der NPD nach Berlin-Köpenick und des Parteivorsitzenden Udo Voigt nach Hennigsdorf versucht die NPD, die Region Berlin/Brandenburg zu einer zweiten Bastion neben Sachsen auszubauen.

Voraussetzung war die größtenteils erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Berliner Kameradschaftsszene. Sie begann Mitte 1999 mit der Wahl des Berliner Neonazikaders Frank Schwerdt in den NPD-Bundesvorstand. Im Gegenzug rief der die Kameradschaftsszene auf, sich ebenfalls der NPD anzuschließen, was zu erheblichen Auflösungserscheinungen und einem beachtlichen Mitgliederschwund innerhalb der damals stark ausgebauten Kameradschaftsszene führte. Ein weiteres wichtiges Bindeglied zwischen beiden Gruppierungen ist der Vorsitzende des NPD-Bezirksverbandes Berlin und stellvertretende Bundesvorsitzende der Jungen Nationaldemokraten, Andreas Storr, der gleichzeitig Führungskader der Kameradschaft Marzahn war.

Die NPD will ihre Basis ausbauen. Im Ostteil der Stadt gründete sie mit ehemaligen Mitgliedern aufgelöster oder verbotener Neonazi-Organisationen eigene Kreisverbände. In die Führungspositionen rücken wie selbstverständlich bekannte Kader der ehemaligen Gruppierungen. Zu den Wahlen im Oktober 2001 schickte die NPD angesichts der Diskussion um ein Verbot der Partei nicht so auffällige Bewerber ins Rennen. Im Vorstand der NPD Berlin-Brandenburg sieht es anders aus. Dort sind Ex-Mitglieder des aufgelösten Skingirl-Freundeskreises Deutschland (SFD), der Nationalistischen Front (NF) und aus der Kameradschaftsszene vertreten.


15 Nazikameradschaften

Nachdem 1999 viele Strukturen der Kameradschaften einschliefen oder von der Bildfläche verschwanden, ist seit Mitte 2000 ein neuer Aufschwung zu beobachten. Viele rechtsextreme Jugendliche organisieren sich lieber in lockeren Strukturen als in der NPD. Zur Zeit existieren mindestens 15 Kameradschaften in Berlin – von der professionell organisierten Kameradschaft Germania bis hin zu Cliquen rechtsextremer Jugendlicher, die sich als Kameradschaft bezeichnen. Alle haben eine Gemeinsamkeit, sie sind bekennende Nazis.

Die Kameradschaften sind oft straff organisiert und kooperieren untereinander. Interne Streitigkeiten sind keine Seltenheit. Während die meisten mit der NPD zusammenarbeiten, ist einigen ihrer Führer der NPD-Kurs zu lasch. Aus diesem Grund wird immer wieder versucht, einen Zusammenschluß unabhängig von der NPD zu etablieren, so in diesem Jahr von der Kameradschaft Germania. Der Anfang des Jahres gegründete Kameradschaftsbund Germania war nach einem halben Jahr schon wieder Geschichte. Interne Führungsansprüche des Chefs der Germania verschreckten die Kameradschaften Hohenschönhausen, Pankow, Tor und Preußen so sehr, das gleich der ganze Bund auseinanderflog.

Erfolgreicher operierte der seit Mitte der 80er Jahre aktive Neonazikader Oliver Schweigert. Er organisiert das zur Zeit unter dem Namen Nationaler Widerstand Berlin-Brandenburg agierende Aktionsbüro Mitteldeutschland, einen Ableger des bundesweit bekannten Norddeutschen Aktionsbüros. Bundesweit existieren mehrere solcher Aktionsbüros, ihre Aufgabe ist die engere Vernetzung und Organisierung der Freien Kameradschaften in der jeweiligen Region. Geleitet werden sie von ehemaligen Kadern oder zumindest Anhängern der von Michael Kühnen in den 80er Jahren gegründeten Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF). Hauptaufgabe der Aktionsbüros ist es, für Demonstrationen, Kundgebungen und inhaltliche Veranstaltungen über Internetseiten, E-Mail-Verteiler und Telefon die Freien Kameradschaften zu mobilisieren. Aber auch inhaltliche Texte, Rechtshilfetips und Auszüge aus internen Debatten werden auf den Internetseiten und per E-Mails verbreitet.

Ebenfalls wieder politisch aktiv geworden ist der ehemalige GdNF- und NSDAP/AO-Kader Arnulf Priem. Nachdem er sich nach seiner Haftentlassung im Jahre 1997 offiziell politisch nicht mehr betätigte, versucht er seit einiger Zeit – mittels organisatorischer Arbeit im Nordosten Berlins – wieder eine politische Rolle in der Stadt zu übernehmen. Sein jetziges Handlungsfeld sind vorwiegend Jugendliche in den östlichen Bezirken, die die internen Spannungen, die sich in den letzten zehn Jahren um seine Person ergeben haben, meist nicht verfolgten. Jugendliche aus dem Umfeld von Arnulf Priem emordeten im Jahr 2000 den arbeitslosen Dieter Eich. Sie traktierten ihn erst mit Fäusten und Stiefeltritten, um ihn dann mit einem gezielten Messerstich zu töten.


Rechtsextremer Lifestyle

Wie in den östlichen Bundesländern kämpft die NPD auch in Ostbezirken Berlins um kulturelle Hegemonie. Nicht ohne Erfolg. Der rechtsextreme Lifestyle ist überall in Berlin beheimatet. Bestes Beispiel war die Oktober-Tour der drei rechtsextremen Liedermacher Frank Rennicke, Jörg Hähnel und Anett im Vorfeld der Wahlen zum Abgeordnetenhaus. Eine Woche lang tourten sie für die NPD quer durch Berlin, und auch im Westteil der Stadt fanden sich Hunderte begeisterte Zuhörer für ihre Konzerte

Die im Jahre 2000 verbotene Neonazi-Organisation Blood & Honour hatte einen ihrer regionalen Schwerpunkte in Berlin. Ihre Strukturen bestehen jedoch weiter. Es wurde sogar ein CD-Sampler unter dem Titel »Blood & Honour Brandenburg« mit vornehmlich Berliner Rechtsrock-Bands produziert und vertrieben. Insgesamt bleibt festzustellen, daß der Versuch des Verbotes von Blood & Honour völlig gescheitert ist. Das schon immer verdeckt agierende Netzwerk arbeitet nach einigen kleinen Änderungen in der Organisationsstruktur unbeirrt weiter. Die Herstellung und der Vertrieb illegaler Tonträger läuft nach wie vor sehr gut, die Organisierung von Konzerten mit Rechtsrock-Bands funktioniert und es wurden neue Kleidungsstücke mit dem Nachfolgesymbol von Blood&Honour bundesweit vertrieben.

Im Umfeld der Berliner »Blood & Honour Division« ist auch die in Ostberlin verwurzelte Ariogermanische Kampfgemeinschaft Vandalen aktiv. Sie tritt zwar kaum öffentlich in Erscheinung, trotzdem erreichte sie mit ihren Veranstaltungen ein hohes Ansehen in der Neonaziszene. Die etwa 15 Personen starke Funktionärsgruppe ist zwar subkulturell eher in der Metall-Szene verwurzelt, dennoch spielten Mitglieder der Vandalen in der Rechtsrock-Band Landser mit. Im Oktober diesen Jahres verhaftete das LKA Berlin fünf Personen, die im Verdacht stehen, Aktivisten der Band Landser zu sein. Gegen sie wird wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt. Mitglieder der Vandalen fallen auch deshalb immer wieder auf, weil sie innerhalb der Neonaziszene mit Waffen handeln. So ist Jean-René Bauer von den Vandalen im letzten Jahr verhaftet worden, als er ein Gewehr mit Zielfernrohr an ein Mitglied der National-Revolutionären Zellen verkaufen wollte.

Die organisatorische Aufsplitterung der rechtsextremen Szene in Berlin ist keine Ausnahme. Bundesweit hat sich seit den letzten zehn Jahren eine große politische Ausdifferenzierung rechter Organisationen vollzogen. Während im Osten Deutschlands die rechtsextremen Parteien, außer der NPD, kaum noch Einfluß besitzen, haben sich andere Formen durchgesetzt. Angefangen vom Konzept der »national befreiten Zonen« über den massiven Aufbau von Kameradschaften bis zur Unterstützung nationaler Schülergruppen werden viele unterschiedliche Strategien verfolgt, die alle an vorhandene Einstellungen in der Bevölkerung anzuknüpfen versuchen. Erfolgreiche Strategien aus dem Osten werden über kurz oder lang auch im Westen angewandt und umgekehrt.

Die rechtsextreme Szene in Berlin verfügt über eine funktionierende Infrastruktur, um organisationsübergreifende Aktionen zu realisieren. Zeitungen verlieren an Einfluß. Internetseiten, wie die des Nationalen Widerstands Berlin-Brandenburg, haben sich zu wichtigen Kommunikationsmitteln innerhalb der rechtsextremen Szene entwickelt. Auch Telefonmailboxen dienen der Kommunikation. Neben dem Nationalen Infotelefon (NIT) Preußen und dem NIT der Berliner Republikaner spielt Radio Germania im Offenen Kanal Berlin eine große Rolle. Die Ausstrahlung im OKB ist zwar seit dem Jahr 2000 juristisch unterbunden, aber die Sendungen sind via Internet oder CD-Versand dennoch erhältlich. Des weiteren verfügt die Szene über vier Läden, in denen vorwiegend Bekleidungsstücke, aber auch CDs und Fanzines vertrieben werden. Daneben existieren rechtsextreme Berliner Bands mit überregionaler Bedeutung und zum Teil sehr bekannten CD-Veröffentlichungen. Zu ihnen zählen die deutschlandweit wichtigste Band Landser, die eher subkulturell der Metall-Szene verbundene Band »Legion of Thor« oder die im vergangenen Jahr mit einer vielbeachteten Debüt-CD gestartete Band »Deutsch Stolz Treu«.


Aktionsfelder

Mit dem Hauptstadtbeschluß des Bundestages und dem damit verbundenen Umzug der meisten Bundesministerien und anderer -behörden, ergab sich auch für die rechtsextreme Szene der Stadt ein neues Argumentationsfeld. Die angebliche Verschwendung von Steuergeldern, insbesondere für die Flüge und die Umzugszuschüsse der Bonner Beamten, stieß in großen Teilen der Bevölkerung auf Kritik. Diese wurde gezielt aufgegriffen und mit der allgemeinen Demokratie-Ablehnung populistisch verbunden.

Ein weiteres Berlin-Spezifikum ist die starke Gegenwehr der Berliner Linken. Aus diesem Grunde versuchen Rechtsextremisten immer wieder, zum Teil mit massiver Beteiligung von Gruppen aus dem gesamten Bundesgebiet, Aktionen in Berlin durchzuführen. Dies ist etliche Male erfolgreich verhindert worden, dennoch gelang es der NPD und der Kameradschaftsszene, sich in Berlin mit Aufmärschen, zum Beispiel zum Brandenburger Tor, medial in Szene zu setzen.

Dabei wird gezielt versucht, bestimmte Tabus zu brechen und linke Argumentationsmuster umzudeuten. So versucht die NPD seit einigen Jahren vehement, den 1. Mai politisch zu besetzen. Mit Hilfe eines diffusen Antikapitalismus, der in diesem Zusammenhang immer Antiamerikanismus, Nationalismus und Antisemitismus beinhaltet, will die NPD die arbeitende Bevölkerung für ihre Zwecke mobilisieren. Dabei knüpft sie an linke Begriffe und die durch die politische Bildung der DDR im Osten Berlins weiterhin virulente Kapitalismuskritik an, um in die Wählerbasis der PDS hineinzustoßen.

Ein weiteres wichtiges Aktionsfeld ist die sogenannte Anti-Antifa-Kampagne. Im Jahr 1993 erschien die erste Anti-Antifa-Broschüre mit dem Namen »Einblick«. Darin waren bereits etliche Adressen von Berliner Bürgern veröffentlicht, die sich auf den unterschiedlichsten Ebenen gegen Rechtsextremismus engagierten. Seit Anfang der 90er Jahre agieren in Berlin rechtsextreme Gruppen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, politische Gegnerinnen und Gegner auszukundschaften. Die Koordinierung und Sammlung der gesammelten Daten erfolgte im Ausland. Im Sommer 1999 tauchten im Berliner Stadtbezirk Treptow Schwarze Listen mit Adressen von Antifaschisten auf, und im Dezember 1999 erschien eine weitere Anti-Antifa-Broschüre mit dem Titel »Der Wehrwolf«. Gegenüber dem »Einblick« wurde hier noch mehr Wert auf die Infrastruktur der linken Szene gelegt. Auch die Einrichtungen der Jüdischen Gemeinde rückten verstärkt ins Visier der extremen Rechten.

Die starke antisemitische Ausrichtung vieler Publikationen und Tonträger der Berliner Neonaziszene (so auch der Titelsong der neusten CD der Berliner Nazi-Band »Landser«: »Ran an den Feind, Bomben auf Israel«, versucht, Ressentiments in der Bevölkerung aufzugreifen und bestimmte Diskussionen, wie die Zwangsarbeiter-Entschädigung, für sich zu nutzen. Diese antisemitische Propaganda führt zwangsläufig zu einer hohen Zahl antisemitischer Anschläge in Berlin. Neben dem bis heute nicht aufgeklärten Bombenanschlag auf das Grab des ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrates der Juden, Heinz Galinski, gab es in den letzten Jahren unzählige Akte der Zerstörung und Schändung jüdischer Einrichtungen und Friedhöfe.