Montag, 23. April 2001

Ein Ende ohne Neubeginn

Beim Antifakongreß in Göttingen wurden keine neuen bundesweiten Strukturen geknüpft

Ralf Fischer & Andreas Siegmund-Schultze  / Junge Welt

»Dieser Kongreß wird nicht über die Neugründung einer neuen bundesweiten Organisation entscheiden können, er kann nur richtungsweisende Schritte einleiten«, ließ ein Vertreter der Antifa Bonn-Rhein-Sieg zu Anfang des Antifa-Kongresses an diesem Wochenende in Göttingen verlauten. Eine Aussage, die zumindest den dringenden Willen nach Neuorganisierung antifaschistischer Strukturen in der BRD erahnen ließ, nachdem sich die Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) Anfang April diesen Jahres aufgelöst hatte.

Mit gut 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern war der Kongreß unter dem Motto »Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen« am Freitag abend in Göttingen in die Diskussion eingestiegen. Bis Sonntag fanden auf dem Gelände der Universität zahlreiche Veranstaltungen mit jeweils mehreren hundert Aktivistinnen und Aktivisten statt. Analysen über die Geschichte von bisher existierenden bundesweiten Antifa- Strukturen sowie die vonnöten erscheinende Diskussion über Zukunftsperspektiven waren Hauptthemen des Kongresses. Obwohl ein derartiges Antifa-Treffen unter diesem Titel erstmals stattfand, gab es bereits in den Vorjahren einzelne Versuche, autonome antifaschistische Strukturen bundesweit zu vernetzen. 1998 beispielsweise in Leipzig bei einem »Verstärkerkongreß«.

Im Vorfeld hatten faschistische Kameradschaftsstrukturen um den Neonazikader Steffen Hupka für Sonnabend einen Aufmarsch in Göttingen angekündigt, der sich gegen »antifaschistische Gewalt« richten sollte. Trotz Hupkas Bemühungen, ein zuvor ausgesprochenes Verbot des Aufmarsches der Stadt Göttingen durch Verwaltungsgerichte wieder aufzuheben, blieb der Aufzug untersagt. Das Gericht begründete diese Entscheidung unter anderem mit zahlreichen Gesetzesverstößen bei zurückliegenden - von Hupka angemeldeten - Aufmärschen. Demonstrieren durften jedoch einige Dutzend Antifaschistinnen und Antifaschisten, die mit Losungen und Transparenten klar zeigten, von wem in diesem Land rassistische Gewalt ausgeht. Rassistische Politik, so meinten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, betreiben nicht nur die Neonazis, sondern in nicht unerheblichem Maße auch Staat und Wirtschaft, die beispielsweise mit ihrer Zuwanderungsdebatte die Trennung von ökonomisch »nützlichen« und »unnützlichen« Menschen vollziehen.

Zum Kongreß aufgerufen hatten neben zahlreichen lokalen Antifa-Gruppen auch in bundesweiten Zusammenhängen agierende Strukturen, so die Autonome Antifa (M) aus Göttingen, das Leipziger Bündnis gegen Rechts sowie die Antifaschistische Aktion Berlin (AAB). Diese Organisationen waren bislang die aktivsten Strukturen innerhalb der überregional tätigen »Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation« (AA/BO), einem vor neun Jahren gegründeten verbindlichen Netzwerk, dem sich damals zahlreiche regional aktive antifaschistische Gruppen angeschlossen hatten. Diese Gründung war auch eine Antwort auf die oft bornierte Haltung der zumeist hierarchisch strukturierten K-Gruppen früherer Jahre, von denen sich viele - insbesondere junge Antifaschistinnen und Antifaschisten - abkoppelten.

Damit entstand, wie eine Vertreterin der Organisation während des Kongresses am Sonnabend eingestand, eine »Organisation ohne Programm«. »In der AA/BO organisierten sich Anhängerinnen und Anhänger des Kommunismus oder des Anarchismus, aber auch Linke, die sich keinem >Ismus<« verpflichtet fühlten, so die Vertreterin der Autonomen Antifa (M) in ihrem Redebeitrag über die Geschichte der AA/BO. Diese Konstellation sorgte später für Probleme innerhalb der Organisation. Die Konsensfindung innerhalb der AA/BO war eines der massivsten Probleme. Die Einschränkung von politischen Positionen zugunsten einer gemeinsamen Position war für die meisten Gruppen vor Ort nicht mehr tragbar. Die politischen Analysen innerhalb der Organisation waren so schließlich nicht mehr wegweisend, sondern nur noch ein bunter Mix unterschiedlicher linksradikaler Ideologien.

Ein Thema während des Kongresses war der Umgang der Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB) mit einem Vergewaltigungsfall vor knapp zwei Jahren. Der AAB wird Täterschutz vorgeworfen, da sie nicht die Notwendigkeit sah, sich vom Täter klar zu distanzieren. Sie sei somit nicht dem Anspruch einer »antipatriarchalen Gruppe« gerecht geworden. Dieser Vorwurf wurde von zahlreichen FrauenLesben- Zusammenhängen erhoben, aber auch vielen anderen linksradikalen Gruppierungen. Außerdem wird der AAB angelastet, sich erst auf massives Drängen anderer Organisationen zu diesem Vorfall überhaupt geäußert zu haben. Das Pamphlet der AAB zu diesem Vergewaltigungsfall - »Die neue Sachlichkeit« - greife das Sanktions- und Definitionsrecht der Frau nach einer Vergewaltigung massiv an. Die Veranstaltung zu diesem Fall war einer hierarchischen Moderation unterworfen. Das Podium bestand aus vier AAB- Frauen, die versicherten, ihre Gruppe habe sich intern intensiv mit dem Thema Vergewaltigung sowie anderen Formen des Sexismus beschäftigt. Doch bei vielen Rednerinnen rief das Skepsis hervor. Die ergibt sich zudem aus dem Fakt, daß sich die AAB auch an dieser Stelle keinesfalls von ihrem damaligen Diskussionstext distanzierte. Rednerinnen kritisierten, daß vorhandene patriarchale Strukturen Stützpfeiler des Kapitalismus seien und auch innerhalb der Linken funktionierten. Sie forderten auch die AAB auf, dies endlich anzuerkennen. Ein Fortschritt in diesem Bereich war hier nicht abzusehen.

Während des Kongresses wurde auch die Frage des Verhältnisses zwischen antifaschistischen und antirassistischen Gruppen aufgeworfen. Es wurden Überlegungen erörtert, wie eine bessere Zusammenarbeit zwischen beiden Gruppierungen ermöglicht werden kann. Dabei zeigte sich, daß in der Vergangenheit die Bereitschaft aktiver antirassistischer Initiativen zur Zusammenarbeit mit der Antifa bei weitem größer war als umgekehrt.

Die Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation entschied sich Anfang April für ihre Auflösung. Der Antifakongreß am Wochenende sollte der erste Schritt einer erneuten Organisierungsdebatte innerhalb der antifaschistischen Bewegung sein. Doch es zeigte sich, daß es innerhalb der organisierenden Gruppen zu viele unterschiedliche Auffassungen gibt. Immerhin präsentierte das Leipziger Bündnis gegen Rechts auf dem Kongreß erste Ansätze einer neuen theoretischen Zeitung. Dieses Konzept stieß bei der Antifa Aktion Berlin auf große Kritik. Eine Einigung blieb aus.

Insgesamt bleibt das Resümee, daß von allen Gruppen weiterhin an der Idee einer bundesweiten Organisierung festgehalten wird, die praktische Umsetzung aber noch umfangreiche Debatten verlangt. Mehrfach wurde gefordert, daß eine neue linksradikale Struktur auch weiterhin nicht bei Anti-Nazi-Arbeit stehen bleiben darf. Ebenso aufgegriffen werden müssen Themen wie Antikapitalismus, Antirassismus, Antimilitarismus und Antipatriarchat.

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