Montag, 30. April 2001

Kampftag der Neonazis?

Kameradschaften wollen am 1. Mai in Frankfurt am Main marschieren

Ralf Fischer / Junge Welt

Bereits seit zwei Monaten mobilisiert die äußerste Rechte bundesweit zur »Großdemonstration des nationalen Widerstandes« am 1. Mai nach Frankfurt am Main. Als Hauptorganisatoren fungieren die altbekannten Neonazikader Steffen Hupka und Thomas Wulff. Laut Einschätzung des »Antifaschistischen Aktionsbündnis 1. Mai - Kein Naziaufmarsch« aus Frankfurt muß an diesem Tag mit 1 000 bis 2 000 Neonazis gerechnet werden. Neben den »Freien Kameradschaften« tragen den Aufmarsch unter anderem auch die NPD-Kreisverbände von Magdeburg und Offenbach. Im Anschluß an die Demonstration ist im Raum Frankfurt ein Konzert mit den Neonazibands »Hauptkampflinie« und »Faustrecht« angekündigt worden.

Nachdem ein Verbot des Neonaziaufmarsches am 7. April in der Mainmetropole höchstrichterlich vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert war, kann davon ausgegangen werden, daß der Aufmarsch am 1. Mai in jedem Fall stattfinden wird. Doch der Wunsch der Neonazis, in der Innenstadt zu demonstrieren, wird wohl kaum in Erfüllung gehen. Neben der alljährlichen Demonstration des DGB vom Günthersburgpark bis zum Römerberg wird auch ein Radrennen in der Innenstadt veranstaltet. Deshalb wird damit gerechnet, daß den Neonazis nur eine Demonstrationsroute außerhalb der Innenstadt genehmigt wird. Das »Antifaschistische Aktionsbündnis 1. Mai - Kein Naziaufmarsch«, dem mehr als zehn antifaschistische und antirassistische Gruppen angehören, ruft unterdessen alle Antifaschisten auf, am 1. Mai um 9.30 Uhr zum Willy-Brandt- Platz zu kommen, um von dort aus zu dem Ort zu demonstrieren, an dem der Aufzug der Neonazis beginnt.

Samstag, 28. April 2001

Revolutionär schon vor dem Kampftag

In Erfurt wird bereits am Vorabend des 1. Mai demonstriert

Ralf Fischer / Junge Welt

Am »Kampftag der Arbeiterklasse« wird es neben den schon zur Gewohnheit gewordenen antifaschistischen Aktionen gegen die Aufmärsche der Neonazis, auch eigenständige Aktionen von linksradikalen Gruppen geben. Schon seit Mitte der 90er Jahre wird nicht nur in Berlin am 1. Mai revolutionär demonstriert. Auch in Dessau und Nürnberg organisieren antifaschistische und autonome Gruppen seit Jahren internationalistische und antifaschistische Aktionen am 1. Mai. In diesem Jahr beginnen die alljährlichen Maifestspiele in Erfurt. Erstmals werden dabei antifaschistische und kommunistische Gruppen in der thüringischen Hauptstadt schon am Vorabend des 1. Mai demonstrieren.

Nach Analysen der organisierenden Gruppen ist die radikale Linke in Thüringen gesellschaftlich fast in die Bedeutungslosigkeit abgerutscht, deshalb wollen sie in Erfurt mit der eigenständigen Demonstration einen Schritt raus aus der politischen Isolation machen. »Radikale linke Kritik« muß formuliert und in die Öffentlichkeit transportiert werden, so die Antwort des Erfurter Vorbereitungsbündnisses auf die Krise. Unter dem Motto »Es gibt keine Alternative zur Revolution« wollen die Organisatoren um 17 Uhr vom Hirschgarten aus demonstrieren.

In Dessau findet seit sechs Jahren zum 1. Mai alljährliche eine linksradikale Demonstration statt. In diesem Jahr wird im Vorfeld des Tages ein Camp organisiert. Hier will man inhaltlich und organisatorisch Diskussionen und Vernetzungen über die Aktionen hinaus erreichen. Ähnlich wie in den letzten Jahren rechnet die »Initiativgruppe 1. Mai Dessau« mit einer breiten Beteiligung an den Aktivitäten rund um den 1.Mai. Die Demonstration soll um 14 Uhr auf dem Theaterplatz beginnen. Auch in Nürnberg wird die Tradition, am 1. Mai internationalistisch zu demonstrieren, fortgesetzt. In Ablehnung der gewerkschaftlichen Alibiveranstaltungen wird die Gruppe »organisierte autonomie« wieder eine Demo und ein Straßenfest im Stadteil Gostenhof durchführen. Unter dem Motto »Für die soziale Revolution - gemeinsam weltweit kämpfen« soll die Demonstration um 12 Uhr von der Gostenhofer Hauptstraße/Ecke Bauerngasse beginnen.

In Berlin steht die letzte Entscheidung der Gerichte noch aus, ob es wie jedes Jahr zwei revolutionäre Demonstrationen geben wird oder nur eine. Um 13 Uhr soll vom Kreuzberger Oranienplatz aus die erste revolutionäre Demo starten.

Montag, 23. April 2001

Ein Ende ohne Neubeginn

Beim Antifakongreß in Göttingen wurden keine neuen bundesweiten Strukturen geknüpft

Ralf Fischer & Andreas Siegmund-Schultze  / Junge Welt

»Dieser Kongreß wird nicht über die Neugründung einer neuen bundesweiten Organisation entscheiden können, er kann nur richtungsweisende Schritte einleiten«, ließ ein Vertreter der Antifa Bonn-Rhein-Sieg zu Anfang des Antifa-Kongresses an diesem Wochenende in Göttingen verlauten. Eine Aussage, die zumindest den dringenden Willen nach Neuorganisierung antifaschistischer Strukturen in der BRD erahnen ließ, nachdem sich die Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) Anfang April diesen Jahres aufgelöst hatte.

Mit gut 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern war der Kongreß unter dem Motto »Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen« am Freitag abend in Göttingen in die Diskussion eingestiegen. Bis Sonntag fanden auf dem Gelände der Universität zahlreiche Veranstaltungen mit jeweils mehreren hundert Aktivistinnen und Aktivisten statt. Analysen über die Geschichte von bisher existierenden bundesweiten Antifa- Strukturen sowie die vonnöten erscheinende Diskussion über Zukunftsperspektiven waren Hauptthemen des Kongresses. Obwohl ein derartiges Antifa-Treffen unter diesem Titel erstmals stattfand, gab es bereits in den Vorjahren einzelne Versuche, autonome antifaschistische Strukturen bundesweit zu vernetzen. 1998 beispielsweise in Leipzig bei einem »Verstärkerkongreß«.

Im Vorfeld hatten faschistische Kameradschaftsstrukturen um den Neonazikader Steffen Hupka für Sonnabend einen Aufmarsch in Göttingen angekündigt, der sich gegen »antifaschistische Gewalt« richten sollte. Trotz Hupkas Bemühungen, ein zuvor ausgesprochenes Verbot des Aufmarsches der Stadt Göttingen durch Verwaltungsgerichte wieder aufzuheben, blieb der Aufzug untersagt. Das Gericht begründete diese Entscheidung unter anderem mit zahlreichen Gesetzesverstößen bei zurückliegenden - von Hupka angemeldeten - Aufmärschen. Demonstrieren durften jedoch einige Dutzend Antifaschistinnen und Antifaschisten, die mit Losungen und Transparenten klar zeigten, von wem in diesem Land rassistische Gewalt ausgeht. Rassistische Politik, so meinten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, betreiben nicht nur die Neonazis, sondern in nicht unerheblichem Maße auch Staat und Wirtschaft, die beispielsweise mit ihrer Zuwanderungsdebatte die Trennung von ökonomisch »nützlichen« und »unnützlichen« Menschen vollziehen.

Zum Kongreß aufgerufen hatten neben zahlreichen lokalen Antifa-Gruppen auch in bundesweiten Zusammenhängen agierende Strukturen, so die Autonome Antifa (M) aus Göttingen, das Leipziger Bündnis gegen Rechts sowie die Antifaschistische Aktion Berlin (AAB). Diese Organisationen waren bislang die aktivsten Strukturen innerhalb der überregional tätigen »Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation« (AA/BO), einem vor neun Jahren gegründeten verbindlichen Netzwerk, dem sich damals zahlreiche regional aktive antifaschistische Gruppen angeschlossen hatten. Diese Gründung war auch eine Antwort auf die oft bornierte Haltung der zumeist hierarchisch strukturierten K-Gruppen früherer Jahre, von denen sich viele - insbesondere junge Antifaschistinnen und Antifaschisten - abkoppelten.

Damit entstand, wie eine Vertreterin der Organisation während des Kongresses am Sonnabend eingestand, eine »Organisation ohne Programm«. »In der AA/BO organisierten sich Anhängerinnen und Anhänger des Kommunismus oder des Anarchismus, aber auch Linke, die sich keinem >Ismus<« verpflichtet fühlten, so die Vertreterin der Autonomen Antifa (M) in ihrem Redebeitrag über die Geschichte der AA/BO. Diese Konstellation sorgte später für Probleme innerhalb der Organisation. Die Konsensfindung innerhalb der AA/BO war eines der massivsten Probleme. Die Einschränkung von politischen Positionen zugunsten einer gemeinsamen Position war für die meisten Gruppen vor Ort nicht mehr tragbar. Die politischen Analysen innerhalb der Organisation waren so schließlich nicht mehr wegweisend, sondern nur noch ein bunter Mix unterschiedlicher linksradikaler Ideologien.

Ein Thema während des Kongresses war der Umgang der Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB) mit einem Vergewaltigungsfall vor knapp zwei Jahren. Der AAB wird Täterschutz vorgeworfen, da sie nicht die Notwendigkeit sah, sich vom Täter klar zu distanzieren. Sie sei somit nicht dem Anspruch einer »antipatriarchalen Gruppe« gerecht geworden. Dieser Vorwurf wurde von zahlreichen FrauenLesben- Zusammenhängen erhoben, aber auch vielen anderen linksradikalen Gruppierungen. Außerdem wird der AAB angelastet, sich erst auf massives Drängen anderer Organisationen zu diesem Vorfall überhaupt geäußert zu haben. Das Pamphlet der AAB zu diesem Vergewaltigungsfall - »Die neue Sachlichkeit« - greife das Sanktions- und Definitionsrecht der Frau nach einer Vergewaltigung massiv an. Die Veranstaltung zu diesem Fall war einer hierarchischen Moderation unterworfen. Das Podium bestand aus vier AAB- Frauen, die versicherten, ihre Gruppe habe sich intern intensiv mit dem Thema Vergewaltigung sowie anderen Formen des Sexismus beschäftigt. Doch bei vielen Rednerinnen rief das Skepsis hervor. Die ergibt sich zudem aus dem Fakt, daß sich die AAB auch an dieser Stelle keinesfalls von ihrem damaligen Diskussionstext distanzierte. Rednerinnen kritisierten, daß vorhandene patriarchale Strukturen Stützpfeiler des Kapitalismus seien und auch innerhalb der Linken funktionierten. Sie forderten auch die AAB auf, dies endlich anzuerkennen. Ein Fortschritt in diesem Bereich war hier nicht abzusehen.

Während des Kongresses wurde auch die Frage des Verhältnisses zwischen antifaschistischen und antirassistischen Gruppen aufgeworfen. Es wurden Überlegungen erörtert, wie eine bessere Zusammenarbeit zwischen beiden Gruppierungen ermöglicht werden kann. Dabei zeigte sich, daß in der Vergangenheit die Bereitschaft aktiver antirassistischer Initiativen zur Zusammenarbeit mit der Antifa bei weitem größer war als umgekehrt.

Die Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation entschied sich Anfang April für ihre Auflösung. Der Antifakongreß am Wochenende sollte der erste Schritt einer erneuten Organisierungsdebatte innerhalb der antifaschistischen Bewegung sein. Doch es zeigte sich, daß es innerhalb der organisierenden Gruppen zu viele unterschiedliche Auffassungen gibt. Immerhin präsentierte das Leipziger Bündnis gegen Rechts auf dem Kongreß erste Ansätze einer neuen theoretischen Zeitung. Dieses Konzept stieß bei der Antifa Aktion Berlin auf große Kritik. Eine Einigung blieb aus.

Insgesamt bleibt das Resümee, daß von allen Gruppen weiterhin an der Idee einer bundesweiten Organisierung festgehalten wird, die praktische Umsetzung aber noch umfangreiche Debatten verlangt. Mehrfach wurde gefordert, daß eine neue linksradikale Struktur auch weiterhin nicht bei Anti-Nazi-Arbeit stehen bleiben darf. Ebenso aufgegriffen werden müssen Themen wie Antikapitalismus, Antirassismus, Antimilitarismus und Antipatriarchat.

Donnerstag, 19. April 2001

Morddrohung gegen Berlins Innensenator?

Werthebach setzt Staatschutz auf Rundfunkjournalisten an

Ralf Fischer / Junge Welt

Wegen einer angeblichen Morddrohung gegen den Berliner Innensenator Eckart Werthebach (CDU) ermitteln seit Anfang April Staatsschutz und die Staatsanwaltschaft in Berlin gegen einen unbekannten Berliner Antifaaktivisten. In einem Interview mit dem freien Rundfunkjournalisten Peter Kessen äußerte der Antifaaktivist seine Meinung über den Berliner Innensenator. »Herr Werthebach ist jemand für mich, der bekämpfenswerter ist als alle Nazis zusammen, weil er mit seiner Politik dafür sorgt, daß wir zum Beispiel weiter kriminalisiert werden.« Einige Tage nach dem Gespräch konfrontierte Kessen den Innensenator in einem Interview mit diesen Äußerungen. Der reagierte anfangs gelassen. Doch schon im weiteren Verlauf des Gespräches erläuterte Werthebach, daß gegen die »Feinde« der Verfassung »auch mit Illiberalität« geantwortet werden müsse. Prompt rief am nächsten Morgen der Berliner Staatsschutz bei Peter Kessen an und forderte ihn auf, der Behörde die relevanten Passagen aus dem Antifa-Interview zuzufaxen. Anlaß dafür sei eine Anzeige des Innensenators wegen einer Morddrohung durch die Antifa.

Kessen verweigerte die Herausgabe des Materials. Doch der Staatsschutz ließ nicht locker, einige Tage später rief erneut ein Staatsschützer bei Kessen an und forderte zum wiederholten Male die Herausgabe des Interviews. Der Beamte erwähnte zudem, daß nun auch die Berliner Staatsanwaltschaft in diesem Fall weiter ermittelt. Daraufhin rief Kessen bei der Berliner Staatsanwaltschaft an. Nach einigem Kompetenzgerangel in der Justizbehörde erklärte ein für politische Straftaten zuständiger Staatsanwalt dem verdutzten Rundfunkjournalisten, daß er doch dem Drängen des Staatsschutzes nachgeben solle. Journalisten, die sich weigerten, mit dem Staatschutz zusammenzuarbeiten, bekämen keine Informationen mehr, bemerkte er. Kessen beteuerte, daß »nachweislich« keinerlei Aufrufe zu Straftaten auf den Interviewbändern mit dem Antifaschisten enthalten seien.

Um dem Vorgehen des Staatsschutzes und der Staatsanwaltschaft zu entgegnen, hat Kessen einen Anwalt eingeschaltet. Dieser beschwerte sich umgehend beim Generalstaatsanwalt des Landgerichtes über das Verhalten des Innensenators, des Staatsschutzes und des Oberstaatsanwalts. Kessen, so der Anwalt, sei berechtigt, Zeugnis über seine Recherchen zu verweigern. Außerdem gehe aus dem Interview eindeutig hervor, daß es sich bei der Äußerung des Antifaaktivisten nicht um eine Morddrohung, sondern um eine politische Beurteilung des Wirkens des Innensenators handele. In dem Anwaltsschreiben wird Kessens Gesprächspartner wörtlich zitiert: »Ich denke, daß völlig klar ist, und das hat es auch noch nicht gegeben, daß Linke bei Angriffen auf Rechte die mit Absicht umgebracht haben. Das ist noch nie passiert so. Und ich möchte auch nie diese Verantwortung auf mich laden.«

Offen bleibt nun, was den Innensenator dazu bewegte, wegen eines harmlosen Satzes den Staatsschutz auf einen Rundfunkjournalisten zu hetzen. Möglich, daß hier die Anti- Antifa-Mentalität des CDU-Politikers durchschlug. Andererseits steht derzeit auch die ideologische Vorbereitung des 1. Mai auf der Tagesordnung des Innensenators. Seit Jahren beginnen die Auseinandersetzungen zum 1. Mai vorab in verbalen Presseschlachten. Die Polizei versucht durch selbstorganisierte Straßenfeste, ihr sogenanntes AHA- Konzept und die persönliche Ansprache von »gewaltbereiten« Autonomen in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, ausschließlich die Autonomen seien schuld an den Auseinandersetzungen in Berlin.

Samstag, 14. April 2001

Auf der Suche nach einer Organisationsform

Vom 20. bis 22. April findet in Göttingen der diesjährige Antifa-Kongreß statt

Ralf Fischer / Junge Welt

»Die Entwicklung organisierter antifaschistischer Politik ist an einem Punkt angelangt, der einige grundlegende Überlegungen und eine Neuorientierung notwendig macht.« Mit diesen Worten laden die Autonome Antifa aus Göttingen, das Bündnis gegen Rechts aus Leipzig und die Antifaschistische Aktion Berlin (AAB) zum Kongreß nach Göttingen. Sie alle verbindet das Ziel, revolutionäre linke Gruppen über das Antifaspektrum hinaus an einen Tisch zu bringen und nach gemeinsamen Ansätzen antikapitalistischer Antifapolitik zu suchen.

Schon im Herbst 1999 sollte der »Verstärkerkongreß« in Leipzig den Austausch und die Vernetzung der Antifaszene forcieren, doch die Fortführung der in Leipzig betriebenen Diskussionen und Debatten scheiterte. Die schlechte Kommunikation zwischen den einzelnen Antifagruppen und die unterschiedlichen Voraussetzungen der Gruppen vor Ort machten es unmöglich, die in Leipzig begonnenen Debatten bundesweit fortzuführen. Auch die Organisierung des jetzt geplanten Kongresses lief schwieriger an als gedacht. Die Idee eines »Verstärkerkongresses« war in der Antifaszene zwar sehr positiv aufgenommen worden, es fanden sich aber nur zwei Gruppen, die an das initiierende Bündnis gegen Rechts aus Leipzig herantraten, um ihre Hilfe anzubieten.

Mit dem diesjährigen Kongreß soll nun endlich ein Rahmen geschaffen werden, um eine kontinuierliche Diskussion über die Neuorientierung bundesweiter linksradikaler Politik einzuleiten. Nach der Vorstellung der organisierenden Gruppen soll längerfristig eine Struktur entstehen, die die Möglichkeit bietet, die angestellten Überlegungen umzusetzen, um so die vorhandenen Kräfte zu einigen. So sollen auf dem Kongreß Ideen zukünftiger gemeinsamer Politik sowie das Konzept einer bundesweiten linksradikalen Zeitschrift vorgestellt werden.

Doch die Spaltung steht schon im Programm. Im Tagesablauf für den zweiten Tag des Kongresses findet sich auch ein Workshop zur Vergewaltigungsdebatte der letzten Jahre in Berlin. In diesem Workshop will die beschuldigte Gruppe, die AAB, Stellung zu den Vorwürfen und ihrem Text »Die neue Sachlichkeit« beziehen. Frauengruppen haben in mehreren autonomen Zeitungen allerdings dazu aufgerufen, diese Veranstaltung zu »verhindern«. Es ist sehr wahrscheinlich, daß dieser Workshop nicht zur besseren Verständigung innerhalb der Antifaszene betragen wird.

Das restliche Programm läßt da eher hoffen. Es ist in zahlreiche Vortrags-, Podiums- und Diskussionsveranstaltungen, Workshops sowie ein kulturelles Rahmenprogramm gegliedert. Neben einer Eröffnungsveranstaltung zum Hintergrund des Kongresses sollen zunächst unter dem Titel »Wo steht die Antifabewegung« Geschichte, Entwicklung und Standortbestimmung der Antifabewegung im Zuge der sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen analysiert und diskutiert werden. Darauf aufbauend werden sich Workshops zum Beispiel mit der Zusammenarbeit von antifaschistischen und antirassistischen Gruppen, der Überwachungsgesellschaft und der »Anti-Globalisierungs-Bewegung« beschäftigen. Auf der Abschlußveranstaltung soll dann ein Organisationsmodell zukünftiger linksradikaler Politik entwickelt werden.

Mittwoch, 11. April 2001

Der Flug des Farbbeutels

Die Erfurter Staatsanwaltschaft macht aus Mücken Elefanten

Ralf Fischer / Junge Welt

In Erfurt flog am 21. Dezember 1999 ein Farbbeutel an eine Wand des Innenministeriums. In Thüringen offenbar Grund genug, um einen Monat später ein Verfahren nach Paragraph 129 StGB zur Bildung einer kriminellen Vereinigungen anzustrengen. Auf Nachfrage teilte die Staatsanwaltschaft Erfurt mit, daß sich die Ermittlungen gegen Unbekannt richten. Gesucht wird dabei eine Gruppe »Autonome DekorateurInnen«, die sich in einem Schreiben zu der Attacke bekannte. Protestiert werden sollte gegen die Durchsuchungen linker Projekte in Berlin und die Gefangennahme von drei Menschen in Berlin und Frankfurt am Main am 19. Dezember 1999. Den Verhafteten wird die Mitgliedschaft in den Revolutionären Zellen vorgeworfen. Daneben wirft die Erfurter Staatsanwaltschaft den »Autonomen DekorateurInnen« vor, im Januar 2000 einen weiteren Anschlag auf das Innenministerium mit einem Molotowcocktail versucht zu haben. Hierzu gibt es kein Bekennerschreiben.

Anfang 2001 bekamen nun fünf Mitglieder des Fachschaftsrates Sozialwesen an der Fachhochschule Erfurt Zeugenvorladungen vom Landeskriminalamt Erfurt zugeschickt. Hintergrund der Vorladungen dürfte sein, daß der Fachschaftsrat dem anonym erscheinenden Erfurter Infoblatt SPUNK, in welchem das Bekennerschreiben der »Autonomen DekorateurInnen« dokumentiert wurde, ein Postfach zur Verfügung stellte.

Nach Vorladung der fünf Zeugen wurde bekannt, daß derzeit nur noch wegen versuchter Brandstiftung sowie Sachbeschädigung ermittelt wird. Ein Vorgehen im Rahmen des Paragraphen 129 ließ sich nicht aufrechterhalten. Da drei der Vorgeladenen jegliche Aussage verweigerten, will Staatsanwalt Grünseisen nun wenigstens ein Ordnungsgeld verhängen, auch mit der Beantragung von Beugehaft wurde gedroht.

Wegen der Ermittlungen hat sich eine Thüringer Anti- Repressionsgruppe (TARG) gegründet, die Unterstützung für die Betroffenen organisieren will.

Donnerstag, 5. April 2001

1. Mai - mehr Service der Berliner Polizei

CDU fordert lautstark, die vorbeugende Haft für potentielle »Gewalttäter« auf vier Tage zu erweitern

Ralf Fischer / Junge Welt

Post vom Polizeipräsidenten, Hausbesuche von Polizisten, und wenn das nicht hilft, kommen »potentielle GewalttäterInnen« schon mal einige Tage vor dem 1. Mai in Vorbeugehaft. So stellt sich die Berliner CDU die Strategie vor, um mögliche Straftaten rund um den 1. Mai zu verhindern. Der innenpolitische Sprecher der CDU, Roland Gewalt, forderte, daß »der Unterbindungsgewahrsam für Chaoten von zwei auf vier Tage verlängert« werden soll. Denn bereits am Wochenende vor dem Maifeiertag sei nach seiner Erfahrung mit Ausschreitungen zu rechnen.

Hintergrund seiner Forderung sind Maßnahmen der niedersächsischen Landesregierung im Zusammenhang mit dem Castor-Transport. Dort wurden erstmals mehrere 100 angebliche Störer mit richterlicher Anordnung drei bis vier Tage in Gewahrsam genommen. »Es wäre hilfreich, auch in Berlin Rädelsführer für mehrere Tage in Gewahrsam zu nehmen«, so Gewalt weiter.

Doch die Erweiterung der Vorbeugehaft wird in diesem Jahr wohl nur Wunschtraum der Hardliner innerhalb der CDU sein. Alle anderen im Senat vertretenen Parteien lehnen die Erweiterung der Vorbeugehaft grundsätzlich ab. Auch Innensenator Eckart Werthebach mußte in einem Interview einräumen, daß aus zeitlichen Gründen die Umsetzung der Vorbeugehaft nicht möglich ist. Doch bestätigte er, daß die Strategie aus den letzten Jahren, angebliche »Linksextremisten gezielt anzusprechen, um sie von möglichen Straftaten abzubringen«, weiter forciert wird.

Für den 1. Mai liegt bisher bei der Berliner Polizei nur die Anmeldung der NPD, am Vormittag vom Ostbahnhof aus durch Berlin-Mitte zu marschieren, vor. Doch die Berliner Polizei geht auch davon aus, daß die beiden revolutionären Demonstrationen am frühen Nachmittag und am Abend von Kreuzberg aus losgehen werden.

Die Antifaschistische Aktion Berlin (AAB) widerspricht in ihrer Presseerklärung vehement der allgemeinen Wahrnehmung von Gewalt. Für sie ist der 1. Mai »kein unreflektiertes Ritual zwischen Hooliganismus und Love Parade«, sondern Ausdruck von konkreter Kritik an den kapitalistischen Verhältnissen. Daß diese Kritik keinen besseren Staat erfindet, sondern nur die bestehenden inneren Widersprüche aufzeigt, ist für die AAB dem Umstand zu verdanken, daß alle konkreten Utopien sich stets nach den Maßgaben kapitalistischer Rationalität richteten.