Beim Antifakongreß in Göttingen wurden keine neuen bundesweiten Strukturen geknüpft
Ralf Fischer & Andreas Siegmund-Schultze / Junge Welt
»
Dieser Kongreß wird nicht über die Neugründung einer neuen
bundesweiten Organisation entscheiden können, er kann nur
richtungsweisende Schritte einleiten«, ließ ein Vertreter der
Antifa Bonn-Rhein-Sieg zu Anfang des Antifa-Kongresses an diesem
Wochenende in Göttingen verlauten. Eine Aussage, die zumindest den
dringenden Willen nach Neuorganisierung antifaschistischer Strukturen
in der BRD erahnen ließ, nachdem sich die Antifaschistische
Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) Anfang April diesen Jahres
aufgelöst hatte.
Mit gut 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern war der Kongreß unter
dem Motto »
Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen« am Freitag abend
in Göttingen in die Diskussion eingestiegen. Bis Sonntag fanden auf
dem Gelände der Universität zahlreiche Veranstaltungen mit jeweils
mehreren hundert Aktivistinnen und Aktivisten statt. Analysen über
die Geschichte von bisher existierenden bundesweiten Antifa-
Strukturen sowie die vonnöten erscheinende Diskussion über
Zukunftsperspektiven waren Hauptthemen des Kongresses. Obwohl ein
derartiges Antifa-Treffen unter diesem Titel erstmals stattfand, gab
es bereits in den Vorjahren einzelne Versuche, autonome
antifaschistische Strukturen bundesweit zu vernetzen. 1998
beispielsweise in Leipzig bei einem »Verstärkerkongreß«.
Im Vorfeld hatten faschistische Kameradschaftsstrukturen um den
Neonazikader Steffen Hupka für Sonnabend einen Aufmarsch in
Göttingen angekündigt, der sich gegen »
antifaschistische Gewalt«
richten sollte. Trotz Hupkas Bemühungen, ein zuvor ausgesprochenes
Verbot des Aufmarsches der Stadt Göttingen durch Verwaltungsgerichte
wieder aufzuheben, blieb der Aufzug untersagt. Das Gericht begründete
diese Entscheidung unter anderem mit zahlreichen Gesetzesverstößen
bei zurückliegenden - von Hupka angemeldeten - Aufmärschen.
Demonstrieren durften jedoch einige Dutzend Antifaschistinnen und
Antifaschisten, die mit Losungen und Transparenten klar zeigten, von
wem in diesem Land rassistische Gewalt ausgeht. Rassistische Politik,
so meinten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, betreiben nicht nur
die Neonazis, sondern in nicht unerheblichem Maße auch Staat und
Wirtschaft, die beispielsweise mit ihrer Zuwanderungsdebatte die
Trennung von ökonomisch »nützlichen« und »unnützlichen«
Menschen vollziehen.
Zum Kongreß aufgerufen hatten neben zahlreichen lokalen
Antifa-Gruppen auch in bundesweiten Zusammenhängen agierende
Strukturen, so die Autonome Antifa (M) aus Göttingen, das Leipziger
Bündnis gegen Rechts sowie die Antifaschistische Aktion Berlin
(AAB). Diese Organisationen waren bislang die aktivsten Strukturen
innerhalb der überregional tätigen »Antifaschistischen
Aktion/Bundesweite Organisation« (AA/BO), einem vor neun Jahren
gegründeten verbindlichen Netzwerk, dem sich damals zahlreiche
regional aktive antifaschistische Gruppen angeschlossen hatten. Diese
Gründung war auch eine Antwort auf die oft bornierte Haltung der
zumeist hierarchisch strukturierten K-Gruppen früherer Jahre, von
denen sich viele - insbesondere junge Antifaschistinnen und
Antifaschisten - abkoppelten.
Damit entstand, wie eine Vertreterin der Organisation während des
Kongresses am Sonnabend eingestand, eine »Organisation ohne
Programm«. »
In der AA/BO organisierten sich Anhängerinnen und
Anhänger des Kommunismus oder des Anarchismus, aber auch Linke, die
sich keinem >Ismus<« verpflichtet fühlten, so die Vertreterin
der Autonomen Antifa (M) in ihrem Redebeitrag über die Geschichte
der AA/BO. Diese Konstellation sorgte später für Probleme innerhalb
der Organisation. Die Konsensfindung innerhalb der AA/BO war eines
der massivsten Probleme. Die Einschränkung von politischen
Positionen zugunsten einer gemeinsamen Position war für die meisten
Gruppen vor Ort nicht mehr tragbar. Die politischen Analysen
innerhalb der Organisation waren so schließlich nicht mehr
wegweisend, sondern nur noch ein bunter Mix unterschiedlicher
linksradikaler Ideologien.
Ein Thema während des Kongresses war der Umgang der
Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB) mit einem Vergewaltigungsfall
vor knapp zwei Jahren. Der AAB wird Täterschutz vorgeworfen, da sie
nicht die Notwendigkeit sah, sich vom Täter klar zu distanzieren.
Sie sei somit nicht dem Anspruch einer »antipatriarchalen Gruppe«
gerecht geworden. Dieser Vorwurf wurde von zahlreichen FrauenLesben-
Zusammenhängen erhoben, aber auch vielen anderen linksradikalen
Gruppierungen. Außerdem wird der AAB angelastet, sich erst auf
massives Drängen anderer Organisationen zu diesem Vorfall überhaupt
geäußert zu haben. Das Pamphlet der AAB zu diesem
Vergewaltigungsfall - »Die neue Sachlichkeit« - greife das
Sanktions- und Definitionsrecht der Frau nach einer Vergewaltigung
massiv an. Die Veranstaltung zu diesem Fall war einer hierarchischen
Moderation unterworfen. Das Podium bestand aus vier AAB- Frauen, die
versicherten, ihre Gruppe habe sich intern intensiv mit dem Thema
Vergewaltigung sowie anderen Formen des Sexismus beschäftigt. Doch
bei vielen Rednerinnen rief das Skepsis hervor. Die ergibt sich zudem
aus dem Fakt, daß sich die AAB auch an dieser Stelle keinesfalls von
ihrem damaligen Diskussionstext distanzierte. Rednerinnen
kritisierten, daß vorhandene patriarchale Strukturen Stützpfeiler
des Kapitalismus seien und auch innerhalb der Linken funktionierten.
Sie forderten auch die AAB auf, dies endlich anzuerkennen. Ein
Fortschritt in diesem Bereich war hier nicht abzusehen.
Während des Kongresses wurde auch die Frage des Verhältnisses
zwischen antifaschistischen und antirassistischen Gruppen
aufgeworfen. Es wurden Überlegungen erörtert, wie eine bessere
Zusammenarbeit zwischen beiden Gruppierungen ermöglicht werden kann.
Dabei zeigte sich, daß in der Vergangenheit die Bereitschaft aktiver
antirassistischer Initiativen zur Zusammenarbeit mit der Antifa bei
weitem größer war als umgekehrt.
Die Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation entschied
sich Anfang April für ihre Auflösung. Der Antifakongreß am
Wochenende sollte der erste Schritt einer erneuten
Organisierungsdebatte innerhalb der antifaschistischen Bewegung sein.
Doch es zeigte sich, daß es innerhalb der organisierenden Gruppen zu
viele unterschiedliche Auffassungen gibt. Immerhin präsentierte das
Leipziger Bündnis gegen Rechts auf dem Kongreß erste Ansätze einer
neuen theoretischen Zeitung. Dieses Konzept stieß bei der Antifa
Aktion Berlin auf große Kritik. Eine Einigung blieb aus.
Insgesamt bleibt das Resümee, daß von allen Gruppen weiterhin an
der Idee einer bundesweiten Organisierung festgehalten wird, die
praktische Umsetzung aber noch umfangreiche Debatten verlangt.
Mehrfach wurde gefordert, daß eine neue linksradikale Struktur auch
weiterhin nicht bei Anti-Nazi-Arbeit stehen bleiben darf. Ebenso
aufgegriffen werden müssen Themen wie Antikapitalismus,
Antirassismus, Antimilitarismus und Antipatriarchat.