Montag, 5. November 2001

Kampf um die Straße

Rechtsextremismus in Berlin: Ein aktueller Überblick über Gruppen und Einzelpersonen

Ralf Fischer & Sven Pötsch / Junge Welt

Aufgrund der besonderen Verhältnisse war der organisierte Rechtsextremismus vor 1989, sowohl in West- als auch in Ost-Berlin, ein Problemfeld, welches nahezu ausschließlich außerhalb von Parteiverbänden und öffentlichen Auftritten angesiedelt war. Berliner Rechtsextremisten agierten in losen Personenzusammenschlüssen und kleinen Zirkeln im subkulturellen Bereich. Wegen der Verbote von Parteitagen und Kundgebungen seitens der Westalliierten fand z.B. das Parteileben des seit 1966 im Westen Berlins aktiven Landesverbandes der NPD fast durchgängig in internen Zusammenkünften statt. Öffentlichkeitswirksamkeit wurde dadurch nicht erzielt. Aufgrund der räumlichen Trennung vom Bundesgebiet und damit von den Parteizentralen, waren die West-Berliner Landesverbände rechtsextremer Organisationen weitgehend auf sich allein gestellt, die spezifischen Berlin-Probleme wiederum spielten in den Parteizentralen eine untergeordnete Rolle.

Erst mit dem politischen Wandel in der Sowjetunion änderte sich die Haltung der Alliierten in bezug auf rechtsextreme Organisationen und Veranstaltungen. 1987 gründete sich ohne Einwände der Alliierten der Landesverband der Republikaner. Er schaffte es mit massiver Öffentlichkeitsarbeit, die allgemeine Demokratieverdrossenheit für sich zu nutzen und gewann bereits zwei Jahre nach seiner Gründung 7,5 Prozent der Stimmen zum West-Berliner Abgeordnetenhaus. Jedoch setzte sehr bald eine Ernüchterung ein, zu offensichtlich war der Charakter der Partei. Bei den ersten Gesamtberliner Wahlen im Dezember 1990 sank der Stimmenanteil auf knapp drei Prozent.


Republikaner, DVU, NPD ...

Auch heute sind die Republikaner in Berlin mit über 800 Mitgliedern die zahlenmäßig stärkste Partei im rechtsextremen Bereich. Doch ihre Bedeutung sinkt. Die Partei ist gespalten in einen gemäßigteren und einen zum offenen Schulterschluß mit militanten Neonazis bereiten Flügel. Der seit Jahren bundesweit ausgetragene Flügelkampf lähmt die Partei und wirkt sich vernichtend auf ihre Wahlergebnisse aus. Auch der Zuzug der Parteizentrale vor drei Jahren nach Berlin brachte nicht den erhofften langfristigen Aufschwung.

Die Deutsche Volksunion (DVU) ist mit zirka 600 eingetragenen Mitgliedern der zweitstärkste Landesverband einer rechtsextremen Partei in Berlin. Die DVU-Mitglieder spielen jedoch außerhalb des Wahlkampfes kaum eine politische Rolle in Berlin. Zu den Abgeordnetenhauswahlen in diesem Jahr waren sie wegen interner Absprachen mit den Republikanern nicht angetreten. Neben einigen wenigen Veranstaltungen für die Mitglieder der Partei ist in Berlin die Verbreitung der Zeitungen des DVU-Vorsitzenden Gerhard Frey die wichtigste parteipolitische Aktivität außerhalb der Wahlkämpfe.

Einen NPD-Mitgliedsausweis haben nur rund 250 Berliner in der Tasche. Dennoch sind die NPD und ihr Jugendverband, Junge Nationaldemokraten, die derzeit aktivste rechtsextreme Partei in Berlin und im Bundesgebiet. Nach dem Umzug der Bundesgeschäftsstelle der NPD nach Berlin-Köpenick und des Parteivorsitzenden Udo Voigt nach Hennigsdorf versucht die NPD, die Region Berlin/Brandenburg zu einer zweiten Bastion neben Sachsen auszubauen.

Voraussetzung war die größtenteils erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Berliner Kameradschaftsszene. Sie begann Mitte 1999 mit der Wahl des Berliner Neonazikaders Frank Schwerdt in den NPD-Bundesvorstand. Im Gegenzug rief der die Kameradschaftsszene auf, sich ebenfalls der NPD anzuschließen, was zu erheblichen Auflösungserscheinungen und einem beachtlichen Mitgliederschwund innerhalb der damals stark ausgebauten Kameradschaftsszene führte. Ein weiteres wichtiges Bindeglied zwischen beiden Gruppierungen ist der Vorsitzende des NPD-Bezirksverbandes Berlin und stellvertretende Bundesvorsitzende der Jungen Nationaldemokraten, Andreas Storr, der gleichzeitig Führungskader der Kameradschaft Marzahn war.

Die NPD will ihre Basis ausbauen. Im Ostteil der Stadt gründete sie mit ehemaligen Mitgliedern aufgelöster oder verbotener Neonazi-Organisationen eigene Kreisverbände. In die Führungspositionen rücken wie selbstverständlich bekannte Kader der ehemaligen Gruppierungen. Zu den Wahlen im Oktober 2001 schickte die NPD angesichts der Diskussion um ein Verbot der Partei nicht so auffällige Bewerber ins Rennen. Im Vorstand der NPD Berlin-Brandenburg sieht es anders aus. Dort sind Ex-Mitglieder des aufgelösten Skingirl-Freundeskreises Deutschland (SFD), der Nationalistischen Front (NF) und aus der Kameradschaftsszene vertreten.


15 Nazikameradschaften

Nachdem 1999 viele Strukturen der Kameradschaften einschliefen oder von der Bildfläche verschwanden, ist seit Mitte 2000 ein neuer Aufschwung zu beobachten. Viele rechtsextreme Jugendliche organisieren sich lieber in lockeren Strukturen als in der NPD. Zur Zeit existieren mindestens 15 Kameradschaften in Berlin – von der professionell organisierten Kameradschaft Germania bis hin zu Cliquen rechtsextremer Jugendlicher, die sich als Kameradschaft bezeichnen. Alle haben eine Gemeinsamkeit, sie sind bekennende Nazis.

Die Kameradschaften sind oft straff organisiert und kooperieren untereinander. Interne Streitigkeiten sind keine Seltenheit. Während die meisten mit der NPD zusammenarbeiten, ist einigen ihrer Führer der NPD-Kurs zu lasch. Aus diesem Grund wird immer wieder versucht, einen Zusammenschluß unabhängig von der NPD zu etablieren, so in diesem Jahr von der Kameradschaft Germania. Der Anfang des Jahres gegründete Kameradschaftsbund Germania war nach einem halben Jahr schon wieder Geschichte. Interne Führungsansprüche des Chefs der Germania verschreckten die Kameradschaften Hohenschönhausen, Pankow, Tor und Preußen so sehr, das gleich der ganze Bund auseinanderflog.

Erfolgreicher operierte der seit Mitte der 80er Jahre aktive Neonazikader Oliver Schweigert. Er organisiert das zur Zeit unter dem Namen Nationaler Widerstand Berlin-Brandenburg agierende Aktionsbüro Mitteldeutschland, einen Ableger des bundesweit bekannten Norddeutschen Aktionsbüros. Bundesweit existieren mehrere solcher Aktionsbüros, ihre Aufgabe ist die engere Vernetzung und Organisierung der Freien Kameradschaften in der jeweiligen Region. Geleitet werden sie von ehemaligen Kadern oder zumindest Anhängern der von Michael Kühnen in den 80er Jahren gegründeten Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF). Hauptaufgabe der Aktionsbüros ist es, für Demonstrationen, Kundgebungen und inhaltliche Veranstaltungen über Internetseiten, E-Mail-Verteiler und Telefon die Freien Kameradschaften zu mobilisieren. Aber auch inhaltliche Texte, Rechtshilfetips und Auszüge aus internen Debatten werden auf den Internetseiten und per E-Mails verbreitet.

Ebenfalls wieder politisch aktiv geworden ist der ehemalige GdNF- und NSDAP/AO-Kader Arnulf Priem. Nachdem er sich nach seiner Haftentlassung im Jahre 1997 offiziell politisch nicht mehr betätigte, versucht er seit einiger Zeit – mittels organisatorischer Arbeit im Nordosten Berlins – wieder eine politische Rolle in der Stadt zu übernehmen. Sein jetziges Handlungsfeld sind vorwiegend Jugendliche in den östlichen Bezirken, die die internen Spannungen, die sich in den letzten zehn Jahren um seine Person ergeben haben, meist nicht verfolgten. Jugendliche aus dem Umfeld von Arnulf Priem emordeten im Jahr 2000 den arbeitslosen Dieter Eich. Sie traktierten ihn erst mit Fäusten und Stiefeltritten, um ihn dann mit einem gezielten Messerstich zu töten.


Rechtsextremer Lifestyle

Wie in den östlichen Bundesländern kämpft die NPD auch in Ostbezirken Berlins um kulturelle Hegemonie. Nicht ohne Erfolg. Der rechtsextreme Lifestyle ist überall in Berlin beheimatet. Bestes Beispiel war die Oktober-Tour der drei rechtsextremen Liedermacher Frank Rennicke, Jörg Hähnel und Anett im Vorfeld der Wahlen zum Abgeordnetenhaus. Eine Woche lang tourten sie für die NPD quer durch Berlin, und auch im Westteil der Stadt fanden sich Hunderte begeisterte Zuhörer für ihre Konzerte

Die im Jahre 2000 verbotene Neonazi-Organisation Blood & Honour hatte einen ihrer regionalen Schwerpunkte in Berlin. Ihre Strukturen bestehen jedoch weiter. Es wurde sogar ein CD-Sampler unter dem Titel »Blood & Honour Brandenburg« mit vornehmlich Berliner Rechtsrock-Bands produziert und vertrieben. Insgesamt bleibt festzustellen, daß der Versuch des Verbotes von Blood & Honour völlig gescheitert ist. Das schon immer verdeckt agierende Netzwerk arbeitet nach einigen kleinen Änderungen in der Organisationsstruktur unbeirrt weiter. Die Herstellung und der Vertrieb illegaler Tonträger läuft nach wie vor sehr gut, die Organisierung von Konzerten mit Rechtsrock-Bands funktioniert und es wurden neue Kleidungsstücke mit dem Nachfolgesymbol von Blood&Honour bundesweit vertrieben.

Im Umfeld der Berliner »Blood & Honour Division« ist auch die in Ostberlin verwurzelte Ariogermanische Kampfgemeinschaft Vandalen aktiv. Sie tritt zwar kaum öffentlich in Erscheinung, trotzdem erreichte sie mit ihren Veranstaltungen ein hohes Ansehen in der Neonaziszene. Die etwa 15 Personen starke Funktionärsgruppe ist zwar subkulturell eher in der Metall-Szene verwurzelt, dennoch spielten Mitglieder der Vandalen in der Rechtsrock-Band Landser mit. Im Oktober diesen Jahres verhaftete das LKA Berlin fünf Personen, die im Verdacht stehen, Aktivisten der Band Landser zu sein. Gegen sie wird wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt. Mitglieder der Vandalen fallen auch deshalb immer wieder auf, weil sie innerhalb der Neonaziszene mit Waffen handeln. So ist Jean-René Bauer von den Vandalen im letzten Jahr verhaftet worden, als er ein Gewehr mit Zielfernrohr an ein Mitglied der National-Revolutionären Zellen verkaufen wollte.

Die organisatorische Aufsplitterung der rechtsextremen Szene in Berlin ist keine Ausnahme. Bundesweit hat sich seit den letzten zehn Jahren eine große politische Ausdifferenzierung rechter Organisationen vollzogen. Während im Osten Deutschlands die rechtsextremen Parteien, außer der NPD, kaum noch Einfluß besitzen, haben sich andere Formen durchgesetzt. Angefangen vom Konzept der »national befreiten Zonen« über den massiven Aufbau von Kameradschaften bis zur Unterstützung nationaler Schülergruppen werden viele unterschiedliche Strategien verfolgt, die alle an vorhandene Einstellungen in der Bevölkerung anzuknüpfen versuchen. Erfolgreiche Strategien aus dem Osten werden über kurz oder lang auch im Westen angewandt und umgekehrt.

Die rechtsextreme Szene in Berlin verfügt über eine funktionierende Infrastruktur, um organisationsübergreifende Aktionen zu realisieren. Zeitungen verlieren an Einfluß. Internetseiten, wie die des Nationalen Widerstands Berlin-Brandenburg, haben sich zu wichtigen Kommunikationsmitteln innerhalb der rechtsextremen Szene entwickelt. Auch Telefonmailboxen dienen der Kommunikation. Neben dem Nationalen Infotelefon (NIT) Preußen und dem NIT der Berliner Republikaner spielt Radio Germania im Offenen Kanal Berlin eine große Rolle. Die Ausstrahlung im OKB ist zwar seit dem Jahr 2000 juristisch unterbunden, aber die Sendungen sind via Internet oder CD-Versand dennoch erhältlich. Des weiteren verfügt die Szene über vier Läden, in denen vorwiegend Bekleidungsstücke, aber auch CDs und Fanzines vertrieben werden. Daneben existieren rechtsextreme Berliner Bands mit überregionaler Bedeutung und zum Teil sehr bekannten CD-Veröffentlichungen. Zu ihnen zählen die deutschlandweit wichtigste Band Landser, die eher subkulturell der Metall-Szene verbundene Band »Legion of Thor« oder die im vergangenen Jahr mit einer vielbeachteten Debüt-CD gestartete Band »Deutsch Stolz Treu«.


Aktionsfelder

Mit dem Hauptstadtbeschluß des Bundestages und dem damit verbundenen Umzug der meisten Bundesministerien und anderer -behörden, ergab sich auch für die rechtsextreme Szene der Stadt ein neues Argumentationsfeld. Die angebliche Verschwendung von Steuergeldern, insbesondere für die Flüge und die Umzugszuschüsse der Bonner Beamten, stieß in großen Teilen der Bevölkerung auf Kritik. Diese wurde gezielt aufgegriffen und mit der allgemeinen Demokratie-Ablehnung populistisch verbunden.

Ein weiteres Berlin-Spezifikum ist die starke Gegenwehr der Berliner Linken. Aus diesem Grunde versuchen Rechtsextremisten immer wieder, zum Teil mit massiver Beteiligung von Gruppen aus dem gesamten Bundesgebiet, Aktionen in Berlin durchzuführen. Dies ist etliche Male erfolgreich verhindert worden, dennoch gelang es der NPD und der Kameradschaftsszene, sich in Berlin mit Aufmärschen, zum Beispiel zum Brandenburger Tor, medial in Szene zu setzen.

Dabei wird gezielt versucht, bestimmte Tabus zu brechen und linke Argumentationsmuster umzudeuten. So versucht die NPD seit einigen Jahren vehement, den 1. Mai politisch zu besetzen. Mit Hilfe eines diffusen Antikapitalismus, der in diesem Zusammenhang immer Antiamerikanismus, Nationalismus und Antisemitismus beinhaltet, will die NPD die arbeitende Bevölkerung für ihre Zwecke mobilisieren. Dabei knüpft sie an linke Begriffe und die durch die politische Bildung der DDR im Osten Berlins weiterhin virulente Kapitalismuskritik an, um in die Wählerbasis der PDS hineinzustoßen.

Ein weiteres wichtiges Aktionsfeld ist die sogenannte Anti-Antifa-Kampagne. Im Jahr 1993 erschien die erste Anti-Antifa-Broschüre mit dem Namen »Einblick«. Darin waren bereits etliche Adressen von Berliner Bürgern veröffentlicht, die sich auf den unterschiedlichsten Ebenen gegen Rechtsextremismus engagierten. Seit Anfang der 90er Jahre agieren in Berlin rechtsextreme Gruppen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, politische Gegnerinnen und Gegner auszukundschaften. Die Koordinierung und Sammlung der gesammelten Daten erfolgte im Ausland. Im Sommer 1999 tauchten im Berliner Stadtbezirk Treptow Schwarze Listen mit Adressen von Antifaschisten auf, und im Dezember 1999 erschien eine weitere Anti-Antifa-Broschüre mit dem Titel »Der Wehrwolf«. Gegenüber dem »Einblick« wurde hier noch mehr Wert auf die Infrastruktur der linken Szene gelegt. Auch die Einrichtungen der Jüdischen Gemeinde rückten verstärkt ins Visier der extremen Rechten.

Die starke antisemitische Ausrichtung vieler Publikationen und Tonträger der Berliner Neonaziszene (so auch der Titelsong der neusten CD der Berliner Nazi-Band »Landser«: »Ran an den Feind, Bomben auf Israel«, versucht, Ressentiments in der Bevölkerung aufzugreifen und bestimmte Diskussionen, wie die Zwangsarbeiter-Entschädigung, für sich zu nutzen. Diese antisemitische Propaganda führt zwangsläufig zu einer hohen Zahl antisemitischer Anschläge in Berlin. Neben dem bis heute nicht aufgeklärten Bombenanschlag auf das Grab des ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrates der Juden, Heinz Galinski, gab es in den letzten Jahren unzählige Akte der Zerstörung und Schändung jüdischer Einrichtungen und Friedhöfe.

Samstag, 14. Juli 2001

Mehr Emotionen!

Wie wichtig ist Dir die junge Welt? jW-Gespräch mit dem Antifa-Aktivisten Ralf Fischer

Wie wichtig ist für Sie die junge Welt, für die autonome Antifa und die Antiglobalisierungsbewegung?

Als täglich erscheinende Zeitung ist sie natürlich sehr wichtig. Allerdings sind die 16 Seiten fast zu wenig. Ich halte die ganz anderen Themenschwerpunkte als in den bürgerlichen Medien sowie das breite Spektrum der jW für enorm wichtig, um sich über die herrschenden Zustände zu informieren. Das kann man erst einmal so festhalten.

Sicher kann man in einzelnen Fragen unterschiedlicher Meinung sein - da gibt es keine generellen Kritikpunkte. Unsere größte Kritik geht in Richtung Nahost- Berichterstattung. Wir kommen nicht aus der antiimperialistischen Richtung, die bedingungslos die Palästinenser unterstützt. Wir erkennen nicht nur das Existenzrecht von Israel an, sondern gehen darüber hinaus. Wir wollen schon mehr darüber hören, daß jugendliche Palästinenser massiv dazu angestachelt werden, Steine auf Israelis zu werfen, und nicht andauernd lesen, daß Israelis mit Schußwaffen zurückschießen. Es ist eine Frage der mangelnden Ausgewogenheit in diesem Bereich, die uns Bauchschmerzen bereitet. 

Wenn man heute jemanden fragt, wertfrei in der Linken, wer steht eher auf der Seite der Palästinenser und wer steht eher auf der Seite der Israelis, wird gesagt, konkret und Jungle World stehen auf der Seite der Israelis und die junge Welt auf der der Palästinenser. Ich versuche mich da nicht rauszuhalten, aber auch auf keiner Seite felsenfest ideologisch zu beharren. Das Problem scheint mir so vielschichtig, daß es schwer ist, sich hier aus Deutschland zu positionieren und danach auch noch sagen zu können, ich hab' mich richtig positioniert. Daß dort Kinder angeschossen oder erschossen werden, ist grauenvoll - das ist eine korrekte Position, das kann ich voll nachvollziehen. Aber genauso kann ich doch auch die Position haben, daß Israel ständigen Angriffen ausgeliefert ist und sich dagegen militärisch verteidigt ...

Im Gegensatz dazu wurde von autonomer Seite bei der Kritik an der jW-Berichterstattung über die Proteste in Göteborg die Frage von Ursache und Wirkung klarer gesehen.

Diejenigen, die nach Schweden gefahren sind, taten dies aus einem politischen Anspruch heraus und nicht, weil sie dort Krawall machen wollten, wie dies bei der jW durchklang. Da haben sich tatsächlich einige auf den Schlips getreten gefühlt. Die junge Welt beschrieb die deutschen Autonomen ja gerade so, als ob sie sich in Göteborg ansatzweise verhalten hätten wie allgemein Deutsche im Ausland. Es ist schon schwierig, in einer linken Zeitung lesen zu müssen, was ansonsten die Märkische Allgemeine Zeitung, die BZ oder andere bürgerliche Zeitungen schreiben. Es wäre schon schön gewesen, das ausgewogen darzustellen.

Heißt Ausgewogenheit das Ausbleiben von Kritik an militantem Auftreten?

Nein, nein. Das Ausbleiben von Kritik soll das nicht heißen. Aber wenn man als linke Tageszeitung den Anspruch hat, wirklich längerfristig zu diskutieren, dann kann man das doch auf den Themaseiten bringen oder vielleicht sogar eine Beilage machen.

Die Kritik nicht richtig zu finden muß nicht heißen, daß sie falsch ist oder daß die Fakten nicht stimmen, die vorgebracht worden sind.

Das müßte man sicher im einzelnen diskutieren. Politik ist doch aber nichts Emotionsloses, sondern hat sehr viel mit Emotion zu tun.

Heißt das, die junge Welt sollte emotionaler werden?

Vielleicht. Auch. Ich fand es zum Beispiel sehr schön, daß ein Interview mit der Sprecherin der Gruppe gebracht wurde, die Solidaritätsarbeit für die Gefangenen in Göteborg leistet. Es ist doch unbeschreiblich, was die jungen Menschen dort im Gefängnis erlebt haben. Berichte über Isolationshaft, wie man das aus Deutschland-Stammheim oder zum Teil der Türkei kennt. Da ist es für mich wichtig, auch in der jW eine sehr tiefe Solidarität mit diesen Menschen zu zeigen. Danach kann ich doch immer noch kritisieren. Oder?

Uns geht es nicht einfach darum, Kritik an militanter Politik zu unterbinden. Eine Debatte halten wir für sehr, sehr spannend. Zunächst aber müssen doch diejenigen, die zu den Protesten fahren, ernst genommen werden. Es ist eben nicht so, daß massenhaft Personen nach Göteborg oder nächste Woche nach Genua fahren, die nur Streit oder Gewalt suchen. Es sind Menschen, die in Gewerkschaften, Linksparteien oder in autonomen Antifa-Zusammenhängen organisiert sind und zusammen eine fundierte Kritik an der Globalisierung von oben, an der Europäischen Union und den Nationalstaaten an sich haben. Das ist doch schon eine Menge und sollte von der jW nicht einfach negiert werden.

Dienstag, 29. Mai 2001

Berliner Schnitzeljagd

CDU-Fraktion verortet Grüne und PDS als parlamentarischen Arm von »Linksextremisten«

Ralf Fischer / Junge Welt

Die Innenausschußsitzungen des Berliner Abgeordnetenhauses sind jedes Jahr im Mai von der Auseinandersetzung über die - zumeist völlig überzogenen - Polizeieinsätze am vorausgegangenen 1.Mai geprägt. Auch in diesem Jahr mußten wieder Schuldige her, und so präsentierten CDU-Fraktion und Senatsinnenverwaltung stolz die Grünen und die PDS als Sündenböcke.

Begründet wurde dieser Unsinn mit dem Fest am Mariannenplatz und der Anmeldung einer Demonstration gegen das vorher verhängte Demoverbot. Da diese Veranstaltungen, trotz Drängens der Polizei und des Innensenators, nicht abgesagt worden seien, gelten sie nun als Grund für den mißlungenen Polizeieinsatz.

Roland Gewalt, innenpolitischer Sprecher der CDU- Fraktion, behauptete locker, daß Anmeldung und Durchführung der Demonstration - sie begann um 12 Uhr in Berlin-Kreuzberg - Auslöser der gewalttätigen Auseinandersetzungen am frühen Abend auf dem Mariannenplatz gewesen seien. Nach seiner Meinung hätten die Anmelder »Gewalt billigend in Kauf genommen« und den »linksextremistischen Gruppen«, wie der Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB), erst die Möglichkeit gegeben, nach Kreuzberg zu gelangen. Auch die Weigerung der Organisatoren vom Mariannenplatz, nicht auf das Fest am 1. Mai zu verzichten, soll nach Auffassung der CDU-Fraktion ein Indiz für die »massive Zusammenarbeit« der Grünen und der PDS mit »gefährlichen Linksextremisten« sein.

Doch außer CDU-Fraktion und Senatsinnenverwaltung wollte niemand diese Version glauben. Die SPD-Mitglieder im Innenausschuß hielten sich weitgehend zurück und lehnten das Abladen der Verantwortung auf die PDS ab; sie sei keine »Chaoten-Partei«. Wolfgang Wieland von den Grünen verwies darauf, daß in diesem Jahr die AAB mit dem Motto »Das Ende der Gewalt!« mobilisiert hatte. Wenn Innensenator Eckart Werthebach (CDU) dies ernstgenommen hätte, wären seiner Meinung nach die gewalttätigen Auseinandersetzungen ausgeblieben. Wieland griff die Polizeiführung wegen ihrer unbegründeten Stürmung und späteren Einkesselung von über 300 Menschen auf dem Mariannenplatz mehrmals scharf an. Doch die bestand auf ihrer angebliche »Erfolgsbilanz«. Neben den schon bekannten Zahlen der Freiheitsentzüge (jW berichtete), schwiegen die Polizisten weiter über die Kosten des Einsatzes. Nur die Zahl von über 70 beschädigten Polizeiwagen wurde bestätigt.

Werthebach und Polizeipräsident Hagen Saberschinsky nahmen an der Sitzung nicht teil. Sie ließen sich entschuldigen und von der zweiten Garnitur vertreten. Die PDS-Vertreter vermuteten dann auch, die Debatte solle von den »systematischen Pannen« und »strategischen Fehlern« der Polizei und ihrer politischen Führung ablenken.

Donnerstag, 17. Mai 2001

Staatsknete für Neonazis

Thüringer VS leistete NPD-Aufbauhilfe

Ralf Fischer & Rainer Balcerowiak / Junge Welt

Während sich der thüringische Landtag am heutigen Donnerstag erstmalig mit der Verfassungsschutzaffäre um die Zusammenarbeit mit führenden Nazikadern beschäftigen wird, erhärtet sich der Verdacht, daß die Behörde massiv an der organisatorischen Entwicklung der regionalen Neonaziszene mitgewirkt hat.

Die »Thüringer Allgemeine« hatte am Wochenende berichtet, daß der Verfassungsschutz (VS) den stellvertretenden NPD- Landesvorsitzenden Tino Brandt seit Jahren als Quelle führt und sechsstellige Honorare an ihn bezahlt hat. In dieser Zeit gelang es Brandt und anderen Top-Nazis, verschiedene zuvor zerstrittene Gruppen wie die »Freien Kameradschaften« oder den »Thüringer Heimatschutz« in gemeinsame Strukturen einzubinden und in den inneren Führungszirkel der NPD aufzusteigen. Unklar ist bisher, ob noch weitere führende Nazis mit dem VS kooperierten, wie Kenner der Szene vermuten. Zudem sollen ausstiegswillige Neonazis vom VS zum Weitermachen angehalten worden sein.

Dank der soliden finanziellen Polsterung aus Steuermitteln konnte Brandt in den letzten Jahren seine Tätigkeiten als reisender Agitator mit fast wöchentlichen Auftritten als Redner und Demonstrationsleiter beträchtlich ausweiten. Als gesichert gilt ferner, daß die Führungsriege der NPD über die Agententätigkeit Brandts informiert war und so den Verfassungsschutz gezielt mit wertlosem »Spielmaterial« oder gezielten Desinformationen beliefern konnte. Der PDS- Bundestagsabgeordnete Carsten Hübner erinnerte in diesem Zusammenhang am Mittwoch gegenüber jW an die »blamable Rolle«, die Thüringens VS bei der Materialsammlung für gerichtsfeste Fakten im Verbotsverfahren gegen die NPD gespielt hat.
Innenminister Christian Köckert (CDU) hatte noch am Dienstag versichert, daß der VS keinen rechtsextremen Spitzenfunktionär als Quelle führe oder geführt habe. Am gestrigen Mittwoch veröffentlichte die Thüringer Allgemeine jedoch Bilder von einem Treffen Brandts mit VS-Mitarbeitern.

Steffen Dittes, innenpolitischer Sprecher der PDS- Landtagsfraktion in Thüringen, wertete die Aussage Köckert als »Zeugnis von Inkompetenz«. Zwar wolle man Köckert und der VS-Spitze nicht unterstellen, daß sie den Aufbau der Naziszene bewußt gefördert hätten, aber im Ergebnis sei genau das dabei herausgekommen. Angesichts des Aufschwungs der Naziszene und der Hilflosigkeit der Behörden stelle sich die Frage, »wer hier wen ausspioniert hat«. Man werde jetzt alle Hebel in Bewegung setzen, die Sache aufzuklären und, falls sich die Indizien für die direkte Verantwortung des Innenministers bestätigten, auch dessen Rücktritt fordern, so Dittes. Aus der parlamentarischen Kontrollkommission, dem für die Kontrolle des VS zuständigen Gremium, ist die PDS jedoch von CDU und SPD in Thüringen ausgeschlossen worden.

Montag, 14. Mai 2001

Historisches Topfschlagen

Kontroverse Debatten auf der Berliner Rechtsextremismus- Konferenz der PDS

Ralf Fischer / Junge Welt

Am Wochenende fanden sich im Rathaus Schöneberg weit über 300 Teilnehmer ein, um an der internationale Konferenz »Für eine tolerante Gesellschaft - gegen Rechtsextremismus und Rassismus« teilzunehmen. Die vom Parteivorstand und der Bundestagfraktion der PDS sowie dem Forum der neuen Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke organisierte Konferenz sollte die unterschiedlichen europäischen Erfahrungen und Analysen über Ursachen und Strukturen der extremen Rechten in Europa beleuchten und zum Austausch von Gegenstrategien beitragen.

Die Eröffnungsrede der Vorsitzenden der PDS, Gabi Zimmer, leitete die Konferenz ein. In ihrer Ansprache ging sie auf die Alltäglichkeit des Rassismus und Rechtsextremismus in ganz Europa ein und thematisierte die Entwicklung in Ostdeutschland. Sie beklagte das kulturelle und politische Klima in Deutschland. Schweigende und wegsehende Menschen in größer Zahl würden das Auftreten und Erstarken fremdenfeindlicher und neofaschistischer Gruppen erst ermöglichen. Zudem sei es ein Unding, daß ausgerechnet jene Menschen, die sich aktiv in antifaschistischen Gruppen engagieren, Jahr für Jahr als Linksextremisten diffamiert im Verfassungsschutzbericht wiederfinden würden.

In bezug auf die DDR und den dort zu suchenden Faktoren für das Anwachsen rechter Strömungen meinte Zimmer: »Selten waren sich Volk und die als Regierung agierende Partei der DDR so einig, wie dann, wenn es um Ausgrenzung anderer ging«. Sie forderte die Bereitschaft zu »schmerzhaften Erkenntnissen« und ergänzte: »Wir müssen akzeptieren, daß die autoritäre Erziehung in der DDR, die zum Teil sinnlos normative Ordnung des DDR-öffentlichen Lebens, die spießigen, zu politischer Intoleranz erhobenen Einstellungen gegen Andersdenkende und Anderslebende gesellschaftlich anerkannt waren.« Das habe auch Einfluß auf die Sozialisation des Nachwuchses gehabt.

In insgesamt sieben Foren wurden anschließend Fragen der Ursachen von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit und Gegenstrategien diskutiert. Die Auseinandersetzung mit Ursachen des Rechtsextremismus in der DDR waren in fast allen Workshops erregtes Diskussionsthema. Einige Teilnehmer vrneinten die Existenz neofaschistischer und antisemitischer Einstellungen in der DDR und einen Zusammenhang zwischen Strukturen der DDR-Gesellschaft und rassistischer Gewalt in den neuen Bundesländern. Andere forderten eine »realistische Sicht« auf die DDR und den dort gepflegten Umgang mit Ausländern, die oftmals ghettoisiert worden seien. Unter der Fokussierung auf diesen Punkt litten teilweise die Diskussionen über mögliche Gegenstrategien.

Zum Abschluß der Konferenz wurden am Sonntag Initiativen für eine tolerante Gesellschaft debattiert. Neben Oberrabbiner Andreas Nachama, dem Politikwissenschaftler Hajo Funke und Didier Motchane vom Mouvement des Citoyens (MDC) aus Frankreich diskutierte die Berliner PDS- Vorsitzende Petra Pau über Möglichkeiten der offiziellen Politik und eines jeden einzelnen, gegen Rassismus und Rechtsextremismus vorzugehen.

Der Pressesprecher der PDS, Hanno Harnisch, zeigte sich mit der großen Resonanz und dem Verlauf der Konferenz sehr zufrieden. Man werde diesen wichtigen Ansatz in der Zukunft ausbauen.

Freitag, 11. Mai 2001

Marschieren für eine Nazi-Normalität

Neonazis wollen erneut in Berlin gegen die »Intoleranz« demonstrieren

Ralf Fischer / Junge Welt

Nachdem am 1. Mai rund 900 Anhänger der NPD relativ ungestört durch Berlin-Hohenschönhausen marschieren konnten, steht für den kommenden Samstag die nächste Neonazidemonstration in Berlin bevor. Zum 12. Mai mobilisiert die Kameradschaft Germania aus Berlin zu einer Demonstration durch den Bezirk Lichtenberg. Vom S-Bahnhof Lichtenberg aus wollen die Neonazis quer durch den Bezirk marschieren. Die Polizei will den Aufmarsch mit Auflagen genehmigen. So sollen nur Fahnen der Bundesrepublik und ihrer Bundesländer erlaubt, Trommeln, Fackeln und das Tragen von Bomberjacken und Springerstiefeln hingegen verboten sein.

Die Kameradschaft Germania ruft sarkastischerweise unter dem Motto »Gegen Faschismus und Intoleranz« zur Teilnahme an der Demonstration auf. Diese Parole, die Mitglieder der Nazi-Gruppierung seit längerem benutzen, wurde schon im Januar bei einem Aufmarsch in Greifswald auf einem Transparent präsentiert. Auch am 1. Mai in Hohenschönhausen waren die Germania-Anhänger mit diesem Transparent dabei.

Das von Christian Worch geleitete »Nationale und Soziale Aktionsbüro Norddeutschland« aus Hamburg ruft ebenfalls zur Teilnahme an der Demonstration auf. Auch Brandenburger Kameradschaften haben auf ihren Internetseiten angekündigt, am Samstag nach Berlin zu kommen.

Das ständige Aufmarschieren der braunen Horden hat indes in Berlin für eine schrittweise Rückentwicklung der antifaschistischen Gegenaktivitäten gesorgt. Auch für den nun angekündigten Naziaufmarsch wird erst seit einer Woche innerhalb der antifaschistischen Szene mobilisiert.

Donnerstag, 10. Mai 2001

»Heldentrauer« in Neuhaus verhindert

Nazis wollen statt dessen am 12. Mai in Sonneberg marschieren

Ralf Fischer / Junge Welt

Seit 1997 haben Neofaschisten jedes Jahr mehr als 200 ihrer Anhänger nach Neuhaus in Thüringen zu einer Gedenkdemonstration mobilisiert. Als Anlaß dient der Tod des Neonazis Sandro Weilkes in der Nacht zum 6. Mai 1995. Weilkes war bei einer Auseinandersetzung zwischen Punks und Neonazis ums Leben gekommen. Er war nach gegenseitigen Pöbeleien und Handgreiflichkeiten noch einmal zu den Punks gegangen, um einem von ihnen ein Messer aus der Hand zu schlagen. Dabei wurde er so schwer verletzt, daß er an den Folgen starb. Der Täter war der Bruder eines Punks, der von den Nazis in vorhergehenden Auseinandersetzungen schwer verletzt worden war.

Am kommenden Sonnabend wollten die Neoazis den Tod ihres »Kameraden« erneut nutzen, um in Neuhaus ihre menschenverachtenden Parolen auf die Straße zu tragen. Doch in diesem Jahr ruft erstmals die Arbeitsgemeinschaft Antifaschismus/Antirassismus des DGB in Thüringen zu einer Demonstration gegen die Neofaschisten in Neuhaus auf. Daraufhin verlegten die Neonazis ihren Aufzug in das benachbarte Sonneberg. Doch auch hier wollen die Antifaschisten die Rechten nicht in Ruhe marschieren lassen. In Sonneberg fand schon am 3. März ein vom »Nationalen und Sozialen Aktionsbündnis Westthüringen« (NSAW) organisierte Neonazi-Demonstration statt. Das NSAW ist eine Organisation, die in Eisenach von Patrick Wischke initiiert wurde, um auch in kleineren Orten Menschen rekrutieren zu können.

Samstag, 5. Mai 2001

Castor-Transport nun im Osten

Massive Polizeipräsenz in Rheinsberg. Proteste von Atomkraftgegnern erwartet

Ralf Fischer / Junge Welt

Im Laufe der nächsten Woche sollen vier Castor-Behälter vom stillgelegten Atomkraftwerk im brandenburgischen Rheinsberg ins neu errichtete Zwischenlager nach Greifswald/Lubmin transportiert werden. Genau wie beim sogenannten »Atomausstieg« geht es beim Abriß der Atommeiler in Rheinsberg und Greifswald vor allem um eine Weiterführung des weltweiten Atomprogramms.

Bisher wurde noch kein AKW dieser Größenordnung abgerissen. Mit diesem Experiment geht es den beteiligten Konzernen, wie beispielsweise Siemens, darum, neue Technologien und Verfahren zu testen, um sie weltweit vertreiben zu können. Darüber hinaus wird der Bevölkerung die problemlose Kontrollierbarkeit und Beherrschbarkeit der Atomtechnik suggeriert. Der angeblich mögliche Rückbau zur vielzitierten »grünen Wiese« soll nur der Legitimation für den Neubau von AKW in der ganzen Welt dienen.

Darüber hinaus stellt der Transport die Einweihung des nunmehr bundesweit dritten Zwischenlagers in Lubmin dar. Bei Betrachtung der Anlage fällt sofort ins Auge, daß die ausgedehnten Hallen nicht nur den Atommüll aus den abgeschalteten AKW in Rheinsberg und Lubmin aufnehmen sollen. Vielmehr bietet sich hier eine günstige Gelegenheit, den anhaltenden Widerstand in Gorleben und Ahaus bequem zu umschiffen. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, denn Lubmin liegt direkt am Ostseestrand.

Ostdeutsche Antiatominitiativen befürchten, daß, wenn dieser Castor-Transport »ohne nennenswerten Widerstand durchgezogen werden« kann, über kurz oder lang Lubmin als Alternative zu Gorleben und Ahaus gehandhabt wird. Außerdem entsteht dort gerade ein Hafen, der Transporte auf dem Seeweg, die schlechter zu blockieren sind, ermöglichen würde.

Schon seit zwei Wochen sind zahlreiche Polizeieinheiten in Rheinsberg und Umgebung stationiert. Der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm bestätigte, daß rund 5 000 Polizisten an der Transportstrecke im Einsatz sein werden. Neben dem zuständigen Polizeipräsidium Oranienburg haben auch Kommunen Versammlungsverbote verhängt. In Prenzlau und Umgebung verteilten Castor-Gegner ein Flugblatt mit dem Briefkopf der Kreisverwaltung Uckermark, in dem Verhaltensregeln für Castor-Unfälle gegeben werden. Weil das Papier nicht von der Kreisverwaltung stammte, erstattete die Behörde Anzeige. Mehrere Städte und Landkreise Mecklenburg-Vorpommerns erließen Versammlungsverbote.

In Potsdam sagte der innenpolitische Sprecher der CDU- Fraktion, Sven Petke, der 9. Mai sei der »zur Zeit konkrete« Transporttermin. Er werde »in den nächsten Tagen« bestätigt. Auftakt der Gegenaktivitäten soll am 6. Mai eine Demo unter dem Motto »Es gibt keine richtigen Castor-Transporte im falschen Atomausstieg« in Rheinsberg sein. Über 15 ostdeutsche Initiativen rufen zu Protesten und zivilem Ungehorsam gegen diesen Castor-Transport auf. Sollte der Transport früher und unangekündigt fahren, gebe es ein dezentrales Konzept für beide mögliche Routen, so die Initiativen. An mehreren Orten hätten Atomgegner schon erste Aktionen begonnen, teilten sie mit. Für die nächsten Tage seien Kundgebungen und Mahnwachen an mehreren Orten angemeldet.

Donnerstag, 3. Mai 2001

Mit Fackeln gegen die Vergangenheit

Für den 8. Mai planen Neonazis in Guben und Dresden Umzüge

Ralf Fischer / Junge Welt

Auch in diesem Jahr wollen militante Neonazis gegen den ihnen verhaßten »Tag der Befreiung« am 8. Mai demonstrieren. Bisher sind in Guben und Dresden Anmeldungen von rechtsextremistischen Gruppen bekannt. Nach Guben mobilisiert das Junge Nationale Spektrum zu einem nächtlichen Fackelumzug. Das Motto »Das ganze Guben soll es sein - feiert euren 8. Mai allein« bezieht sich auf die Teilung Gubens nach dem Zweiten Weltkrieg in einen polnischen und einen deutschen Stadtteil. Gerade in Berlin und auch im gesamten Brandenburg wurde und wird noch für diese angebliche Gedenkveranstaltung geworben. Nach Angaben von örtlichen Antifaschisten ist mit 300 bis 500 Teilnehmern an der Neonazidemo zu rechnen. Die Neonazis wollen sich gegen 18 Uhr am Busbahnhof in Guben versammeln.

Verschiedene antifaschistische und linke Initiativen haben ebenfalls Kundgebungen und Demonstrationen in Guben an diesem Tag angemeldet. Sie organisieren ab 17 Uhr am Busbahnhof unter anderem ein Konzert gegen die Provokation der Neonazis. Neben einer regionalen Gegenmobilisierung hoffen die Gubener Antifas auf Unterstützung von überregionalen Antifastrukturen.

Auch in Dresden wollen am 8. Mai zum wiederholten Male in diesem Jahr Neonazis aufmarschieren. Bisher ist noch nicht bekannt, wo diese Aktion stattfinden wird.

Mittwoch, 2. Mai 2001

Bürgerkriegsübung

NPD konnte im Schutze der Polizei in Berlin aufmarschieren

Ralf Fischer / Junge Welt

Begleitet durch massive Polizeimaßnahmen konnten am gestrigen 1. Mai rund 900 Anhänger der neofaschistischen NPD und der »freien Kameradschaften« unter dem Motto »Arbeit zuerst für Deutsche« durch den Berliner Stadtbezirk Hohenschönhausen marschieren. Antifaschistischen Gegendemonstranten gelang es nur vereinzelt, an die von der NPD organisierte Demonstration heranzukommen oder diese gar zu stören.

Nachdem vergangene Woche der NPD-Aufmarsch aus der Innenstadt nach Hohenschönhausen verlegt worden war, verhängte die Polizei über den nordöstlichen Außenbezirk eine Bannmeile. Polizeihubschrauber in der Luft, uniformierte Polizisten an jeder Straßenecke und verdeckte Polizeibeamte unter den Gegendemonstranten sollten die reibungslose Durchführung des NPD-Aufmarsches ermöglichen.

Dementsprechend glich der Bezirk am Vormittag einer Bürgerkriegsregion. Ab acht Uhr morgens mußten Personen, die nach Hohenschönhausen wollten, Ausweiskontrollen und Durchsuchungen über sich ergehen lassen. Zurückweisungen für angebliche Antifaschisten oder Linke waren an der Tagesordnung.

Die kurzfristige Veränderung des Sammelpunktes der NPD-Anhänger war laut Polizeiangaben Teil ihrer Deeskalationsstrategie und sollte der Verhinderung von Auseinandersetzungen dienen. Doch trotz aller Bemühungen, den Neonazis einen störungsfreien Aufmarsch zu gewährleisten, kam es zu Protestaktionen. Rund 300 Demonstranten versuchten, den von Hunderten Polizisten abgeschirmten Neonaziaufmarsch zu behindern. Es kam zu einzelnen Rangeleien, als Antifaschisten versuchten, eine friedliche Blockade zu organisieren. Die Polizei konnte jedoch jeglichen Blockadeansatz erfolgreich verhindern.

Trotzdem ist für die Antifa Hohenschönhausen die kurzfristige Organisierung von Widerstand in ihrem Bezirk zufriedenstellend. Es war ihrer Meinung nach kaum zu erwarten, daß ähnlicher Widerstand gegen den Aufmarsch der Neonazis zustande käme wie im linksalternativen Bezirk Friedrichshain.

Zu den 900 Neonazis, die sich am S-Bahnhof Hohenschönhausen am Vormittag sammelten, sprachen unter anderem der NPD-Vorsitzende Udo Voigt sowie der NPD-Verteidiger Horst Mahler. Doch neben dem NPD-Umfeld waren auch viele Anhänger der »Kameradschafts«szene an der Demonstration beteiligt. So trat auch die »Berliner Kameradschaft Germania« auf der Demonstration mit einem eigenen Block auf. Am Ende der Demonstration wurden einzelne Personen verhaftet. Ihnen wird vorgeworfen, verfassungsfeindliche Symbole und Kennzeichen gezeigt zu haben.

Montag, 30. April 2001

Kampftag der Neonazis?

Kameradschaften wollen am 1. Mai in Frankfurt am Main marschieren

Ralf Fischer / Junge Welt

Bereits seit zwei Monaten mobilisiert die äußerste Rechte bundesweit zur »Großdemonstration des nationalen Widerstandes« am 1. Mai nach Frankfurt am Main. Als Hauptorganisatoren fungieren die altbekannten Neonazikader Steffen Hupka und Thomas Wulff. Laut Einschätzung des »Antifaschistischen Aktionsbündnis 1. Mai - Kein Naziaufmarsch« aus Frankfurt muß an diesem Tag mit 1 000 bis 2 000 Neonazis gerechnet werden. Neben den »Freien Kameradschaften« tragen den Aufmarsch unter anderem auch die NPD-Kreisverbände von Magdeburg und Offenbach. Im Anschluß an die Demonstration ist im Raum Frankfurt ein Konzert mit den Neonazibands »Hauptkampflinie« und »Faustrecht« angekündigt worden.

Nachdem ein Verbot des Neonaziaufmarsches am 7. April in der Mainmetropole höchstrichterlich vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert war, kann davon ausgegangen werden, daß der Aufmarsch am 1. Mai in jedem Fall stattfinden wird. Doch der Wunsch der Neonazis, in der Innenstadt zu demonstrieren, wird wohl kaum in Erfüllung gehen. Neben der alljährlichen Demonstration des DGB vom Günthersburgpark bis zum Römerberg wird auch ein Radrennen in der Innenstadt veranstaltet. Deshalb wird damit gerechnet, daß den Neonazis nur eine Demonstrationsroute außerhalb der Innenstadt genehmigt wird. Das »Antifaschistische Aktionsbündnis 1. Mai - Kein Naziaufmarsch«, dem mehr als zehn antifaschistische und antirassistische Gruppen angehören, ruft unterdessen alle Antifaschisten auf, am 1. Mai um 9.30 Uhr zum Willy-Brandt- Platz zu kommen, um von dort aus zu dem Ort zu demonstrieren, an dem der Aufzug der Neonazis beginnt.

Samstag, 28. April 2001

Revolutionär schon vor dem Kampftag

In Erfurt wird bereits am Vorabend des 1. Mai demonstriert

Ralf Fischer / Junge Welt

Am »Kampftag der Arbeiterklasse« wird es neben den schon zur Gewohnheit gewordenen antifaschistischen Aktionen gegen die Aufmärsche der Neonazis, auch eigenständige Aktionen von linksradikalen Gruppen geben. Schon seit Mitte der 90er Jahre wird nicht nur in Berlin am 1. Mai revolutionär demonstriert. Auch in Dessau und Nürnberg organisieren antifaschistische und autonome Gruppen seit Jahren internationalistische und antifaschistische Aktionen am 1. Mai. In diesem Jahr beginnen die alljährlichen Maifestspiele in Erfurt. Erstmals werden dabei antifaschistische und kommunistische Gruppen in der thüringischen Hauptstadt schon am Vorabend des 1. Mai demonstrieren.

Nach Analysen der organisierenden Gruppen ist die radikale Linke in Thüringen gesellschaftlich fast in die Bedeutungslosigkeit abgerutscht, deshalb wollen sie in Erfurt mit der eigenständigen Demonstration einen Schritt raus aus der politischen Isolation machen. »Radikale linke Kritik« muß formuliert und in die Öffentlichkeit transportiert werden, so die Antwort des Erfurter Vorbereitungsbündnisses auf die Krise. Unter dem Motto »Es gibt keine Alternative zur Revolution« wollen die Organisatoren um 17 Uhr vom Hirschgarten aus demonstrieren.

In Dessau findet seit sechs Jahren zum 1. Mai alljährliche eine linksradikale Demonstration statt. In diesem Jahr wird im Vorfeld des Tages ein Camp organisiert. Hier will man inhaltlich und organisatorisch Diskussionen und Vernetzungen über die Aktionen hinaus erreichen. Ähnlich wie in den letzten Jahren rechnet die »Initiativgruppe 1. Mai Dessau« mit einer breiten Beteiligung an den Aktivitäten rund um den 1.Mai. Die Demonstration soll um 14 Uhr auf dem Theaterplatz beginnen. Auch in Nürnberg wird die Tradition, am 1. Mai internationalistisch zu demonstrieren, fortgesetzt. In Ablehnung der gewerkschaftlichen Alibiveranstaltungen wird die Gruppe »organisierte autonomie« wieder eine Demo und ein Straßenfest im Stadteil Gostenhof durchführen. Unter dem Motto »Für die soziale Revolution - gemeinsam weltweit kämpfen« soll die Demonstration um 12 Uhr von der Gostenhofer Hauptstraße/Ecke Bauerngasse beginnen.

In Berlin steht die letzte Entscheidung der Gerichte noch aus, ob es wie jedes Jahr zwei revolutionäre Demonstrationen geben wird oder nur eine. Um 13 Uhr soll vom Kreuzberger Oranienplatz aus die erste revolutionäre Demo starten.

Montag, 23. April 2001

Ein Ende ohne Neubeginn

Beim Antifakongreß in Göttingen wurden keine neuen bundesweiten Strukturen geknüpft

Ralf Fischer & Andreas Siegmund-Schultze  / Junge Welt

»Dieser Kongreß wird nicht über die Neugründung einer neuen bundesweiten Organisation entscheiden können, er kann nur richtungsweisende Schritte einleiten«, ließ ein Vertreter der Antifa Bonn-Rhein-Sieg zu Anfang des Antifa-Kongresses an diesem Wochenende in Göttingen verlauten. Eine Aussage, die zumindest den dringenden Willen nach Neuorganisierung antifaschistischer Strukturen in der BRD erahnen ließ, nachdem sich die Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) Anfang April diesen Jahres aufgelöst hatte.

Mit gut 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern war der Kongreß unter dem Motto »Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen« am Freitag abend in Göttingen in die Diskussion eingestiegen. Bis Sonntag fanden auf dem Gelände der Universität zahlreiche Veranstaltungen mit jeweils mehreren hundert Aktivistinnen und Aktivisten statt. Analysen über die Geschichte von bisher existierenden bundesweiten Antifa- Strukturen sowie die vonnöten erscheinende Diskussion über Zukunftsperspektiven waren Hauptthemen des Kongresses. Obwohl ein derartiges Antifa-Treffen unter diesem Titel erstmals stattfand, gab es bereits in den Vorjahren einzelne Versuche, autonome antifaschistische Strukturen bundesweit zu vernetzen. 1998 beispielsweise in Leipzig bei einem »Verstärkerkongreß«.

Im Vorfeld hatten faschistische Kameradschaftsstrukturen um den Neonazikader Steffen Hupka für Sonnabend einen Aufmarsch in Göttingen angekündigt, der sich gegen »antifaschistische Gewalt« richten sollte. Trotz Hupkas Bemühungen, ein zuvor ausgesprochenes Verbot des Aufmarsches der Stadt Göttingen durch Verwaltungsgerichte wieder aufzuheben, blieb der Aufzug untersagt. Das Gericht begründete diese Entscheidung unter anderem mit zahlreichen Gesetzesverstößen bei zurückliegenden - von Hupka angemeldeten - Aufmärschen. Demonstrieren durften jedoch einige Dutzend Antifaschistinnen und Antifaschisten, die mit Losungen und Transparenten klar zeigten, von wem in diesem Land rassistische Gewalt ausgeht. Rassistische Politik, so meinten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, betreiben nicht nur die Neonazis, sondern in nicht unerheblichem Maße auch Staat und Wirtschaft, die beispielsweise mit ihrer Zuwanderungsdebatte die Trennung von ökonomisch »nützlichen« und »unnützlichen« Menschen vollziehen.

Zum Kongreß aufgerufen hatten neben zahlreichen lokalen Antifa-Gruppen auch in bundesweiten Zusammenhängen agierende Strukturen, so die Autonome Antifa (M) aus Göttingen, das Leipziger Bündnis gegen Rechts sowie die Antifaschistische Aktion Berlin (AAB). Diese Organisationen waren bislang die aktivsten Strukturen innerhalb der überregional tätigen »Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation« (AA/BO), einem vor neun Jahren gegründeten verbindlichen Netzwerk, dem sich damals zahlreiche regional aktive antifaschistische Gruppen angeschlossen hatten. Diese Gründung war auch eine Antwort auf die oft bornierte Haltung der zumeist hierarchisch strukturierten K-Gruppen früherer Jahre, von denen sich viele - insbesondere junge Antifaschistinnen und Antifaschisten - abkoppelten.

Damit entstand, wie eine Vertreterin der Organisation während des Kongresses am Sonnabend eingestand, eine »Organisation ohne Programm«. »In der AA/BO organisierten sich Anhängerinnen und Anhänger des Kommunismus oder des Anarchismus, aber auch Linke, die sich keinem >Ismus<« verpflichtet fühlten, so die Vertreterin der Autonomen Antifa (M) in ihrem Redebeitrag über die Geschichte der AA/BO. Diese Konstellation sorgte später für Probleme innerhalb der Organisation. Die Konsensfindung innerhalb der AA/BO war eines der massivsten Probleme. Die Einschränkung von politischen Positionen zugunsten einer gemeinsamen Position war für die meisten Gruppen vor Ort nicht mehr tragbar. Die politischen Analysen innerhalb der Organisation waren so schließlich nicht mehr wegweisend, sondern nur noch ein bunter Mix unterschiedlicher linksradikaler Ideologien.

Ein Thema während des Kongresses war der Umgang der Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB) mit einem Vergewaltigungsfall vor knapp zwei Jahren. Der AAB wird Täterschutz vorgeworfen, da sie nicht die Notwendigkeit sah, sich vom Täter klar zu distanzieren. Sie sei somit nicht dem Anspruch einer »antipatriarchalen Gruppe« gerecht geworden. Dieser Vorwurf wurde von zahlreichen FrauenLesben- Zusammenhängen erhoben, aber auch vielen anderen linksradikalen Gruppierungen. Außerdem wird der AAB angelastet, sich erst auf massives Drängen anderer Organisationen zu diesem Vorfall überhaupt geäußert zu haben. Das Pamphlet der AAB zu diesem Vergewaltigungsfall - »Die neue Sachlichkeit« - greife das Sanktions- und Definitionsrecht der Frau nach einer Vergewaltigung massiv an. Die Veranstaltung zu diesem Fall war einer hierarchischen Moderation unterworfen. Das Podium bestand aus vier AAB- Frauen, die versicherten, ihre Gruppe habe sich intern intensiv mit dem Thema Vergewaltigung sowie anderen Formen des Sexismus beschäftigt. Doch bei vielen Rednerinnen rief das Skepsis hervor. Die ergibt sich zudem aus dem Fakt, daß sich die AAB auch an dieser Stelle keinesfalls von ihrem damaligen Diskussionstext distanzierte. Rednerinnen kritisierten, daß vorhandene patriarchale Strukturen Stützpfeiler des Kapitalismus seien und auch innerhalb der Linken funktionierten. Sie forderten auch die AAB auf, dies endlich anzuerkennen. Ein Fortschritt in diesem Bereich war hier nicht abzusehen.

Während des Kongresses wurde auch die Frage des Verhältnisses zwischen antifaschistischen und antirassistischen Gruppen aufgeworfen. Es wurden Überlegungen erörtert, wie eine bessere Zusammenarbeit zwischen beiden Gruppierungen ermöglicht werden kann. Dabei zeigte sich, daß in der Vergangenheit die Bereitschaft aktiver antirassistischer Initiativen zur Zusammenarbeit mit der Antifa bei weitem größer war als umgekehrt.

Die Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation entschied sich Anfang April für ihre Auflösung. Der Antifakongreß am Wochenende sollte der erste Schritt einer erneuten Organisierungsdebatte innerhalb der antifaschistischen Bewegung sein. Doch es zeigte sich, daß es innerhalb der organisierenden Gruppen zu viele unterschiedliche Auffassungen gibt. Immerhin präsentierte das Leipziger Bündnis gegen Rechts auf dem Kongreß erste Ansätze einer neuen theoretischen Zeitung. Dieses Konzept stieß bei der Antifa Aktion Berlin auf große Kritik. Eine Einigung blieb aus.

Insgesamt bleibt das Resümee, daß von allen Gruppen weiterhin an der Idee einer bundesweiten Organisierung festgehalten wird, die praktische Umsetzung aber noch umfangreiche Debatten verlangt. Mehrfach wurde gefordert, daß eine neue linksradikale Struktur auch weiterhin nicht bei Anti-Nazi-Arbeit stehen bleiben darf. Ebenso aufgegriffen werden müssen Themen wie Antikapitalismus, Antirassismus, Antimilitarismus und Antipatriarchat.

Donnerstag, 19. April 2001

Morddrohung gegen Berlins Innensenator?

Werthebach setzt Staatschutz auf Rundfunkjournalisten an

Ralf Fischer / Junge Welt

Wegen einer angeblichen Morddrohung gegen den Berliner Innensenator Eckart Werthebach (CDU) ermitteln seit Anfang April Staatsschutz und die Staatsanwaltschaft in Berlin gegen einen unbekannten Berliner Antifaaktivisten. In einem Interview mit dem freien Rundfunkjournalisten Peter Kessen äußerte der Antifaaktivist seine Meinung über den Berliner Innensenator. »Herr Werthebach ist jemand für mich, der bekämpfenswerter ist als alle Nazis zusammen, weil er mit seiner Politik dafür sorgt, daß wir zum Beispiel weiter kriminalisiert werden.« Einige Tage nach dem Gespräch konfrontierte Kessen den Innensenator in einem Interview mit diesen Äußerungen. Der reagierte anfangs gelassen. Doch schon im weiteren Verlauf des Gespräches erläuterte Werthebach, daß gegen die »Feinde« der Verfassung »auch mit Illiberalität« geantwortet werden müsse. Prompt rief am nächsten Morgen der Berliner Staatsschutz bei Peter Kessen an und forderte ihn auf, der Behörde die relevanten Passagen aus dem Antifa-Interview zuzufaxen. Anlaß dafür sei eine Anzeige des Innensenators wegen einer Morddrohung durch die Antifa.

Kessen verweigerte die Herausgabe des Materials. Doch der Staatsschutz ließ nicht locker, einige Tage später rief erneut ein Staatsschützer bei Kessen an und forderte zum wiederholten Male die Herausgabe des Interviews. Der Beamte erwähnte zudem, daß nun auch die Berliner Staatsanwaltschaft in diesem Fall weiter ermittelt. Daraufhin rief Kessen bei der Berliner Staatsanwaltschaft an. Nach einigem Kompetenzgerangel in der Justizbehörde erklärte ein für politische Straftaten zuständiger Staatsanwalt dem verdutzten Rundfunkjournalisten, daß er doch dem Drängen des Staatsschutzes nachgeben solle. Journalisten, die sich weigerten, mit dem Staatschutz zusammenzuarbeiten, bekämen keine Informationen mehr, bemerkte er. Kessen beteuerte, daß »nachweislich« keinerlei Aufrufe zu Straftaten auf den Interviewbändern mit dem Antifaschisten enthalten seien.

Um dem Vorgehen des Staatsschutzes und der Staatsanwaltschaft zu entgegnen, hat Kessen einen Anwalt eingeschaltet. Dieser beschwerte sich umgehend beim Generalstaatsanwalt des Landgerichtes über das Verhalten des Innensenators, des Staatsschutzes und des Oberstaatsanwalts. Kessen, so der Anwalt, sei berechtigt, Zeugnis über seine Recherchen zu verweigern. Außerdem gehe aus dem Interview eindeutig hervor, daß es sich bei der Äußerung des Antifaaktivisten nicht um eine Morddrohung, sondern um eine politische Beurteilung des Wirkens des Innensenators handele. In dem Anwaltsschreiben wird Kessens Gesprächspartner wörtlich zitiert: »Ich denke, daß völlig klar ist, und das hat es auch noch nicht gegeben, daß Linke bei Angriffen auf Rechte die mit Absicht umgebracht haben. Das ist noch nie passiert so. Und ich möchte auch nie diese Verantwortung auf mich laden.«

Offen bleibt nun, was den Innensenator dazu bewegte, wegen eines harmlosen Satzes den Staatsschutz auf einen Rundfunkjournalisten zu hetzen. Möglich, daß hier die Anti- Antifa-Mentalität des CDU-Politikers durchschlug. Andererseits steht derzeit auch die ideologische Vorbereitung des 1. Mai auf der Tagesordnung des Innensenators. Seit Jahren beginnen die Auseinandersetzungen zum 1. Mai vorab in verbalen Presseschlachten. Die Polizei versucht durch selbstorganisierte Straßenfeste, ihr sogenanntes AHA- Konzept und die persönliche Ansprache von »gewaltbereiten« Autonomen in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, ausschließlich die Autonomen seien schuld an den Auseinandersetzungen in Berlin.

Samstag, 14. April 2001

Auf der Suche nach einer Organisationsform

Vom 20. bis 22. April findet in Göttingen der diesjährige Antifa-Kongreß statt

Ralf Fischer / Junge Welt

»Die Entwicklung organisierter antifaschistischer Politik ist an einem Punkt angelangt, der einige grundlegende Überlegungen und eine Neuorientierung notwendig macht.« Mit diesen Worten laden die Autonome Antifa aus Göttingen, das Bündnis gegen Rechts aus Leipzig und die Antifaschistische Aktion Berlin (AAB) zum Kongreß nach Göttingen. Sie alle verbindet das Ziel, revolutionäre linke Gruppen über das Antifaspektrum hinaus an einen Tisch zu bringen und nach gemeinsamen Ansätzen antikapitalistischer Antifapolitik zu suchen.

Schon im Herbst 1999 sollte der »Verstärkerkongreß« in Leipzig den Austausch und die Vernetzung der Antifaszene forcieren, doch die Fortführung der in Leipzig betriebenen Diskussionen und Debatten scheiterte. Die schlechte Kommunikation zwischen den einzelnen Antifagruppen und die unterschiedlichen Voraussetzungen der Gruppen vor Ort machten es unmöglich, die in Leipzig begonnenen Debatten bundesweit fortzuführen. Auch die Organisierung des jetzt geplanten Kongresses lief schwieriger an als gedacht. Die Idee eines »Verstärkerkongresses« war in der Antifaszene zwar sehr positiv aufgenommen worden, es fanden sich aber nur zwei Gruppen, die an das initiierende Bündnis gegen Rechts aus Leipzig herantraten, um ihre Hilfe anzubieten.

Mit dem diesjährigen Kongreß soll nun endlich ein Rahmen geschaffen werden, um eine kontinuierliche Diskussion über die Neuorientierung bundesweiter linksradikaler Politik einzuleiten. Nach der Vorstellung der organisierenden Gruppen soll längerfristig eine Struktur entstehen, die die Möglichkeit bietet, die angestellten Überlegungen umzusetzen, um so die vorhandenen Kräfte zu einigen. So sollen auf dem Kongreß Ideen zukünftiger gemeinsamer Politik sowie das Konzept einer bundesweiten linksradikalen Zeitschrift vorgestellt werden.

Doch die Spaltung steht schon im Programm. Im Tagesablauf für den zweiten Tag des Kongresses findet sich auch ein Workshop zur Vergewaltigungsdebatte der letzten Jahre in Berlin. In diesem Workshop will die beschuldigte Gruppe, die AAB, Stellung zu den Vorwürfen und ihrem Text »Die neue Sachlichkeit« beziehen. Frauengruppen haben in mehreren autonomen Zeitungen allerdings dazu aufgerufen, diese Veranstaltung zu »verhindern«. Es ist sehr wahrscheinlich, daß dieser Workshop nicht zur besseren Verständigung innerhalb der Antifaszene betragen wird.

Das restliche Programm läßt da eher hoffen. Es ist in zahlreiche Vortrags-, Podiums- und Diskussionsveranstaltungen, Workshops sowie ein kulturelles Rahmenprogramm gegliedert. Neben einer Eröffnungsveranstaltung zum Hintergrund des Kongresses sollen zunächst unter dem Titel »Wo steht die Antifabewegung« Geschichte, Entwicklung und Standortbestimmung der Antifabewegung im Zuge der sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen analysiert und diskutiert werden. Darauf aufbauend werden sich Workshops zum Beispiel mit der Zusammenarbeit von antifaschistischen und antirassistischen Gruppen, der Überwachungsgesellschaft und der »Anti-Globalisierungs-Bewegung« beschäftigen. Auf der Abschlußveranstaltung soll dann ein Organisationsmodell zukünftiger linksradikaler Politik entwickelt werden.

Mittwoch, 11. April 2001

Der Flug des Farbbeutels

Die Erfurter Staatsanwaltschaft macht aus Mücken Elefanten

Ralf Fischer / Junge Welt

In Erfurt flog am 21. Dezember 1999 ein Farbbeutel an eine Wand des Innenministeriums. In Thüringen offenbar Grund genug, um einen Monat später ein Verfahren nach Paragraph 129 StGB zur Bildung einer kriminellen Vereinigungen anzustrengen. Auf Nachfrage teilte die Staatsanwaltschaft Erfurt mit, daß sich die Ermittlungen gegen Unbekannt richten. Gesucht wird dabei eine Gruppe »Autonome DekorateurInnen«, die sich in einem Schreiben zu der Attacke bekannte. Protestiert werden sollte gegen die Durchsuchungen linker Projekte in Berlin und die Gefangennahme von drei Menschen in Berlin und Frankfurt am Main am 19. Dezember 1999. Den Verhafteten wird die Mitgliedschaft in den Revolutionären Zellen vorgeworfen. Daneben wirft die Erfurter Staatsanwaltschaft den »Autonomen DekorateurInnen« vor, im Januar 2000 einen weiteren Anschlag auf das Innenministerium mit einem Molotowcocktail versucht zu haben. Hierzu gibt es kein Bekennerschreiben.

Anfang 2001 bekamen nun fünf Mitglieder des Fachschaftsrates Sozialwesen an der Fachhochschule Erfurt Zeugenvorladungen vom Landeskriminalamt Erfurt zugeschickt. Hintergrund der Vorladungen dürfte sein, daß der Fachschaftsrat dem anonym erscheinenden Erfurter Infoblatt SPUNK, in welchem das Bekennerschreiben der »Autonomen DekorateurInnen« dokumentiert wurde, ein Postfach zur Verfügung stellte.

Nach Vorladung der fünf Zeugen wurde bekannt, daß derzeit nur noch wegen versuchter Brandstiftung sowie Sachbeschädigung ermittelt wird. Ein Vorgehen im Rahmen des Paragraphen 129 ließ sich nicht aufrechterhalten. Da drei der Vorgeladenen jegliche Aussage verweigerten, will Staatsanwalt Grünseisen nun wenigstens ein Ordnungsgeld verhängen, auch mit der Beantragung von Beugehaft wurde gedroht.

Wegen der Ermittlungen hat sich eine Thüringer Anti- Repressionsgruppe (TARG) gegründet, die Unterstützung für die Betroffenen organisieren will.

Donnerstag, 5. April 2001

1. Mai - mehr Service der Berliner Polizei

CDU fordert lautstark, die vorbeugende Haft für potentielle »Gewalttäter« auf vier Tage zu erweitern

Ralf Fischer / Junge Welt

Post vom Polizeipräsidenten, Hausbesuche von Polizisten, und wenn das nicht hilft, kommen »potentielle GewalttäterInnen« schon mal einige Tage vor dem 1. Mai in Vorbeugehaft. So stellt sich die Berliner CDU die Strategie vor, um mögliche Straftaten rund um den 1. Mai zu verhindern. Der innenpolitische Sprecher der CDU, Roland Gewalt, forderte, daß »der Unterbindungsgewahrsam für Chaoten von zwei auf vier Tage verlängert« werden soll. Denn bereits am Wochenende vor dem Maifeiertag sei nach seiner Erfahrung mit Ausschreitungen zu rechnen.

Hintergrund seiner Forderung sind Maßnahmen der niedersächsischen Landesregierung im Zusammenhang mit dem Castor-Transport. Dort wurden erstmals mehrere 100 angebliche Störer mit richterlicher Anordnung drei bis vier Tage in Gewahrsam genommen. »Es wäre hilfreich, auch in Berlin Rädelsführer für mehrere Tage in Gewahrsam zu nehmen«, so Gewalt weiter.

Doch die Erweiterung der Vorbeugehaft wird in diesem Jahr wohl nur Wunschtraum der Hardliner innerhalb der CDU sein. Alle anderen im Senat vertretenen Parteien lehnen die Erweiterung der Vorbeugehaft grundsätzlich ab. Auch Innensenator Eckart Werthebach mußte in einem Interview einräumen, daß aus zeitlichen Gründen die Umsetzung der Vorbeugehaft nicht möglich ist. Doch bestätigte er, daß die Strategie aus den letzten Jahren, angebliche »Linksextremisten gezielt anzusprechen, um sie von möglichen Straftaten abzubringen«, weiter forciert wird.

Für den 1. Mai liegt bisher bei der Berliner Polizei nur die Anmeldung der NPD, am Vormittag vom Ostbahnhof aus durch Berlin-Mitte zu marschieren, vor. Doch die Berliner Polizei geht auch davon aus, daß die beiden revolutionären Demonstrationen am frühen Nachmittag und am Abend von Kreuzberg aus losgehen werden.

Die Antifaschistische Aktion Berlin (AAB) widerspricht in ihrer Presseerklärung vehement der allgemeinen Wahrnehmung von Gewalt. Für sie ist der 1. Mai »kein unreflektiertes Ritual zwischen Hooliganismus und Love Parade«, sondern Ausdruck von konkreter Kritik an den kapitalistischen Verhältnissen. Daß diese Kritik keinen besseren Staat erfindet, sondern nur die bestehenden inneren Widersprüche aufzeigt, ist für die AAB dem Umstand zu verdanken, daß alle konkreten Utopien sich stets nach den Maßgaben kapitalistischer Rationalität richteten.

Donnerstag, 22. März 2001

Suspekte Tugenden

Antimilitaristen inszenieren in Potsdam einen Feldzug gegen alles Preußische

Ralf Fischer / Junge Welt

Aus Anlaß des 300. Jubiläums der Selbstkrönung von Friedrich III., Kurfürst von Brandenburg, zu Friedrich I., König von Preußen, wurde 2001 hochoffiziell zum »Preußenjahr« erklärt. Seit der feierlichen Eröffnung des Jubeljahres durch Bundespräsident Johannes Rau (SPD) und durch den brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD) werden insbesondere in Brandenburg einige preußische Tugenden wieder hochgehalten, wenngleich sich Stolpe immerhin klar vom preußischen Militarismus und seinen Folgen distanzierte.

Von Anfang an haben diese Aktivitäten linke, antimilitaristische und antifaschistische Kritiker auf den Plan gerufen. Sie wollen ihren Protest gegen den Preußenkult im allgemeinen und gegen den positiven Bezug auf preußische Tugenden im besonderen nun gemeinsam in die Öffentlichkeit tragen. Für den kommenden Samstag haben zwei Potsdamer Antifa-Gruppen und die Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär zu einer Demonstration in Potsdam unter dem deftigen Motto »Preußen bleibt Scheiße« aufgerufen.

In einem Demonstrationsaufruf weisen die Organisatoren darauf hin, daß der Militarismus in der aktuellen Debatte häufig nicht mehr als typisch und als konstituierendes Element des preußischen Regiments benannt wird. Statt dessen werde er zu einer »universalen Erscheinung der Moderne« erklärt, der in allen Staaten, »besonders während deren Entstehung wirkungsmächtig« gewesen sei. Im Zusammenhang mit den Appellen der Politiker an Toleranz und Menschlichkeit der Bürger - häufig unter Bezugnahme auf das preußische Vorbild - betonen die Preußen-Gegner, Einwanderungs-, Flüchtlings- und Minderheitenpolitik sei auch damals selten »humanistisch motiviert« gewesen. Ausländische Fachleute seien nicht vorrangig deshalb ins Land geholt worden, weil sie wie die Hugenotten in ihrer Heimat verfolgt wurden, sondern aus ökonomischen Gründen. Toleranz bedeute zudem immer, »daß aus einer Machtposition heraus etwas anderes geduldet wird«.

Dienstag, 6. März 2001

Alle gegen rechts

In Eberswalde wird gegen einen geplanten Naziaufmarsch mobilisiert

Ralf Fischer / Junge Welt

Für den 10. März hatte in Eberswalde das NPD- Bundesvorstandsmitglied Frank Schwerdt in Zusammenarbeit mit dem Eberswalder NPD-Mann Gordon Reinholz eine Demonstration unter dem Motto »Gegen linke Gewalt - für eine nationale Jugendkultur« angemeldet. Doch die Anmeldung wurde vom Bundesgeschäftsführer der NPD Andreas Salomon unter der Begründung, das weder die NPD noch ihre Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) einen Aufmarsch an diesem Tag in der nördöstlich von Berlin gelegenen Kleinstadt planen, Mitte vergangener Woche zurückgezogen. Kurz danach kam der Polizei in Eberswalde eine erneute Anmeldung ins Haus geflattert. Diesmal war Udo Hempel vom »Jungen Nationalen Spektrum« aus Ostsachsen der Anmelder der gleichen Demonstration. Die Neonazis wollen quer durch die Innenstadt und das Leibniz-Viertel marschieren. Beginnen soll das Spektakel um 10.30 Uhr am Eberswalder Busbahnhof.

Auf einem Flugblatt, das im Schaufenster des Eberswalder Neonazigeschäftes »Ragnaröck« hängt, prangen die Namen von über einem Dutzend örtlicher und überregionaler Kameradschaften, die den Aufruf zur Demonstration in Eberswalde unterstützen. Auch im Internet werben die freien Kameradschaften bundesweit für diese Demonstration. Angemeldet sind insgesamt 400 Teilnehmer, auch die berüchtigte Berliner Kameradschaft »Germania« ruft wieder einmal zu einem eigenen Block auf. Die örtliche Antifa rechnet mit weniger als 400 Teilnehmern an dem Neonaziaufmarsch.

Mit dem Bekanntwerden der Anmeldung der Neonazis startete eine breite Gegenmobilisierung. In der Vergangenheit waren es in Eberswalde immer die linke Szene und das Netzwerk für ein tolerantes Eberswalde, die sich gegen solche Aktionen der Neonazis stellten. Aber diesmal scheint alles etwas anders abzulaufen. Auch der parteilose Bürgermeister Reinhard Schulz will sich offenbar gegen die Neonazis engagieren und meldete eine Kundgebung gegen Rechts von 11 bis 14 Uhr auf dem Marktplatz an. Auftreten werden die Berliner Reggae-Band von »Ras Donovan« und wahrscheinlich mehrere lokale Rockgruppen. Außerdem haben sich Parteien, Gewerkschaften und andere Organisationen mit Infoständen angemeldet.

Neben der Gegenaktion auf dem Marktplatz wird es noch zwei weitere Kundgebungen geben. Die Jugendinitiative EXIL e.V. veranstaltet mit befreundeten Gruppen auf einer Wiese am Hauptbahnhof von 9.30 bis 11 Uhr und auf dem Karl- Marx-Platz von 11.30 bis 15 Uhr ein Konzert mit mehreren Bands und DJs. Die Musikrichtungen reichen hier von HipHop bis House.

Hinter der Nazidemonstration wird die Kehrmaschine der Stadt Eberswalde getreu dem Motto »Wir fegen den Dreck von der Straße« fahren. Am Rande des Naziaufmarsches wollen der Evangelischen Jugendkeller und das Bunte Plenum unter dem Motto »Bunt statt braun!« gewaltfreie Aktionen starten. Allen Eberswalder Protestlern ist es wichtig, daß der Widerstand gewaltfrei bleibt. Jede Eskalation wäre ihrer Meinung nach ein Punkt für die Neonazis. Die Provokation ist schon mit dem Motto klar - davon sollte sich aber niemand beeindrucken lassen.

Samstag, 3. März 2001

Funktionierendes Netzwerk

Festnahme von Blood & Honour-Aktivisten in Tirol wirft Licht auf internationale Neonaziaktivitäten

Ralf Fischer / Junge Welt

In der vergangenen Woche nahmen italienische und österreichische Polizisten in Norditalien sowie in Österreich in der vergangenen Woche dreizehn Mitglieder der internationalen neofaschistischen Organisation Blood & Honour fest. Hauptziel der Durchsuchungen war die in der italienischen autonomen Provinz Alto Adige aktive Sektion der österreichischen Blood & Honour-Division. Alle Verhafteten sind Südtiroler deutscher Muttersprache.

Den dreizehn Neonazis werde rassistische Diskriminierung und Verherrlichung des Nationalsozialismus vorgeworfen, teilte die italienische Polizei in Bozen mit. Gegen acht weitere mutmaßliche Rechtsextreme seien Ermittlungen eingeleitet worden. Beim in Innsbruck festgenommenen deutschen Neonazikader handelt es sich um den aus Ravensburg stammenden Achim J.. Im Rahmen der großangelegten Polizeioperation »Schwarz, weiß, rot« wurde bereits seit einem Jahr gegen die Neonazis ermittelt.

Die ins Visier gekommene Blood & Honour-Division treibt schon über Jahre hinweg unter wechselnden Bezeichnungen ihr Unwesen. Seit Anfang der 90er firmiert sie unter dem Namen Skinheads Tirol im italienischen und österreichischen Teil Tirols. Seit dem Aufbau der Blood & Honour-Division Österreich vor zwei Jahren sind die Tiroler Skinheads ein wichtiger Bestandteil dieser Organisation.

Konkret wird den dreizehn Neonazis vorgeworfen, im Dezember zwei Italiener verprügelt und schwer verletzt zu haben, an einer Massenschlägerei zwischen italienischen und deutschen Skinheads teilgenommen zu haben und in einer Meraner Bar Nazilieder gesungen und dabei die Bombardierung Israels gefordert zu haben.

Die Verhafteten wurden nach ihrer Festnahme sofort in Einzelzellen gebracht. Der italienische Staatsanwalt Guido Rispoli befürchtet, daß die Neonazis ihre Aussagen untereinander absprechen, Zeugen zum Schweigen auffordern oder Beweise verdunkeln. Auch die Fluchtgefahr, so Rispoli, sei Grund dafür, daß die Neonazis in Isolationshaft sitzen. Die Blood & Honour-Leute haben gute Kontakte nach Österreich, Deutschland und Großbritanien.

Die seit dem September 2000 in Deutschland verbotene Organisation, so scheint es, ist auch für die deutschen Ermittler eine harte Nuß. Trotz des Verbotes organisierten die deutschen Sektionen über zehn Konzerte, an denen immer zwischen 200 und 600 Neonazis teilnahmen. Ulli Jentsch, Sprecher des Berliner Antifa-Pressearchivs, betonte gegenüber junge Welt, daß die Strukturen von Blood & Honour in Deutschland »von Anfang an auf ein mögliches Verbot vorbereitet waren« und »die deutsche Polizei teilweise bei ihren Ermittlungen versagt hat«.

Donnerstag, 18. Januar 2001

Zusammen handeln

Antifa-Aktionswoche 2001 startet am 24. Januar

Ralf Fischer / Junge Welt

Zum dritten Mal organisieren antifaschistitische Initiativen und Einzelpersonen in Berlin eine Woche voller Aktionen, Veranstaltungen und Partys. Dieses Jahr dauert die Antifaschistische Aktionswoche insgesamt fast zwei Wochen. Die Organisatoren vom Berliner Antifaschistischen Aktionsbündnis III [A3] wollen erreichen, daß in dieser Zeit antifaschistische Inhalte und Aktionen unübersehbar sind. Neu ist im Vergleich zu den letzten beiden Jahren, daß auch Antifas aus anderen Bundesländern Aktionen und Veranstaltungen organisieren. Mit einem Konzert der Bands No Exit und Special Guest im H.O.F. 23 (21 Uhr in der Langhansstraße 23, Berlin-Weißensee) wird die Aktionswoche schon an diesem Samstag inoffiziell eröffnet. Auch einige andere Veranstaltungen finden schon vor dem 24. Januar, dem offiziellen Beginn, statt. Insgesamt sind über 30 Veranstaltungen im Terminplan der diesjährigen Aktionswoche verzeichnet.

Am 27. Januar wollen zum wiederholten Male Kameradschaften und NPD-Anhänger in Berlin-Mitte aufmarschieren. Im Rahmen der Aktionswoche wird zu einer Kundgebung um 10 Uhr vor der Humboldt-Universität aufgerufen. Neben Vertretern antifaschistischer und antirassistischer Initiativen werden auch der PDS- Bundestagsabgeordnete Heinrich Fink und der Wissenschaftler Thomas Kuczynski auf der Kundgebung sprechen. Den Abschluß der Aktionswoche bildet am 3. Februar eine Demonstration gegen die REP- Bundeszentrale in Berlin-Pankow und den jetzt im Prenzlauer Berg residierenden Nazikader Oliver Schweigert.

Infos: www.antifawoche.de

Donnerstag, 11. Januar 2001

Bündnis plant Gegenaktion

NPD will am Sonntag in Greifswald marschieren

Ralf Fischer / Junge Welt

Für den 14. Januar hat der NPD-Kreisverband Greifswald eine Demonstration in der Hansestadt angemeldet, an der sich auch freie Kameradschaften beteiligen wollen. Am Montag abend hat die Stadt jedoch ein Verbot der Demonstration verfügt. Begründet wird es unter anderem damit, daß als Versammlungsleiter durchweg Personen benannt seien, die wegen schwerer Straftaten verurteilt sind. Zudem befürchtet man aber auch eine »große Anzahl gewaltbereiter Gegendemonstranten«.

Die von der NPD geplante Marschroute soll vom Hauptbahnhof bis in das Neubaugebiet Schönwalde 2 verlaufen. Als Redner sind der Landesvorsitzende der NPD, Hans-Günter Eisenecker, und der »Schriftleiter« des rechten Störtebeker-Netzes, Axel Möller, angekündigt. Ab 9 Uhr treffen sich die Neonazis am Bahnhof, um 10 Uhr wollen sie losmarschieren.

In Greifswald plant mittlerweile ein breites Bündnis verschiedener Initiativen, Gewerkschaften und Einzelpersonen Gegenaktionen. Die Universität ruft zu einer Demonstration auf und hat eine Anzeige in der Ostsee-Zeitung mit dem Aufruf veröffentlicht, für eine weltoffene und ausländerfreundliche Universität und Stadt einzutreten. In nur wenigen Tagen haben 384 Uni-Angehörige diesen Aufruf unterzeichnet.

Nach einer Kundgebung um 9 Uhr am Busbahnhof und der Demo unter dem Motto »Aufstehen gegen Menschenverachtung« vom Marktplatz aus zum Kundgebungsort der NPD gibt es ab 17 Uhr auf dem Markt im Festzelt ein Konzert mit den Bands »X-perience«, »Bell Book & Candle«, lokalen Gruppen und »DZIKA CHERRY« aus Polen.

Donnerstag, 4. Januar 2001

Antifa-Jugendtreffen

Am Wochenende in Berlin: Diskussionen über Erfahrungen und Strategien gegen rechts

Ralf Fischer / Junge Welt

Am Vorabend der traditionellen Berliner Luxemburg- Liebknecht-Demonstration findet das vom VVN-BdA und dem BdA organisierte Antifa-Jugendtreffen statt. Wie schon in den letzten fünf Jahren werden mehrere hundert Jugendliche aus dem gesamten Bundesgebiet erwartet. In den unterschiedlichen Diskussionsforen sollen über wirksame Strategien gegen rechts, Rechte im Internet, Geschichtsarbeit und antifaschistische Projektschultage debattiert und unterschiedliche Erfahrungen ausgetauscht werden.

Der Schwerpunkt des diesjährigen Antifa-Jugendtreffen ist der Austausch über antifaschistische Strategien gegen den rechten Vormarsch. So wird Angelo Lucifero von der Landesarbeitsgemeinschaft Antifaschismus beim DGB Thüringen über gewerkschaftliche Strategien gegen die Rechtsentwicklung referieren. Zur Rolle von antifaschistischen Bündnissen und der Bündnisarbeit von Antifagruppen im allgemeinen werden das Antifaschistische Aktionsbündnis III aus Berlin und das Bündnis gegen Rechts aus Leipzig Stellung nehmen. Die unterschiedlichen Einschätzungen des »Aufstandes der Anständigen« wird »eine der am meisten diskutierten Fragen im Zusammenhang mit der weiteren antifaschistischen Arbeit sein«, so eine Sprecherin gegenüber jW.

Neben den aktuellen antifaschistischen Auseinandersetzungen werden auch andere politische Fragen thematisiert. Peter Gingold wird in Zusammenarbeit mit der VVN-BdA Jugend über den Stand der internationalen Aktivitäten zur Befreiung von Mumia Abu-Jamal reden. Die Auseinandersetzung mit der voranschreitenden Militarisierung der Gesellschaft und die Situation der in Brandenburg lebenden Migrantinnen und Migranten wird ebenso thematisiert. Sorgen macht den Organisatoren noch der Ort, wo die Veranstaltung stattfinden soll. Die zunächst angemieteten Räume einer Schule in Berlin-Friedrichshain wurden kurzfristig vom Vermieter zurückgezogen. Deshalb wird jetzt fieberhaft nach einem neuen Veranstaltungsort gesucht. »Bis zum 13. Januar werden wir neue Räumlichkeiten organisieren«, sagte ein sehr zuversichtlicher Organisator des Antifa-Jugendtreffen.