Donnerstag, 30. November 2000

Handzettel gegen Nazitreffpunkte

Aktion Treptower Antifa-Gruppe

Ralf Fischer / Junge Welt

Das »Johannisstübel« am Busbahnhof Berlin- Schöneweide und die Gaststätte »Fliegerheim« sind schon seit einiger Zeit beliebte Treffpunkte der regionalen Neonaziszene. Vor allem das »Johannisstübel« dient wegen seiner fast unbeschränkten Öffnungszeiten als Anlaufpunkt für Rechtsextremisten aus Treptow und Köpenick. In Zeiten des Wahlkampfes zogen von hier aus die Mitglieder der rechtsextremen NPD aus, um ihre rassistischen Plakate aufzuhängen. Zudem wurden Überfälle auf alternative Jugendliche verübt, die direkt aus dem »Johannisstübel« heraus begangen wurden. Zu den Stammgästen der Gaststätte zählen gewaltbereite Naziskins, Aktivisten der NPD, Mitglieder der verbotenen »Blood & Honour«-Bewegung und Angehörige der Kameradschaftsszene. Vom »Fliegerheim« aus kam es schon mehrfach zu Bedrohungen gegen Besucher des Jugendzentrums »Audio«.

Anfang dieser Woche verteilten Mitglieder und Sympathisanten der Treptower Antifa Gruppe (TAG) Flugblätter an die Anwohner, um über diese Entwicklung aufzuklären. Sie schreiben, daß sie »es unerträglich finden, daß in Treptow Gegenden existieren, in denen nicht-rechte und nicht-deutsche Menschen um ihre Gesundheit fürchten müssen.« Der TAG geht es darum, die Treffpunkte der Neonazis nicht einfach zu akzeptieren.

Montag, 27. November 2000

NPD kam nicht durch

Tausende Antifaschisten erzwangen Abbruch des Neonaziaufmarsches in Berlin. 

Ralf Fischer / Junge Welt

Trotz eines Großaufgebotes von über 4 000 Polizei- und BGS- Beamten aus mehreren Bundesländern konnte die NPD ihren Marsch vom Berliner Ostbahnhof zur Friedrichstraße nicht wie geplant durchführen. Die 1 200 NPD-Anhänger wollten mit dem Marsch gegen ein mögliches Verbot der Partei protestieren.

Immer wieder stellten sich Antifaschisten dem Marsch in den Weg, die zunächst von der Polizei, die die Neonazis eskortierte, abgedrängt werden konnten. An einer zur gleichen Zeit stattfindenden Gegenkundgebung der Initiative »Europa ohne Rassismus« vor dem Roten Rathaus nahmen mehrere tausend Menschen teil. Als Redner traten Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, Bundesfamilienministerin Christine Bergmann, mehrere Landespolitiker sowie der Vorsitzende der Berliner Jüdischen Gemeinde, Andreas Nachama, auf. Thierse forderte die Berliner auf, ihre Stadt gegen den »rechten Mob« zu schützen und keine NPD-Aufmärsche zu dulden. In seiner Rede kritisierte er auch erneut den von den Unionsparteien im Zusammenhang mit der Debatte über Einwanderung nach Deutschland gebrauchten Begriff »Leitkultur«. Dem schloß sich auch Nachama an. Der Begriff Leitkultur sei nicht mit dem Grundgesetz und der föderalistischen Struktur der Bundesrepublik vereinbar. Die CDU hatte als einzige der großen Berliner Parteien die Teilnahme an der Kundgebung abgelehnt.

Viele Teilnehmer der Kundgebung am Roten Rathaus und einer weiteren antifaschistischen Versammlung an der Neuen Wache zogen zum Alexanderplatz, um den Neonaziaufmarsch endgültig zu stoppen. Der Polizei gelang es nicht, diese Blockade aufzulösen. Auch auf der geplanten Ausweichroute durch die Grunerstraße kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Antifaschisten und der Polizei, die auch mit Schlagstöcken und Wasserwerfern gegen die Demonstranten vorging. Doch abermals gelang es nicht, die Blockade aufzulösen.

Daraufhin beschloß die Polizei, die NPD-Demonstration aufzulösen, da »die Sicherheit der Teilnehmer nicht mehr garantiert« werden könne, wie ein Polizeisprecher erklärte. Die NPD-Anhänger wurden von Polizei und BGS zum S- Bahnhof Alexanderplatz eskortiert und in bereitgestellten Sonderzügen zu ihren Sammelpunkten nach Buch und Schöneberg gebracht. Einige NPD-Anhänger leisteten gegen die Auflösung der Demonstration Widerstand und wurden vorläufig festgenommen.

Am Abend versammelten sich rund tausend Antifaschisten am U-Bahnhof Samariterstraße, um an der alljährlichen Gedenkdemonstration für den 1992 von Neonazis ermordeten Silvio Meier teilzunehmen. Kurz nachdem einige Demonstranten den rechten Szeneladen »Utgard« angegriffen und dabei die Reklameschilder zerstört hatten, griff die Polizei mit Schlagstöcken ein und nahm einzelne Personen fest. Ein Sprecher der Demonstrationsveranstalter erklärte gegenüber jW, daß »diese Prügelorgie eine Frustreaktion der Berliner Polizei« auf die »am Vormittag erlittene Niederlage« gewesen sei.

Montag, 20. November 2000

Gedenken an ermordeten Antifaschisten

Alljährliche Silvio-Meier-Demonstration am 25. November in Berlin

Ralf Fischer / Junge Welt

Zum Jahrestags der Ermordung des Hausbesetzers und Antifaschisten Silvio Meier am 21. November 1992 in Berlin finden auch in diesem Jahr wieder Gedenkveranstaltungen statt. Für den 21. November plant das Silvio-Meier- Vorbereitungsbündnis von 15 bis 19 Uhr eine Mahnwache am U-Bahnhof Samariterstraße. Hier wurde Silvio Meier damals von rechtsexremen Jugendlichen angegriffen und ermordet.

Unter dem Motto »Smash Fascism! Fight Racism! - Für eine antifaschistische revolutionäre Jugendbewegung« wird am 25. November um 15 Uhr am U-Bahnhof Samariterstraße eine Demonstration beginnen und durch Berlin-Lichtenberg führen. Dieser Stadtbezirk ist seit Jahren als Hochburg von Neonazis bekannt. Bereits 1989/ 1990 waren in Lichtenberg erste Nazi-Strukturen entstanden.

Heute wohnt der Berliner NPD-Vorsitzende Georg Magnus in Lichtenberg. Als Treffpunkt für Neonazis dient vor allem der Tattoo-Shop »Utgard« in der Fanningerstraße, für den im Blood & Honour-Magazin Werbung gemacht wurde und der von Frank Lutz betrieben wird. Lutz ist Gründungsaktivist der Ostberliner Naziszene, war am Aufbau der »Nationalen Alternative« und des ehemaligen Nazizentrums in der Weitlingstraße beteiligt.

Thematisch soll während der Demonstration am kommenden Sonnabend die Verbindung zwischen dem täglichen Naziterror und dem staatlichen Rassismus entlarvt werden. Deshalb endet die Demonstration am Bundesgrenzschutz-Stützpunkt des Bahnhofs Lichtenberg. Gerade der BGS ist durch seine Aufgabe, Flüchtlinge daran zu hindern, nach Deutschland zu kommen, ein wichtiges Instrument des staatlichen Rassismus.

Mittwoch, 8. November 2000

Gedenken an Opfer der Reichspogromnacht

Berliner Antifagruppen erinnern an den 9. November 1938

Ralf Fischer / Junge Welt

Auch in diesem Jahr ruft die Antifaschistische Initiative Moabit (AIM) zu einer Gedenkkundgebung am 9. November am Mahnmal in der Berliner Levetzowstraße auf. Nach der Kundgebung beginnt eine Demonstration, die sich an der Route orientiert, auf der die Berliner Juden vom Sammellager in der Synagoge zum Güterbahnhof an der Putlitzbrücke getrieben wurden.

Der 9. November 1938 war der Tag, an dem Nazideutschland und ein großer Teil der Bevölkerung auf mörderische Art und Weise den hier lebenden Juden zeigten, daß sie endgültig nicht mehr zur deutschen Gesellschaft gehörten. Im ganzen Land zündete der faschistische Mob, an der Spitze die SA, die Synagogen an, zerstörte und plünderte jüdische Geschäfte, Betriebe und Wohnungen, verprügelte, vergewaltigte und tötete Juden und verschleppte Tausende in die Konzentrationslager. Der Schritt von der totalen Ausgrenzung, Entrechtung und Beraubung der Juden hin zum Holocaust, der Vernichtung der europäischen Juden, war getan.

1933 lebten in Berlin-Tiergarten 12 286 Juden, mehr als in den meisten anderen Berliner Bezirken. Hier gab es über 16 jüdische Einrichtungen: Schulen, Bethäuser und ein Wohnheim, außerdem eine der größten Berliner Synagogen in der Levetzowstraße. Nachdem die jüdische Gemeinde gezwungen worden war, ein Sammellager für über tausend Juden in der Synagoge einzurichten, begannen am 18. Oktober 1941 die Deportationen in die Konzentrationslager und Ghettos. Wurden die Opfer anfangs noch auf Lastwagen zum Deportationsbahnhof Putlitzstraße, dem größten Berlins, verfrachtet, mußten sie ab 1943 diesen Weg zu Fuß zurücklegen. Sie wurden von der SS am hellichten Tag durch Moabit getrieben - bis zu einem Nebengleis des Güterbahnhofs, auf dem die Deportationszüge warteten. Nach Ende des Hitlerfaschismus lebten in Tiergarten nur noch 185 Juden.

62 Jahre nach der Reichspogromnacht und zehn Jahre nach der Vereinigung häufen sich in alarmierender Weise Anschläge auf Synagogen wie in Erfurt, Düsseldorf und Berlin-Kreuzberg sowie Schändungen von jüdischen Friedhöfen und Gewalttaten gegen fremd oder anders Aussehende und Obdachlose. In ihrem Aufruf zur Demonstration konstatiert die AIM: »Eine gesellschaftliche Mehrheit, die sich entschieden gegen diese Entwicklung stellt, gibt es zur Zeit nicht.«

Samstag, 4. November 2000

Brief gegen einen Nazikader

Berliner wollen im Prenzlauer Berg keinen Neofaschisten als Nachbarn

Ralf Fischer / Junge Welt

»Wir sind mehrere Mieter der Isländischen Straße, die Sie in diesem Brief darüber informieren wollen, daß in unserer direkten Nachbarschaft (Isländische Straße 7) einer der bekanntesten und gefährlichsten Nazikader Berlins wohnt.« So beginnt ein Flugblatt, das am Mittwoch in Teilen des Berliner Stadtbezirks Prenzlauer Berg in den Briefkästen lag.

Der Text gilt dem als Drahtzieher der »Freien Kameradschaften« bekannten Oliver Schweigert. Der 1968 geborene gelernte Maschinenschlosser macht seit Jahren als Anti-Antifa-Aktivist von sich reden.Im Oktober 1999 durchsuchte der Staats- und Verfassungsschutz seine Wohnung in Berlin, wobei eine »schwarze Liste« mit über 60 Namen und Adressen, teilweise auch Fotos, von politischen Gegnern gefunden wurde. In diesem Jahr meldete er den »Rudolf-Heß-Gedenkmarsch« an, der jedoch vom Verwaltungsgericht verboten wurde. Schweigerts Frau, Stella Palau, ist stellvertretende Vorsitzende der Berliner NPD und führendes Mitglied des »Skingirl-Freundeskreis Deutschland« (SFD). Auf ihren Namen und die Adresse in der Isländischen Straße ist die Internetseite des SFD angemeldet.

In ihrem Brief rufen die Verfasser ihre Nachbarn auf, sich gegen Rechtsextremismus zur Wehr zu setzen, Neonazis spüren zu lassen, daß sie nicht erwünscht sind, und Opfern rechter Angriffe zu helfen. Das Berliner »Antifaschistische Aktionsbündnis III« (A3) veröffentlichte das Flugblatt am Freitag vormittag. In seiner Pressemitteilung bestätigt es die Richtigkeit der Informationen und verweist auf zahlreiche Aktionen der extremen Rechten im Nordosten Berlins. Das Bündnis solidarisiert sich mit der Aktion und ruft zu mehr Eigeninitiativen dieser Art auf.