Montag, 18. September 2000

Prügel für die Antifa

Berlin: Gedenkdemonstration für ermordeten Arbeitslosen von Polizei angegriffen

Ralf Fischer / Junge Welt

Trotz des schlechten Wetters versammelten sich am Samstag mehr als 300 Menschen am S-Bahnhof Berlin-Karow, um des Ende Mai von Nazis ermordeten Arbeitslosen Dieter Eich zu gedenken. Der Demonstrationszug der meist Jugendlichen wurde von einem massiven Polizeiaufgebot begleitet. Die berüchtigte Berliner Hundertschaft 23 war für die Gedenkdemonstration zuständig.

Anfangs hielt sich die Polizei zurück, und die Demonstranten liefen friedlich durch Karow. Einige wenige Anwohner schauten dem in dieser Gegend seltenen Ereignis zu. In den Redebeiträgen aus dem Lautsprecherwagen wurde immer wieder betont, daß der Mord an Dieter Eich nicht vergessen werden darf. Die Sprecher und Sprecherinnen nahmen Bezug auf die absichtliche Vertuschung des Vorgangs durch Polizei und Justiz. »Politik, die Zivilcourage von der Zivilgesellschaft einfordert, sollte dies gerade in den Reihen der Polizei, Justiz und Verwaltung durchsetzen«, so ein Sprecher des Antifaschistischen Aktionsbündnis III.

Etwa nach der Hälfte der Demonstrationsstrecke gingen Polizisten erstmals gewaltsam gegen Demonstranten vor. Ein mit Sonnenbrille und Basecap »bewaffneter« Jugendlicher hatte die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich gelenkt. Um den »Vermummten« zu stellen, prügelten sich die Polizeibeamten durch die Demonstration. Diese versuchte sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu wehren. Bei dieser Auseinandersetzung soll ein Demonstrant mit einer Fahnenstange einen Polizisten auf den Kopf geschlagen haben. Daraufhin prügelte sich die Polizei Minuten später wieder in den Demozug. Mit der Begründung, diesen Demonstranten zu suchen, schlugen sie wild um sich und verletzten mehrere Personen. Nach einer zweiten Festnahme durfte die Demonstration nach Buch fortgesetzt werden.

In der Plattenbausiedlung, in der Dieter Eich ermordet worden war, schlossen sich einige Jugendliche der Demo an. Andere, die der rechten Szene zuzuordnen waren, versuchten mit Gesten und Rufen, die Antifaschisten zu provozieren. Am Haus in der Walter-Friedrich-Straße 52, in dem Dieter Eich ermordet worden war, legte die Demonstration eine Schweigeminute ein. Von den Trauernden wurden Blumen niedergelegt und Kerzen aufgestellt. Auf den letzten Metern hielt die Bezirksbürgermeisterin von Pankow, Gisela Grunwald (PDS), eine Rede. Sie drückte ihre Trauer über den Mord aus und rief zum Handeln gegen den Naziterror auf.

Donnerstag, 7. September 2000

Rechtsextremes Tatmotiv vertuscht

Neonazis ermordeten in Berlin-Pankow Arbeitslosen, Polizei sprach von Raubmord

Ralf Fischer / Junge Welt

Am Abend des 25. Mai wurde der 60jährige Dieter E. in Berlin-Pankow in der Wohnung seiner Lebensgefährtin zusammengeschlagen und ermordet. Dieter E. war arbeitslos und lebte von Sozialhilfe. Die vier Täter, so bestätigte auch die Staatsanwaltschaft, gehören zum rechtsextremen »Kameradschafts-«spektrum. Die 17- bis 21jährigen Neonazis sollen sich, bevor sie bei Dieter E. eindrangen, in einer Wohnung im gleichen Haus aufgehalten haben. Dort sollen sie, so berichtet der ermittelnde Staatsanwalt Sascha Daue, »rechte Sprüche geklopft und gesoffen« haben. Mit der Absicht, »Assis zu klatschen«, verschafften sich die Neonazis Zutritt in die Wohnung und schlugen auf Dieter E. ein. Der 18jährigen René R ermordete den Arbeitslosen dann mit dem Jagdmesser seines Vaters durch einen Stich ins Herz.

Die Polizei war wegen der lauten Musik und »Sieg Heil«- Rufen von Nachbarn alarmiert worden. Doch am nächsten Tag wurde in der Pressemitteilung der Polizei aus dem Neonazimord ein Raubmord. Obwohl die Neoazis zwei Tage später festgenommen wurden und aus ihrer Gesinnung keinen Hehl machten, wurde das politische Tatmotiv von den Behörden verschwiegen. Erst nachdem vor einer Woche die »Berliner Zeitung« darüber berichtete, bestätigte Staatsanwalt Daue den Sachverhalt. »Die Staatsanwaltschaft ist nicht so schnell dabei mit Presseerklärungen. Ich bitte um Verständnis«, sagte er.

Das Antifaschistische Aktionsbündnis III [A3] will mit einer Demonstration am 16. September und mit Öffentlichkeitsarbeit verhindern, daß der Mord an Dieter E. entpolitisiert wird. In seiner Presseerklärung wirft das A3 Polizei und Justiz absichtliche Vertuschung des Tatmotivs vor. Auch wie jetzt von den Medien auf den Mord reagiert wird, sei unbefriedigend. Nachdem das Sommerloch vorbei ist, interessierten sich kaum noch Medien für diesen Mord. Noch vor drei Wochen sei jede kleinste Aktion der Neonazis aufmerksam registriert worden. Heute sei ein von Neonazis Ermordeter schon wieder uninteressant.