Montag, 14. August 2000

Sturm im Wasserglas

Politik ließ sich mit Verbot des »Hamburger Sturm« viel Zeit

Ralf Fischer / Junge Welt

Die Hamburger Innenbehörde hat am Freitag vormittag vier Mitgliedern der neonazistischen Organisation »Hamburger Sturm« die Verbotsverfügung zugestellt. Der »Hamburger Sturm« ist seit Jahren einer der Organisatoren des sogenannten »Nationalen Widerstandes« und des bundesweiten Netzwerkes der faschistischen Kameradschaften. Wie bei anderen Kameradschaften handelt es sich hier um einen Zusammenschluß ohne Eintrag im Vereinsregister, Mitgliedsausweise oder Vereinslokal. So wollen sich die Kameradschaften nach Einschätzung von Experten der Überwachung durch Polizei und Verfassungsschutz entziehen.

Über das Aktionsbündnis Norddeutschland forcierten die Hamburger Aktivisten den Aufbau rechter Strukturen in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg- Vorpommern. Auch beim Aufbau des »Bündnis für Rechts in Lübeck« halfen sie mit. Zum »Hamburger Sturm« rechnen die Behörden etwa 20 Mitglieder um Anführer Torben Klebe. Thomas Wulff, einer der bekanntesten Akteure der Kameradschaftsszene, war genauso im Hamburger Sturm organisiert wie der inoffizielle Nachfolger Michael Kühnens, Christian Worch.

Parallel zur Übergabe der Verbotsverfügung wurden die Wohnungen der vier Männer in Hamburg durchsucht. Dabei stießen die Ermittlungsbeamten auf umfangreiches Propagandamaterial, auch Plakate und Aufkleber für die diesjährige Rudolf-Heß-Kampagne wurden gefunden. Das mit sofortiger Wirkung geltende Verbot der Organisation begründet der Hamburger Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) unter anderem mit einem vor über einem Jahr in der gleichnamigen Zeitung des »Hamburger Sturms« veröffentlichten Interview mit Mitgliedern der »National- Revolutionären Zellen«. In diesem wird zum »Krieg gegen das System« aufgerufen. Als im Mai 1999 die »National- Revolutionären Zellen« mit diesem Interview an die Öffentlichkeit traten, sahen die Behörden keinen Anlaß zum Handeln. Auch nach dem Versuch einiger Personen aus dem Umfeld der »National-Revolutionären Zellen«, im September letzten Jahres einen linken Treffpunkt in Berlin-Prenzlauer Berg mit Brandbomben anzugreifen, blieben die Behörden in Berlin und Hamburg untätig.

Wie Wrocklage sehen sich viele Politiker von CDU bis zu den Grünen offensichtlich erst durch die Sommerlochdebatte zum Handeln genötigt. Dabei beschränken sich CDU/CSU- Politiker allerdings auf die Forderung des Verbots rechter Organisationen, rot-grüne Menschenrechtsrethoriker rufen derweil wieder und wieder zu Zivilcourage auf. In den Reihen der Regierungsparteien wächst die Zustimmung zum Verbot der NPD und anderer rechter Parteien. Doch nur wenige Intellektuelle mischen sich in die Debatte ein. Immerhin betonte Jürgen Habermas letzte Woche in einem Interview, daß ein NPD-Verbot »ein auf das Sicherheitsbedürfnis der Bürger abzielender autoritärer Reflex« wäre. Das ist auch die Stoßrichtung der meisten Verbotsbefürworter: NPD verbieten und Schluß mit der Debatte über Rechtsextremismus und seine Ursachen. Sie befürchten, daß in einer Diskussion über Ursachen auch staatlicher Rassismus und rassistische Gedanken und Handlungen vieler Politiker der »neuen Mitte« zum Thema werden könnten.

Eine Analyse der Wurzeln von Gewalt und Ausländerfeindlichkeit aber ist notwendig. In einer Studie der Freien Universität Berlin wurde festgestellt, daß zwölf Prozent der Berliner und 21 Prozent der Brandenburger rechtsextrem eingestellt sind. Zwischen dem Ost- und Westteil Berlins verzeichneten die Forscher kaum Unterschiede. Doch das Interessanteste an der Studie ist, daß 17 Prozent der Menschen mit rechtsextremistischer Einstellung CDU und 31 Prozent SPD wählen würden. Auch die PDS bekommt noch 9,5 Prozent dieser Wählerstimmen. Tatsachen, die mit einem NPD-Verbot nicht vom Tisch zu wischen sind.

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